Gastbeitrag:
Reform der Pflegeversicherung – letzte Chance für einen guten Wurf

Nachdem seit Jahresbeginn neue Regeln für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen gelten, drängt nun die Reform der Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Auch hier geht es um mehr Zukunftsvorsorge, die das jüngste gesundheitspolitische Gesetzeswerk allenfalls in Ansätzen leistet.

Die Zahl der Pflegebedürftigen dürfte sich bis 2050 auf fast 4 ½ Millionen nahezu verdoppeln. Dabei wohnt den personalintensiven Pflegeleistungen ohnehin besondere Kostendynamik inne. Demografisch bedingt schmilzt zudem die Beitragsbasis der SPV. Es stehen tendenziell immer weniger aktive Beitragszahler bereit. In der Folge wird sich der Beitragssatz der Pflegeversicherung in den nächsten Jahrzehnten alleine schon wegen des demografischen Wandels mehr als verdoppeln. Berücksichtigt man zudem noch den spezifischen Kostendruck bei der Pflege, ist bis 2060 sogar mit einer Vervierfachung des Beitragssatzes auf rund 8% zu rechnen.

Weiter steigende Sozialbeiträge sind aber das Gegenteil dessen, was die auf verstärkten individuellen Arbeitseinsatz angewiesene alternde Gesellschaft braucht. Die Belange der jungen Generation bleiben dabei auf der Strecke. Die heutigen Jungen müssen die Rechnung begleichen, wenn die zahlenstarke Generation der Babyboomer ab etwa 2035 in die Lebensphase hohen Pflegebedarfs kommt. Aussicht auf adäquate Gegenleistungen im eigenen Alter besteht für die Jungen hingegen nicht. Dabei sollte es nicht bleiben.

Es ist daher grundsätzlich zu begrüßen, dass die Bundesregierung für den Aufbau von Vorsorgekapital sorgen will. Allerdings sind die Vorgaben für die geplante Reform vage und wenig ambitioniert. Eine vollständige Abkehr weg von der Zwangsumverteilung zwischen Jung und Alt, hin zur marktwirtschaftlichen Lösung einer Versicherungspflicht bei privaten Versicherungsunternehmen steht nicht zur Debatte. Das Umlageverfahren soll lediglich durch Kapitalbildung ergänzt werden. Letztere müsse „verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Diese Vorgaben lassen unterschiedliche Optionen offen. Dazu passt sowohl ein Modell kapitalbildender Vorsorgeprodukte nach der Art der Riester-Rente als auch ein zumindest teilweiser Umstieg hin zu einer privaten Pflegeversicherung.

Beide Ansätze sind zielführend, weil die Bürger für sich selbst vorsorgen und die Gefahr von Verteilungskonflikten zwischen den Generationen abnimmt. Das verbessert die individuellen Leistungs- und Arbeitsanreize nachhaltig. Ebenso fördert verstärkte Bildung von institutionellem Vorsorgekapital anhaltendes Wirtschaftswachstum. Auf die positiven Effekte lässt sich um so mehr bauen, je konsequenter die auf den Arbeitseinkommen lastenden Sozialbeiträge im Zaum gehalten werden.

Für ein Modell des reinen Vorsorgesparens spricht, dass sich der Kapitalstock hier durch bestehende Institutionen aufbauen ließe. So könnte der Gesetzgeber die bewährten Säulen privater Vorsorge, Riester-Rente, Basis-Rente und betriebliche Altersversorgung, weiter stärken. Stichworte dazu lauten etwa Einführung eines Opt-out-Modells bei der betrieblichen Vorsorge (d.h. alle Beschäftigten nehmen automatisch teil, sofern sie nicht ausdrücklich dagegen votieren) sowie Dynamisierung der staatlichen Förderung der individuellen Vorsorge.

Die Crux des Ansparmodells ist, dass die Absicherung des Pflegefallrisikos unverändert bei der SPV bleibt. Für die Entlastung der Aktiven in den kommenden Dekaden ist damit zunächst nichts gewonnen. Allerdings bietet der Aufbau von individuellem Vorsorgekapital neue Möglichkeiten, die Abgabenlast der Aktiven künftig durch nach dem Lebensalter gestaffelte Sozialbeiträge zu begrenzen. Die steigenden Beiträge treffen damit zwar verstärkt die dann älteren SPV-Mitglieder. Das ist aber insoweit weniger problematisch, wie die Älteren in Zukunft auf zusätzliche Ersparnisse zurückgreifen können, um erhöhte Beiträge zu finanzieren. Freilich erscheint es fraglich, ob die Politik höhere Beiträge für Ältere durchsetzen kann. Jedenfalls müssen die Würfel zeitnah fallen, bevor sich das Medianalter der Wähler, das heute schon bei 50 Jahren liegt, weiter nach oben verschiebt.

Der direkte Weg zu mehr Nachhaltigkeit führt indes über einen Wechsel oder zumindest Mix der Systeme, wobei private Versicherungsgeber die Aufgabe der SPV (teilweise) übernehmen. Soweit es dabei um einen Mindestschutz geht, der eine Abwälzung privater Pflegekosten auf den Staat (Sozialhilfe) verhindert, lässt sich das von der Bundesregierung geplante Obligatorium rechtfertigen. Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung, heißt hier die ordnungspolitisch richtige Devise. Die Bürger müssen sich zwar privat versichern, können den Versicherungsgeber aber frei wählen. Das stärkt den Wettbewerb und die Effizienz des Versicherungsmarktes, insbesondere wenn zugleich hinreichende Portabilität der Alterungsrückstellungen besteht. Funktionsfähiger Wettbewerb setzt zudem altersabhängige oder zumindest pauschale statt einkommensabhängiger Versicherungsprämien voraus. Wenn die Politik diese nicht akzeptiert, macht das Modell ergänzender privater Versicherungen keinen Sinn. Es müsste mit einem Umverteilungsmechanismus zwischen den privaten Anbietern überfrachtet werden, der alle Aussicht auf mehr Effizienz verbaute.

Ein glaubhafter Einstieg in einen Systemwechsel erfordert aber noch mehr. Die Politik muss auch die Leistungen der SPV längerfristig enger begrenzen. Dazu bieten sich proportionale Kürzungen oder die Einführung von Karenzzeiten, d.h. Wartezeiten zwischen dem Beginn der Pflegebedürftigkeit und der Leistungsgewährung, an. Bislang stehen solche, für die solide Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung unverzichtbaren Korrekturen jedoch nicht auf der sozialpolitischen Agenda in Berlin.

Welches Leistungsniveau die SPV längerfristig bieten soll, wie also die Lasten zwischen den Generationen zu verteilen sind, ist politisch zu entscheiden. Vom Sachverständigenrat und anderen Institutionen durchgerechnete Vorschläge für vollständige oder teilweise Übergänge zu privatwirtschaftlichen Lösungen liegen seit langem auf dem Tisch.

Der Einstieg in den Aufbau von Vorsorgekapital für die Pflege duldet keinen weiteren Aufschub. Wenn in der Zeit besonderer Verwerfungen bei der staatlichen Pflegeversicherung, die in 20 bis 25 Jahren beginnt, ein nennenswerter privater Kapitalstock verfügbar sein soll, müssen die Weichen jetzt richtig gestellt werden. Kapitalbildung braucht Zeit, zumal insbesondere Bürger mit geringerem Einkommen nur begrenzte Vorsorgebeiträge leisten können.

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