Wirtschaftspolitik neu denken (6)
Bürokratieabbau forcieren – Staatseffizienz erhöhen

Deutschland rangiert 2024 im internationalen Wettbewerbsfähigkeitsranking nur auf Platz 24 und kämpft mit wachsender Bürokratie, die als zentrale Wachstumsbremse den Wirtschaftsstandort gefährdet. Die Mehrheit der Unternehmen beklagt hohe und wachsende bürokratische Belastungen, und Experten sehen diese als Haupthemmnis für die Standortattraktivität. Trotz teils positiver Ansätze der Ampel-Regierung, wie dem Bürokratieentlastungsgesetz IV, hat sie auch erhebliche neue Lasten geschaffen. Der Beitrag fordert eine entschlossene Agenda für die erste Phase der neuen Bundesregierung: Einführung einer Bürokratie-Notbremse, institutionelle Reformen wie die „One in, two out“-Regelung und umfassende Gesetzesbereinigungen. Langfristig könnten diese Maßnahmen das pro-Kopf-BIP signifikant steigern und Deutschland ökonomisch stärken.

Deutschland gilt ökonomisch (erneut) als kranker Mann Europas. Im World Competitiveness Ranking des International Institute for Management Development belegt es im Jahr 2024 von 67 gemessenen Ländern nur den 24. Platz – eine Verschlechterung um 7 Plätze gegenüber 2020.

Die Herausforderungen sind mannigfaltig. Ein entscheidender Treiber der Probleme, auf den sich dieser Beitrag fokussiert, ist die wuchernde Bürokratie. Darauf weisen auch die Indikatoren Government Efficiency und Business Efficiency des Rankings hin, in denen Deutschland nur den 32. bzw. 35. Platz belegt.

Es wird entscheidend auf die neuen Mehrheitsverhältnisse und die neue Regierung nach der kommenden Bundestagswahl ankommen, ob diese Herausforderungen in eine Krise münden oder kluge politische Maßnahmen und entschlossene Reformen doch noch zu einer Heilung führen.

Anamnese: Wie steht es um die Bürokratielasten in Deutschland?

Am Anfang jeder Diagnose steht die Erfassung der Krankengeschichte. Die Anamnese soll hier aus Platzgründen nicht überstrapaziert werden, wurde und wird doch das zu behandelnde Problem der überbordenden Bürokratie an andere Stellen bereits umfangreich analysiert (vgl. etwa NKR 2024) und rezipiert (vgl. etwa Brocksiek 2024). Unterm Strich bleibt festzuhalten: Die Bürokratie ist zu einer echten Wachstums- und Investitionsbremse und damit zu einer Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland geworden.

Eine im November 2024 durchgeführte Firmenbefragung des ifo-Instituts kommt passend dazu zu dem Ergebnis, dass nur 15 Prozent der Befragten positive Auswirkungen der Bürokratie auf ihr Unternehmen ausmachen (vgl. Demmelhuber, Katrin et al. 2024, S. 6). Die Mehrheit assoziiert den Begriff folgerichtig auch eher pejorativ. Unter jenen Experten, die eine Verschlechterung der künftigen Standortattraktivität Deutschlands erwarten, sehen knapp 70 Prozent die Bürokratie als zentrales Hemmnis an (vgl. Dörr, Luisa et al. 2024, S. 16).

Dabei ist das Problem längst (und lagerübergreifend) erkannt. Dies zeigt sich auch daran, dass sich bis auf die Links-Partei alle – nach aktuellen Umfragewerten – für die anstehende Bundestagswahl gewichtigen Parteien grundsätzlichen Bürokratieabbau in die Wahlprogramme geschrieben haben. Die kommende Regierung kann und sollte also keine Zeit verlieren und direkt Therapiemaßnahmen einleiten.

Therapieansatz: Eine Bürokratieabbau-Agenda für die neue Regierung

Und diese Maßnahmen müssen weiter reichen als die der Ampel-Regierung. Zwar hat sie mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) einen beherzten Schritt auf dem Bürokratieabbaupfad gemacht und damit v. a. die Wirtschaft von Bürokratielasten im Umfang von rund 1 Mrd. Euro entlastet. Nichtsdestotrotz hinterlässt sie aber auch eine erkleckliche Menge neuer Lasten, die sie während ihrer Amtszeit aufgebaut und auf die ohnehin schon bestehenden aufgesattelt hat.

Bis zum Sommer 2024 hat die Ampel seit Amtsantritt insgesamt 16,2 Mrd. Euro an jährlichem Erfüllungsaufwand – einem zentralen Indikator für die Stärke bürokratischer Belastungen – für Wirtschaft, Verwaltung und Bürger geschaffen. Vor allem die Änderung des Gebäudeenergiegesetzes („Heizungsgesetz“) wirkte hier als Fanal, das zugleich den Prozess zum BEG IV induzierte.

Umso entschlossener müssen nun die Reformen sein, denen sich eine neue Regierung in ihren ersten 100 Tagen widmen sollte. Drei allgemeine Schritte sind dafür zu gehen:

  1. Es muss die Bürokratie-Notbremse gezogen werden. Für mindestens ein Jahr dürfen erst einmal keine neuen bürokratischen Lasten entstehen – ob für Wirtschaft, Verwaltung oder Bürger. Dadurch wird verhindert, dass ein geplanter Bürokratieabbau an einer Stelle von einem Bürokratieaufbau an einer anderen Stelle konterkariert wird.
  2. Es bedarf sodann einer koordinierten, ressort- und ebenenübergreifenden Strategie des Bürokratieabbaus. Dazu gehören auch institutionelle Reformen wie die Weiterentwicklung der „One in, one out“-Regel zu einer „One in, two out“-Regel und die Schaffung einer Digitalagentur, um die Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung im Mehrebenensystem zu koordinieren und erfolgreich umzusetzen. Hierbei muss auch die Wechselwirkung mit der EU-Ebene in den Blick genommen werden. Das deutsche Musterschülertum, auf umzusetzende EU-Richtlinien und -Verordnungen noch eine Extra-Schippe auftürmen zu wollen, muss ein Ende finden. Hierzu bedarf es eines konsequenten Gold-Plating-Verbots.
  3. Schließlich beginnt die Kärrnerarbeit: Ausgehend von diesem Ordnungsrahmen muss Gesetz für Gesetz auf allen Ebenen durchforstet werden, um sie von Überflüssigkeiten zu befreien. Konsequenterweise werden am Ende dieses Screenings auch unnötige Gesetze abgeschafft. Beim Schaffen neuer Regulierungen ist dann künftig von einer Minimalisierungsbedingung der Bürokratiekosten auszugehen.

Es ist wichtig, zumindest im letzten Schritt, alle Bürokratie-Stakeholder in den Prozess nachhaltig, wirksam und sichtbar einzubeziehen. Das steigert einesteils das Selbstwirksamkeitsgefühl der Beteiligten – eine wichtige Ressource für die Funktionsfähigkeit von Demokratien. Andernteils wird zugleich die Eigenverantwortung gestärkt, denn jede De-Regulierung zieht größere Eigenverantwortung nach sich, sofern man darin übereinkommt, einmal erreichte Standards beibehalten zu wollen.

Rekonvaleszenz: Weniger Bürokratie – höhere Staatseffizienz

Konsequenter Bürokratieabbau ist mühsam und die Effekte wirken erst in der langen Frist. Berechnungen prognostizieren den Wachstumseffekt von Bürokratieabbaumaßnahmen nach 10 Jahren auf 8,3 Prozent des realen BIP pro Kopf. Allein ein Digitalisierungsschub der öffentlichen Verwaltung würde das reale pro-Kopf-BIP jährlich um 2,7 Prozent erhöhen (vgl. Falck, Oliver et al. 2024, S. 7-9). Das bestätigt, was mit gesundem Menschenverstand bereits plausibel erscheint: die in Deutschland ausufernde Bürokratie fesselt die ökonomischen Wachstumspotenziale.

Der hier vorgestellte Dreischritt sollte das Regierungshandeln der ersten 100 Tage nach der kommenden Bundestagswahl bestimmen. Wie aufgezeigt ist es wichtig, den anstehenden Bürokratieabbauprozess von beiden Richtungen aus – top-down und bottom-up – wirken zu lassen. So lassen sich die zusammengehörenden Elemente aus weniger Bürokratie, mehr Staatseffizienz und höhere Eigenverantwortung synergetisch verbinden. Das wäre gesamtgesellschaftliche Vitalpolitik im besten Sinn und langfristig eine wirksame Medikation zur Heilung des kranken Mannes Europas.

Literatur

Brocksiek, Markus (2024): Bürokratie und ihr konsequenter Abbau. DSi Rundschreiben Nr. 4/2024. Online verfügbar unter https://www.steuerzahler.de/fileadmin/user_upload/DSi_Schriften/DSi_Rundschreiben/2024/RS_04-2024_Buerokratie_und_ihr_konsequenter_Abbau.pdf, zuletzt geprüft am 14.01.2025.

Demmelhuber, Katrin; Dörr, Luisa; Gründler, Klaus; Heil, Philipp; Potrafke Niklas; Schmid, Ramona (2024): Firmenbefragung zum Thema Bürokratie in Deutschland. Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen. Online verfügbar unter https://www.ifo.de/publikationen/2024/monographie-autorenschaft/firmenbefragung-zum-thema-buerokratie-deutschland, zuletzt geprüft am 14.01.2025.

Dörr, Luisa; Gründler, Klaus; Heil, Philipp; Potrafke, Niklas; Wochner, Timo (2024): Experteneinschätzungen zum globalen Standortwettbewerb. Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen. Online verfügbar unter https://www.ifo.de/publikationen/2024/monographie-autorenschaft/experteneinschaetzungen-zum-globalen, zuletzt geprüft am 14.01.2025.

Falk, Oliver; Guo, Yuchen Mo; Pfaffl, Christian (2024): Entgangene Wirtschaftsleistung durch hohen Bürokratieaufwand. In: ifo Schnelldienst, 77. Jg., Nr. 11. S. 3-11. Online verfügbar unter https://www.ifo.de/DocDL/sd-2024-11-kosten-buerokratie-reformen.pdf, zuletzt geprüft am 14.01.2025.

Nationaler Normenkontrollrat (2024): Gute Gesetze. Digitale Verwaltung. Weniger Bürokratie. Jahresbericht. Online verfügbar unter https://www.normenkontrollrat.bund.de/Webs/NKR/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/2024-10-01-nkr-jahresbericht-2024.html, zuletzt geprüft am 14.01.2025.

Serie „Wirtschaftspolitik neu ausrichten“

Manuel Frondel (RWI): Kehrtwende in der Energiepolitik schaffen

Bernd Raffelhüschen (ALU): Rentenversicherung generationengerecht reformieren

Astrid Rosenschon (IfW): Subventionen radikal kürzen

Michael Heise (HQ Trust): Wachstumskräfte und Arbeitsvolumen steigern

Norbert Berthold (JMU) und Jörn Quitzau (Bergos): Wirtschaftspolitik neu ausrichten

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