Das Konzept einer missionsorientierten Innovations- und Industriepolitik ist ein aktuell populärer Politikansatz, der auf nationaler Ebene wie auch in der Europäischen Union und auf Ebene der Vereinten Nationen aufgegriffen wird. Missionsorientierung bildet vielfach die Grundlage für stark auf Wirtschaftsplanung setzendes politisches Handeln mit dem Ziel, große aktuelle Herausforderungen zu bewältigen. Dazu sollen mit Hilfe umfassender Förderprogramme Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mobilisiert und ihre Aktivitäten in eine politisch gewünschte Richtung gelenkt werden. Paradigmatisches Beispiel für die Missionsorientierung ist das Apollo-Programm, mit dem die USA in den 1960er Jahren ihre Mondlandungen vorbereiteten. Eine missionsorientierte Politik ist jedoch schwer kontrollierbar, stark zentralplanerisch ausgerichtet und für Lobbyismus anfällig. Erfolgversprechender ist eine Politik, die auf klar definierte Ziele und evidenzbasierte, möglichst marktkompatible Instrumente setzt.
Das Konzept der Missionsorientierung geht auf die Arbeiten der italienisch/US- amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato zurück. Es zielt darauf ab, große gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimaschutz oder die Pandemiebekämpfung zu bewältigen. Dazu werden Missionen mit konkreten Zielen definiert, die durch Forschungs- und Innovationsprojekte in einem bestimmten Zeitraum erreicht werden sollen. Um Innovationen und Investitionen in eine bestimmte, politisch gewünschte Richtung zu lenken und Wissenschaft, Unternehmen und Zivilgesellschaft zu koordinieren und mobilisieren, werden Unternehmenssubventionen, Förderprogramme für wissenschaftliche Forschung und Regulierungen zu einem Paket gebündelt. Die Missionen sollen mutig und inspirierend sein und große gesellschaftliche Relevanz aufweisen. Regierungen kommt dabei die Aufgabe zu, die Missionen zu definieren und die notwendigen Ressourcen bereit zu stellen. Angesichts der i. d. R. langen Zeithorizonte der Missionen und der damit verbundenen hohen Risiken und notwendigen Innovationen soll der Staat den Großteil der mit der Erreichung der Missionen verbundenen Risiken übernehmen, Unsicherheit abfedern und zielorientiert neue Ideen stimulieren. Als „unternehmerischer Staat“ soll er in Kooperation mit dem privaten Sektor aktiv zur Lösungsfindung beitragen, indem er beispielsweise Nachfrage nach neuen Produkten schafft.
Die von Mazzucato vorgeschlagenen Missionen sind sehr allgemein formuliert, so dass großer Spielraum besteht, gewünschte Politikziele darunter zu subsumieren. Letztlich hängt in diesem Konzept alles mit allem zusammen, so dass daraus eine Generallegitimation für politisches Handeln abgeleitet werden kann. Komplexität wird instrumentalisiert, um stark interventionistische Politikmaßnahmen zu legitimieren. Damit weicht der Ansatz von der üblichen ökonomischen Herangehensweise ab, konkrete Fälle von Marktversagen zu identifizieren und diese durch geeignete Instrumente zu beheben. Statt komplexe Maßnahmenbündel zu schnüren und damit ein umfassendes Zielsystem zu erreichen, gilt in der traditionellen Theorie der Wirtschaftspolitik die nach dem Ökonomienobelpreisträger Jan Tinbergen benannte Regel, dass einem Ziel jeweils ein konkretes Instrument zugeordnet werden sollte. Auf diese Weise lassen sich die Effektivität sowie Kosten und Nutzen einzelner Maßnahmen bestimmen.
Eine solche, dem von Karl Popper vorgeschlagenen Ansatz des sog. Piecemeal Social Engineering entsprechende Wirtschaftspolitik lässt sich mit empirischer Evidenz unterlegen, bei Fehlentwicklungen leichter korrigieren und ist weniger anfällig für politische Wissensanmaßung als eine letztlich gegen Kritik und empirische Überprüfung immunisierte Missionsorientierung. Denn angesichts der Komplexität der Ziele und Instrumente ist es kaum möglich, die Opportunitätskosten der verwendeten Instrumente sowie deren Effektivität und Effizienz zu bestimmen. Nicht intendierte Neben- und Folgewirkungen, mögliche Zielkonflikte sowie Fälle gescheiterter Missionen werden von den Vertreterinnen und Vertretern der Missionsorientierung nicht thematisiert. Lernprozesse können so kaum stattfinden.
Auch aus polit- und verhaltensökonomischer Sicht ist das Konzept der Missionsorientierung fragwürdig. So läuft eine missionsorientierte Politik aufgrund ihrer hohen Komplexität und interventionistischen Ausrichtung stärker Gefahr, von Interessengruppen missbraucht zu werden, um Sondervorteile zu Lasten der Allgemeinheit zu erlangen. Denn indem sich Regierungen mit starker Rhetorik dazu selbstverpflichten, eine bestimmte Mission zu erreichen und dafür umfassende Ressourcen bereitstellen, bieten sie Lobbyisten den Raum, für Unterstützung zu werben. Werden Missionen zudem so definiert, dass sie gesellschaftliche Katastrophen wie den Klimawandel, Finanzmarktkrisen und Gesundheitsgefahren verhindern sollen, nutzen sie geschickt das verhaltensökonomisch gut belegte Phänomen der Verlustaversion aus. Demnach sind Menschen eher bereit, für die Vermeidung von Verlusten zu zahlen und riskante Projekte zu unterstützen als für die Realisierung von Gewinnen. Mit der Verlustrhetorik lassen sich Missionen besser vor Kritik schützen.
Die Bundesregierung hat den Ansatz der Missionsorientierung aufgegriffen und z. B. im Rahmen ihrer Hightech-Strategie 2025 Missionen als neues Element ihrer Forschungs- und Innovationspolitik eingeführt. Dabei geht es allerdings weniger um eine Missionsorientierung im engeren Sinne als vielmehr um eine bessere politische Koordinierung zwischen den Ressorts. Während eine bessere Politikkoordinierung zu effizienterem staatlichem Handeln beitragen kann, ist eine Missionsorientierung, die über das rhetorische Mitnehmen und Überzeugen von notwendigen Reformen hinausgeht, skeptisch zu sehen. Denn sie setzt umfassendes Wissen der politischen Akteure voraus, ist aufgrund ihrer Komplexität nur schwer kontrollierbar und anfällig für Lobbyismus. Zielführender ist eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik, die klar identifizierte ökonomische Probleme adressiert und auf empirisch überprüfbare Instrumente setzt.
Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Mit Missionsorientierung zu rationaler Innovations- und Industriepolitik?“ mit Prof. Dr. Jan Schnellenbach (BTU Cottbus).
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