Vizepräsidentin Harris hat sich nach dem Rückzug Joe Bidens überraschend schnell den Zugriff auf die Kandidatur der Demokraten gesichert. Ihr wirtschaftspolitisches Programm dürfte in großen Teilen eine Fortsetzung der Agenda von Joe Biden sein, auch wenn sie einige andere Akzente setzen wird. Der Handlungsspielraum der nächsten Administration dürfte aufgrund der schwiegen Haushaltslage jedoch beschränkt sein.
Erste Konturen des Wirtschaftsprogramms von Harris…
Vizepräsidentin Harris hat sich sehr schnell die Unterstützung ihrer Partei und die notwendigen Delegiertenstimmen für eine Nominierung als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten gesichert hat. Ob das an der bisherigen Favoritenrolle Trumps etwas ändert, kann noch nicht beurteilt werden. Es wird mehrere Wochen dauern, bis Umfragen tragfähige Aussagen ermöglichen.
Harris wirtschaftliches Programm wird sich wohl zum großen Teil an dem der Biden-Administration orientieren. Daneben lassen verschiedene Aussagen von Kamala Harris in den letzten Jahren, vor allem die im Zuge ihrer gescheiterten Bewerbung als demokratische Präsidentschaftskandidatin im Jahr 2020, auf einige eigene Akzente schließen. Kernpunkte werden wohl sein:
- Eine Verlängerung der Steuererleichterungen für alle Einkommen unter 400 Tsd Dollar pro Jahr: Dies hat bereits Präsident Biden ins Spiel gebracht. Schätzungen des Committee for a Responsible Federal Budget (CRFB) zufolge würde das, abhängig von der konkreten Ausgestaltung, in den kommenden zehn Jahren zwischen 1,6 und 2,5 Billionen Dollar kosten. Die Steuersenkungen für die hohen Einkommen sollen dagegen wie vorgesehen Ende 2025 auslaufen.
- Eine Erhöhung der Körperschaftssteuer: Bei ihrer Kandidatur 2020 hatte Harris eine Erhöhung von 21% auf 35% ins Spiel gebracht; damit würde die Unternehmenssteuer wieder auf das Niveau von vor der Trump’schen Steuersenkung zurückkehren (im Unterschied zur Senkung der Einkommensteuern hat die Senkung der Unternehmenssteuer kein Ablaufdatum). Eine so starke Erhöhung erscheint allerdings unrealistisch. Harris wird sich wohl eher an den Vorschlägen Bidens orientieren, der eine Anhebung auf 28% in Spiel gebracht hat.
- Bezahlbares Wohnen: Dies war 2020 eine Kernforderung von Harris. Wie in vielen anderen Ländern ist auch in den USA in zahlreichen Regionen Wohnraum knapp, was als wichtiger Hemmschuh für die Wirtschaft gilt. Harris schlug Wohnzuschüsse für die Bezieher niedrigerer Einkommen vor. Darüber hinaus brachte sie Zuschüsse von 100 Mrd Dollar ins Spiel, um bei Hypothekenkrediten benachteiligten Personen beizuspringen. Die Biden-Adminstration hatte kürzlich eine Deckelung des Mietanstiegs auf 5% bei Wohnungsunternehmen ins Spiel gebracht.
- Ökologischer Umbau der Wirtschaft: Die ökologische Umstellung der Wirtschaft soll weiter gefördert und die Förderung von Öl und Gas durch Fracking weiter eingeschränkt werden. Letzteres wäre eine Änderung gegenüber der Praxis der Biden-Regierung. Schließlich wurde die Förderung fossiler Energien in den letzten Jahren deutlich gesteigert. Drastische Beschränkungen dürften aber am Widerstand auch einiger demokratisch regierter Bundesstaaten, die Öl fördern, scheitern.
- Einschränkungen im Außenhandel: Die erhöhten Zölle auf Importe aus China dürften beibehalten werden. Zudem wird wohl der Export von Hochtechnologie nach China weiter einschränkt werden. Harris ist ohnehin nicht als Freihändlerin in Erscheinung getreten; sie hatte als eine von 10 Senatoren gegen das unter Trump ausgehandelte Update der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA gestimmt. Zudem war sie gegen weitere Freihandelsabkommen wie die Transpazifische Partnerschaft TPP. Ohnehin sind weitere Freihandelsabkommen in den USA nicht durchsetzbar; der politische Wind hat sich hier gedreht.
… aber es gibt keinen Spielraum für große Sprünge
Egal, welcher Kandidat die Wahl im November gewinnt: Die Haushaltslage dürfte den Handlungsspielraum der nächsten Administration deutlich beschränken. Dies wird in Washington für beträchtliche politische Anpassungsschmerzen sorgen. Schließlich hatte sich in den letzten Jahren dort niemand für die exorbitanten Defizite interessiert. Vor dem Hintergrund verschiedener Notlagen, zuvorderst die Corona-Krise, und der lange Zeit niedrigen Zinsen war dies auch nachvollziehbar.
Jetzt haben sich die Rahmenbedingungen aber deutlich verschlechtert. Wie gering der Spielraum ist, zeigt die Basis-Projektion des Rechnungshofes (Congressional Budget Office, CBO) für das Defizit in den kommenden zehn Jahren. Hier sind sogar noch recht günstige Bedingungen unterstellt. Denn das CBO errechnet seine Projektionen auf Basis der aktuellen Gesetzeslage, und diese sieht ein komplettes Auslaufen der Einkommensteuersenkungen ab Ende 2025 vor. Dies würde das Budget um etwa 1% des BIP pro Jahr entlasten. Allerdings dürften diese Senkungen entweder ganz (so zumindest das Versprechen Trumps) oder doch teilweise (der demokratische Plan) verlängert werden.
Das CBO geht davon aus, dass das Defizit von vermutlich 6,7% im laufenden Haushaltsjahr 2024 in den Jahren ab 2026 leicht fällt (die Wirkung der Wiedererhöhung der Einkommensteuer), dann aber wieder zunimmt und schließlich 7% erreicht (Chart 1). Mit anderen Worten: es ist kaum eine Entlastung zu erwarten. Neue Programme würden das ohnehin sehr hohe Defizit weiter erhöhen und die langfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen noch stärker untergraben.
… Einsparungen sind kaum durchzusetzen
Ein Gegensteuern, um sich wieder Spielräume zu eröffnen, ist aktuell allerdings nicht abzusehen. Denn man hat sich überparteilich in seltener Einmütigkeit darauf verständigt, die Ausgaben für die staatliche Rentenversicherung, für Medicare (der Krankenversicherung für ältere Amerikaner) und für Veteranen und Verteidigung nicht zu kürzen. Die Zinsausgaben lassen sich ohnehin nicht verringern. Bleibt es hierbei, sind über zwei Drittel des Haushalts vor dem Rotstift sicher (Chart 2).
Beim verbleibenden Drittel der Ausgaben dürften sich die Demokraten gegen jegliche Kürzungen bei Gesundheitsdienstleistungen sperren. Dieser Budgetposten schließt die Zuschüsse für Medicaid ein, die Krankenversicherung für arme Amerikaner, sowie die Zuzahlungen für Obamacare. Damit sind weitere 800 Mrd Dollar von großen Kürzungen ausgenommen. Und Posten wie die Agrarzuschüsse oder Technologieförderung werden wohl auch nur marginal gekürzt werden können. Anders ausgedrückt: Die Budgetsanierung wird kaum mit dem Rotstift gelingen.
… Steueranhebungen sind nur in begrenztem Umfang möglich
Wenn Ausgaben nicht gekürzt werden können, läge es nahe, die Steuern zu erhöhen. Das Problem ist: Hierfür gibt es kaum Mehrheiten: Größere Steuererhöhungen unter einer Regierung Trump sind ohnehin nicht zu erwarten. Und eine Harris-Administration könnte bei Steueranhebungen mit keiner einzigen Stimme der Republikaner im Kongress rechnen. Die Demokraten müssten bei den Wahlen im November daher Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses gewinnen. Danach sieht es nicht aus. Denn es stehen deutlich mehr demokratische als republikanische Senatoren zur Wiederwahl, und die Demokraten müssten angesichts der aktuell knappen Mehrheit alle diese Sitze verteidigen. Umfragen zufolge ist dies unwahrscheinlich. Beim Repräsentantenhaus sind die Republikaner gegenwärtig leicht favorisiert. Bei kontroversen Projekten wie umfangreichen Steuererhöhungen würden knappe Mehrheiten im Übrigen kaum reichen, da mit Abweichlern aus den eigenen Reihen zu rechnen ist – dies hatte bereits einige der Vorhaben von Präsident Biden ausgebremst.
… und von selbst löst sich das Problem wohl auch nicht
Es bleibt die Hoffnung auf einen Boom der Wirtschaft. Ein solcher hatte schließlich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre schon einmal bei der Haushaltssanierung geholfen. Zwischen 1994 und 2001 legte die Wirtschaft um real 4% p.a. zu. Derartige Zuwachsraten sind auf absehbare Zeit aber nicht realistisch. Das CBO rechnet für 2024 bis 2034 mit einem durchschnittlichen Wachstum von 1,9% pro Jahr. Zwar mag sich die Künstliche Intelligenz als Wachstumstreiber entpuppen. Immerhin sorgt die Aufbruchstimmung in diesem Bereich bereits für erhebliche Investitionen in Datencenter oder Forschung und Entwicklung. Mögliche positive Effekte aus dieser Richtung könnten aber durch negative Einflüsse, beispielsweise den immer weiter um sich greifenden Protektionismus, aufgewogen werden. Aus den Problemen herauswachsen wird man demnach vermutlich nicht.
Regieren wird schwieriger
Die letzten Regierungen (Trump und Biden) haben ihre Prioritäten mit einer Reihe extrem teurer Maßnahmen umgesetzt und wirtschaftliche Schwierigkeiten mit hohem Mitteleinsatz abgefedert. Beide Parteien haben die Industriepolitik wiederentdeckt und auch da viel Geld in die Hand genommen. Das Leuchtturmprojekt der Biden-Administration – der „Inflation Reduction Act“ (im Wesentlichen ein Programm zur Subvention umweltfreundlicherer Technik) – und die Programme zum Ausbau der Infrastruktur sowie der Halbleiterfertigung werden noch über Jahre hohe Ausgaben erfordern.
In den kommenden Jahren ist aufgrund der weltpolitischen Spannungen ein deutlicher Anstieg des Verteidigungshaushalts zu erwarten (dieser liegt trotz der merklichen Steigerung der letzten Jahre aktuell nur bei 3,2% des BIP, ein im langfristigen Vergleich sehr niedriger Wert).
Wegen dieser Entwicklungen und des oben erläuterten Umstands, dass größerer Ausgabenkürzungen und/oder umfangreiche Steuererhöhungen politisch kaum möglich erscheinen, dürften die Defizite eher noch höher ausfallen als vom CBO erwartet. Man wir zwar vorerst weiter versuchen, sich durchzulavieren. Aber die Lage ist jetzt schwieriger als 2019 (damals lag das Defizit bei 4,6% und der Schuldenstand bei 80% – schon dies sehr hohe Werte für eine vollbeschäftigte Wirtschaft). Das Risiko weiterer Rating-Herabstufungen der USA steigt. Viele der angebrachten Projekte könnten daher an der Budgetsituation scheitern. Um dennoch Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, könnte sich eine Harris-Administration dann stärker auf budgetär billigere Regulierungsmaßnahmen konzentrieren. Bereits in ihrer Zeit in Kalifornien hatte sich Harris für Verbraucherschutzmaßnahmen stark gemacht.
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