Einfach nicht einfach
Zerfällt der Euro?

„Deutschland muss aus dem Euro austreten“ (Jens Ehrhardt, Vermögensverwalter und Fondsmanager)

Dem Euro steht das Wasser bis zum Hals. Die Gefahr ist groß, dass er in Geld ertrinkt. Das eigentliche Problem ist ungelöst: Multiples „moral hazard“. Banken-, Staatsschulden- und Wettbewerbskrisen schwelen weiter. Alle Versuche, den Euro mit Geld zu retten, sind kläglich gescheitert. Bald stehen die fiskalischen Retter selbst am Rand des finanziellen Abgrundes. Und unter den zu Rettenden macht sich „Gläubigerhass“ breit. Nun soll die EZB die Kastanien aus dem Feuer holen. Dieser Plan ist zum Scheitern verurteilt. Reale Probleme lassen sich nicht monetär lösen. Es ist ein riskantes Spiel mit dem inflationären Feuer. Kein Wunder, dass immer öfter gefragt wird, ob es nicht sinnvoll sei, die Europäische Währungsunion gesund zu schrumpfen. Damit könne der währungspolitische Kern erhalten und die reale Integration in Europa gerettet werden.

Beinharter Verteilungskampf

Eigentlich liegt die Lösung der Krise auf der Hand. Fallen Handlung und Haftung zusammen, hat „moral hazard“ keine Chance. Dieses ordnungspolitische Prinzip war der Kern von Maastricht. Die „No Bail Out-Klausel“ dokumentierte es. Damit war aber auch klar, wie die Lasten asymmetrischer Schocks getragen werden sollten: asymmetrisch. Die realen Probleme in Griechenland sollten  in Athen gelöst werden, nicht in Berlin, nicht in Frankfurt und auch nicht in Brüssel. Austerität und Strukturreformen sind probate Mittel. Fiskalische und monetäre Rettungsschirme waren nicht vorgesehen. Die Existenz „systemrelevanter“ Finanzinstitute machte einen Strich durch diese einfache Rechnung. Die Angst vor Ansteckung und das Machtinteresse der EU-Kommission führten die Rettungseuropäer auf die abschüssige Bahn einer zentralistischen Haftungsunion.

Mit der ersten Griechenland-Hilfe und den fiskalischen Rettungsschirmen wurde die Haftungs- und Verteilungsregel von Maastricht außer Kraft gesetzt. Nun fallen Handlung und Haftung auseinander. Die Lasten der Anpassung an asymmetrische Schocks werden „symmetrisch“ getragen. Mit dem ESFS wurde die Haftungs- und Verteilungsregel temporär geändert. Der geplante ESM soll die Änderung dauerhaft festschreiben.  Der Widerstand der Steuerbürger in den Rettungsländern, die Stimmung der Bürger in den Krisenländern und die Interessen der Finanzindustrie verstärken den Druck der Politik auf die EZB. Eine Club Med-Mehrheit im EZB-Rat öffnet die Geldschleusen. Die Lasten werden nicht mehr verursacheradäquat angelastet, sondern durchfinanziert. Target2-Salden und Aufkauf von Staatspapieren sind Fingerabdrücke monetärer Staatsfinanzierung.

Das ist allerdings nur ein Vorgeschmack auf die Zukunft. Die Haftungs- und Verteilungsregel soll grundlegend geändert werden. Der irre Gedanke ist, die EWU über eine Banken- und Fiskalunion zu einer Politischen Union weiter zu entwickeln und damit den Euro zu retten. Die reicheren (nördlichen) Geberländer müssen ärmere (südliche) Nehmerländer dauerhaft über Transfers fiskalisch alimentieren. Handlung und Haftung fallen endgültig auseinander, „moral hazard“ wird Tür und Tor geöffnet. Das Berlin-Bremen-Saarland-Modell des deutschen Länderfinanzausgleichs wird auf Europa übertragen. Eine Horrorvorstellung. Systeme dieses kooperativen fiskalischen Föderalismus zeichnen sich durch hohe staatliche Schulden, niedrige Wachstums- und hohe Arbeitslosigkeitsraten aus. Das wird dem europäischen Wohlstand einen schweren Schlag versetzen.

Die Peripherie steigt aus

Es ist im ureigenen deutschen Interesse, dieser Umverteilung einen Riegel vorzuschieben. Die Hoffnung allerdings, dass die wackelnde Peripherie aussteigt, wird sich nicht erfüllen. Eine eigene Währung, die sich abwertet, ist kein Wundermittel, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert sich nur, wenn die steigenden Preise, die mit einer Abwertung einhergehen, auch zu niedrigeren realen Lohnstückkosten führen. Der gegenwärtig heftige Widerstand gegen Austerität und Strukturreformen lässt nicht viel Hoffnung, dass dies bei einer eigenen Währung besser gelingen könnte. Die historische Erfahrung zeigt, dass Abwertungen fast immer zu einer Preis-Lohn-Preis-Spirale führen. International wettbewerbsfähiger werden die Länder zumeist nicht. (Hyper)Inflation und steigende Arbeitslosigkeit markieren diesen stagflationären Weg.

Entfällt der „positive“ Effekt einer Abwertung, bleiben potentiellen Austrittsländern fast nur noch Unannehmlichkeiten. Öffentliche und private Kredite, die in Euro denominiert sind, werden notleidend. Die Staaten der Peripherie sind endgültig pleite. Ein Sturm auf die Banken ist unvermeidlich, Bankzusammenbrüche lassen sich nicht mehr verhindern. (Temporäre) Kapitalverkehrskontrollen sind notwendig, um eine massive Kapitalflucht zu verhindern. Vor allem aber entfallen die anhaltenden Transfers über fiskalische und monetäre Rettungsschirme. Mit den Defiziten in der Leistungsbilanz verschwindet auch die Möglichkeit, auf Kosten des Auslandes zu leben und mehr Güter zu importieren als zu exportieren. Ein einmaliger Gewinn fällt allerdings für die Peripherie an: Die Verbindlichkeiten aus den „Target2-Salden“ können ausgebucht werden.

Ein Stopp des anhaltenden Transfers von Vermögen aus dem Norden in den Süden lässt sich nur verwirklichen, wenn die „Retterei“ ein Ende hat. Das ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich. Zwar wird der Widerstand der Steuerbürger in den Geberländern zunehmen. Die Angst vor der eigenen Pleite und das Pochen auf die nationale Souveränität werden verhindern, dass die fiskalischen Rettungsschirme größer werden. Es war ein schweres Oppositionsversagen, dass Rot-Grün den ESM von Schwarz-Gelb durchgewunken hat. Das Problem der monetären Rettungsschirme bleibt allerdings. In der EZB werden sich die klaren Mehrheitsverhältnisse der „Rettungseuropäer“ nicht ändern. Deutschland sitzt in der geldpolitischen Falle. Der Dobrindt-Vorstoß ist ein Versuch, aus der Falle zu kommen und Pleite-Länder rauszuschmeißen. Erfolgreich wird er wohl nicht sein, noch nicht.

Das Zentrum verlässt die EWU

Auch die monetären Rettungsaktionen der EZB stoßen an Grenzen der Akzeptanz der Bürger der Länder des wirtschaftlich noch starken europäischen Zentrums. Sie könnten die monetäre Notbremse ziehen, wenn sie erwarten, dass die immer abenteuerlicheren geldpolitischen Manöver einen drastischen internen und externen Wertverlust des Euro auslösen. Dabei sind drei Varianten denkbar. Die europäischen Kernländer können den schwer beschädigten Euro verlassen und wieder ihre eigene nationale Währung einführen. Es ist aber auch denkbar, dass sie die EWU nicht abschaffen, sondern zunächst nur nationale Währungen als Parallelwährungen zum Euro installieren. Schließlich können sie eine neue Währung für einen kleineren, wirtschaftlich homogeneren Kreis von Ländern einführen. In allen Fällen wäre die Umverteilung von Nord nach Süd über den monetären Kanal gestoppt.

Tritt Deutschland aus der EWU aus, ist Schluss mit der Umverteilung zugunsten der Peripherie. Es ist nicht mehr möglich, Deutschland auszunehmen wie eine Weihnachtsgans (Richard Sulik). Billig ist dieser Schritt allerdings nicht. Die Kosten liegen nicht in einem Sturm auf die Bankschalter, drastischer Kapitalflucht und Bankpleiten. Das Gegenteil ist der Fall. Kapital strömt im Überfluss nach Deutschland. Es drohen Verhältnisse wie in der Schweiz. Kosten entstehen anderswo: Die Bundesbank muss ihre Forderungen im Target2-System anteilig abschreiben. Tatsächlich handelt es sich allerdings um „Eh futsch-Kosten“. Ein Teil des deutschen Nettoauslandsvermögens steht längst nur noch auf dem Papier. Die Arbeit war für die Katz. Wir haben unsere Güter an die europäische Peripherie verschenkt. Es hat aber auch sein Gutes: Mit dem Austritt hat das Fass wieder einen Boden.

Da die Fußkranken die neue Währung nicht mehr belasten, würde sie mehr oder weniger stark aufwerten. Das ist zwar für alle von Vorteil, die Netto-Schuldner gegenüber dem Ausland sind. Allerdings leiden Banken und Unternehmen mit einer Netto-Gläubiger-Position. Am stärksten negativ betroffen dürften deutsche Exporteure und inländische Konkurrenten importierter Güter sein. Das ist zwar bedauerlich, verringert aber die Subventionen und korrigiert Fehlallokationen durch den unterbewerteten Euro. Die internationale Kritik am deutschen Merkantilismus hätte ein Ende. Allerdings ist die Befürchtung verfrüht, ein deutscher Austritt bedeute das Ende der EWU. Ein „moral hazard“ zu Lasten Deutschlands ist nicht mehr möglich. Die Anreize einer angebotsseitigen Reform sind größer als je zuvor. Das sind gute Voraussetzungen für eine stabile Rest-Währungsunion.

Währungspolitischer Zerfall

Die kontroverse Diskussion über die Nutzen-Kosten-Bilanz eines deutschen Austritts aus der EWU ist in vollem Gange. Eine eindeutige Antwort steht noch aus. Es ist allerdings müßig darüber zu spekulieren, ob es für Deutschland ökonomisch vorteilhaft ist, die EWU zu verlassen oder nicht. Der Euro ist hierzulande Staatsräson. Warum das so ist, hat wohl auch mit „historischen Verpflichtungen“ zu tun. Es spricht vieles dafür, dass Deutschland nicht den ersten Schritt tun wird und die EWU verlässt. Die historische Erfahrung zeigt, Währungsunionen zerbröseln an den Rändern. Dabei sind es nicht die wirtschaftlich chronisch Fußkranken, die als Erste die gemeinsame Währung aufgeben. Die Kosten eines solchen Schrittes übersteigen den Nutzen bei weitem. Es sind vor allem die kleineren, reicheren Länder, die zuerst die Nase voll haben und die Währungsunion verlassen.

Dass ihnen der Geduldsfaden oft zuerst reißt, ist leicht zu erklären. Zum einen können es sich kleinere, wirtschaftlich gesunde Mitglieder leisten, aus einer Währungsunion auszusteigen. Sie sind fiskalisch stark, international wettbewerbsfähig und weniger tolerant gegenüber inflationären Entwicklungen. Ein Ausstieg wirft sie wirtschaftlich nicht um, die Auswirkungen auf andere halten sich in engen Grenzen. Zum anderen haben sie auch die Anreize, den währungspolitischen Ausstieg zu wagen. Sie zählen zu den Nettozahlern der finanziellen Umverteilung zugunsten der wirtschaftlich Fußkranken. Fast immer sind sie an der Spitze der finanziellen Umverteilungslasten pro Kopf. Es ist deshalb kein Zufall, dass Länder wie Finnland, die Niederlande und Österreich zu den stärksten Kritikern der fiskalischen und monetären Rettungspolitik in der EWU zählen.

Kommt aber der Erosionsprozess erst einmal in Gang, ist das Ende der Währungsunion nicht mehr weit. Der Mechanismus der „adversen Selektion“ schlägt zu: Immer mehr Geberländer scheiden aus. Steigen wirtschaftlich potentere Länder aus, müssen die verbliebenen stärkeren Mitglieder größere Lasten tragen. Damit verändert sich die Kosten-Nutzen-Bilanz der Mitgliedschaft in der EWU der noch verbliebenen Geberländer. Ihre Anreize steigen, der Währungsunion den Rücken zu kehren. Der Zerfall der Währungsunion ist beschlossene Sache, wenn größere Länder fiskalisch notleidend werden. Dann ist auch nicht mehr auszuschließen, dass die Kosten-Nutzen-Bilanz größerer Geberländer negativ wird. Ein Antrag Italiens auf Rettungsmilliarden wäre das Ende der EWU. Dann würde wohl auch Deutschland das hirnrissige währungspolitische Experiment beenden (müssen).

Fazit

Die EWU lässt sich nur schwer gesundschrumpfen, ohne dass der Prozess außer Kontrolle gerät. Deshalb wird immer öfter die Meinung vertreten, der Euro ist nur zu retten, wenn Deutschland austritt. Nur dann lässt sich der Teufelskreis stoppen, an dessen Ende die EWU und die ganze EU in Trümmern liegen. Bleibt Deutschland im Boot, überlebt der Kern der Währungsunion nur, wenn notleidende periphere Mitglieder (temporär) ausscheiden. Die EWU wird wirtschaftlich homogener, „moral hazard“ geringer, der Teufelskreis durchbrochen. Das hat die Politik noch immer nicht begriffen. Sie fordert eine Renaissance des Politischen. Die Debatte um Europa dürfe nicht den ökonomischen Materialisten überlassen werden (Armin Laschet und Steffen Kampeter). Es wäre vernünftiger, die Politik würde endlich erkennen, welches Unheil die Dominanz des Politischen über das Ökonomische schon angerichtet hat und welches Leid künftigen Generationen zugefügt wird.

4 Antworten auf „Einfach nicht einfach
Zerfällt der Euro?

  1. ich frage mich schon seit langem, wann jens weidmann endlich die notbremse zieht, und die mitarbeit in jeglichen ewu-gremien verweigert. das wäre m.e. für uns in D das beste, was wir kurzfristig machen könnten. der euro wäre über nacht am ende. moral hazard zu lasten von D wäre auch sofort unterbunden. ökonomische horrorszenarien, die mit einer neuen nationalen währung einhergingen, sind politiker-müll-geschwafel….
    politiker sollten endlich auch mal fehler zugeben. der euro war aus heutiger sicht solch ein fehler….also weg damit….so könnte man zwei schritte zurückgehen, um dann in ein paar jahren wieder drei nach vorn zu gehen…

    ich frage mich zudem, wieso jens weidmann mit frau merkel telefoniert, und sie mit ihm über seine rücktrittsdrohung spricht?was hat die politik hier überhaupt mitzureden?wieso schlagen politiker den kandidaten für den posten des bundesbankpräsidenten vor? sollte die buba nicht politisch unabhängig sein???

    wenn es so weitergeht, wie wir es momentan täglich mitbekommen, werden wir in naher zukunft eine natürliche ökonomische lösung des problems sehen. sobald unser geld, also in euro denominiert, eine seiner 3 eigenschaften verliert (wertaufbewahrungsfunktion, zahlungsmittelfunktion, recheneinheit), wird ein neues geld erwachsen, das wieder alle 3 funktionen erfüllt. wie wäre es mit währungswettbewerb??siehe von hayek….

  2. Wenn der „Chefökonom“ Heiner Flassbeck seine Meinung um 180 Grad ändert und vorschlägt, den Euro aufzugeben und in Europa zu nationalen Währungen zurückzukehren, ist es höchste Zeit, dass ich meine nachhaltig euroskeptische Haltung überdenke. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass wir in den letzten 20 Jahren mal einer Meinung waren.

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