Griechenland: Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?

Griechenland ist pleite. Das dürfte inzwischen auch dem letzten der zahlreichen realitätsblinden Europapolitiker klar geworden sein, die die tiefgreifende griechische Krise seit zwei Jahren beschönigt und lange als bloßes Liquiditätsproblem behandelt haben – mit immer neuen Krediten, die aber an den tieferliegenden Ursachen der griechischen Schwierigkeiten nichts geändert haben. Denn die Krise Griechenlands ist keine Liquiditätskrise, sondern eine Solvenzkrise. Vor allem aber ist das Land in den zehn Jahren, in denen es der Eurozone angehört, international völlig wettbewerbsunfähig geworden. Dagegen helfen keine Kredite, sondern nur eine drastische Währungsabwertung, die aber durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion nicht möglich ist. Deshalb wird das Land nie mehr auf einen grünen Zweig kommen, solange es in der Wechselkursfalle des Euro gefangen ist. Die sinnvollste Lösung wäre daher ein – zumindest temporärer – Austritt Griechenlands aus dem Euroraum.

Die fundamentalen Ursachen der griechischen Krise sind hausgemacht: Eine völlig verantwortungslose Finanzpolitik und überzogene Lohnsteigerungen haben zu gewaltigen Leistungsbilanzdefiziten gegenüber dem restlichen Euroraum geführt, die durch eine inzwischen untragbar gewordene Auslandsverschuldung finanziert wurden. Die diversen „Rettungspakete“, die man für Griechenland geschnürt hat (Kreditzusagen von 110 Mrd. € im Mai 2010 sowie ein zweites Kreditpaket von 109 Mrd. € im Juli 2011), haben immer nur eine kurzfristige Verschiebung der Zahlungsunfähigkeit bewirkt, ebenso wie der – durch das EZB-Statut grundsätzlich untersagte – Ankauf „toxischer“ griechischer Staatspapiere durch die Europäische Zentralbank. Auch der im Oktober 2011 vereinbarte Schuldenschnitt von 50 v.H. kann nur ein erster Schritt sein. Um Griechenlands Schuldenstand auf ein längerfristig tragbares Niveau zurückzuführen, werden weitere Schuldenerlasse unumgänglich sein; inzwischen fordert Griechenland bereits einen Verzicht der privaten Gläubiger in Höhe von 70 v.H.

Selbst wenn aber die Finanz- bzw. Liquiditätsprobleme lösbar wären, bleibt der realwirtschaftliche Kern der Krisenursachen bestehen: Die Probleme Griechenlands liegen letztlich nicht im finanziellen Bereich, d.h. in der Verhinderung der Zahlungsunfähigkeit. Vielmehr ist es die verlorene internationale Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der realen Überbewertung, die sich aus den weit über allen anderen EWU-Ländern liegenden Steigerungen der Lohnstückkosten und den daraus resultierenden Preissteigerungen ergeben hat. Diese realwirtschaftlichen Ursachen bilden den eigentlichen Kern der griechischen Krise.

Der Euro ist freilich an der „Griechenland-Krise“ selbst nicht ganz unschuldig. Vielmehr hat die Einheitswährung maßgeblich zur Explosion der Staatsdefizite beigetragen, weil sie eine Egalisierung der Zinsen bewirkt hat, die zu einer Finanzierung der Staatsausgaben ,auf Pump“˜ geradezu eingeladen hat. Zugleich war die im Maastrichter Vertrag verankerte, seinerzeit als zentrale Voraussetzung einer funktionsfähigen Währungsunion angesehene „No-Bail-Out“-Klausel (d.h. das Verbot der Mithaftung für die Staatschulden anderer EWU-Länder) von Anfang an wenig glaubwürdig. Griechenland (und andere Euro-Problemländer) haben sich offensichtlich darauf verlassen, dass im Zweifelsfall die übrigen Euro-Länder einspringen würden – wie es in der Tat dann auch gekommen ist. Schließlich hat die mit der Währungsunion verbundene unwiderrufliche Festschreibung der Wechselkurse den Euro-Länder das Instrument der Wechselkursänderung genommen, mit dem zuvor höhere Lohn- und Preissteigerungen in einzelnen Ländern kompensiert werden konnte.

Von vielen Politikern, aber auch von diversen Bankern, wird die „Rettung“ Griechenlands (und der Euro-Zone insgesamt) in einer weiteren Ausdehnung der finanzpolitischen und geldpolitischen Hilfsmaßnahmen gesehen. So wird als finanzpolitisches Allheilmittel zum einen die Einführung von Gemeinschaftsanleihen mit gesamtschuldnerischer Haftung aller Euro-Staaten (sog. Eurobonds“) verlangt. Zum anderen drängt insbesondere Frankreich seit längerem darauf, dem EFSF eine Banklizenz zu erteilen, damit dieser die von ihm angekauften Staatsanleihen der Krisenländer bei der EZB refinanzieren und sich auf diesem Wege neues Zentralbankgeld beschaffen könnte. Zudem solle die EZB eine unbegrenzte Ankaufszusage für alle Staatspapiere der Krisenländer erteilen. Diese Maßnahmen würden jedoch auf eine monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB hinauslaufen, die aus gutem Grund durch den Maastrichter Vertrag ausdrücklich verboten worden ist. Was dagegen notwendig wäre, ist eine Rückkehr zu den Grundlagen einer stabilitätsorientierten Wirtschafts- und Währungsunion, d.h. die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der „No-Bail-Out“-Klausel, echte Sanktionsmechanismen im „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ und eine strikte Respektierung der Unabhängigkeit der EZB.

Für Griechenland gibt es zu einer möglichen Wiedergewinnung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit nur zwei Wege: Entweder eine „interne Abwertung“ durch eine jahrelange Lohnzurückhaltung – die aber politisch kaum durchzuhalten und auch mit massiven Konjunktureinbrüchen verbunden wäre. Oder aber eine formelle Abwertung, die ein Ausscheiden des Landes aus der Eurozone voraussetzen würde. Das würde auf eine Währungsreform in Griechenland hinauslaufen. Alle Buchgeldguthaben wären zu einem  – möglichst überraschenden – Stichtag zwangsweise auf eine Neue Drachme (o.ä.) umzustellen. Beim Bargeld wäre der Umtausch nicht zu erzwingen, so dass Euro-Bargeld wohl noch längere Zeit als Parallelwährung umlaufen würde. Entscheidend wäre allerdings, dass sich der Wechselkurs anschließend flexibel entwickeln könnte. In der Regel wird dabei eine massive Abwertung der neuen Währung gegenüber dem Euro erwartet. Das wäre nun genau die Wirkung, die Griechenland helfen könnte, aus der Wechselkursfalle des Euro herauszukommen. Importe würden teurer, Exporte billiger. Selbst wenn das Land keine nennenswerte Industrie besitzt, würde sich  die Wettbewerbssituation  in einigen wichtigen Bereichen (landwirtschaftliche Produkte, Tourismus) verbessern. Griechenlands  strukturelle Probleme würden damit zwar nicht schlagartig gelöst, aber eher lösbar.

Dass Griechenland bei einem Euro-Austritt schmerzhafte Anpassungsprozesse durchzumachen hätte, ist unbestreitbar. Ob diese aber schlimmer wären als die Fortführung der bisher erzwungenen Sparpolitik, lässt sich bezweifeln. Katastrophenszenarien von einem Zusammenbruch griechischer Banken, wie sie in der internationalen Bankenszene  beschworen werden, vernachlässigen, dass die EZB in  einem solchen Fall bereitstehen würde, die Banken zu stützen. Auf Hilfe von außen wird Griechenland auch bei einem Euro-Austritt angewiesen sein – aber das ist das Land ebenso bei einem Verbleiben im Euro. Und die angeblichen „Kollateralschäden“ für das Bankensystem im gesamten Euroraum, die bei einem Austritt Griechenlands vielfach beschworen werden, sind zwar keineswegs Risiken, die man kleinreden sollte. Aber man muss diesem Szenario auch die Alternativkosten gegenüberstellen, die bei einer jahrelangen Fortführung weiterer Rettungsaktionen zugunsten Griechenlands (und ggfs. der anderen Problemländer) für die übrigen Euro-Länder und ihre Bankensysteme entstehen werden. Und die behaupteten negativen  Ansteckungseffekte auf andere Problemländer (Portugal, Irland, Spanien, Italien) sind zwar nicht auszuschließen; ebenso könnten sich aber auch positive Ansteckungseffekte ergeben, da das nicht mehr auszuschließende Risiko eines Euro-Austritts (ggfs. sogar eines Euro-Ausschlusses) die betreffenden Politiker der Problemländer beflügeln könnte, unvermeidliche Sanierungsschritte konsequenter anzugehen und durchzusetzen.

Allfällige Behauptungen, dass ein Euro-Austritt Griechenlands die Krise weiter verschärfen würde,  spiegeln nicht nur die Eigeninteressen von Politikern, die ein Ausscheiden Griechenlands als Eingeständnis eigener Fehlentscheidungen in der Vergangenheit betrachten müssten. Sie entsprechen offenkundig auch den Interessen des Bankensektors, dem die Folgen eine Fortführung der Rettungsschirm-Politik mit umfangreicher Staatsbeteiligung kalkulierbarer und eher verkraftbar erscheinen als die Konsequenzen eines griechischen Austritts.

Letztlich gibt es für das griechische Problem keine billige Lösung. Kosten entstehen in beiden Fällen, und zwar für Griechenland ebenso wie für den restlichen Euroraum. Entscheidend ist aber, welche Lösungsalternative mit den geringeren Kosten – vor allem aber mit den größeren Nutzen – einhergeht. Ein Austritt eröffnet für Griechenland zumindest die Chance, wieder auf einen grünen Zweig zu kommen – und für den Euroraum die Chance, dass nicht immer wieder neue Rettungspakete gezimmert werden müssen, mit denen letztlich nur an Symptomen herum kuriert wird. Ein Ende mit Schrecken wäre deshalb für Griechenland und den Euro besser als ein Schrecken ohne Ende.

 

5 Antworten auf „Griechenland: Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?“

  1. Es ist schon wieder das alte Problem:
    Wenn man sich einmal für eine Geldordnung entschieden hat, muss man deren Regeln konsequent durchhalten, ob es nun einem ordnungspolitisch passt, oder nicht.
    Kenner der Literatur werden den damit verbundenen – und von den Beteiligten erwarteten – Auftrag für eine unbedingte Aufrechterhaltung des Finanz- und Bankensystems (Lender of Last Resort) anerkennen: Und nicht erst seit dem Jackson Hole Consensus, sondern seit dem 19. Jahrhundert.

    Der Glaube, dass ein Zentralbanksystem ohne diese Funktion auskommen kann, ist eine Fata Morgana.

    Und daher stellt bereits die EZB ausreichende Instrumente und Mittel zur Vefügung.

    Aber wollen Sie wirklich jetzt noch einmal den „slow motion bank run“ anheizen und zulassen, dass er sich auf andere Staaten überträgt?

  2. Die soeben in Griechenland veröffentlichte „Liste der Schande“ zeigt an, dass die griechische Verwaltung unfähig ist, effizient Steuern einzutreiben. Diese Hilflosigkeit ist ja kaum noch überbietbar. Ich plädiere mit Nachdruck dafür, mit diesen Leute keine gemeinsame Währung und keine gemeinsame EZB zu haben. Alles andere halte ich für Pfusch und Hudelei.

  3. Pingback: buzz

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