Von der Finanzkrise in die Staatswirtschaft?

Gegenwärtig rätseln die Auguren, wann wir aus der globalen Wirtschaftskrise herauskommen werden. Langfristig wichtiger ist allerdings die Frage, wie wir aus der Krise herauskommen werden – mit einer gestärkten oder einer geschwächten Marktwirtschaft.

Sorgen um die Marktwirtschaft kommen auf, wenn man sich all die Deutschland- und Rettungsfonds, die Verstaatlichungsgesetze, die Rettungsschirme, die Staatsbürgerschaften und vieles anderes mehr vor Augen hält. Wird die Privatwirtschaft unaufhaltsam vom Mehltau staatlicher Einflussnahme überdeckt? Kann am Ende dieser Entwicklung gar nichts anderes herauskommen als eine Staatswirtschaft, die sich nur noch in Nuancen von der untergegangenen DDR-Wirtschaft unterscheidet?

Zu diesen Sorgen passen die allgegenwärtig aufbrechenden Debatten um die Krise des Kapitalismus, die von manchen, die es schon immer gewusst haben wollen, geradezu mit Häme geführt werden. Dazu passen auch die Bestrebungen, Privatisierungen im Bereich von Stadtwerken, Müllabfuhren und Nahverkehrsbetrieben wieder zurückzudrehen und das Wort „Deregulierung“ zum Unwort des Jahres zu befördern.

Schaut man sich allerdings die Rettungsmaßnahmen für den Finanzsektor an, dann changiert das Bild doch recht deutlich. Hier erscheint der Staat nicht mehr als machtbesessener Leviathan, der die Krise zu seinem Vorteil nutzt, sondern eher als hilflose Geisel der privaten und öffentlichen Banken. Es mutet wie Erpressung an, wenn Banken ihren Anspruch auf steuerfinanzierte Rettungsgelder mit der Drohung untermauern, sie würden andernfalls Insolvenz anmelden und weite Teile der Wirtschaft mit in den Strudel reißen.

Dies hat durchaus Wirkung gezeigt. Zählt man all die Rettungspakete zusammen, die allein für die Hypo Real Estate (HRE) geschnürt worden sind, kommt man auf die stolze Summe von 112 Mrd. € – das Volumen des Bundeshaushalts insgesamt liegt gerade einmal bei 290 Mrd. €. Es kann nicht verwundern, wenn solch ein öffentlicher Geldregen auch an anderer Stelle Begehrlichkeiten weckt. Plötzlich fühlen sich auch Schaeffler, Opel und Arcandor „systemisch“ und wollen ebenfalls gerettet werden.

Bei Opel hat die Bundesregierung dem Druck noch nachgegeben, doch erfreulicherweise hat im Fall Arcandor die ordnungspolitische Vernunft gesiegt – zumindest bis jetzt. Die Befürchtung, ausufernde staatliche Rettungspakete für angeschlagene Unternehmen aus der Realwirtschaft führten direkt in die Staatswirtschaft („VEB Opel“), sind durch den Widerstand gegen die Arcandor-Rettung deutlich relativiert worden. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung angesichts der unerwartet großen Probleme bei Primondo nicht doch noch einknickt.

Auch die Aufregung um die Verstaatlichung der HRE wird sich legen, denn bei dieser Maßnahme geht es eindeutig nicht darum, den Bankenbereich dauerhaft in Staatsbesitz zu überführen, sondern es geht um die Sicherung des legitimen Interesses des öffentlichen Kapitalgebers (und damit des Steuerzahlers), für die (hoffentlich kurze) Zeit seines massiven finanziellen Engagements nicht völlig passiv den Managemententscheidungen über die Verwendung der öffentlichen Gelder ausgeliefert zu sein.

Sowohl die üppigen Rettungspakete als auch die staatliche Kontrolle über private Unternehmen werden Episode bleiben. Keine vorübergehende Episode ist dagegen die gigantisch erhöhte Staatsverschuldung. Noch im Jahr 2008 schien das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts greifbar nahe zu sein (Budgetsaldo des Staates in Höhe von -0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), doch schon in diesem Jahr wird die Maastricht-Hürde von 3 Prozent knapp gerissen werden, und für 2010 ist mit einem Budgetdefizit von 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu rechnen (Daten aus der Konjunkturprognose des Instituts für Weltwirtschaft vom Juni 2009). Dabei sind in den genannten Zahlen all die möglichen Verpflichtungen aus Nebenhaushalten, Bürgschaften und Wertberichtigungen nur ansatzweise enthalten. Hier werden Schuldenberge aufgetürmt, an denen unsere Enkel noch knabbern werden.

Bei all den Bemühungen, die Finanzkrise in den Griff zu bekommen, sind mögliche Alternativen, die das Retten für die öffentliche Hand billiger gemacht und die verantwortlichen Entscheidungsträger aus der Privatwirtschaft stärker mit in die Pflicht genommen hätten, nicht wirklich geprüft worden. Wenn beispielsweise die systemische Bedeutung der HRE in erster Linie von den Pfandbriefen herrührt, dann hätte es ausgereicht, nur die Pfandbriefe staatlich zu garantieren, anstatt gleich den Fortbestand der gesamten HRE inclusive ihrer nicht-systemischen Teile zu sichern. Auch bei der HSH Nordbank wäre es vermutlich möglich gewesen, zwischen systemischen und nicht-systemischen Anlagen zu unterscheiden, so dass der Staat auch hier nicht gleich die ganze Bank hätte retten müssen. Für die Steuerzahler wäre ein solcher Ansatz deutlich billiger gekommen – dass die Banken weniger begeistert gewesen wären, kann wohl keine Rolle spielen.

Eine unmittelbare Folge der gigantischen Rettungspakete und der Aufblähung der Staatsschulden ist das Verrutschen der Maßstäbe. Da ist zunächst einmal der quantitative Maßstab: Während Politiker früher in Millionen zu denken pflegten, ist es heute die Milliarde. Selbst das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten, das mit den Konjunkturpaketen I und II ein Volumen von 80 Mrd. € umfasst, gilt manchen Politikern als viel zu halbherzig und unbedeutend. Ein (bislang allerdings unbestätigtes) Gerücht besagt sogar, in künftigen Gesetzesvorlagen solle der sperrige Begriff der Milliarde Euro durch den Giga-Euro ersetzt werden.

Vor allem aber sind die qualitativen Maßstäbe ins Rutschen geraten: Wenn Hunderte von Giga-Euros für marode Finanzmarktinstitutionen aufgewendet werden, wie will man da noch eine Aufstockung der Sozialleistungen verweigern, die bestenfalls einige Mega-Euros kosten würden? Für die Rentner ist diese Logik schon wirksam geworden, indem sowohl für 2008 als auch für 2009 der Riester-Faktor ausgesetzt wurde. Die Kosten dieser Maßnahme für die Sozialkassen summieren sich auf etliche Giga-Euro. Die Karstadt-Mitarbeiter hingegen können kaum begreifen, warum gerade für sie kein einziger Giga-Euro aus der Staatskasse fließen soll. Sie argwöhnen – ob zu Recht oder zu Unrecht – dass den staatlichen Rettern die Bankmanager in den Chefetagen wichtiger sind als die Industriearbeiter an den Werkbänken.

So entsteht in weiten Bevölkerungskreisen der Eindruck, im System der Marktwirtschaft würden elementare Grundregeln der Fairness immer stärker verletzt. Auf längere Sicht ist das Vertrauen in diese Fairness mindestens so „systemisch“ relevant wie manche der geretteten Banken.

Henning Klodt

4 Antworten auf „Von der Finanzkrise in die Staatswirtschaft?“

  1. Ein sehr netter Artikel.

    Wie würde doch Dr. Marc Faber sagen ?
    “ The politicians don´t want to admit that they have caused an unbelievable mess. “

    Wer sich nun fragt weshalb und warum sollte sich nur die in dieser Wahlperiode eingebrachten Vorschläge des US House´s ansehen und sich diesen ein Wochenende widmen. Ein Committee habe ich als link angehängt.

    Die westlichen Regierungen haben versagt, aber sicherlich sind die Gründe dafür nicht nur bei Ihnen zu suchen, dafür ist die Welt nun einmal zu komplex.

    http://www.govtrack.us/congress/committee.xpd?id=HSBA

  2. zum Thema Deregulierung:

    Es soll mir doch einmal jemand versuchen zu erklären, wo wir bitte Deregulierung gehabt haben ? Man kann ja privatisieren, aber wenn im gleichen Zug auf der Staatsseite mehr Kreditlinien aufgebaut werden als das eben im Privatsektor der Fall ist, dann ist das eine Farce ! Denn dann ist das prozentuale Gleichgewicht immer noch zu Gunsten des Herrschenden geblieben. Genau das ist doch hier der Fall. Nur kann man das eben nicht so auf die Schnelle prüfen bzw. beweisen, weil eben auch die Regierungen „off-balance sheet vehicle“ haben, nicht wahr ? Das heisst dann zwar nicht so, aber eben unfunded liabilities. Und so lügt und betrügt jeder so viel er kann. Und wer ist denn für Regulierung zuständig ? Wenn wir Kapitalismus wirklich hätten, wo sind dann die Gewinne ? Wo ist der böse „Gewinner“ ? Nein, nein, das ist alles ein Phantom und über kurz oder lang werden es alle herausfinden. Hoffen wir es.

  3. Gute Fragen gestellt!
    Denke, dass die gegenwärtige Krise genau eine Frage davon besonders zuspitzte: die Kardinalfrage nach der Notwendigkeit der nachhaltigen staatlichen Regulierung der modernen Marktwirtschaft, früher (70-er Jahre) Wirtschaftssteuerung, genannt.
    Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob man generell für oder gegen der Marktwirtschaft ist, sondern angesichts der gegenwärtigen Grösse und der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Unternehmen (z.B.Opel) & der Banken (z.B. HRE) , kann ihr Management NICHT MEHR so einfach wie z.Z. des Kapitalismus der freien Konkurrenz sein, sondern ist entwicklungsbedingt um die staatliche Komponente, sprich der makroökonomischen Regulierung, ZU ERGÄNZEN. Kaum auszudenken, wie diese Krise verlaufen wäre, OHNE die staatliche „Einmischung“!?
    Der Verweis auf die zusammengebrochene „Staatswirtschaft“ der ehemaligen DDR hinkt sehr, denn das war 1. KEINE entwicklungsgeschichtlich auf der privaten Mikroökonomie aufbauende, lebensfähige Volkswirtschaft ( hing förmlich in der makroökonomischen „Luft“ ohne jegliche mikroöknomische Basis), und 2. die „normale“ ökonomische Interessiertheit und Stimulierung der Warenproduzenten war (fast) gänzlich durch ausserökonomischen Druck, Gewalt und politisch-militärische Methoden ersetzt.

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