Was wäre eigentlich passiert, wenn der Anruf von Herrn Wulff bei der Springerpresse Erfolg gehabt hätte? Diese Frage liegt auf der Hand, doch wird sie kaum diskutiert. Wie konnte es kommen, dass Herr Wulff einen solchen Anruf überhaupt für erfolgsversprechend halten konnte? Auch diese Frage wird nicht diskutiert, obwohl sie sehr beunruhigend ist.
Mit viel Feierlichkeit in der Stimme wird darauf hingewiesen, dass der Bundespräsident derartige Aktionen nicht vollziehen dürfe. Die Presse und nicht nur die, die an den Fäden des Hauses Springer hängt, unterstützt diese Ansicht aus nahe liegenden Gründen. Ohne Frage sollten wir uns wünschen, dass der Bundespräsident so wie er gehandelt hat, nicht agiert. Aber wir sollten uns das generell nicht in der Politik wünschen. Die besonderen Probleme liegen an anderer Stelle als der besonderen Würde des Amtes des Bundespräsidenten.
Es ist bedrohlich in einer politischen und medialen Welt zu leben, in der das Geben und Nehmen von Informationen sich so gestalten, dass sich politik-mediale Symbiosen – wie auch im Falle Guttenberg bilden – können. Bedenklich ist, dass die beiden Seiten sich unterstützen.
1. Promis wie alle anderen?
Der normale „Promi“ – ob Politiker oder nicht – dient mit Informationen, die Presse mit Hofberichterstattung. Beide Seiten neigen dazu, sich wechselseitig dafür zu verachten. Die Presse verachtet die Politiker, weil die Politiker bei ihr auf den Strich gehen und die Politiker verachten die Presse, weil sie sich für Exklusiv- und Insider-Informationen zur letztlich vom Promi gewünschten Informationsverfälschung hergibt.
Solange es nicht um Politprominenz geht, kann uns das Ganze eher gleichgültig sein. Brustvergrößerungen von Schauspielerinnen, die neuen Gespielinnen von Fußballern und die home story aus dem Leben des Entführungsopfers sind unappetitlich bis amüsant. Sie werden häufig mitleidslos präsentiert, sind aber vermutlich nicht gefährlich für das Gemeinwesen.
Wenn es um Politiker geht, dann ist die wechselseitige Käuflichkeit jedoch bedrohlicher. Machen wir ein paar Gedankenexperimente, um die potentiellen Gefahren besser abschätzen zu können.
2. Eine schiefe Ebene tut sich auf
Wenn beispielsweise die Springer-Presse im Exklusiv-Besitz der betreffenden Informationen über die Kreditgeschäfte von Herrn Wulff gewesen wäre – was sie aber nicht war –, dann hätte sie eine Absprache mit ihm treffen können. Springer-medien hätten still gehalten und dafür in der Zukunft vielleicht Informationen im Gegengeschäft erhalten. Da es sich im Falle des Amtes des Bundespräsidenten um eine Position handelt, von der aus man Zugang zu vielen Arten von Informationen gewinnen kann, wäre das gewiss ein attraktiver Kuhhandel für die Medien gewesen.
Daraus wäre ohne Zweifel eine gefährliche Situation entstanden, weil Herr Wulff aufgrund der „Zusammenarbeit“, die in sich bereits ein Normbruch gewesen wäre, zunehmend weitere Normbrüche hätte begehen müssen. Das hätte es immer schwieriger gemacht, sich weiteren Nachfragen zu entziehen.
3. Angebote, die man (nicht) ablehnen kann
Ob intendiert oder nicht, der Anruf von Herrn Wulff, den er auf den Anrufbeantwortern der Firma Springer hinterließ, konnte nur als Teil einer dauerhaften „Geschäftsbeziehung“ sinnvoll sein. Eine solche Zusammenarbeit mit Springer, wie sie bei einem Eingehen auf seinen Anruf hätte entstehen müssen, hätte nach einer Weile Herrn Wulff so verletzlich werden lassen, dass aus Anfragen nach Informationen lauter Angebote, die er eigentlich nicht hätte ablehnen können, entstanden wären. Am Ende wären aus dem als Drohung verkleideten Angebot von Herrn Wulff, mit Springer in der Zukunft zusammenzuarbeiten, eine starke Abhängigkeit von Wulff und nicht von Springer entstanden.
Diese Zusammenarbeit ist nicht eingetreten, da die Springer Presse auf das Angebot von Herrn Wulff nicht eingegangen ist. Er glaubte, ein Angebot machen zu können, das man nicht ablehnen kann, doch irrte er. Das mag verschiedene Gründe haben, über die man wiederum nur spekulieren kann.
4. Spekulative Szenarien
In einem 1. Szenario könnte man unterstellen, dass die Springerpresse die Exklusivität der eigenen Information nicht sicherstellen konnte und deshalb keine Zusage gab. Eine Mitwirkung der Springer-Presse wäre also nicht skandalnotwendig gewesen. Dann wäre der Anruf ein Akt verwirrter Verzweiflung einer gequälten Präsidentenseele gewesen. Dass der Präsident als erfahrener Politiker seine Vorgehensweise überhaupt für aussichtsreich halten konnte, wirft allerdings in jedem Falle ein sehr „schräges“ Licht auf das Verhältnis von Politik und Medien.
In einem 2. Szenario darf man unterstellen, dass die Informationen in der exklusiven Kontrolle der Springer-Presse waren. In dem Falle hätte die Springer-Presse eine entsprechende Zusage geben und den Präsidenten zunächst schützen und dann in ihren informellen – in aller Mehrdeutigkeit des Begriffs – „Exklusiv-Besitz“ bringen können. Sollte die Springer-Presse diese Chance, sich Zugang zu „Exklusiv-Informationen“ zu verschaffen, aus prinzipiellen Gründen abgelehnt haben, dann wäre das großartig. Auf der anderen Seite müßte man sich dann aber beunruhigt fragen, was wohl passieren würde, wenn die entsprechende moralische Größe nicht vorläge. (Und mir fiele es ohnehin schwer, an soviel moralischen Heroismus zu glauben.
In einem 3. Szenario wusste die Springer-Presse erst nach einer gewissen Weile, dass man die vielen kleinen Fehltritte von Herrn Wulff vermutlich nicht hinreichend herunterspielen konnte, um die Affäre auszusitzen. Dann setzte man, da „die Quelle ohnehin verbrannt war“, darauf, den Skandal optimal zu nutzen. Springer wählte den optimalen Zeitpunkt um zuzupacken. Das scheint dem tatsächlichen Geschehen nahezukommen.
5. Die Moral von der Geschicht’?
Als Resultat haben wir statt eines Wulffs im Schafspelz ein Schaf im Wulffspelz. Der Präsident ist nach außen als Wulff enttarnt aber gewiss ist er nun eher schafsähnlich ungefährlich. Denn er kann sich keinen Unfug mehr erlauben und ist – sollte er nicht wirklich etwas auf dem Kerbholz haben, das über seine Unfähigkeit, den banalen kleinen Vorteilen des Alltags zu widerstehen, hinausgeht – auch nicht mehr erschreckbar.
Ist der Ruf erst gründlich ruiniert, lebt es sich in dem Falle gerade nicht mehr ungeniert. Der Mann sollte einfach eine Weile ruhig sein, dann werden sich die Wogen glätten, sofern nichts mehr nachkommt. Wir alle werden dann zur Tagesordnung übergehen. Mit Bezug auf das Präsidentenamt ist das in Ordnung. Es ist aber nicht in Ordnung mit Bezug auf die Politik insgesamt. Das neue Rotlichtmilieu, in dem Politik und Medien sich begegnen, ist eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat von der Größe der Schuldenkrise aber weniger spektakulär und akut. Hoffen wir, dass beide Gefahren bewältigt werden können.
Die Amerikaner haben ihren Fox und wir unseren Wulff. Die anderen Demokratien werden von anderen Tieren bedroht. Politik und Dschungelcamp scheinen zunehmend gleichen Mechanismen zu unterliegen. Solange wir den Zoo nicht gegen die freie Wildbahn eintauschen müssen, ist es gut … und bislang „hät et no imme jut jejonge“. Herr Wulff muss sich wohl nicht für das nächste Camp anmelden, um seinen Promistatus zu erhalten. Der Versuchung wird er widerstehen können. Als Präsident ist er ohnehin besser denn als Insasse des Dschungel-Camps und auch besser als der Amateur, der sein Vorgänger war. Nun muss er nur noch aufhören, sich amateurhaft zu verhalten.
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Kann es sein, dass der Autor dieses Artikels sich im letzten Absatz als BAP-Fan enttarnte? „hät et noh immer joot jejange“ erinnert mich zumindest an Wolfgang Niedecken, der diesen Satz gerne benutzt 😉