Der Träumer und die Ahnungslose
Zu den französischen Forderungen nach einer europäischen Wirtschaftssteuerung

Die Katze ist nun aus dem Sack: am 6. Januar hat der französische Präsident die Vorschläge für eine europäische Wirtschaftssteuerung (pilotage économique) veröffentlicht, die die Abgeordneten Constance Le Grip und Henri Pagnol (UMP) in seinem Auftrag erarbeitet haben. Kanzlerin Merkel hatte sich ja schon Mitte Dezember zu einer „economic governance“ der Euro-Staaten bereit erklärt.

Der Bericht umfasst 25 Seiten und mündet in 16 Vorschläge. Einige sind harmlos, andere nicht. Die folgenden sind von der letzteren Art (meine Übersetzung):

  • Die Euro-Länder sollen „die Ressourcen des Europäischen Fonds für Finanzstabilität erweitern und ihn zu einem wirklichen Europäischen Währungsfonds transformieren, der in der Lage ist, die Staaten, die sich in Schwierigkeiten befinden, in ihren Bemühungen um eine strukturelle Anpassung zu begleiten“ (9). Das würde die Fehlanreize noch weiter verstärken.
  • Ein „Konvent sollte Vorschläge machen mit dem Ziel, den Anteil der Eigenmittel am EU-Haushalt zu vergrößern“. Folgende Möglichkeiten werden genannt: eine Flugverkehrssteuer, eine Kohlendioxid-Steuer, eine Energiesteuer, eine Internet-Steuer und eine Finanztransaktionssteuer (11). Die letzten drei dieser Steuern sind ineffizient. Von einer Senkung anderer Steuern ist nicht die Rede.
  • Man müsse „nachdenken über einen Fonds, der strategisch wichtige Patente aufkauft“ (11).
  • Man müsse „nachdenken über eine große europäische Anleihe, mit der Investitionen in die Forschung, die Infrastruktur, den Umweltschutz und das öffentliche Verkehrsnetz finanziert werden könnten“ (11).
  • Man müsse „nachdenken über die Schaffung eines Europäischen Schatzamts, das die Staatsschulden der Euro-Staaten verwalten würde. Anfangs wären die Emissionen des Europäischen Schatzamts für diejenigen Mitgliedstaaten reserviert, die sich tugendhaft verhalten oder die Schuldengrenze des Stabilitätspakts respektieren … Eine solche Initiative wäre von großer politischer Bedeutung für das Ziel, die Schaffung des Euro unumkehrbar zu machen“ (12). Wieso verhindern gemeinschaftliche Kredite für die Haushaltsfinanzierung der Mitgliedstaaten die Abschaffung des Euro?
  • Man müsse „einer Delegation der Sozial- und Finanzausschüsse des deutschen und des französischen Parlaments die Aufgabe übertragen, einen Fahrplan für die finanzielle und soziale Konvergenz bis 2020 zu definieren“ (13). Sollen die nationalen Finanz- und Sozialpolitiken nicht die Unterschiede in den Bedürfnissen der verschiedenen Länder berücksichtigen? Soll ein deutsch-französisches Besteuerung- und Regulierungskartell errichtet werden?
  • „Um die industrielle und technologische Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich wieder zu beleben“ soll „ein gemeinsames Investitionsprogramm beschlossen werden, das durch ein Rahmengesetz definiert und durch eine gemeinsame Anleihe finanziert wird“. Der Kreis der beteiligten Länder soll im Folgenden erweitert und „die Union auf den Weg zu einer veritablen Wirtschaftsföderation gebracht“ werden (14). Weshalb ein gemeinsames Investitionsprogramm und eine gemeinsame Anleihe?
  • Der Außenministerrat der EU soll nach Möglichkeiten suchen, „unsere strategischen Industrien zu schützen“ und von Drittländern eine „bessere Reziprozität in der Respektierung von Sozialstandards“ einzufordern (15). Also Protektionismus und die Strategy of Raising Rivals‘ Costs?

Vielleicht wird sich der französische Präsident nicht alle diese Vorschläge zu eigen machen, und wahrscheinlich wird die Bundesregierung nicht alle seine Forderungen akzeptieren. Für das Funktionieren der Währungsunion ist keine der vorgeschlagenen Maßnahmen notwendig oder auch nur hilfreich. Es sind zumeist alte französische Forderungen, die von früheren Bundesregierungen stets abgelehnt worden waren. Aber diesmal ist die Lage anders, und das hat man in Paris erkannt. Der französischen Politik bietet sich in Deutschland eine Traumkonstellation dar, die wahrscheinlich nicht lange anhalten wird und entschlossen genutzt werden muss. Mehrere Faktoren kommen zusammen.

  1. Deutschland hat einen Finanzminister, der 68 alt ist, den Krieg und die Nachkriegszeit miterlebt hat, an der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen ist und vor allem den Frieden in Europa langfristig sichern will. Sein (v)erklärtes Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa. Er ist Euromantiker. Als Jurist verfügt er nicht über wirtschaftliche oder sozialwissenschaftliche Kenntnisse. Er versteht nicht, dass die wirtschaftspolitische Zentralisierung dem Staat mehr Macht über die Bürger gibt, also zu Lasten der Freiheit geht. Er erkennt nicht, dass sie die Völkerverständigung erschwert und die demokratische Kontrolle schwächt. Und er lässt sich von einem Staatssekretär beraten, der in erster Linie nicht freiheitliche, sondern sozialdemokratische Ziele verfolgt.
  2. Die Bundeskanzlerin ist Physikerin. Sie ist ohne einen westlichen Sozialkundeunterricht und ohne westliche Zeitungen aufgewachsen. Sie kann die Dinge, über die sie zu entscheiden hat, nicht beurteilen. Sie verlässt sich auf ihre Fachminister. Sie moderiert oder trägt deren Meinung vor.
  3. Der Parteivorsitzende der Liberalen ist ein vielbeschäftigter Außenminister und wird maßgeblich von seinen Diplomaten beeinflusst, die an internationalen Regelungen interessiert sind. Auch er ist kein Ökonom. Für ihn hat der Koalitionsfrieden Priorität. Unter seinem Vorsitz ist die FDP nicht liberales Korrektiv, sondern Mehrheitsbeschaffer einer führungslosen CDU.
  4. Der Bundeswirtschaftsminister ist kein Graf Lambsdorff oder Ludwig Erhard. Er will Minister bleiben und geht keine Risiken ein.
  5. Der Bundesbank-Präsident sieht eine Chance, Präsident der Europäischen Zentralbank zu werden. Er hält sich in der Regel bedeckt und akzeptiert die Bail-out-Politik. Nur als es darum ging, dass die EZB griechische Staatsanleihen kaufen sollte, war Webers Schmerzgrenze erreicht. Anders als bei der deutsch-deutschen Währungsunion (1990) und der Aufweichung des europäischen Stabilitätspakts (2005) wird die Bundesbank schweigen.
  6. Sollte Weber Nachfolger Trichets werden, wird Paris Gegenleistungen fordern. Schäuble weiß, dass Euro-Anleihen und eine Erweiterung des von ihm geschaffenen Rettungsfonds von einer großen Mehrheit der Deutschen abgelehnt werden. Deshalb hat auch er sich bisher dagegen ausgesprochen (obwohl er Jean-Claude Juncker einladen ließ, im Finanzausschuss des Bundestages dafür zu werben). Schäuble wird empfehlen, die meisten französischen Forderungen zu akzeptieren, wenn dafür ein Deutscher EZB-Präsident wird.

Seine Ablehnung gemeinsamer Euro-Anleihen hat Schäuble bisher so begründet: „… es wäre in meinen Augen eine falsche Politik, die Verantwortung für das Zinsrisiko zu vergemeinschaften“ (Bild am Sonntag, 12.12.10). Mit den subventionierten Krediten für Griechenland und Irland hat er jedoch genau diese falsche Politik herbeigeführt. Der Euro-Fonds hat die Vergemeinschaftung des Zinsrisikos für alle Zukunft zum Prinzip erhoben. Das neue Jahr wird gefährlich.

4 Antworten auf „Der Träumer und die Ahnungslose
Zu den französischen Forderungen nach einer europäischen Wirtschaftssteuerung

  1. „Das neue Jahr wird gefährlich.“

    In den Medien wird schon wieder propagiert, das wir alles für die „Rettung“ der Währung tun, wenn es doch genau das Gegenteil ist, was damit bezweckt wird. Kann man dagegen eigentlich gerichtlich vorgehen; wegen Betrugs zum Beispiel ?! Es wäre doch einen Versuch wert.

  2. Wäre Angela Merkel eine Machtpolitikerin, dann bräuchte sie jetzt bloß warten. Der Widerstand in (fast) allen anderen EU-Ländern gegen diese Vorschläge ist sicher, in einigen Wochen wird er auch öffentlich hervorbrechen. Deutschland muß sich nur dem Druck (oder den Argumenten) der Gegenstimmen „zähneknirschend“ (sic!) fügen. Gleichzeitig sorgen die Finanzmärkte täglich für die weitere Schwächung aller „Defizitländer“ wärhend Helfer aus China oder Japan sowieso nichts tun, ohne sich vorher der Zustimmung Deutschlands versichert zu haben. Das ist doch eine hervorragende Ausgangslage, um Sarkozy und mit ihm die ganzen anderen Trittbrettfahrer ins Messer laufen zu lassen. Wer weiß, vielleicht ist Abgela Merkel ja doch eine Machtpolitikerin – das nächste Jahr könnte sooo schön werden…

  3. Das mit dem Gegenhalten wollte ich schon beim Rettungsschirm versuchen. Das hat mich eine Stange Geld gekostet und „nichts“ erbracht. Es ist eine absolute Bankrotterklärung für irgendetwas mit „Gerecht“ wenn die Politiker beliebig Gesetze beachten dürfen oder eben nicht.

    Die No-Bailout Klausel hatte Ihren Grund. Nur ist Sie absolut nichts wert. Auch die in Karlsruhe anhängigen Klagen sind bis heute nicht verhandelt worden.

    Somit stehen wir vor „vollendeten“ Tatsachen. Wie heißt es so schön im Delebet Gutprech. „Alternativlos“…

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