Das eher bescheidene Wachstum der letzten drei Jahrzehnte zeigt in vielen reichen Ländern distributive Schleifspuren. Einkommen und Vermögen verteilen sich ungleicher. Solange der Kuchen zügig weiter wächst, wird die größere Ungleichheit von den Bürgern kaum wahrgenommen. Den meisten geht es besser. Das gilt selbst dann, wenn einige größere Stücke des Kuchens erhalten als andere. Verringert sich allerdings das Wachstum oder kommt es gar zum Stillstand, verschlechtern sich zumeist auch die individuellen Aufstiegsmöglichkeiten. Die „gefühlte“ Ungleichverteilung nimmt zu, die Verteilungskämpfe werden schärfer, die Meinung verbreitet sich, in der Gesellschaft gehe es nicht mehr „gerecht“ zu.
Gerechtigkeit ist keine ökonomische, sondern eine philosophische Kategorie. Individuelle Werturteile bestimmen, wie die Verteilungen von Einkommen und Vermögen beurteilt werden. Eine eindeutige Antwort ist nicht möglich. Dennoch lässt es sich die Politik nicht nehmen, der größer gewordenen materiellen Ungleichheit entgegen zu steuern. Bis zu ihrem Verfallsdatum will deshalb auch die Große Koalition der ungleicheren distributiven Entwicklung die Spitze nehmen. Helfen sollen auch Formen der Mitarbeiterbeteiligung, die „soziale Kapitalpartnerschaft“ der CDU/CSU und der „Deutschlandfonds“ der SPD. Beide Pläne begründen ihre Vorhaben fast wortgleich mit einer seit längerem rückläufigen Lohnquote in Deutschland.
Das Urteil
Die Pläne beider sind ebenso wie die Eckpunkte, auf die sich die Große Koalition nun nach langem Ringen geeinigt hat, gänzlich ungeeignet, das angestrebte verteilungspolitische Ziel zu verwirklichen. Wie das Volkseinkommen auf Arbeit und Kapital aufgeteilt wird, hängt vor allem von zweierlei ab: vom technischen Fortschritt und dem Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten. In der Phase der Einführung drücken neue IuK-Technologien die Lohnquote. Setzt sich das neue Wissen allerdings flächendeckend durch, kehrt sich die Entwicklung um. Eindeutig positiv auf die Lohnquote wirken dagegen flexible Arbeitsmärkte. Eine weniger großzügige, anreizverträglichere Arbeitslosenversicherung, ein geringerer Steuer- und Abgabenkeil und eine betriebsnähere Lohn- und Tarifpolitik sind die entscheidenden Größen.
Nachhaltige Erfolge an der Front der funktionellen Einkommensverteilung hat nur, wer auf flexiblere Arbeitsmärkte setzt. Das schaffen Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer allerdings nur in Ausnahmefällen. Es gelingt nicht, die Lohnstückkosten zu flexibilisieren. Das 1/N-Problem begünstigt ein Verhalten des Trittbrettfahrens und verhindert, dass für die Masse der Arbeitnehmer die Produktivität spürbar steigt. Auch die Grenzkosten der Arbeit sinken nicht, fixe Lohn- werden durch fixe Kapitalkosten ersetzt. Mit flexibleren Arbeitsmärkten ist also nicht zu rechnen. Und noch etwas wirkt negativ. Wer Arbeitnehmer ohne Not in riskantere und schlechter diversifizierte Anlageformen drängt, produziert negative Vermögenseffekte. Darunter leiden die Vermögenseinkünfte der Arbeitnehmer, der Querverteilung tut das nicht gut. So lässt sich der negative Trend der Lohnquote sicher nicht brechen.
Die Alternative
Das Urteil fällt anders aus, wenn die Arbeitnehmer nicht am Kapital der Unternehmen, sondern an deren Gewinnen beteiligt werden. Diese Form der Mitarbeiterbeteiligung flexibilisiert die Arbeitsmärkte. Aber auch bei der Gewinnbeteiligung ist es wegen des Trittbrettfahrerverhaltens der breiten Masse der Arbeitnehmer weniger die steigende Produktivität, es sind die sinkenden Grenzkosten der Arbeit, die Arbeitskosten flexibilisieren. Das stabilisiert die Beschäftigung, verringert die Arbeitslosigkeit und beteiligt die Arbeitnehmer stärker am unternehmerischen Erfolg. Lohn- und tarifpolitische Fehler werden verringert, die Allokation wird verbessert, die Arbeitnehmer erhalten einen größeren Anteil am Volkseinkommen. Der traditionelle Zielkonflikt zwischen Allokation und Verteilung verschwindet.
Die Erfahrung zeigt allerdings, auch Gewinnbeteiligungen funktionieren nur, wenn sie auf freiwilliger Basis dezentral organisiert werden. Erfolgslohn-Modelle haben nur Erfolg, wenn sie in funktionierende betriebliche Bündnisse für Arbeit eingebunden werden. Der Weg ist einfach. Entscheiden sich die Betriebsparteien für Mitarbeiterbeteiligungen, müssen sie von den kollektiven Flächentarifen der Tarifpartner abweichen können. Nur so werden Erfolgslöhne unterschiedlichen betrieblichen Vorstellungen gerecht. Die Politik braucht also nicht das Geld anderer Leute in die Hand zu nehmen, um Mitarbeiter an der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Unternehmen zu beteiligen. Eine ordnungspolitisch richtige Entscheidung reicht: wirksame gesetzliche Öffnungsklauseln.
Das Problem
Aber auch der Beteiligungskapitalismus über Gewinnbeteiligung wird das Problem wachsender personeller Ungleichheit nicht lösen. Verteilungspolitisch relevant ist weniger die funktionelle, sondern die personelle Verteilung der Einkommen. Und die wurde in der Vergangenheit ungleicher, weil die oberen Einkommen wesentlich stärker wuchsen als die unteren. Der technologische Wandel und weltweit offenere Märkte verstärkten die Nachfrage nach qualifizierter Arbeit. Einfache Arbeit wurde in reichen Ländern weniger nachgefragt. Wo der einzelne allerdings in der Einkommenshierarchie landet, hängt entscheidend von seinen individuellen Fähigkeiten ab. Wo Bildungsleistungen ungleich verteilt sind, sind es bald auch die Einkommen.
Dieses Problem können Mitarbeiterbeteiligungen gleich welcher Art grundsätzlich nicht wirklich lösen. Zwar helfen Gewinnbeteiligungen vor allem weniger qualifizierten Arbeitnehmern wieder in Lohn und Brot zu kommen, wenn sie Arbeitsmärkte flexibilisieren. Damit steigen auch deren Chancen, wirtschaftlich und sozial aufzusteigen. Trotzdem wirken auch Gewinnbeteiligungen verteilungspolitisch eher wie eine Akupunktur mit der Gabel, da sie nicht bedarfsadäquat operieren können. Das Problem personell sehr ungleich verteilter Einkommen lässt sich nachhaltig nur verringern, wenn in den unteren Einkommensschichten mehr in marktfähiges Humankapital investiert wird. Das stärkt die soziale Mobilität und begünstigt eine gleichmäßigere personelle Verteilung der Einkommen.
Fazit
Die Pläne der Großen Koalition zur Mitarbeiterbeteiligung führen in die Irre. Das gilt für die direkte wie die indirekte Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer am eigenen Unternehmen. So lässt sich das angestrebte verteilungspolitische Ziel nicht erreichen, den Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen zu erhöhen. An eine Lösung des eigentlichen Problems, der künftig ungleicher verteilten personellen Einkommen, ist mit diesem Instrument erst gar nicht zu denken. Die Politik verfällt wieder einmal in alte Muster. Sie entfaltet Aktivitäten, die das offenkundige Problem nicht einmal im Ansatz lösen. Dabei nimmt sie beträchtliche finanzielle Mittel in die Hand, das Geld der anderen, das der Steuerzahler.
Den sinnvolleren Weg der Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer will die Politik nicht gehen. Der polit-ökonomische Grund liegt auf der Hand. Ohne betriebliche Bündnisse für Arbeit sind Erfolgslöhne erfolglos. Der Widerstand gegen betriebliche Bündnisse ohne Vetorecht der Tarifpartner ist ungebrochen. Noch dominiert das Organisationsinteresse der Verbände ökonomisch bessere Lösungen. Kein Wunder, dass sich die Großkoalitionäre im Koalitionsvertrag auf diesem Feld zum Nichtstun verpflichtet haben. Die Politik setzt nicht auf eine wettbewerblichere Tarifautonomie, ganz im Gegenteil. Mit Mindestlöhnen und Mindestarbeitsbedingungen hebelt sie die Tarifautonomie aus. So lässt sich der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und zunehmende Ungleichheit nicht gewinnen. Der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen wird weiter sinken, die Chancen einfacher Arbeit auf sozialen Aufstieg werden weiter behindert, die Verteilung von Einkommen und Vermögen wird ungleicher.
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Hurra, der Deutschlandfonds ist tot: Tatsächlich scheitern beide Modelle an der betriebswirtschaftlichen Praxis:
http://blog.fdog.org/2008/04/22/hurra-der-deutschland-fonds-ist-tot/
Auch die Mitarbeiterbeteiligung, sei es über eine Gewinn- oder über eine Kapitalbeteiligung, kann bestehende lohnpolitische Verwerfungen nicht beseitigen. Dieser Wunsch mag im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens zwar geäußert werden, überfordert jedoch das Instrument der Mitarbeiterbeteiligung bei weitem.
Es darf nicht übersehen werden, dass die Mitarbeiterbeteiligung ganz andere Intentionen verfolgt. Zu nennen ist hier die zwischenzeitlich auch wissenschaftlich bestätigte Steigerung der Produktivität von Beteiligungsunternehmen, bedingt durch eine höhere Motivation beteiligter Mitarbeiter, einer stärkeren Bindungswirkung, höherer Innovationsgrade oder einer besseren Kapitalausstattung. In Beteiligungsunternehmen werden diese Effekte an den Mitarbeiter weiter gegeben und jeder einzelne damit für seinen kundenorientierten oder kostensparenden Arbeitseinsatz belohnt. Darüber hinaus steigt im Mittel auch die Sicherheit des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze, was in diesen Tagen auch kein zu vernachlässigendes Argument ist.
Die Erfahrung zeigt, dass manch ein Mitarbeiter über seine Beteiligung Zusatzeinkünfte generieren kann. Selbstverständlich sollte im Rahmen der Vermögensallokation eine sinnvolle Diversifikation nicht außer acht gelassen werden.
Fazit: Die Mitarbeiterbeteiligung ist keine Eier legende Wollmilchsau, aber dort, wo sie zum Einsatz kommt, zeigen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber meist zufrieden mit ihren Effekten.
Ob Mitarbeiterbeteiligungen lohnpolitische Verwerfungen grundlegend verringern können, hängt von mindestens von zweierlei ab: Zum einen davon, ob auf Gewinn- oder Kapitalbeteiligungen gesetzt wird. Nur im ersten Fall ist zu erwarten, dass die Löhne flexibler werden und sich der lohnpolitische Flurschaden der Tarifpartner in Grenzen hält. Zum anderen kommt es darauf an, wie hoch die Fixlohnkomponente des Arbeitseinkommens relativ zur Beteiligungskomponente ist. Wenn die Mitarbeiterbeteiligung wie hierzulande zumeist nur „oben drauf“ kommt, lassen sich lohnpolitische Verwerfungen nur schwer verringern. Die Wahrscheinlichkeit, dass Gewinnbeteiligungen in absehbarer Zeit in Deutschland auf breiter Front an Bedeutung gewinnen, ist allerdings gering. Die Tarifvertragsparteien haben kein Interesse an einer solchen Entwicklung.