„You can fool some of the people all the time, and all of the people some of the time, but you cannot fool all of the people all the time.“ (Abraham Lincoln)
Die Europäische Währungsunion steht Spitz auf Knopf. Nie war die Gefahr des Scheiterns so groß. Der Welt droht ein währungspolitisches Desaster. Nun rächt sich jahrzehntelanges fiskalisches Fehlverhalten. Viele haben über ihre Verhältnisse gelebt: Private und Staaten. Wer ständig mehr ausgibt als er einnimmt, bekommt ein Problem. Erst verteuern sich die Kredite, dann erhält er keine mehr. Helfen können nur sinkende Ausgaben und steigende Einnahmen. Die Politik hat diese Binsenweisheit lange verdrängt. Da sie den Wählern nicht wehtun wollte, wählte sie die sanfte Tour. Fiskalische Lasten wurden nicht getragen, sie wurden immer wieder kreditfinanziert. Im Frühjahr 2010 riss den Gläubigern schließlich der Geduldsfaden. Sie glauben nicht mehr, dass alle Schuldner wieder auf den Pfad der fiskalischen Tugend zurückkehren.
Das Problem
Die Krise des Euro ist eine veritable Staatsschuldenkrise. Erst gerieten die Länder der Peripherie ins fiskalische Zwielicht. Inzwischen ist aber auch das Zentrum nicht mehr sicher vor Ansteckung. Die Hauptschuldensünder sind die Staaten. Allerdings haben in einigen Ländern auch private Finanzakteure den Staaten faule Krediteier ins Nest gelegt. Überall liefen die staatlichen Ausgaben den Einnahmen davon. Die finanziellen Löcher wurden mit Krediten gestopft. Das ging über Jahrzehnte so, das Leben auf Pump wurde chronisch. Mit den Krediten wuchs das staatliche Schuldengebirge. Die Kapitalmärkte hat das lange nicht gestört, schon gar nicht im Euro-Raum. Mit der Finanzkrise explodierte die Staatsverschuldung. Aber erst das griechische fiskalische Fukushima versetzte die Kapitalmärkte in Panik.
Die Ausgabenseite der Euroländer zeigt auf den ersten Blick nur wenig Dynamik. Die staatliche Ausgabenquote bewegt sich seit Einführung des Euro – wenig verändert – auf hohem Niveau. Das gilt für Euro- und Nicht-Euro-Länder. Allerdings lagen die Ausgabenquoten im Euro-Raum leicht höher. Erst der Ausbruch der Finanzkrise führte zu mehr Bewegung. Nun stieg die staatliche Ausgabenquote spürbar auf Werte von über 50 % in der ganzen EU. Dabei dominerten die staatlichen Ausgaben für Sozialen Schutz. Sie verlaufen bis zur Finanzkrise unspektakulär, im Euro-Raum allerdings auf höherem Niveau. Die Quote der sonstigen staatlichen Ausgaben im Euro-Raum bewegt sich kaum, die in den anderen EU-Ländern steigt allerdings seit 2000 stetig an.
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Turbulenter ist die Entwicklung auf der Einnahmeseite. Die Steuer- und Abgabenquote sank seit der Einführung des Euro bis 2004 stetig von 42 % auf 40 % des BIP. Nach einem leichten Anstieg bis zur Finanzkrise sank die Quote seit 2007 wieder auf Werte von 40 % des BIP. Dabei waren die Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen stabiler als die aus Steuern. Die Struktur der Einnahmen ändert sich seit der Finanzkrise weiter: Steuern verlieren gegenüber Sozialversicherungsbeiträgen an Gewicht. Die Steuer- und Abgabenquote verläuft in den Nicht-Euro-Ländern parallel zu den Euro-Ländern, allerdings auf niedrigerem Niveau. Das Gewicht der Finanzierung über Steuereinnahmen sinkt in den Euro-Ländern stärker als in den Nicht-Mitgliedsländern.
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Weil die staatlichen Ausgaben schneller wuchsen als die Einnahmen, stieg die staatliche Verschuldung. Treiber waren in den Euro-Ländern die Ausgaben für sozialen Schutz, in den Nicht-Euro-Ländern die sonstigen Ausgaben. Die Mitglieder der EWU verschuldeten sich seit Einführung des Euro jedes Jahr auf Neue. Auch in der Phase weltweit blendender wirtschaftlicher Entwicklung zwischen 2004 und 2007 finanzierten sie einen Teil ihrer Ausgaben auf Pump. Die Nicht-Mitglieder waren bis zum Ausbruch der Finanzkrise etwas sparsamer. Kein Wunder, dass in beiden Ländergruppen der Schuldenstand auch in wirtschaftlich guten Zeiten hoch blieb. Mit der Finanzkrise explodierten Defizit- und Schuldenquote bei Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern.
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Die Erklärung
Die Staatsschuldenkrise in Europa ist kein singuläres regionales Ereignis. Auch die USA und Japan stehen fiskalisch mit dem Rücken zur Wand. Demokratien können nicht mit Geld umgehen. Sie fördern ein Leben auf Pump, indirekte mehr als direkte. Die Mehrheit der Bürger will immer mehr staatliche Leistungen, ist aber immer weniger bereit, dafür zu zahlen. Sie hat keine Skrupel, die finanziellen Lasten künftigen Generationen aufzubürden. Die Politik orientiert sich an den Präferenzen der Mehrheit. Mit der expliziten staatlichen Verschuldung und der impliziten über umlagefinanzierte Systeme der Sozialen Sicherung hat sie auch die geeigneten Instrumente. Über die Alters-, Kranken- und Pflegeversicherung beuten ältere Generationen jüngere und künftige aus.
Ein Blick in die Empirie zeigt, die Ausgaben für sozialen Schutz treiben die inter-generative Ausbeutung. Das gilt vor allem für reichere Länder mit einer alternden Bevölkerung. In der EU wachsen in den Euro-Ländern die Sozialausgaben wesentlich stärker als in Nicht-Euro-Ländern. In den stärker alternden Euro-Ländern wird ein immer größerer Teil der Steuern und Abgaben zur Finanzierung der Sozialsysteme eingesetzt. Wo es trotzdem nicht reicht, wird auf explizite staatliche Verschuldung zurückgegriffen. In den Nicht-Euro-Ländern wachsen die sonstigen Ausgaben stärker. Diese Länder sind meist ärmer und wirtschaftlich weniger entwickelt. Investive staatliche Zukunftsausgaben sind wichtiger als in die konsumtive Abwicklung der Vergangenheit.
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Die Einführung des Euro hat sich auf die staatlichen Ausgaben in den Euro-Ländern ausgewirkt. Das gilt bisher offensichtlich nicht für das Wachstum der Ausgaben. Die wuchsen im Euro-Raum sogar minimal weniger als in den EU-Ländern ohne Euro. Ein Einfluss ist allerdings auf die Struktur der Ausgaben festzustellen. Der Sozialstaat wucherte weiter. Die Ausgaben für sozialen Schutz stiegen spürbar stärker als die sonstigen Ausgaben. Das zeigt sich auch in den PIIGS. Dort wuchsen die Ausgaben des Sozialstaates stärker als die sonstigen Ausgaben. Das Niveau der sozialen Ausgaben liegt in den PIIGS inzwischen überall über dem Niveau der sonstigen Ausgaben. Das war vor Einführung des Euro noch umgekehrt. Der Euro beschleunigte das Leben auf Kosten der Zukunft.
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Die Schuldenkrise, verursacht durch ein Leben über die Verhältnisse, stellt das Finanzsystem weltweit vor eine Zerreißprobe. Wähler und Politiker suchen nach Sündenböcken. Sie finden sie in den Banken. Die „Occupy Wallstreet“-Proteste geben einen Vorgeschmack. Die Heuchelei von Wählern und Politikern geht munter weiter. Das Feuilleton läuft zu großer Form auf und findet in der Marktwirtschaft den Schuldigen. Das Gegenteil ist richtig. Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Marktwirtschaft, in der Handlung und Haftung nicht auseinanderfallen. Die wachsenden Proteste können allerdings auch als eine Kritik der Jugend an der verantwortungslosen Schuldenpolitik ihrer Eltern und Großeltern interpretiert werden. Mit dieser Kritik liegt sie völlig richtig.
Die Lösung
Das „Moral-hazard“-Verhalten von Bürgern und Politikern ist der eigentliche Grund für die Krise der EWU. Die Versuche, auf Kosten anderer zu leben, führten in die Schuldenmisere. Auf nationaler Ebene findet seit langem eine Ausbeutung aller durch alle zu Lasten künftiger Generationen statt. Mit der Einführung des Euro wurden diese Schwierigkeiten noch größer. Die fiskalischen Schutzwälle, die verhindern sollten, dass Länder auf Kosten anderer leben, sind gebrochen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt und die No-Bail-Out-Regel waren das Papier nicht wert, auf dem sie niedergeschrieben wurden. In der EWU können Bürger und Politiker nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene „Trittbrett“ fahren. „Moral hazard“ ist Tür und Tor geöffnet.
Die Schuldenkrise hat einen Namen: „Moral hazard“. Damit muss endlich Schluss sein. Die Lasten der Verschuldung dürfen nicht weiter verschleppt, sie müssen jetzt getragen werden. Staatliche Ausgaben müssen verringert, steuerliche Einnahmen erhöht werden. Notwendig sind radikale Reformen der staatlichen Aktivitäten. Die Staatsquote muss sinken. Es ist zwar schwer, Haushaltskonsolidierungen in Krisen so zu gestalten, dass sie nicht prozyklisch wirken. Sie sind dennoch alternativlos. Erfolgreich waren sie in der Vergangenheit, wenn 5 – 6 Dollar an Ausgabenkürzungen einem Dollar an Steuererhöhungen gegenüber standen. Mit einer veränderten Ausgabenstruktur lassen sich Lasten abmildern. Notwendig sind mehr investive und weniger konsumtive Ausgaben. Auch eine interne „fiskalische Abwertung“ kann die Lasten erträglicher machen. Dazu muss sich die Steuerstruktur ändern, der Konsum relativ stärker, die Einkommen relativ schwächer besteuert werden.
Eine Reform des Staates, vor allem des Sozialstaates, ist eine notwendige Bedingung für die Lösung der Schuldenprobleme in der EWU. Hinreichend ist sie allerdings nicht. Dazu ist es notwendig, die Märkte in Europa funktionsfähiger zu machen. Nach wie vor sind die Arbeitsmärkte bei vielen Wackelkandidaten die neuralgischen Punkte. Eine glaubwürdige Reform ist unumgänglich. Das schwache wirtschaftliche Wachstum in Europa macht es auch notwendig, die Gütermärkte weiter zu integrieren. Mehr Wettbewerb durch einen leichteren Zugang zu den Märkten vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen ist eine sine qua non zur Lösung der Schuldenkrise. Auch wenn die Stimmung eine andere ist: Wir brauchen mehr Markt in Europa, nicht weniger.
Es ist eine Katastrophe, diesen Weg nicht zu gehen und die Lasten der Verschuldung weiter zu finanzieren („Kick the can down the road“). Die fiskalische Rettung über ESFS, ESM, Eurobonds und anderen fiskalischen Unsinn verschärft das Problem. Immer mehr vorgesehene Geberländer werden selbst zu Problemfällen. Deutschland ist hoffnungslos überfordert. Kein Wunder, dass der Druck auf die EZB, die Staatsschulden zu monetisieren, von Tag zu Tag größer wird. Aber auch die monetäre Rettung beruhigt die Märkte nicht, die Strukturprobleme in der EWU bleiben ungelöst. „Moral hazard“ wird verstärkt, die Reformanstrengungen verlangsamt. Das Problem wird vielleicht noch ein letztes Mal verschoben. Die Lasten werden schließlich höchst ungerecht über Inflation angelastet. Der deutsche Alptraum wird Wirklichkeit.
Fazit
Der Kern der Staatsschuldenkrise in Europa, den USA und Japan liegt darin, dass die Wähler auf Kosten künftiger Generationen leben wollen. In Länder mit alternder Bevölkerung und ausgebautem Sozialstaat ist die Gefahr groß, dass sich diese Entwicklung weiter verschärft. Europa zählt deshalb zu den am meisten gefährdeten Regionen in der Welt. Der Euro verschärft die Schuldenprobleme, wenn er den Bürgern eine neue Möglichkeit eröffnet, auf Kosten anderer Bürger in der EWU zu leben. Die Schuldenkrise wird erst abebben, wenn akzeptiert wird, dass die eingetretenen Lasten verursacheradäquat getragen werden müssen. Das würde auch die Märkte nachhaltig beruhigen. Soweit sind wir in der EWU noch nicht. Noch immer glaubt die Politik, die Lasten „wegfinanzieren“ zu können. Das wird nicht gelingen.
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„Demokratien können nicht mit Geld umgehen.“ – FALSCH !!!
In der unaufhörlichen Expansion des „Sozialstaates“ – sogar zu Zeiten des WW2 in D – lässt sich eine Technik der politischen Manipulation erkennen; man belastet die breite Masse gering und geeignete Dritte hoch – besonders beliebt: Sündenböcke, bis hin zu Enteignung und Mord.
In der Weimarer Republik, dem nationalen wie dem linken Sozialismus in Deutschland wÃe auch in der nachkriegs-west-deutschen Demokratie haben sämtliche Regierenden (auch die Demokraten) diese Möglichkeit zur Manipulation der Massen aufgegriffen. Die Ausweitung der „Sozial“-Leistungen in den (rechten wie linken deutschen) Diktaturen wie in der deutschen Nachkriegs-Demokratie zeigt, dass die Bürger unter „sozial“ und „gerecht“ eine generelle Absicherung – Arbeitslosen-, Kranken-, Renten-, Pflege-Versicherung – gegen sämtliche Lebensrisiken inklusive einer breitgefächerten Umverteilung verstehen wollen.
Das Verlangen nach immer umfassenderer Begünstigung ist für die Majorität der Deutschen (Europäer und Amerikaner) zum Ausdruck einer tief verinnerlichten Anspruchshaltung geworden, die keine einzige deutsche Regierung – seit 1924 – mehr zu brüskieren wagte; die Gesellschaft ist zu einer Anspruchsgesellschaft mutiert. Das ist der Weg, wenn einmal begonnen hat, die Aspirationen der Massen politisch zu befriedigen – auch für eine wenig beschränkte Mehrheitsdemokratie, ebenso wie für eine Diktatur oder ein europäisches Technokratenregime.
Für Fragen, die einer Mehrheitsdemokratie nicht überlassen werden können, gibt es eigentlich eine Verfassung, die die Grundrechte der Individuen gegen Ansprüche von Mehrheiten schützen soll. Trotzdem ist die private Freiheit gegen einen umfassend steuernden Staat – siehe die 120.000 Seiten bürokratischer Vorschriften des „acquis communautaire“ nach kurzer Zeit wieder in die Defensive geraten.
Die schwere Staatsschuldenkrise bildet nur die Spitze des Eisbergs eines erheblich tiefer gehenden Problems – der anhaltenden Unterordnung privater Freiheit und Verantwortung gegen den staatliche Eingriffs- und Weisungsbefugnisse. Und mit der Kombination eines unausgereiften Grundgesetzes und einer politisch gekorenen Verfassungsrichterschaft werden uns solche Probleme auch noch lange erhalten.
Michael Boskin ist der Meinung, dass die einzig dauerhafte Lösung der Krise in Europa in einer Reform der Sozialleistungen besteht. http://www.project-syndicate.org/commentary/boskin18/German
Das wird ganz sicher ausreichen – bis ein neuer Roosevelt/ Hitler etc. kommt [Sarkasmus-Ende].*
Die „uneigennützigen“ politischen Stimmenfänger haben sowohl die Weimarer wie die nachkriegsdeutsche Demokratie als Hebel eingesetzt, um falsch diagnostizierte Krisenursachen mit unpassenden – jedoch politisch akzeptierten – Instrumenten zu bekämpfen.
Erst durch die Einschaltung der hoheitlichen Kompetenzen entstanden die Fehler, aus denen eine kurze Rezession Ende der 20er Jahre sich in die nicht-endenwollende „Große Depression“ transformierte. Der Staat greift in der wenig beschränkten „Demokratie“ – erst recht im totalitären rechten oder linken Sozialismus – regulierend ein, verteilt Rechte, Pflichten und Eigentum/ Geld allerorten um, setzt die dunklen Motive von Majoritäten, die oberflächlich so lieblich nach „Gerechtigkeit“ und „sozialem Ausgleich“ duften, uneigennützig in „Recht“ um.
Wenn alles Recht auf dem Gesetz aufbaut, worauf basiert dann das „Grund“-Gesetz?
Ginge alle Macht „vom Volke“ aus, wären auch die Menschenrechte allein vom Volk gegeben. Menschliche Grundrechte ließen sich dann durch Entscheidungen einer Mehrheit gewähren oder auch aufheben.
Fundamentale Menschenrechte – die menschliche Würde, Freiheit und Selbstverantwortung – stehen jedoch immer – damals, heute und in aller Zukunft – über den Ansprüchen von Majoritäten; nicht jedoch im polit-technokratischen Staatsverständnis des Grundgesetzes.
Daniel Gros zeigt, dass eine Politik der Austerität, trotz kurzfristig möglicher negativer Output-Effekte, für die Peripherie alternativlos ist.