Nachdem der Pulverrauch verflogen ist und die EU-Staats- und Regierungschefs einen EU-Krisenmechanismus ab 2013 beschlossen haben, bleibt als Nachlese eine kritische Einschätzung der deutschen Regierung im In- und Ausland. Abgesehen von der erwartbaren Kritik der Opposition verlaufen die Diskussionslinien auch quer durch die Koalition und die Koalitionsparteien. Finanzminister Schäuble wird als letzter echter Europäer gesehen, der Euro-Bonds und einen Europäischen Währungsfonds erwägt, während vom liberalen Koalitionspartner eine Vergemeinschaftung von Schulden strikt abgelehnt wird. Die Idee einer europäischen „Wirtschaftsregierung“ spaltet die schwarz-gelbe Koalition. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble formulieren ganz eigene Visionen einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“. Zu vielen Vorschlägen der jüngeren Vergangenheit wie dem Stimmrechtsentzug für Defizitsünder war von der Regierung auch schon mal die eine und die andere Meinung zu hören. Aus dem Ausland, vor allem vom Vorsitzenden der Euro-Gruppe Juncker, wird der Kanzlerin gar vorgeworfen uneuropäisch zu handeln. Könnte man auch sagen, die Kanzlerin moderiert und wägt kühl deutsche Interessen ab? Ist die Politik der Bundesregierung wirklich so schlecht, vor allem für Deutschland?
Tatsächlich kann auffallen, dass Deutschland in der Euro-Krise bisher so schlecht nicht gefahren ist. Rettungsaktionen für Griechenland und Irland haben bisher für eine „kontrollierte“ Euroschwäche gesorgt. Dies hat in Deutschland, das aufgrund seiner starken Exportwirtschaft dafür die Vorraussetzungen hatte, für einen wesentlichen konjunkturellen Impuls gesorgt. Außerdem hat sich dadurch das Ansinnen der US-Regierung, gegenüber anderen konvertiblen Währungen abzuwerten, vorerst erledigt. Die deutsche Exportwirtschaft könnte beruhigt sein.
Außerdem wird durch die Rettungsmaßnahmen auch direkt die Nachfrage nach deutschen Exportprodukten stabilisiert und, nicht zu vergessen, auch die deutschen Banken und Anleger mitgerettet. Die jüngsten Zahlen der BIZ ergeben einen Anteil an offenen Forderungen in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien von etwa 23 Prozent; der deutsche Anteil am Rettungsschirm von 750 Mrd. Euro liegt bei knapp 20 Prozent. Risiken wurden also zumindest aufgeschoben, ohne dass dies unmittelbar zu Kosten führt. Damit, das hat schon die deutsche Wiedervereinigung gezeigt, kann man Wahlen gewinnen.
Schließlich gab und gibt es aus deutscher Perspektive auch keine Alternative zum „Package Deal“ von Deauville. Angela Merkel hat durch ihren Kompromiss von Deauville, wie vielfach kolportiert, keine deutschen Interessen verraten. Denn die deutsche Regierung ist gut beraten, in einigen Bereichen gegenüber Ländern wie Frankreich Kompromisse zu schließen. Ansonsten ist zu befürchten, dass sich Deutschland zukünftig Regeln unterwerfen muss, die von der Mehrheit anderer Länder ohne Mitwirkung Deutschlands entworfen wurden. Ein warnendes Beispiel in diesem Zusammenhang sind die gegen die deutsche Minderheit im EZB-Rat im Mai beschlossenen Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank. Es war deshalb schon vor dem EU-Gipfel klar, dass der deutschen Regierung somit nichts anderes übrig bleiben würde, als im Rahmen eines „Package Deals“ bei der Gestaltung zukünftiger Governance-Strukturen Zugeständnisse an die ehemaligen „Weichwährungsländer“ zu machen. Zumindest so lange, wie man es angesichts hoher Handels- und Seigniorage-Gewinne sowie hoher Austrittskosten als vorteilhaft erachtet, in der Eurozone zu bleiben und dabei das erfolgreiche Exportmodell weiter zu verfolgen. Merkels Verhandlungsstrategie hat gezeigt, dass es bei möglichen Zugeständnissen aus deutscher Sicht durchaus noch positiven Gestaltungsspielraum gab. Zumal die Allianz zwischen französischem Trésor und dem Bundesfinanzministerium auf operativer Ebene aus der Sicht beider bisher zur engsten in der ganzen EU gehört, war es von zentraler Bedeutung, die Franzosen bei der Frage eines Insolvenzverfahrens „mit ins Boot zu holen“. Konzessionen scheinen auch im deutschen Interesse unabdingbar.
Da passt es auch ganz gut ins Bild, dass der EU-Krisenmechanismus genau zur nächsten Bundestagswahl eingeweiht werden kann. Entweder alles bleibt ruhig und das Ende kann verkündet werden, oder es wird auf fotogenen Krisengipfeln nachjustiert – auch nicht schlecht. Dies weist dann schon darauf hin, was aus polit-ökonomischer Sicht an der gegenwärtigen Situation so kritisch ist: Politiker lieben diskretionäre Entscheidungen, Märkte aber brauchen klare Regeln.
Was ist mit der Rolle der EZB? In gewissem Umfang hat sich die EZB zur Bad Bank gemacht und auch kritische Staatsanleihen, die ihren eigentlichen Ansprüchen nicht genügen können, aufgekauft. Werden dagegen Rettungspakte geschnürt, wird mit der Kommission und dem IWF verhandelt. Die EZB darf kommentieren und in der Zwischenzeit die Krisenländer und deren Banken im Rahmen ihrer normalen geldpolitischen Operationen unterstützen und subventionieren. Dabei ist die EZB auch in das Korsett der Maastricht-Kriterien eingezwängt und muss ihr öffentliches Monitoring danach ausrichten. Am 1. Januar konnte so Estland der Währungsunion beitreten, weil die Wirtschaftskrise dafür gesorgt hatte, dass die Esten das Inflationskriterium erfüllen können.
Als Reaktion auf die kurzfristig orientierte Krisenbewältigung beschloss der EZB-Rat am 16. Dezember 2010, das gezeichnete Kapital der Bank von rund fünf auf knapp elf Milliarden Euro zu verdoppeln. Mit diesem Beschluss setzt die EZB gleich mehrere Signale, die einem Hilferuf gleichkommen: Zum einen ist es eine Warnung an die nationalen Regierungen, dass auch für die Notenbank die Unterstützung von in Not geratenen Staaten und Banken mit Risiken verbunden ist. Eine vollständige Abwälzung der Verantwortung für die Lösung der Schuldenkrise weist die Bank vollkommen zu Recht weit von sich. Indirekt räumt die EZB damit ein, dass der Aufkauf von Anleihen krisengeplagter Euroländer doch riskanter ist, als man zuvor zugab. Im Falle einer Umschuldung Griechenlands müsste die EZB, die seit Mai 2010 verstärkt griechische und später auch irische, portugiesische und ab Dezember sogar spanische Staatsanleihen aufgekauft hat, erhebliche Verluste in ihrer Bilanz hinnehmen. Zum anderen ist der Beschluss auch ein Signal an die Finanzmärkte: Mit der Kapitalerhöhung wird signalisiert, dass die Notenbank notfalls weitere Aufkäufe von Staatsanleihen im größeren Rahmen durchführen wird, um Spekulationen gegen den Euro einzudämmen und die Finanzmärkte zu beruhigen.
Die Krux an der kurzfristig orientierten Krisenbewältigung ist, dass man sich klare ordnungspolitische Alternativen aus der Hand schlägt. Wer wird bei all dem Krisenmanagement, der Neujustierung von Stabilisierungs- und Wachstumspakt, den Rettungsschirmen und Krisenmechanismen noch ernsthaft die Option einer glaubwürdigen No-Bail-Out Regelung diskutieren können? Wie wahrscheinlich wird eine Umschuldung für die Krisenländer, nachdem die Märkte erst einmal halbwegs beruhigt sind und das Tagesgeschäft für zentrale Länder wie Deutschland gar nicht so schlecht läuft? Offensichtlich wird der eher mäßige Erfolg der Rettungsaktionen des IWF in Schwellen- und Entwicklungsländern inkl. schwerfälliger Umschuldungsverfahren und umfangreicher Konditionalität für Europa als nicht relevant erachtet oder sogar politisch bewusst übersehen. Auch in diesen Fällen wurde ein Insolvenzverfahren für Länder nur akademisch diskutiert. Nachdem man den Druck auf die Finanzmärkte durch Rettungsmaßnahmen reduziert, schwindet der Reformeifer wie Schnee in der Frühlingssonne.
Im Wettbewerb um die beste ,Euro Vision’ steht Deutschland also weit bescheidener da als bei der Bewertung des Tageserfolges. 12 Punkte in diesem Wettbewerb wird Deutschland wohl kaum bekommen, auf jeden Fall von immer weniger Ländern. Vielleicht könnte man die Verschuldungsgrenzen als Exportschlager ansehen. Das grundsätzliche Problem ist aber auch dabei, dass solche Regeln immer freiwillig sein müssen, sonst sind sie wie auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt, wie auch immer ausgestaltet, inkonsistent mit einem No-Bail-Out. Konkursverfahren und Regulierungen sind hier Substitute und nicht komplementär.
Es ist jedoch müßig, mehr ordnungspolitisches, ökonomisches Denken einzufordern, wenn die Anreize nicht vorhanden sind, diese in der politischen Debatte aktiv zu vertreten. Der Preis könnte jedoch sein, dass man das bekommt, was man eigentlich nicht will – mehr zentrale Entscheidungen in Brüssel auch über nationale Haushalte und eine Debatte, die zunehmend nationalistischer wird. Vielleicht wird der Preis aber auch erst nach der nächsten Bundestagswahl fällig.
- Gastbeitrag:
„Euro Vision“: Germany – 12 points? - 10. Januar 2011
Leider ist dieser Beitrag inhaltlich falsch.
Es ist zwar positiv, dass die Gemarkung, die sich Deutschland nennt, stark exportiert und Devisen und Forderungen anhäuft. Aber was sind diese wert ? Das ist genau das Problem. Es wird nichts mehr wert sein. Es ist das Endstadium des Ponzis.
Die EU ist kein Instrumentarium für Deutschland. Ja, wollen wir denn stolz darauf sein, die Welt zu bedienen und dafür quasi nichts zu bekommen ? Wir sind die wahren Verlierer.
Ich kann verstehen, dass deutsche Politiker mit Höhenflügen auf den Arbeitsmarkt blicken. Damit ist die Masse ersteinmal beschäftigt … aber die Realität sieht anders aus.