Es ist klug, sich auf den baldigen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ökonomisch und politisch vorzubereiten. Es ist gut, daß man dies inzwischen nüchtern feststellen und fordern kann, ohne daß man der Europafeindlichkeit verdächtigt wird. Es ist rational, nicht zu erwarten, daß die Exit-Option aus der Euro-Zone allein bei Griechenland hängenbleibt. Es ist vielmehr weitsichtig, davon auszugehen, daß weitere Krisenländer über kurz oder lang Griechenland folgen werden. Es ist deshalb vernünftig, für die mittlere und längere Frist zu erwarten, daß die Euro-Zone zusammenschrumpft auf einen Kern von Mitgliedern, die willens und in der Lage sind, die notwendigen Regeln für eine funktionsfähige Euro-Währungsunion zu erfüllen.  Es wäre erfreulich, diese Entwicklung nicht als Schwächung, sondern im Gegenteil als Stärkung des verbleibenden Euro-Währungsclubs zu klassifizieren. Es ist deshalb sachdienlich zu erkennen, daß ein solcher Euro dann überhaupt keinen „Rettungsschirm“ welcher Art auch immer benötigt. Schließlich ist es ehrlich zuzugestehen, daß – wie die Erfahrung seit der Euro-Einführung 1999 zeigt – politischer Währungskonstruktivismus gegen marktliche Fundamentalprinzipien nicht erfolgreich ist: in der Vergangenheit nicht, heute nicht, zukünftig nicht.
Spätestens seit den Wahlen in Frankreich zeigt sich aber, daß dieser Konstruktivismus flächendeckend politischen Aufwind bekommt: Europa wird sozialistischer und entfernt sich zunehmend von den ordnungspolitischen Grundsätzen der Stabilität. Verkettungseffekte des ökonomischen Denkens offenbaren sich transnational: Die Renaissance Keynes-affiner Theoriegebäude, denen sich insbesondere Frankreich traditionell verbunden fühlt, blüht und schwappt grenzüberschreitend – auch aus den USA – in die politischen Konstruktionsbüros der institutionellen Euro-Retter. Neben den Rettungsschirmen und Brandmauern zum sogenannten Euro-Schutz gegen unerwünschte Spekulanten sei mehr Binnennachfrage  in den Euro-Krisenländern vonnöten, um deren Rezession zu begegnen, aber auch in Deutschland, damit es die Funktion der europäischen Konjunkturlokomotive – mit einem Fiskalmultiplikator von angeblich weit über 1 – erfüllt. Dem würden auch kräftige Lohnsteigerungen über die Produktivitätsentwicklung hinaus dienen, denn diese schwächen ja „zum Wohle der Krisenländer“ die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, weil der für sie „schädliche“ deutsche Außenhandelsüberschuß abgebaut würde.
Dieser marktferne Euro-Konstruktivismus generiert die krisenbedingte Neuauflage der Nachfragepolitik: Expansive Fiskalpolitik sei gefordert, finanziert über zusätzliche Staatsschulden bei monetärer Akkomodierung ohne Limit durch das System Europäischer Zentralbanken. Gute Regeln der Geldpolitik, wie sie so erfolgreich, auch und gerade in Währungskrisen, von der Deutschen Bundesbank jahrzehntelang praktiziert wurden und heute im Zentralbankrat der EZB nur noch ein müdes Lächeln erzeugen, sind suspendiert: Die Geldpolitik der EZB verwischt die Abgrenzung zur Fiskalpolitik, der Geldwert hat seine Priorität verloren. Zwei fundamentale Tabubrüche mit – das ist gewiß – verheerenden Langfristfolgen: Inflation bei steigenden Zinsen. Die EZB – wie übrigens auch die amerikanische FED – verhehlt nicht, daß es so kommt, im Gegenteil: Sie annonciert (halb)öffentlich, daß Zukunftsinflation entstehen wird, um bewußt Inflationserwartungen für morgen zu erzeugen, damit heute im Vorzieheffekt mehr Nachfrage der Konsumenten und Investoren  entsteht. Eine solche Strategie hülfe den Krisenländern heute, aber morgen werde man zur Stabilitätsorientierung zurückkehren. Versprochen!
Das politische Festhalten am Euro-Konstruktivismus soll also mit höherer Inflation erkauft werden. Das ist der Preis, den die Euro-Bürger zahlen sollen für den politischen Irrtum, die fundamentalen Strukturprobleme der Krisenländer, die die Euro-Zone so heterogen und deshalb instabil machen, mit rettungsschirmgestützter makroorientierter Nachfragepolitik zu bekämpfen, anstatt mit wachstumsstimulierender mikroorientierter Angebotspolitik zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit beizutragen.
Zu Letzterem benötigt zum Beispiel Griechenland – unter den jetzigen Bedingungen des für das Land überbewerteten Euro – wohl 10 bis 20 Jahre. Der Austritt aus der Euro-Zone mit der wiedergewonnenen Souveränität über die eigene Politik einer abgewerteten neuen Drachme, die das Land von der ökonomischen Binnenorientierung auf die außenwirtschaftliche Integration in die internationale Arbeitsteilung ausrichtet und verbunden ist mit wachstumsorientierter Angebotspolitik und Strukturhilfen von außen, könnte diese Zeitspanne signifikant verkürzen. Cum grano salis gilt dies  für die meisten Euro-Krisenländer: Sie würden besser außerhalb der Euro-Zone wechselkurssouverän und angebotsorientiert wettbewerbsfähig werden. Rettungsschirme und Binnenmarktorientierung, die die außenwirtschaftliche Bewertung der ökonomischen Performance der Krisenländer über die Marktindikatoren Risikoprämie und Wechselkurs ausschalten und durch politisch genehme Bewertungen ersetzen sollen, also falsche Signale aussenden, sind deshalb ein Irrweg, der keine Währungsunion dauerhaft „rettet“. Und dies schon gar nicht, wenn diese Politik verbunden ist mit Transfermechanismen der Umverteilung, deren Ausmaß unter der politisch erzwungenen Überschrift „Solidarität“ die Euro-Bürger der Zahlerländer heute und zukünftig  überfordert.
Da nun aber Europa sozialistischer wird, verhärtet sich wohl die polit-ideologische Sperre gegen diese erfahrungsträchtige Erkenntnis. Zu befürchten ist, daß die Macht der Mehrheit in den Euro(pa)-politischen Entscheidungsgremien der grenzenlos  akkomodierenden Geldpolitik, der Rettungsschirmphilosophie, der Nachfragesteuerung, der Inflationsproduktion, der Schuldenvergemeinschaftung (über Euro-Bonds und Schuldentilgungsfonds) und der politischen Abschottung von marktgesteuerten Risikoprämien und Wechselkursen weiterhin und  verstärkt Raum geben wird.
Da stellt sich die Frage nach der deutschen Position. Im EZB-Rat kämpft der Bundesbankpräsident offensichtlich vergeblich gegen die geldpolitischen Tabubrüche durch die Mehrheitsmacht der Krisenländer. In der Kommission wird zwar der Plan B des Euro-Austritts Griechenlands konzeptionell durchgespielt, aber dennoch alles unternommen, damit es nicht dazu kommt. Im Rat will der französische Präsident die angebliche Dominanz deutscher Stabilitätsvorstellungen brechen. Der deutsche Finanzminister wird, so die Erfahrung, nicht wesentlich Widerstand leisten.
Wird die Bundeskanzlerin die Stärke besitzen einzugestehen, daß Europa nicht „scheitert, wenn der Euro scheitert“, wenn also Griechenland und andere Krisenländer die Euro-Zone verlassen und dadurch sowohl sich selbst als auch der Euro-Zone einen befreienden Dienst der ökonomischen Belebung erweisen? Und daß, wie die Währungshistorie lehrt, politischer Zusammenbruchsalarmismus fehl am Platze ist, wenn sich Länder von spezifischen Wechselkursarrangements lösen und die daraus resultierenden negativen Verkettungseffekte im Vorhinein – zumeist politisch und ökonomisch bewußt interessegeleitet – übertrieben kalkuliert werden? Kann die Erkenntnis Raum greifen, daß der Euro nicht gescheitert ist, wenn er die gemeinsame Währung einer gesundgeschrumpften Euro-Zone repräsentiert, deren Währung deshalb stark ist, weil die Mitglieder in Wirtschaftsstruktur und Stabilitätskultur einigermaßen homogen sind? Und wenn die Chance offengehalten wird, daß das Ausscheiden eines Landes aus dem Währungsclub keinen Ewigkeitscharakter hat, sondern immer auch die Wiedereintrittschance offenhält, wenn das Land die Eintritts- und Stabilitätsbedingungen wieder zu erfüllen fähig und willens ist? Das entspricht dann natürlich nicht der überhöhten Rhetorik der Währungsunion als „Schicksalsgemeinschaft“, sondern der nüchternen Bezeichnung als Währungsclub, der den Mitgliedern Nutzen stiftet. So nüchtern sehen es ja zum Beispiel auch Dänemark, Großbritannien, Schweden und andere EU-Mitglieder.
Trotz oder gerade wegen der schleichenden Expansion sozialistischer Politikarrangements in Europa sollte jedenfalls die Erfahrung lehren:Â Im Machtspiel zwischen Politik und Markt zieht die Politik längerfristig stets den Kürzeren, wenn sie ihre konstruktivistischen Desiderata gegen die Bewertungskraft der Märkte durchzusetzen versucht.
- Ordnungsruf
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Zum Glück oder leider ist es ganz richtig. Die Euro-Zone wird sich gesundschrumpfen müssen. Und in ihren neuen, gesundgeschrumpfenen Form wird sie einfach BRD heißen…Weil es am Ende in Europa nur Einen geben kann:
http://erroresgraecorum.wordpress.com/2012/02/25/warum-muss-ich-fur-die-griechen-zahlen/
Warum aber diejenigen die es schon vor 2 Jahren forderten, europafeindlich gewesen sein sollen erschließt sich mir nicht. Warum man auch als Politiker den Vertrag von Lissabon de facto einfach so brechen kann, fällt bei mir auch unter nicht „verständlich“.
Was auch nicht verständlich ist. Warum wurde der Vertrag als Einbahnstraße ausgelegt? In jedem Vertrag werden normalerweise Rechten und Pflichten geregelt und auch unter welchen Umständen man „aussteigen“ kann. Wieso gibt es so etwas selbstverständliches nicht im EU Recht?
Ganz im Ernst?
Ist natürlich umgekehrt eine Tatsache, dass sich Großfinanz-/industrien die etablierten Parteien in allen wichtigen industrialisierten Ländern schon lange und unumkehrbar gekauft und durch eine postdemokratische Lobbykratie ersetzt haben. Heraus gekommen ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die durch einseitige Subventions- und Steuerpolitik Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert. Fehlentwicklung werden nur gerade ausreichend korrigiert, um möglichst keine Wahlen zu verlieren.
Daher ist der Keim für die nächste noch verheerendere Krise bereits gelegt. Es wird weiter munter „am großen Rad gedreht“ und darauf vertraut, dass bei der nächsten platzenden Blase wieder diejenigen Steuerzahler, die sich vorm Fiskus nicht arm rechnen können und überhaupt noch zu versteuernde Einkommen erzielen, zahlen werden mit Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit. Was wird nur sein, wenn die Leute dann nicht mehr mitziehen? Was, wenn die Menschen meinen, „wenn solch eine Wirtschaftsordnung zunehmend ohne Demokratie auskommt, vielleicht sollten wir das auch?! Denn sie hat ein Wirtschaftsordnung ermöglicht, die immer mehr von uns herausdrängt, Umweltzerstörung nicht eindämmt und Sklaverei wieder fördert.“
Dass hier mit einer gewissen Larmoyanz fest gestellt wird, Europa werde immer „sozialistischer“, halte ich für grotesk und lächerlich. Wenn in Europa nach 30 Jahren unangefochtener neoklassischer Politik eine Gegenbewegung ensteht, dann ist dass nur logisch, überfällig und gut für Europa.
Wann hatte Deutschland zuletzt einen wenigstens ausgeglichenen Bundeshaushalt? Richtig, ich kann mich auch nicht auf Anhieb daran erinnern. Weil es verdammt lange her ist. Nicht einmal in absoluten Boomzeiten. Und solch ein Land, ausgerechnet solch eines, will sich dazu aufschwingen, anderen Ländern zu sagen, dass und wie sie „sparen“ sollen? Ebenfalls grotesk und lächerlich!
Glaubt man hier wirklich, dass es bei dem Casus Griechenland bleiben wird und alles wird gut nach deren „gerechten“ Austritt? Doch nicht im Ernst? Griechenland ist die Spitze des Eisbergs und da seit 2008 nichts nachhaltiges gegen diese selbstverschuldete Europakrise getan wurde. Bei dieser Gelegenheit sage ich denjenigen, die sich darüber beklagen, dass Griechenland sich „nur“ durch gefälschte Zahlen den Eintritt in die Eurozone ergaunert habe: Zum Bescheißen gehören immer Zwei. Einer, der bescheißt und Einer, der sich bescheißen lässt.
Ich sage voraus, dass unsere „ach so glorreichen“ Exportüberschüsse nach und nach ersatzlos wegbrechen werden. Der Niedergang hat schon längst begonnen. Ferner stehen wir weltweit vor einer langanhaltenden Rezession, gegen die die „Euro- und „Schuldenkrise“ nur als Randgeschehen erscheinen werden.
Was hat dann noch die behäbige und selbstzufriedene, rechtssoziale Koalition, quer durch alle Fraktionen von CDSU, SPD, Grüne und FDP gebildet, an „Rezepten“ vorzuweisen? Ich fürchte, noch viel weniger, als sie jetzt zu Aufschwung und Wohlstand beiträgt.
Das alles klingt hier, wie das brave Wiederkäuen von von Vorlesepulten heruntergebeteten Leersätzen. Sollte DAS alles sein, was noch aus Unis hervorkommt? Dann wundert mich endgültig nicht mehr viel!
Es ist das typische, auf kurzfristige Entwicklungen eingeengte Wahrnehmen von Prozessen. Wenn es so weiterläuft, werden Gesellschaften auseinanderfallen und mit ihnen vielleicht auch wieder parlamentarische Demokratien. Irgendwas sagt mir, dass diejenigen Kreise, die von der derzeitigen Situation profitieren, auch davon profitieren werden.
@drulli: in einigen punkten kann ihnen durchaus nicht widersprochen werden. ich behaupte, dass auch viele punkte, die sie vorbringen nicht dem o.g. artikel entgegenstehen. es gibt aber eben nicht nur marktversagen, sondern auch politikversagen. die neue politische ökonomik lehrt dies durchaus den studenten. politiker sind auch nur egoistische nutzenmaximierer, die nicht das gemeinwohl oder andere altruistische motive verfolgen, sondern selbst wahlsiege, raffgier & egozentrische selbstdarstellung in TV&printmedien als ziel haben.
die soziale marktwirtschft im sinne von ludwig ehrhard & co. gibt es schon seit jahrzehnten nicht mehr. das instrument der staatsverschuldung wurde zuoft mißbraucht, um das dumme wahlvolk zu schmieren…das sieht auch die mainstream-ökonomie nicht anders…
natürlich hat hr. schäfer recht, wenn er feststellt, dass europa immer mehr sozialistischer wird. alles politische handeln zielt doch nur darauf ab, die politik als retter darzustellen. und dies ist sie nunmal nicht. die politik weiß auch nicht alles besser, als die akteure am markt. sie wollen es aber dem dummen volke weißmachen.die politiker sind das problem…
sozialismus -wie zb in der DDR – hat gezeigt, dass der staat nicht verantwortungsvoll und nachhaltig mit knappen ressourcen umgeht.die mainstream-ökonomie hat aber genau das ziel, geeignete konzepte zu entwickeln, um nachhaltig zu wirtschaften. die gewinnorientierung müssen sie den BWL-lern anlasten. sie sind es, die in unternehmen gewinnmaximale maßnahmen ergreifen….
es führt für griechenland kein weg an einem austritt vorbei.die ökonomischen zwänge lassen gar keine andere lösung zu.es sei denn man unterbindet wie so oft die ökonomischen grundgesetzmäßigkeiten mit viel steuergeld und subventioniert das land bis in alle ewigkeit.dies führt dann dazu, wie sie richtig bemerken, dass dtl. seine wettbewerbsfähigkeit verlieren wird. und dies wiederum zeigt sich in sinkenden exportüberschüssen. aber was nützen uns exportüberschüsse?da sie einem betragsmäßig gleichen kapitalexport entsprechen, haben wir als volkswirtschaft nix davon, wenn das kapital nicht zurückkommt…dann haben wir unsere produkte verschenkt.
Verantwortlich für alle „finanzwirtschaftlichen“ Desaster waren und sind allein und ausschließlich Staaten mit ihren Notenbanken.
@xRatio: was meinen sie denn mit „finanzwirtschaftliche desaster“. die finanzwirtschaft jedenfalls ist ein forschungsgebiet der bwl. finanzwirtschaftliche probleme betreffen somit vorrangig unternehmen. in der zweiten satzhälfte gehts plötzlich um staaten & notenbanken. das ist eher vwl….was soll uns also ihr satz sagen?ist er gar eine binsenweisheit?
immerhin stehen sowohl bei staaten als auch bei notenbanken individuen an der spitze. diese individuen treffen entscheidungen, entsprechend ihrer präferenzen. in der politik werden aus individual- eher gruppenpräferenzen aus denen sich dann wiederum politische entscheidungen ableiten.
am ende steht nun mal der dumme wähler, der sich schmieren läßt und alles absegnet. der dumme wähler wählt selbst seinen untergang, weil er sich nicht richtig informiert und informationsasymmetrien selbst abbaut.