Die Währungsunion verlangt nicht eine gemeinsame Finanzpolitik, sondern wirksame gemeinsame Haushaltsregeln

Nachdem der Europäische Rat im Dezember 1989 die Europäische Währungsunion im Grundsatz vereinbart hatte, begann in der Regierungskonferenz ein längeres Tauziehen über die zukünftige Ausgestaltung der Europäischen Zentralbank. Der französische Staatspräsident Mitterand und sein Finanzminister Bérégévoy sträubten sich gegen die deutsche Konzeption einer Europäischen Zentralbank, die so unabhängig wie die Deutsche Bundesbank sein sollte. Auch der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde 1996 vom französischen Präsidenten Jacques Chirac nur widerwillig akzeptiert. Heute wissen wir, dass die französische Politik nur vorübergehend zurückwich – getreu der Devise des „reculer pour mieux sauter“ (man geht ein paar Schritte zurück, um besser springen zu können).

Als großer Sprung nach vorn wird jetzt das Projekt einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ (Sarkozy) oder eines europäischen Finanzministers (Trichet) präsentiert. Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen, die eine gemeinsame Finanzpolitik – eine „Fiskalunion“ – fordern, am besten gleich im Rahmen einer „Politischen Union“ oder der „Vereinigten Staaten von Europa“. Was dabei meist übersehen wird, ist, dass die europäische Wirtschaftsregierung oder Fiskalunion die Unabhängigkeit der EZB noch weiter schwächen würde. Denn je mehr sich die Finanzpolitiker auf europäischer Ebene organisieren, desto mehr können sie gemeinsam den EZB-Rat unter Druck setzen. Das war von Anfang an die französische Absicht, und schon die bisherige Entwicklung macht deutlich, wie das funktioniert.

Als die EZB im Mai letzten Jahres anfing, griechische Staatsanleihen zu kaufen, war ein Treffen des Euro-Rates vorausgegangen, zu dem auch EZB-Präsident Trichet eingeladen wurde. Die anwesenden Staats- und Regierungschefs ließen erkennen, dass sie solche Anleihekäufe begrüßen würden, und Trichet setzte ihren Wunsch dann im Rahmen einer Telefonkonferenz im EZB-Rat durch. Mit den europäischen Verträgen war dieses Ansinnen nicht vereinbar, denn dort steht geschrieben: „Die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, … nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen“ (Art. 130 AEUV).

Dass sich erst die Finanzminister und dann die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder als wirtschaftspolitisches Gegengewicht zur EZB zusammengeschlossen haben und nun beginnen, einen Beamtenapparat für die Eurogruppe aufzubauen, ist eine Gefahr für die Unabhängigkeit der EZB und damit für die Stabilität des Euro. Eine europäische Wirtschaftsregierung oder Fiskalunion würde dieses Problem noch erheblich verschärfen. Die Finanzminister hätten ein gemeinsames Interesse an einer expansiven Geldpolitik, weil diese ihre Steuereinnahmen – zumindest vorübergehend – erhöhen würde.

Die, die jetzt eine gemeinsame Finanzpolitik für den Euroraum fordern, befürchten, dass der unkontrollierte Anstieg der Staatsverschuldung die Politiker veranlasst, die EZB zu einer inflationären Geldpolitik zu drängen, um so den Realwert ihrer Schulden zu senken. Auch ihnen geht es daher um die Unabhängigkeit der EZB und die Stabilität des Euro. Aber sie scheinen nicht zu erkennen, dass eine gemeinsame Finanzpolitik eben dieses Ziel gefährden würde. Die Unabhängigkeit der Zentralbank verlangt nach einer Fragmentierung und Dezentralisierung der politischen Institutionen.

Wie kann dieses Dilemma aufgelöst werden? Ist es möglich, die beiden Ziele „Begrenzung der Staatsverschuldung“ und „Unabhängigkeit der Zentralbank“ unter einen Hut bringen?

Die Lösung ist und bleibt ein wirksamer Stabilitätspakt. Die Staatsverschuldung sollte nicht durch eine diskretionäre gemeinsame Finanzpolitik, sondern über vertraglich vereinbarte gemeinsame Regeln begrenzt werden. Dazu sollten auch nationale Schuldenbremsen gehören. Die Regeln müssen dezentral angewendet werden. Woran es bisher gefehlt hat, ist ihre konsequente Durchsetzung und Sanktionierung. Automatische Sanktionen hat Frankreich immer abgelehnt. Als die deutschen Haushaltsdefizite unter der Regierung Schröder aus dem Ruder liefen, nutzte es sogar 2005 die Chance, den Stabilitätspakt mit deutscher Zustimmung bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern.

Letzten Monat ist der Stabilitätspakt nun wieder etwas gestrafft worden. Aber die Änderungen sind leider sehr viel weniger wert, als es den Anschein hat. Zwar können Sanktionen, die die Kommission empfohlen hat, vom Ecofin-Rat jetzt nur noch mit qualifizierter Mehrheit aufgehalten werden. Aber zuvor muss der Rat festgestellt haben, dass ein übermäßiges Defizit vorliegt (Art. 126, Abs. 6 AEUV) und dass nicht – wie vom Rat empfohlen – wirksame Korrekturmaßnahmen ergriffen worden sind (Art. 126, Abs. 8). Diese Feststellungen kann der Rat nach wie vor nur mit qualifizierter Mehrheit treffen. Da er dies aller Erfahrung nach nicht tun wird, kann die Kommission auch keine Sanktionen vorschlagen. Der Pakt bleibt daher unwirksam. Das Verfahren scheitert sogar noch frühzeitiger.

Schließlich ist Folgendes zu bedenken. Wenn zu den Aufgaben der Fiskalpolitik auch gehört, vorübergehende konjunkturelle Schwankungen auszugleichen, so spricht gerade die Existenz der Währungsunion gegen eine Zentralisierung der Finanzpolitik. Denn in einer Währungsunion kann die Geldpolitik nicht mehr auf länderspezifische Nachfrageschocks reagieren. Das kann nur noch die Finanzpolitik. Dafür muss sie aber in der Hand der Mitgliedstaaten bleiben.

 

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