Aufregende Wochen liegen hinter und wohl auch vor uns. Der aktuelle Status der Staatsverschuldung mancher Euro-Staaten birgt nach wie vor Gefahren für die gemeinsame Währung sowie für die Europäische Union. Dass keine Alternativen zu den Rettungsprogrammen und hebelgetragenen Fonds temporärer und permanenter Natur existieren würden, darf bezweifelt werden. Es trifft allerdings dann zu, wenn die kurzfristig orientierte Krisen- und Gipfelhektik zum Programm erklärt wird. Dann paßt es, dass in aufreibenden Nachtsitzungen der Staats- und Regierungschefs, „Lösungen“ mit der heißen Nadel gestrickt werden, die durch die diversen Überzeugungsmechanismen zwar in den frühen Morgenstunden konsensfähig werden, dann jedoch kurze Halbwertszeiten aufweisen. Weshalb nicht nach den wahren Wurzeln der Krise fragen und dann die Konsequenzen ziehen?
Verlust von Vertrauen und Glaubwürdigkeit
Hinter den aktuellen Problemen liegt eine Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise mit zahlreichen Facetten. Sie ist aus einer Informationskrise, einer Institutionenkrise und einer Krise des Krisenmanagements hervorgegangen. An deren Ursachen ist anzusetzen, wenn die aktuellen Probleme nachhaltig gelöst werden sollen.
Informationskrise
Es hat sich herausgestellt, dass erhebliche Informationsmängel über den Status relevanter Akteure wie Staaten und Banken bestanden und bestehen. Diese Intransparenz wird unter anderem durch eine starke Vernetzung der Akteure und die entstandene Komplexität der Marktbeziehungen ermöglicht. Trotz Stabilitätsberichten und Banken-Stresstests bestehen nach wie vor große Informationsmängel über die Risikoallokation in der Euro-Währungsunion. Es existieren aber auch Informationsdefizite über die ökonomischen und die politischen Reformpotenziale in den betroffenen Volkswirtschaften. Ein Blick nach Griechenland möge dies demonstrieren. Informationsdefizite bestehen ferner über die Reaktionen von Gläubigern, Investoren und Ratingagenturen auf politisch vereinbarte Maßnahmen. Doch auch die Wirkungen über alternative Reformmaßnahmen sind unsicher, die Verantwortlichkeiten unklar.
Unsicherheit
Als Ergebnis ist eine ausgeprägte Unsicherheit in der Währungsunion entstanden, die nicht nur durch die Kurzlebigkeit der einzelnen Reformschritte genährt wird. So werden die Informationsdefizite durch eine systematische Fehleinschätzung des Korrekturbedarfs signalisiert. Unsicherheit entsteht auch durch die Drohung mit „Horrorszenarien“ (zB: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“), durch die lange Leugnung des dann doch „Unausweichlichen“ (zB im Falle von Griechenland Umschuldung und Schuldenschnitt) sowie durch das „Diskussionsverbot“ einer Staatsinsolvenz. Die Situation wird auch dadurch nicht besser, wenn die Not opportunistisch für die Lancierung einer Transaktionssteuer oder für Euro-Bonds genutzt wird. Vor diesem Hintergrund leidet die Glaubwürdigkeit der meisten vereinbarten Maßnahmen.
Institutionenkrise I
Negativ auf die Glaubwürdigkeit der aktuellen Gipfelbeschlüsse wirkt sich die Existenz einer Institutionenkrise aus. Diesbezüglich sind zwei Aspekte zu unterscheiden. Erstens die Konstruktions- und Managementfehler der Währungsunion, die den Hintergrund der Schuldenkrise bilden und zweitens der Versuch der Krisenbewältigung. Die institutionellen Defizite der ersten Kategorie sind hinlänglich bekannt: die seinerzeitige politische Entscheidung für eine heterogene Währungsunion mit Mitgliedern, die Divergenzen bei wirtschaftlichen Entwicklungsständen, wirtschaftspolitischen Präferenzen, dem unionsorientierten Verhalten und der Regeltreue aufwiesen, eine inkonsistente Geldordnung, bei der monetäre Faktoren und deren Determinanten auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind, eine inkonsistente Unionsordnung mit nationalen politischen Verantwortungs- und Entscheidungsstrukturen und einer supranationalen Geldordnung. Dazu kamen zahlreiche tolerierte Regelverletzungen sowie die ungeklärte Finalität der Europäischen Union. Wenn „Vereinigte Staaten von Europa“ entstehen sollen, sind die aktuellen Schritte hin zu einer stärkeren Vergemeinschaftung der Fiskalpolitik anders zu beurteilen als wenn dies nicht der Fall ist.
Institutionenkrise II
Doch auch im Versuch der Bewältigung der Schuldenkrise wurden „institutionelle Sündenfälle“ begangen. Allen voran waren und sind sie gegen die Europäische Zentralbank gerichtet. Ähnlich weitreichend ist der Verstoss gegen die No-bail-out-Klausel. Dazu kommt eine mehrfache Aushebelung der Regeln der parlamentarischen Demokratie, die auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat. Tiefgehend und langfristig verhaltenswirksam ist der Verstoss gegen die Verantwortungsübernahme von privaten und politischen Entscheidungsträgern mit einer ex post-Sozialisierung von Kosten und den negativen Konsequenzen einer hohen Risikobereitschaft.
Glaubwürdigkeitsverlust
Diese institutionelle Malaise bleibt nicht ohne Folgen für die Glaubwürdigkeit der Akteure. So wurde der Umgang mit Regeln in Wirtschaft und Politik zu einem Signal der Bestrafung von Regeltreue und der Belohnung von Regelverletzungen. Zusätzlich zeichnet sich mit der Konzentration auf kurzfristig wirksame Reparaturmaßnahmen eine kalte Vertiefung der politischen Integration ab, also eine Flucht nach vorne, die nicht die Europäische Union, sondern nur eine Teilmenge ihrer Mitglieder betrifft. Dies geschieht ohne eine Diskussion, die in den demokratischen Strukturen der Mitgliedsländer für solch weitreichende Schritte vorgesehen ist. Die Krisenrhetorik scheint alles zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund ist auch das Maß für die Einschätzung verloren gegangen, welches eine wirtschaftpolitische Normal- und welches eine Ausnahmesituation ist.
Krise des Krisenmanagements
Ein gutes Krisenmanagement wirkt positiv auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Fehler können dabei sowohl mit den Inhalten der Maßnahmen, aber auch bei der Vorgangsweise gemacht werden. Das Krisenmanagement zur Bewältigung der Schuldenkrise war und ist schlecht. Es ist davon auszugehen, dass die Schuldenkrise länger dauert, höhere Kollateralschäden hat und die Kosten ihrer Bewältigung höher sind als im Falle eines effektiven Krisenmanagements. Ein solches erfordert die transparente und nachvollziehbare Auslotung von Inhalt und Umfang des Problems, die Klärung der Sanierungsperspektive, die Ableitung einer differenzierten und konsequenten Sanierungsstrategie sowie eine gute Krisen- und Sanierungskommunikation. In jeder einzelnen dieser Aufgaben sind scherwiegende Defizite zu orten.
Vertrauenskrise
Die aktuelle Krise ist also nicht nur eine Schuldenkrise einiger Euro-Mitgliedsländer, die sich zu einer Währungskrise entwickeln kann und zu einer Gefahr für die Europäische Union, sondern sie ist in ihren Fundamenten eine Informationskrise, eine Institutionenkrise und eine Krise des Krisenmanagements. Diese haben insgesamt dazu geführt, dass Vertrauen verloren gegangen ist und die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen zur Bewältigung der Schuldenkrise reduziert wurde. So ist heute ein eingeschränktes Vertrauen in die Marktpartner, in die Institutionen der Marktwirtschaft, in die politischen Akteure und in die Euro-Währungsunion entstanden. Dieses kommt in der Flucht zur EZB sowie in einer allgemeinen Transaktions- und Investitionsverweigerung zum Ausdruck, in der Vermutung eines umfassenden Marktversagens in der Marktwirtschaft, im Zweifel an der Funktionsfähigkeit der Währungsunion, aber auch in einem fehlenden Zutrauen in die Problemlösungsfähigkeit von Politikern.
Strategiewechsel
Was ist nun die Konsequenz aus dieser Krisen-Gemengelage? Sie sollte als eine Chance gesehen werden, die ergriffen werden und zu einem „Strategiewechsel“ der Euro-Retter führen sollte. Dieser sollte eine Abkehr von der kurzfristig ausgerichteten Sanierungs- und Reformhektik beinhalten und eine Besinnung darauf, wie zerstörtes Vertrauen wieder aufgebaut werden kann. Diese kurzen Ausführungen zielen nun weniger auf die Inhalte als auf die Vorgangsweise ab. Vertrauen entsteht nicht auf die Schnelle, sondern es geht um einen Investitionsprozess. Die Existenz von Vertrauensankern kann diesen Prozess beschleunigen. Vertrauensanker sind Anhaltspunkte, die die Erwartungen von Menschen beeinflussen, wenn die Glaubwürdigkeit von Regeln verloren gegangen ist.
Vertrauensanker
Ich sehe sieben solcher Vertrauensanker: Erstens gilt es ein konsistentes Sanierungs- und Reformprogramm umzusetzen, das bereits die akute Problemlösung mit institutionellen Reformen der Euro-Währungsunion kombiniert und nicht letztere in die Zukunft verschiebt. Ein zweiter Anker besteht in der Schaffung von Transparenz der Voraussetzungen, Inhalte und Konsequenzen. Drittens ist die Fairness des Programms zu nennen, es darf keine strukturellen Verlierer geben, die nun die Konstruktions- und Managementfehler der Währungsunion zu tragen haben, z.B. die Steuerzahler einzelner Unionsstaaten. Viertens gilt es, die Bereitschaft der politischen Akteure zur Kommunikation mit Parlament und Wählern in den Fragen der Schuldenkrise deutlich zu erhöhen. Ein fünfter Ansatzpunkt ist die Diskussion und Klärung der Finalität der Europäischen Union. Eine „ordnungspolitische Besinnung“, etwa auf die Aufgaben einer Notenbank, erleichtert es sechstens, außergewöhnliche Maßnahmen für außergewöhnliche Situationen vorzusehen, ohne dass kaum lösbare Exit-Nöte entstehen, so wie dies derzeit der Fall ist. Ein siebter Vertrauensanker schließlich besteht in der signalisierten fachlichen Kompetenz der Akteure bezüglich der Vorgänge auf den Finanzmärkten.
Eine Antwort auf „Gipfelhektik oder Investition in Vertrauen?
Es ist Zeit für einen Strategiewechsel in der Euro-Union“