EURO-Bonds – der letzte Versuch?

Kaum hatten die Beteiligten des letzten Krisengipfels am 21. Juli 2011 ihre dort gefällten Entscheidungen ausgiebig gewürdigt und als Ende der Staatsschuldenkrise gefeiert, kam es zu neuen Unruhen an den Finanzmärkten. Im Mittelpunkt standen Spanien und Italien, deren Staatsschuldpapiere durch die Europäische Zentralbank angekauft wurden, um die Märkte zu stützen und einen (noch deutlicheren) Zinsanstieg zu vermeiden.

Im Vorfeld des Treffens von Kanzlerin Merkel und Staatspräsident Sarkozy am 16. 8. 2011 wurde daher (erneut) über die Einführung von Euro-Bonds diskutiert. Hierdurch sollen bestehende Unsicherheiten bezüglich der Finanzierung spanischer und italienischer Staatsschulden ausgeräumt werden. Euro-Bonds sind aber kein gänzlich neues Finanzierungsinstrument, sondern spielen bereits im Rahmen des ab 2013 geplanten permanenten Rettungsschirms (ESM) eine bedeutende Rolle. Mit ihrer Hilfe sollen nämlich diejenigen Mittel aufgebracht werden, die anschließend den von der Illiquidität oder Insolvenz bedrohten Staaten in Form von Krediten zur Verfügung gestellt werden. Bisher war allerdings vorgesehen, dass ihr Umfang auf das Volumen des Rettungsfonds und auf Länder begrenzt wird, die einer EWU-Rettungsmaßnahme unterliegen. Bei den jetzt diskutierten Euro-Bonds geht es hingegen um eine im Prinzip grundsätzliche und damit auch unbegrenzte Finanzierungsform der europäischen Staatsverschuldung.

Hinsichtlich der Ausgestaltung und der Rahmenbedingungen solcher Euro-Bonds stehen verschiedene Vorschläge im Raum: Ein erster Vorschlag geht zurück auf Jakob von Weizsäcker und Jacques Delpla, der erstmals im Mai 2010 vorgelegt wurde (vgl. „EURO-Bonds ohne Transferunion“). Sie schlagen vor, zwischen „Blue Bonds“ und „Red Bonds“ zu unterscheiden. Blue Bonds sind dabei die eigentlichen Euro-Bonds, die von den Staaten der Euro-Zone gemeinsam emittiert werden und für die sie auch gesamtschuldnerisch haften. Diese Blue Bonds sollen aber nur denjenigen Staaten zur Verfügung stehen, deren Schuldenstandsquote nicht den Grenzwert von 60 Prozent übersteigt. Darüber hinaus können Red Bonds von denjenigen Staaten ausgegeben werden, deren Schuldenstandsquote die 60-Prozent-Grenze übersteigt. Hierbei handelt es sich aber um eine rein nationale Emission, für die auch keine europäische Haftung besteht.

Dieser Vorschlag ist vergleichsweise unproblematisch – geht aber völlig an der aktuellen Problematik vorbei. Länder mit einer Schuldenstandsquote unter 60 Prozent sind in der Regel nicht auf Euro-Bonds angewiesen. Sie werden über ein gutes Rating verfügen und auch bei nationalen Emissionen – wenn überhaupt – nur einen geringen Risikoaufschlag zahlen. Diejenigen, die aufgrund ihrer Schuldensituation gerne Euro-Bonds in Anspruch nehmen würden, könnten dies jedoch bei diesem Vorschlag gerade nicht. Vielmehr müssten sie – wie bisher – nationale Staatsschuldtitel ausgeben, für die entsprechend hohe Zinsen zu zahlen sind. Dies sieht der oben beschriebene Vorschlag sogar explizit vor, um – richtigerweise – die entsprechenden Staaten von einer übermäßigen Verschuldung abzuhalten.

In der gegenwärtigen Situation kann es aber nur um solche Euro-Bonds gehen, die gerade den Problemländern zur Verfügung gestellt werden. Dabei ergeben sich insbesondere folgende Fragen:

  1. In welchem Umfang sollen und können Euro-Bonds ausgegeben werden?
  2. Zu welchen Konditionen sind sie am Markt zu platzieren?
  3. Welche Wirkungen hat diese Politik – ggf. unter Berücksichtigung von Auflagen – auf die Länder der Euro-Zone?

Der Umfang wird zunächst durch den notwendigen Finanzierungsbedarf der betroffenen Länder bestimmt. Bis 2020 erfordert allein die Finanzierung Griechenlands, Irlands und Portugals einen Betrag in Höhe von etwa 830 Mrd. Euro. Würde man darüber hinaus auch Spanien und Italien ab 2012 aus Rettungstöpfen der EWU finanzieren, so erhöhte sich der gesamte Finanzierungsbedarf bis 2020 auf rund 3000 Mrd. Euro. Insgesamt handelt es sich dabei noch um eine konservative Schätzung des Gesamtvolumens. So wurde bereits die geplante Umschuldung Griechenlands berücksichtigt. Außerdem wurden für alle Länder die Zinszahlungen des Jahres 2011 in die Zukunft fortgeschrieben, obgleich eher mit steigenden Zinszahlungen zu rechnen ist, da die Verschuldung in den betroffenen Ländern (zunächst) noch weiter ansteigen wird. Ferner betreffen die Tilgungszahlungen für alle Länder nur die privaten Schulden. Für Spanien und Italien wurden darüber hinaus für 2011 keine Finanzierungsbeträge berücksichtigt, weil sich beide Länder bisher am privaten Kapitalmarkt finanzieren konnten.

Betrachtet man vor diesem Hintergrund den notwendigen Umfang von Euro-Bonds, erscheint es wenig überzeugend davon auszugehen, dass die Marktteilnehmer Deutschland und (bereits jetzt mit Einschränkungen) Frankreich zutrauen, einen solchen Betrag nahezu allein zu garantieren und im schlimmsten Fall (kurzfristig) bereitzustellen. Sollten sich also entsprechende Wertpapiere – im Laufe der nächsten Jahre – im oben beschriebenen Umfang absetzen lassen, dann wohl nur zu deutlich höheren und auch immer weiter steigenden Zinsen, die eine entsprechende Risikoprämie widerspiegeln. Eine grundsätzliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit dieses Konzeptes ist zudem ein Verzicht derjenigen Länder auf nationale Emissionen, die ein besseres Rating als den zukünftigen „Durchschnittswert“ aufweisen. Anderenfalls käme es zu einer Konkurrenzsituation zu Gunsten der guten Risiken und zu Lasten der Euro-Bonds.

Willem Buiter – Chefvolkswirt der Citigroup – ist hingegen der Ansicht, dass ein solch umfangreicher Liquiditätsbedarf letztlich nur durch die EZB und ihr Ankaufsprogramm für Staatsanleihen gedeckt werden kann. Für diese Meinung spricht die bereits gegenwärtig zu beobachtende Entwicklung steigender Prämien für Kreditausfallversicherungen (CDS) Deutschlands und Frankreichs. Dies könnte auf wachsende Zweifel hindeuten, ob diese Länder (längerfristig) in der Lage sein werden, die entsprechenden Finanzierungsbeträge zu garantieren. Werden Spanien und Italien nämlich zu Nehmerländern des Rettungsfonds, würde dies den Finanzierungsanteil Deutschlands von 29 auf 43 Prozent und denjenigen Frankreichs von 22 auf 32 Prozent ansteigen lassen.

Bei einer Finanzierung über die EZB kommt ferner das Problem künftiger Inflationsgefahren hinzu. Ein jährlicher Finanzierungsbedarf von durchschnittlich ca. 300 Mrd. Euro entspräche etwa 20 Prozent der Geldbasis, auf deren Grundlage die Geldmengenaggregate entstehen. Nur wenn es der EZB gelingt, diesen Liquiditätszufluss auf Dauer über andere Finanzierungsinstrumente wieder vom Markt zu nehmen (zu „sterilisieren“), kann das Risiko einer künftigen Inflation ausgeschlossen werden. Die Finanzierung führt dann lediglich zu einer Umstrukturierung der Entstehungskomponenten der Geldbasis. Gelingt eine solche Sterilisation jedoch nicht (vollständig), so erhöht sich die Inflationsgefahr auf längere Sicht. Hinzu kommen das Verlustrisiko der EZB durch den Ankauf ausfallgefährdeter nationaler Staatsschuldtitel sowie ein Vertrauensverlust in die EZB als von der Politik unabhängiger Hüterin der Preisniveaustabilität.

In der Anfangsphase einer Finanzierung über Euro-Bonds werden Problemländer aber ihre Staatsschuld zu einem Zinssatz finanzieren können, der deutlich unter dem Marktzins für nationale Emissionen dieser Länder liegt. Das bedeutet zugleich auch einen deutlich reduzierten Schuldendienst. Dies gilt allerdings gegenwärtig schon für Griechenland, Irland und Portugal, deren Zins beim letzten Krisengipfel auf 3,5 Prozent herabgesetzt wurde. Der umgekehrte Effekt trifft jedoch auf diejenigen Mitgliedsländer der Euro-Zone zu, die (bisher) vergleichsweise solide Staatsfinanzen aufweisen und über ein gutes Rating (AAA) verfügen. Hierzu zählen gegenwärtig insbesondere Deutschland, Frankreich (bereits mit gewissen Einschränkungen), Österreich, die Niederlande, Luxemburg und Finnland. Diese Länder müssten in Zukunft einen höheren Zins bei der Finanzierung ihrer Staatsverschuldung zahlen. Es soll an dieser Stelle nicht über das Ausmaß des Zinsanstiegs spekuliert werden. Jeder Prozentpunkt allerdings, um den der Zins, den Deutschland dann zu zahlen hätte, ansteigen würde, erhöht – bezogen auf die Staatsverschuldung des Jahres 2010 – den Schuldendienst um jährlich ca. 21 Mrd. Euro; mit steigender Tendenz.

Die daraus entstehenden Wirkungen für den deutschen Haushalt lassen sich der folgenden Übersicht entnehmen. Die Spalten zeigen dabei den potentiellen Anstieg des Schuldendienstes. Eine Erhöhung von etwa 10 Mrd. Euro käme – bezogen auf die oben beschriebene aktuelle Situation – zum Beispiel dann zustande, wenn der Zinssatz für Euro-Bonds um 0,5 Prozentpunkte über dem Zinssatz für deutsche Staatsanleihen liegen würde. Um 50 Mrd. Euro würde sich der Schuldendienst hingegen bei einem Anstieg des Zinssatzes um rund 2,5 Prozentpunkte erhöhen. Die Prozentangaben in der Matrix zeigen vor diesem Hintergrund, um welchen Prozentsatz die Ausgaben sinken, die Einnahmen oder die Verschuldung – bezogen auf das Jahr 2011 – steigen müssten, um den jeweils höheren Schuldendienst zu „finanzieren“.

Schuldendienst und EURO-Bonds
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Neben den Zinswirkungen geht es aber auch um die Anreizwirkungen einer solchen Politik. Auf der einen Seite ist zu befürchten, dass die günstigen Finanzierungsbedingungen zu einer immer weiter ansteigenden Staatsverschuldung führen wird, die dann als alternativlos „verkauft“ wird. Die Erfahrung der zurückliegenden Jahre ohne entsprechende Risikoprämien hat ferner gezeigt, dass es der Politik kaum gelingen wird, über entsprechende Rahmenbedingungen wie etwa den Stabilitätspakt oder direkte Haushaltsvorgaben die Verschuldung effektiv zu begrenzen – allen politischen Schwüren zum Trotz. Auf der anderen Seite würde dies bedeuten, dass ein Europäisches Finanzministerium oder eine Europäische Schuldenagentur in Zukunft jeden – vermeintlich notwendigen – Finanzierungsbedarf bedienen wird. Der Transferunion wären damit keine Grenzen mehr gesetzt. Zugleich transformiert man aber auch die gegenwärtig (noch) nationalen Verschuldungsprobleme auf diese Weise zunehmend auf die europäische Ebene, so dass wir möglicherweise in einigen Jahren über eine Insolvenz der gesamten Euro-Zone diskutieren. Ein solches Horror-Szenario soll deutlich machen, dass eine Finanzierung der europäischen Staatsschulden – so wie sie gegenwärtig von vielen gefordert wird – auf Dauer nicht möglich ist. Eine solche Politik schadet der Euro-Zone langfristig eher als dass sie ihr nutzt.

EU-Energiekommissar Oettinger äußerte in diesem Zusammenhang gegenüber dem Handelsblatt vom 15. August 2011 Bedenken, eine Insolvenz Italiens werde die Euro-Zone „wahrscheinlich sprengen, weil Italien dann als Geberland des Europäischen Rettungsfonds EFSF ausfalle“. Was bedeutet dies aber konkret? Lässt sich – aus politischen oder ökonomischen Gründen – der oben beschriebene notwendige Finanzierungsbedarf von den verbliebenen Mitgliedsländern nicht bereitstellen, so muss Italien zunächst einmal seinen Haushalt weitgehend aus eigener Kraft sanieren. Gegebenenfalls muss das Land mit seinen Gläubigern über einen Forderungsverzicht (Haircut) verhandeln. Sollte Italien der Ansicht sein, die Konsolidierungsmaßnahmen durch einen (vorübergehenden) Austritt aus der Euro-Zone besser vollziehen zu können, wird man sich gegebenenfalls für diese Option entscheiden. Aber auch das bedeutet – wenn der Fall überhaupt eintreten würde – zunächst „nur“, dass die Euro-Zone nicht in der gegenwärtigen Zusammensetzung weiter besteht, sondern sich „gesundschrumpft“. Die Euro-Zone selbst bleibt aber erhalten. Bei all diesen Überlegungen sollte ferner nicht aus dem Auge verloren werden, dass die wirtschaftliche Integration Europas nicht in erster Linie durch den – wenn auch politisch sehr zugkräftigen – Euro sondern durch den Europäischen Binnenmarkt und den damit verbundenen Freihandel zwischen allen 27 Mitgliedsländern geprägt wurde und wird.

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