1. Grundsätzliches
Bei Kartellen handelt es sich um Abreden von Marktteilnehmern mit dem Ziel, den Wettbewerb zwischen den Kartellmitgliedern zu beschränken. Deshalb sind sie in allen wettbewerblich organisierten Gesellschaften grundsätzlich verboten. Der Sinn des Kartellverbots liegt in der Verhinderung der durch die Wettbewerbsbeschränkung verursachten Schädigung Dritter, zum Beispiel, indem diese als Nachfrager höhere Preise zahlen müssen als bei funktionierendem Wettbewerb zwischen den kartellierten Anbietern. Dieses Kartellverbot bezieht sich bekanntlich auf wirtschaftliche Kartelle, also im Wesentlichen auf Unternehmen.
Die Kartelltheorie der Wirtschaft bildet die Basis für den institutionellen und funktionalen Transfer zur Theorie politischer Kartelle. In jüngster Zeit wird, jedenfalls unter Ökonomen, verstärkt über die Folgen politischer Kartellbildungen vor allem im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses diskutiert. Hintergrund ist die sichtbare Tendenz dieses Prozesses zur Harmonisierung und Zentralisierung nationaler Politikfelder auf der Gemeinschaftsebene der Europäischen Union (EU). Verstärkt wird diese Tendenz durch die vor allem von französischer Seite geforderte Installierung einer europäischen Wirtschaftsregierung.
Und nicht zuletzt hat die politische Kartellbildung ihren Höhepunkt durch die Griechenland-Krise erreicht, die die nationalen Entscheidungsträger der europäischen politischen Klasse zu Verabredungen über gigantische „Schutzschirme zur Rettung insolvenzgefährdeter Staaten sowie des Euro“ geführt haben.
Es ist davon auszugehen, dass politische Kartelle ähnliche ökonomische Schäden verursachen, wie dies bei wirtschaftlichen Kartellen der Fall ist. Im Analogieschluss ist damit auch die Frage nach einem grundsätzlichen Verbot politischer Kartelle verbunden, wenn sie den politischen Wettbewerb zum Schaden Dritter beschränken.
2. Politischer Wettbewerb
Politischer Wettbewerb kennzeichnet im Zusammenspiel mit ökonomischem Wettbewerb das, was man Systemwettbewerb nennt. Kartelle zielen auf die Ausschaltung der Rivalität zwischen den Kartellmitgliedern ab. Ausschaltung oder Beeinträchtigung des Wettbewerbs bedeutet Verzicht auf mindestens drei der wichtigsten Wettbewerbsfunktionen: Entdeckungsverfahren für neue und bessere Lösungen, Lernen von anderen Wettbewerbern, Machtbegrenzung. Das alles gilt prinzipiell für ökonomische wie politische Kartelle gleichermaßen.
Allerdings wird doch ein Unterschied sichtbar. Während die Ausschaltung von Rivalität bei ökonomischen Kartellen als Schaden für Dritte identifiziert wird, scheint dies für die bei politischen Kartellen vorgenommenen Abreden von vornherein nicht zu gelten, weil politisches Handeln allgemein als benevolent und gemeinwohlorientiert angesehen wird. Die Neue Politische Ökonomie sowie die empirische Erfahrung zeigen jedoch, dass dies im Allgemeinen nicht der Fall ist: Politiker handeln grundsätzlich ebenso eigennutzorientiert wie alle anderen Menschen auch. Zum Beispiel geht es den Politikern darum, ihre Macht zu sichern, ihre öffentliche Reputation zu steigern, ihre Ideologien durchzusetzen oder ihr Einkommen und Vermögen zu erhöhen.
Somit gilt es, Möglichkeiten für ein potentielles Verbot bzw. für die Sanktionierung politischer Kartelle, die Dritte schädigen, zu ersinnen. Dies soll anhand folgender zwei Beispiele geschehen: Politische Kartelle in Gestalt von „Schutzschirmen“ und in Gestalt von wirtschaftspolitischer Harmonisierung in der EU.
3. Schutzschirme
In der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2010 beschlossen die Regierungschefs der EU einen Schutzschirm für die Euro-Staaten, durch den letztere und die EU (sowie der IWF) gemeinschaftlich für Hilfskredite in Höhe von insgesamt 750 Mrd. Euro für überschuldete Euro-Mitglieder zunächst für drei Jahre bürgen. Diese Beschlüsse wurden mit drei wesentlichen Begründungen versehen: Erstens diene der Schutzschirm zur Abwehr der internationalen Spekulation, zweitens verhindere er den Zusammenbruch systemrelevanter Banken und sei deshalb, drittens, alternativlos.
Zur Spekulation: Hinter dieser Schutzschirmaktion steht die mit alter Tradition versehene Vorstellung der politischen Klasse, die internationalen Spekulanten konzentrierten ihre profitorientierten Handlungsmotive vornehmlich auf die Zerstörung politischer Institutionen, der man durch international politisch kartelliertes Handeln entgegentreten müsse. Hier legt die politische Klasse eine falsche Spur, mit der sie dann die Gelegenheit nutzt, die für die Öffentlichkeit populistischen Forderungen nach Austrocknung der internationalen Spekulation durch politisch kartellierten Aktionismus zu erfüllen.
Denn zur Erklärung der Krise Griechenlands und der Euro-Zone ist der Verweis auf die Spekulation nicht nur nicht geeignet, sondern er verstellt im Gegenteil den Blick auf die tatsächlichen Krisen-Ursachen und verführt die Politik zu falschen Antworten. Bekanntlich ist der Auslöser der Krise in Griechenlands dauerhaft verfehlter Wirtschafts- und Fiskalpolitik in Verbindung mit hoher Korruption und betrügerischen Statistikfälschungen zu suchen, die das Land auf einen Weg in Richtung Staatsbankrott getrieben haben.
Zur Systemrelevanz: Es heißt, das kleine Griechenland sei für den Euro systemrelevant, weil die europäischen Gläubigerbanken im Falle eines Staatsbankrotts Griechenlands die hohen Lasten der Abschreibungsverluste zu tragen hätten, was zum Zusammenbruch des europäischen Bankensystems führen würde mit allen daraus folgenden negativen Effekten für die europäischen Volkswirtschaften.
Mit diesem Systemrelevanz-Argument hat das Kartell der Gläubigerbanken es geschafft, den für sie selbst wichtigen politischen Schutzschirm gegenüber dem europäischen Politikkartell durchzusetzen. Systemrelevanz, ob auch immer existierend und wie auch immer gemessen, wird damit zu einem entscheidenden Argument im strategischen Spiel des Kartells der Banken gegenüber dem der Politik.
Systemrelevanz ist aber, wenn sie tatsächlich gegeben ist und nicht einfach strategieorientiert behauptet wird, durchaus ein ernstes Problem: Too big to fail und too interconnected to fail sind Kategorien, die kumulative Spillover-Effekte im Fall von Bankpleiten tatsächlich erzeugen können. Um diese Effekte zu vermeiden, bedarf es neuer anreizkompatibler institutioneller Arrangements vor allem bezüglich steigender Eigenkapitalunterlegung bei steigender Größe und Vernetztheit von Banken und Unternehmen, die eine pleiteninduzierte Schadensüberwälzung auf den Steuerzahler nicht mehr erforderlich machen und also nicht mehr zulassen.
Der Hang zur Kartellbildung wird zudem relativiert, wenn die Größenexpansion von Finanzinstituten ein Ausmaß der Kategorie too big to save erreicht: Sie sind so groß, dass ihre Rettung die Staaten überfordern würde. Dies gilt vor allem für Institute aus kleinen Ländern und solchen mit hohen Staatsschulden. Das Argument der Systemrelevanz für die Bildung politisch kartellierter Schutzschirme wird in diesen Fällen entkräftet. Allerdings wird man nicht ausschließen können, dass übergroße Institute die Strategie der Verkleinerung zukünftig bewusst verfolgen, um sich wieder auf die staatlichen Schutzschirme verlassen zu können.
Zur Alternativlosigkeit: Der Rettungsschirm wurde von der europäischen politischen Klasse als alternativlos bezeichnet, offensichtlich um dieses politische Kartell mit der höchsten Stufe einer diskussionslosen Unabweisbarkeit und zeitlichen Dringlichkeit zu begründen. Ökonomisches Denken ist aber stets ein Denken in Opportunitätskosten, also in Alternativen. „Alternativlos“ hieße dann: Die Opportunitätskosten jeder anderen Lösung sind unendlich hoch oder aber in jedem Fall sehr viel höher als der installierte Rettungsschirm. Das trifft jedoch nicht zu.
So hätte die erste Alternative darin bestanden, Griechenland einem Umschuldungs- oder auch Staateninsolvenzverfahren zu unterwerfen, das einen Haircut, also einen Forderungsverzicht der Gläubiger beinhaltet und einen fresh Start des Landes ermöglicht, bevor internationale Hilfe geleistet wird. Das ist im Übrigen stets die Normkondition des IWF für Kredithilfen gewesen. In Kombination damit hätte ein zusätzliches Alternativarrangement darin bestehen können, Griechenland die Souveränität über seinen Wechselkurs zurückzugeben, um die internationale preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes durch eine Währungsabwertung relativ rasch wieder herzustellen. Die damit verbundenen Anpassungs-, insbesondere Schuldenrückzahlungsprobleme wären durch spezielle Politikmaßnahmen gestaltbar. In der Währungsgeschichte gibt es dafür Vorbilder zuhauf.
Eine andere Alternative, die sich mit der No-bail-out-Regel des Lissabon-Vertrages trifft, besteht in der amerikanischen Variante, in der grundsätzlich kein Staat der USA einem anderen in Bedrängnis geratenen Staat zu Hilfe kommt. Wie die amerikanische Geschichte zeigt, sind einzelne Staaten in Konkurs gegangen, ohne dass andere Staaten oder der Zentralstaat Hilfe geleistet hätte. Die Stadt New York kam zum Beispiel Ende der 1960er Jahre unter die Aufsicht der Municipal Assistance Corporation (MAC), musste eisern sparen und wurde zudem gezwungen, einen Teil seiner Steuereinnahmen an die Gläubigerbanken zu verpfänden.
Politische Kartelle auf der Begründungsbasis „alternativloser“ Lösungen sind mithin weder glaubwürdig noch hinnehmbar, weil sie implizite Denkverbote mit der Absicht vermitteln, interessengeleitete politische Verabredungen der öffentlichen Diskussion vor allem derjenigen zu entziehen, die als Dritte geschädigt werden: Im Fall des europäischen Rettungsschirms sind dies die europäischen Steuerzahler.
4. Subsidiaritätsprinzip
Ebenso wie der Euro-Schutzschirmkasus impliziert die bereits erwähnte sichtbare Tendenz des europäischen Integrationsprozesses zur Harmonisierung (Kartellierung) und Zentralisierung (Monopolisierung) die Ausschaltung des politischen Wettbewerbs in der EU. Der Kern dieser Entwicklung liegt im expandierenden Interesse der EU-Gemeinschaftsorgane, aber zunehmend auch der EU-Mitgliedstaaten, zur Außerkraftsetzung des Subsidiaritätsprinzips, also des zentralen Handlungsprinzips in der EU, mit der Konsequenz, dass sich die politische Klasse dem Systemwettbewerb innerhalb der Gemeinschaft weitgehend entzieht.
Dieser Einschätzung stehen die im Lissabon-Vertrag kodifizierten Institutionen der Subsidiaritätsrüge und der Subsidiaritätsklage nur scheinbar entgegen: Bei der Rüge kann ein Drittel der Mitgliedstaaten die Kommission zwingen, ihre Gesetzentwürfe noch einmal zu überprüfen, und bei der Klage können die nationalen Parlamente beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage erheben, wenn sie das Subsidiaritätsprinzip bei EU-Entscheidungen verletzt sehen. Diese Regelungen sind jedoch im Kern nicht mit dem Geist des Subsidiaritätsprinzips kompatibel, weil die letzte Entscheidung über den Interventionserfolg bei den Gemeinschaftsorganen Kommission und EuGH liegt und nicht bei den nationalen (oder regionalen oder lokalen) politischen Ebenen, wie es dem Subsidiaritätsgedanken entsprechen müsste.
Deshalb stellt sich die Frage nach der Strategiemöglichkeit gegen den schleichenden faktischen Bedeutungsverlust des Subsidiaritätsprinzips: Es bedarf, durchaus in Analogie zum ökonomischen Wettbewerb, einer unabhängigen Institution als Wettbewerbsaufsicht zur Wahrung des politischen Wettbewerbs.
Möschel regt – in Analogie zum EU-Bürgerbeauftragten sowie den Datenbeauftragten in Deutschland – die Schaffung eines unabhängigen Subsidiaritätsbeauftragten an. Die European Constitutional Group schlägt vor, ein europäisches Subsidiaritätsgericht einzurichten, das bei Klagen zur Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten entscheidet und dessen Richter von den nationalen höchsten Gerichten entsandt werden. Diese hätten ein größeres Interesse an der Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips als die bestehenden Gemeinschaftsorgane.
Da das größte Interesse am Subsidiaritätsprinzip aber die Bürger und Steuerzahler in den Mitgliedstaaten haben und zudem die Justiziabilität im Problembereich politischen Wettbewerbs wohl geringer ist als im Bereich ökonomischen Wettbewerbs, wird von Vaubel – in Anlehnung an Hayek – die Etablierung einer zusätzlichen parlamentarischen Kammer als Europäischer Senat für Politischen Wettbewerb vorgeschlagen, dessen Mitglieder direkt von den EU-Bürgern gewählt werden. Der Senat würde bei allen Entscheidungen von Gemeinschaftsorganen oder Regierungen sein Veto einlegen können, wenn er den politischen Wettbewerb in der EU beschränkt sieht. Zudem könnte er, wenn zum Beispiel eine große parlamentarische Mehrheit Gesetze beschließt, verpflichtet werden, sein Veto durch ein Referendum bestätigen zu lassen. Die Senatsentscheidungen dürften nicht von Gerichten überprüft und angefochten werden, weil letztere ja von der politischen Klasse, also von den Kartell- bzw. Monopolmitgliedern selbst, eingesetzt werden.
5.Fazit
Die Schutzschirm- und Subsidiaritätsdebatte zeigt, dass eine neue unabhängige Institution, die den politischen Wettbewerb schützt, dringend vonnöten ist. Man kann allerdings nicht davon ausgehen, dass die politische Klasse ein dezidiertes Interesse an der Etablierung einer solchen Institution hat, die sie selbst in ihren Kartellierungsintentionen beschränken soll.
Deshalb liegt der Ball vor allem bei den europäischen Bürgern. Sie sind es, die vom Nutzen des politischen Wettbewerbs für sie selbst stärker überzeugt werden müssen. Da sie selbst als Steuerzahler die potentiell konkret Geschädigten der Schutzschirmaktionen in der EU sind, scheint sich diesbezüglich allerdings durchaus eine – sichtbar medial gestützte – Bürgerbewegung mit dem Ruf nach mehr direktdemokratischer Mitsprache abzuzeichnen. Wird von der politischen Klasse weiterhin die Abwehrstrategie gegen eine solche Bewegung präferiert, erscheint die zunehmende Neigung von Bürgern zur Wahlabstinenz (insbesondere bei Europawahlen), nach Bildung neuer politischer Protestgruppen sowie von Steuerzahlern zu Exit-Optionen durchaus nachvollziehbar.
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Der Ergebinswert des Vergleiches hinkt etwas.
Wirtschaftskartelle sind auf Profitmaximierung zu Lasten der Kunden aus. Wenn man Staaten nimmt wäre die Analogie eine Wohlstandsmaximierung und das ist nicht negativ besetzt.
Prinzipiell kann man dem schon zustimmen, wobei es dabei Grenzen gibt. Zum einen würde ich sprachlich gesehen nicht auf „Systemwettbewerb“ verweisen sondern auf Ideenwettbewerb. Das kommt der Sache unter befreundeten Staaten wesentlich näher. Zum anderen gibt es im Wettbewerb eine unschöne Kleinigkeit: den ruinösen Wettbewerb. Das gilt insbesondere auf der ökonomischen Schiene und der des sozialen Standards. Wie bei einer Lohn/Preis-Spirale kommt man dabei nicht mehr ohne weiteres ohne Übereinkünfte heraus.
Wie es aussieht wenn man sich nicht entscheiden kann ob man etwas zusammen macht oder nicht kann man schön anhand des Euros sehen. Da hat man dann einen Wettbewerb innerhalb des Raumes veranstaltet (also schön subsidiär gehalten) und m.E. damit allen inkl. sich selbst geschadet.
Grüße
ALOA