Seuchen, Stagflation und Staatswirtschaft
Wirtschaftspolitik in Zeiten von Corona

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„Ebenso wahrscheinlich ist aber ein tiefergreifender Wandel der Weltwirtschaft hin zu wiederum vermehrter Lagerhaltung («Notvorrat») bei den Firmen, zu höherer Redundanz, wie sie Nassim Nicholas Taleb schon lange fordert, und zu besserer geografischer Diversifikation hin. Das wird allerdings Kostenfolgen haben. Die Zeiten tiefer und immer tieferer Preise wären dann vorbei.“ (Konrad Hummler, NZZ)

Epidemien sind immer und überall von Übel. Sie verursachen menschliches Leid; ökonomisch sind sie kostspielig. Zu allem Übel kommt das Coronavirus auch noch zur ökonomischen Unzeit. Die Weltwirtschaft wächst schon länger nur noch schwach. Vor allem China war in der jüngeren Vergangenheit die Wachstumslokomotive. Es hat die weltweit mickrige Wachstumsbilanz etwas aufgebessert. Das könnte sich nun ändern. Aber auch in Deutschland neigt sich der „immerwährende“ Aufschwung dem Ende zu. Der industrielle Sektor befindet sich schon länger in der Rezession. Und er kämpft mit einem verschlafenen Strukturwandel. Gerade der Industriesektor lebt wie kaum eine andere Branche von der Internationalität der wirtschaftlichen Beziehungen, vom Handel mit Gütern und der Mobilität von Arbeit und Kapital. Leidet die internationale Arbeitsteilung, verschärfen sich die Probleme weiter. Covid-19 zieht nicht an Deutschland vorbei. Diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Wie groß der ökonomische Schaden ausfällt, hängt davon ab, wie stark sich das Virus ausbreitet, wie schwer es ausfällt und wie lange es wütet.

Entwicklung der Epidemie

Das Coronavirus versetzt Deutschland in Angst. Ein Teil der Bevölkerung reagiert panisch. Hektische Hamsterkäufe und leere Supermarktregale zeugen davon. Die Stimmung hat gedreht. Bis zu den ersten Corona-Fällen bei Webasto am 28. Januar war Corona hierzulande kein Thema. Es war für die Öffentlichkeit ein fernes, chinesisches Problem. Dort allerdings, in der Industriemetropole Wuhan, wütete das Virus schon länger. Erst wurde es verheimlicht. Ende Dezember 2019 ließ es sich nicht mehr unter der Decke halten. Die Zahl der Infektionen nahm rapide zu. Am 23. Januar 2020 wurden Wuhan unter Quarantäne gestellt, andere Städte folgten. Mit rigorosen Maßnahmen gelang es, Neuinfektionen außerhalb Wuhans zu verhindern. Auch in Wuhan selbst sinkt die Zahl der Neuansteckungen. Es scheint als ob es der chinesischen Administration gelungen sei, die weitere Ausbreitung des Virus in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Geheilten stetig zu. Weit über die Hälfte der Infizierten ist heute schon infektionsfrei. Die Zahl steigt.

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Während es China offensichtlich gelingt, das Coronavirus einzudämmen, verbreitet es sich weltweit immer stärker. Von den gegenwärtig mehr als 110.000 Fällen weltweit sind noch immer über 80.000 auf dem chinesischen Festland (Stand: 9. 3. 2020) (hier). Davon gelten über 60.000 als geheilt. Die Zahl der Infizierten außerhalb Chinas nimmt allerdings weiter zu. Vor allem Südkorea, der Iran und Italien sind die Schwerpunkte. Die Angst wächst auch in Deutschland. Zwar sind bisher nur etwas mehr als 1000 Personen infiziert. Allerdings nimmt die Zahl weiter zu. Der Höhepunkt der Epidemie ist noch nicht erreicht. Die Zahl der Neuinfizierten übersteigt die Zahl der Geheilten. Eine weitere Ausbreitung ist nach Meinung des Robert-Koch-Instituts nicht mehr zu verhindern. Obwohl es immer schwerer wird, die Ansteckungskanäle auszutrocknen, versucht die Gesundheitspolitik weiter, die Ausbreitung zeitlich zu strecken. Gelingt das, könnte ein Kollaps des Gesundheitssystems verhindert werden. Auch die ökonomischen Schäden wären geringer.

Angebots- oder Nachfrageschock?

Das neue Coronavirus bleibt ökonomisch nicht ohne Folgen. Die Erfahrungen mit Epidemien zeigen allerdings, dass sie zwar temporäre wirtschaftliche „Dellen“ verursachen, den langfristigen Trend aber nicht beeinflussen. Auf den ersten Blick ist Covid-19 ein klassischer Angebotsschock. Ein Teil der Produktionsfaktoren steht nicht zur Verfügung. Kranke Arbeitnehmer müssen zuhause bleiben oder kommen aus Angst nicht zur Arbeit. Sie bieten ihre Arbeit nicht an. Das gilt in China und überall dort, wo das Virus zuschlägt. Unternehmen fehlen aber auch Vorleistungen, die aus Regionen kommen, in denen die Produktion wegen des Virus eingeschränkt werden muss. Unternehmen haben im Zuge der Globalisierung ihre Wertschöpfungsketten weltweit optimiert. Im Vertrauen auf funktionierende Lieferketten haben sie Vorleistungen oft wenig diversifiziert, die Lager wurden abgebaut. Fallen Zulieferer länger aus, werden Vorleistungen über kurz oder lang knapp, die Produktion muss nach einiger Zeit eingeschränkt werden. Das alles gilt auch für China. Es hat sich zu einem bedeutenden Vorlieferanten weltweit entwickelt.

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Der Angebotsschock erinnert stark an die Ölpreis-Schocks der 70er Jahre (hier). Die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve xAT verschiebt sich nach oben. Der Output sinkt, die Güterpreise steigen, Stagflation folgt. So einfach ist es allerdings nicht. Das Coronavirus hat auch negative Nachfrageeffekte. China ist ein wichtiger Importeur ausländischer Konsum- und Investitionsgüter. Covid-19 verringert diese Nachfrage, zumindest temporär. Aber auch die inländische Nachfrage wird negativ tangiert. In einzelnen Branchen, wie dem Luftverkehr, der Gastronomie, der Hotellerie und der Reisebranche, bricht die Nachfrage ein. Unternehmen dieser Branche geraten in Liquiditätsschwierigkeiten. Konkurse nehmen zu, Kredite werden notleidend, Banken geraten in Schwierigkeiten. Das Virus springt von der Real- auf die Finanzwirtschaft über. Wachsende wirtschaftliche Unsicherheiten dämpfen aber auch die Nachfrage nach Investitionsgütern. Die Nachfragekurve xNE verschiebt sich nach unten. Der Output sinkt, die Preise geben nach. Wie sich Angebots- und Nachfrageschocks auf die Preise auswirken, ist unklar. Unstrittig sind allerdings die negativen Auswirkungen auf Output und Beschäftigung, zumindest temporär.

Wirtschaftspolitik in Zeiten von Covid-19

Im Kampf gegen Covid-19 ist die Wirtschaftspolitik nicht in der Vorhand. Gefordert ist die Gesundheitspolitik. Sie muss der Politik vorschlagen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um das Coronavirus wirksam zu bekämpfen. Es liegt an der Politik, die vorgeschlagenen Aktivitäten zu ergreifen und – wo notwendig – ihr die erforderlichen finanziellen Mittel an die Hand zu geben. Die Erfahrungen mit Epidemien seit der Spanischen Grippe zeigen, dass sie einem bestimmten Muster – einer Glockenkurve -folgen (hier). Danach dauerte es in China knapp zwei Monate, bis die Krise ihren Höhepunkt erreichte. Seither klingt die Krise stark ab. Allerdings ergriff die Regierung in Peking auch rigorose Maßnahmen. Wiederholt sich der Verlauf auch in Deutschland, dann ist das Schlimmste bis Ende März überstanden. Damit sinkt auch die Notwendigkeit hektischer diskretionärer wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Das gilt vor allem auch deshalb, weil man, wie die Ölpreisschocks der 70er Jahre gezeigt haben, makropolitisch viel falsch machen kann.

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Wirtschaftspolitisch geht es darum, wer die Lasten der Corona-Epidemie tragen soll, Unternehmen, Arbeitnehmer und Steuer/Beitragszahler. Das Coronavirus verteuert die Produktion oder macht sie temporär sogar unmöglich. Damit Unternehmen nicht Pleite gehen, müssen Arbeit und Kapital billiger werden. Auf der Zinsseite besteht aber kaum mehr Spielraum. Dafür haben auch die Notenbanken mit einer Politik des billigen Geldes gesorgt. Sie haben ihr Pulver verschossen. Handlungsspielraum gibt es allerdings auf der Lohnseite. Das gefällt den Gewerkschaften nicht. Aber Covid-19 hat ihre Möglichkeiten bei den anstehenden Tarifverhandlungen eingeschränkt. Die Tarifpartner werden versuchen, die Lasten auf die Steuer- und Beitragszahler abzuwälzen. Michael Hüther hat die Eckpunkte aus der Sicht der Arbeitgeberverbände genannt: Stabilisierung der Unternehmens- und Finanzmarktliquidität, Steuerstundungen und Kurzarbeit (hier). Die Gewerkschaften stimmen diesen Forderungen zu. Auch die Politik will diesen Weg gehen. Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, Kurzarbeit zu erleichtern, Liquiditätshilfen zu gewähren, Bürgschaften zu stellen und Steuern zu stunden. Olaf Scholz und Peter Altmaier haben unbegrenzte Kreditzusagen gemacht. Damit ist aber die Gefahr virulent, dass Strukturen konserviert werden.

Corona-Krise und Staatswirtschaft?

Die wirtschaftspolitischen Notpflaster – Liquiditätshilfen, Kurzarbeit – werden nicht das letzte Wort der Politik sein. Solange die Epidemie ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat, wird die Gefahr überschätzt, die (wirtschaftspolitische) Hysterie weiter zunehmen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Notenbanker und Politiker wirtschaftspolitisch die Nerven verlieren. Die amerikanische Fed hat sie mit ihrem Entscheid, die Zinsen zu senken, schon verloren. Tatsächlich sind die traditionellen konjunkturpolitischen Instrumente aber stumpf. Sie können nicht verhindern, dass sich das Coronavirus weiter ausbreitet. Und es gelingt weder mit der Geld- noch der Fiskalpolitik die Stockungen auf der Angebotsseite aufzulösen. Ein Kommentator hat darauf hingewiesen, dass gründliches Händewaschen effizienter als expansive Geldpolitik sei. Auch eine expansive Fiskalpolitik ist weitgehend wirkungslos. Es mangelt an Kapazitäten. Die Gefahr ist groß, dass expansive Geld- und Fiskalpolitiken beschäftigungspolitisch verpuffen und stagflationäre Entwicklungen begünstigen. Die negativen Erfahrungen mit expansiver, die Inflation treibende Makropolitik nach den Ölpreis-Krisen der 70er Jahre sollten eine Warnung sein (hier).

Die Ängste in Krisen sind anti-marktwirtschaftliche Brutstätten. Henning Klodt hat während der Finanzkrise geschrieben: „Gegenwärtig rätseln die Auguren, wann wir aus der globalen Wirtschaftskrise herauskommen werden. Langfristig wichtiger ist allerdings die Frage, wie wir aus der Krise herauskommen werden – mit einer gestärkten oder einer geschwächten Marktwirtschaft.“ (hier) Das gilt auch heute wieder. Die Gefahr ist groß, dass die Politik die Krise nutzt, weltweit protektionistisch zu agieren, regulativ noch mehr einzugreifen und die Staatswirtschaft zu stärken. Mehr Wertschöpfung soll mit der Reform internationaler Lieferketten „heimgeholt“ werden, etwa in der Pharmaindustrie. Eine aktive Industriepolitik soll nationale (europäische) Champions schaffen, um internationale Abhängigkeiten zu verringern. Importe aus Krisengebieten sollen eingeschränkt werden, wenn sie heimische soziale und umweltpolitische Standards nicht einhalten. Vor allem aber, die Globalisierung, für viele „die Wurzel allen Übels“, soll gezügelt werden. Die Krise ist für einige auch eine gute Gelegenheit, die ungeliebte Schuldenbremse zu „flexibilisieren“, um die (ungeeigneten) fiskalischen Instrumente in der Coronavirus-Krise zu schärfen.

Fazit

Der industrielle Sektor, der Motor der deutschen Wirtschaft, ist in einem fragilen konjunkturellen und strukturellen Zustand. Das Coronavirus, das sich gegenwärtig noch dynamisch weltweit ausbreitet, hat das Zeug, diesen Sektor endgültig in die Krise zu stürzen. Das wäre für Deutschland ein wirtschaftliches Waterloo. Das Fatale ist, die Wirtschaftspolitik kann mit den traditionellen Instrumenten der Geld- und Fiskalpolitik relativ wenig tun, die wirtschaftlichen Folgen der Infektionen einzudämmen. Die Gefahr stagflationärer Entwicklungen ist nicht von der Hand zu weisen. Sie steigt erheblich an, wenn Notenbanken und Politik mit expansiver Geld- und Fiskalpolitik dagegenhalten. Die wirtschaftlichen Probleme lassen sich höchstens abmildern, wenn auf der Angebotsseite (preis)flexibel reagiert und auf der Nachfrageseite  allenfalls mit temporären Liquiditätshilfen geholfen wird. Damit lassen sich aber die Ursachen der Krise nicht beseitigen. Die Wende kann nur von der Gesundheitspolitik kommen. Nur ihr kann es gelingen, Ansteckungen einzudämmen und Kranke schneller zu heilen. Einen Lichtblick gibt es allerdings. Die Erfahrungen mit Epidemien zeigen, dass sie einem Muster folgen. Das bestätigt auch der chinesische Fall wieder. Wiederholt sich der chinesische Zeitablauf der Epidemie auch hierzulande, könnte das Schlimmste bis Ende März vorbei sein. Dann kann Deutschland gesundheitlich und wirtschaftlich aufatmen. Sonst droht der perfekte Sturm.

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