Ist die Familien- und Kinderförderung in Deutschland hilfreich und richtig?

Familienpolitik ist seit jeher eines der Wahlkampfthemen, bei denen gerne weitreichende Versprechungen gemacht werden. Und auch im Zuge der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und der Union wurde debattiert, inwiefern Eltern besser gestellt werden können. Was vor der Wahl noch eine Diskussion über das Betreuungsgeld bzw. den Ausbau von Kindertagesstätten war, ist im Laufe der Koalitionsverhandlungen eine Diskussion um flexiblere Arbeitszeiten für Eltern und einen Anspruch vom befristeten Teilzeitjob wieder zurück zur Vollzeitstelle geworden.

Wir wollen uns die Argumente etwas genauer ansehen: Die Notwendigkeit der Förderung von Familien wird im wesentlichen mit den Funktionen, die die „Institution“ Familie erfüllt, begründet. Dazu zählen die Reproduktions-, die Haushalts- und die Sozialisationsfunktion.

  1. Die Reproduktionsfunktion: Die Familie dient der Erzeugung und dem Aufziehen des Nachwuchses. Kinder leisten in diesem Zusammenhang aus ökonomischer Sicht zwei Aufgaben: Sie gewährleisten die Finanzierung des Rentensystems. Aufgrund der Konstruktion der staatlichen Altersvorsorge als umlagefinanziertes Rentensystem, bei dem die arbeitende Bevölkerung durch ihre Beitragszahlungen die gegenwärtigen Renten finanziert, ist ein gewisses Maß an Reproduktion notwendig, damit die Beitragslast auf genügend Schultern verteilt wird. Idealerweise funktioniert ein derartiges Rentensystem bei einer hohen Reproduktionsrate, da hier dauerhaft einer hohen Anzahl an Zahlern eine relativ geringe Anzahl an Empfängern gegenübersteht. Zudem stellen Kinder das zukünftige Arbeitskräftepotential dar, das notwendig ist, um ein gewisses Produktionsniveau an Gütern (pro Kopf) aufrecht zu erhalten.
  2. Die Haushaltsfunktion: Demnach besteht die Bedeutung der Familie darin, die wirtschaftliche Existenz von Kindern, also zumindest deren Grundbedürfnisse, abzusichern.
  3. Die Sozialisationsfunktion: So wird vermutet, daß die Familie Normen und Werte vermittle und damit die Gesellschaft stabilisiere.

Eine Intervention des Staates zur Familienförderung zielt darauf ab, die Familienbildung zu stärken und damit zu gewährleisten, daß die Familie den beschriebenen Funktionen – in erster Linie also der Reproduktionsfunktion – nachkommen kann. Mit der Erhöhung der Reproduktionsrate soll damit den Erfordernissen des Rentensystems und des Arbeitsmarktes Rechnung getragen werden. Im wesentlichen wird damit folgender Zusammenhang als wirksam postuliert: Eine finanzielle Förderung der Familie führt zu einer stärkeren Familienbildung, diese resultiert in einer höheren Reproduktionsrate, wodurch wiederum die Anzahl der zukünftigen Beschäftigten ansteigt mit den entsprechenden positiven Auswirkungen auf das Rentensystem und den Arbeitsmarkt.

Die unterstellte Wirkungskette trifft aber offenbar in der Realität nicht zu:

  1. Ob die finanzielle Förderung tatsächlich die Familienbildung verbessert, scheint nicht der Fall zu sein. So sind die Ausgaben für die Familienförderung allein in den letzten sieben Jahren um immerhin 13 Prozent gestiegen[1], gleichzeitig ist aber die Anzahl der Eheschließungen erheblich nach unten gegangen. Wurden im Jahre 1990 noch 496.603 Ehen geschlossen, so fiel die Zahl im Jahr 2011 auf 377 816 ab[2]. Im gleichen Zeitraum ist die Anzahl der Scheidungen von 154.786 (1990) auf 187 640 (2011) angestiegen, wenngleich hier eingeräumt werden muß, daß das bisherige Maximum hier im Jahre 2003 mit 213.975 aufgetreten ist. Deutlicher werden diese Entwicklungen noch, wenn man die Eheschließungen und Scheidungen auf 1.000 Einwohner bezieht. So gab es im Jahr 1990 6,5 Eheschließungen und 1,9 Scheidungen pro 1.000 Einwohner. Im Jahre 2011 waren dies 4,7 Eheschließungen und 2,3 Scheidungen pro 1.000 Einwohner.
  2. Ebenso scheint die finanzielle Förderungen nicht die gewünschte Auswirkung auf die Reproduktionsrate zu haben: Sieht man sich die Geburtenrate an, so ist diese ebenfalls nach unten gegangen. War die Geburtenrate im Jahre 1990 noch bei 1,45 Kinder pro Frau, ist diese im Jahre 2013 auf etwa 1,36 Kinder pro Frau abgesunken (nur jede fünfte Frau zwischen 40 und 44 Jahren hat ein Kind)[3]. Gleichzeitig investierte der Bund 2010 immerhin 200 Milliarden Euro[4] in Familie und Ehe; das Kindergeld hat sich zwischen 1990 und 2010 mehr als verdoppelt. Blickt man nach Frankreich und Großbritannien, so stellt man fest, daß dort zwar die finanzielle Förderung geringer als in Deutschland ausfällt, allerdings die Geburtenrate höher ist (Gauthier, 2002).

Offenbar wirkt sich die finanzielle Förderung in diesem Bereich nicht so aus, wie dies vom Gesetzgeber erhofft wird. Andere Gründe der Individuen scheinen also zu dominieren und eine stärkere Handlungsleitung auszuüben, als dies die staatlich gesetzten Anreize vermögen. Freilich bedeutet das nicht, daß eine finanzielle Förderung – wäre sie umfangreicher und würde sie zielführender eingesetzt – nicht die Reproduktionsrate steigern und die Familienbildung verbessern könnte. Hier stellt sich allerdings die Frage, inwieweit ein liberaler Staat mittels derartiger Instrumente so tiefgreifend in die Planung der Individuen eingreifen sollte.

Selbst wenn eine finanzielle staatliche Förderung eine Erhöhung der Reproduktionsrate bewirken würde, wird damit nicht zwangsläufig das Problem des umlagefinanzierten Rentenversicherungssystems gelöst: Daß Kinder später auch Beitragszahler werden oder die Produktivität der Gesellschaft absichern, ist nicht sicher. Sicherer hingegen scheint zu sein, daß Kinder später auch von diesem Rentensystem profitieren wollen, sich das Problem der GRV damit folglich nur nach hinten verschiebt. Vor diesem Hintergrund sollte daher eher versucht werden, den Defekt des Rentenversicherungssystems durch eine sukzessive und zumindest teilweise Umstellung auf ein Kapitaldeckungsstockverfahren zu beseitigen. Sicherlich sind damit erhebliche Umstellungskosten verbunden und sicherlich hat auch ein Kapitaldeckungsstockverfahren, wenn man etwa an die Auswirkungen der Krise des Jahres 2008 denkt, den ein oder anderen Schwachpunkt. Aber mit einer derartigen Umstellung gelänge es, die offenbar für die meisten Industrieländer typische Verminderung der Reproduktionsrate abzufangen und die Rentenfinanzierung auch für die künftigen Generationen halbwegs erträglich zu gestalten.

Das vermeintliche Absinken des Arbeitskräftepotentials kann zudem in einer offenen Gesellschaft kein Argument sein, zumal ein derartiger Vorgang die Entlohnung des Faktors Arbeit nach oben treiben würde. Ein gestiegenes Lohnniveau würde zur Einwanderung von Arbeitskräften führen und damit dieses Problem wieder entschärfen.

Die ökonomischen Gründe, die für die Förderung der Familie angeführt werden, sind damit wenig stichhaltig. Ob man also die Familie und Kinder fördern sollte, hängt somit davon ab, ob dafür ein gesellschaftlicher Grundkonsens besteht. Dies bedeutet, sind die Bürger bereit, die Vorzüge, die mit einer höheren Reproduktionsrate verbunden sind und die vor allem nicht ökonomischer Natur sind, entsprechend zu finanzieren.

Unzweifelhaft scheint aber doch zu sein, daß eine Zunahme der Weltbevölkerung bestimmte Probleme wie etwa die Auswirkungen auf die Ernährung oder die Umwelt erheblich verschärft. Diese Auswirkungen bleiben jedoch bei der gesamten deutschen Diskussion über Familien- und Kinderförderung völlig außer acht.

 

Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (BMFFSJ) (o. J.), Bestandsaufnahme der familienbezogenen Leistungen und Maßnahmen des Staates im Jahr 2010, Aufruf am 21.1.2014, abrufbar unter: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/familienbezogene-leistungen-tableau-2010,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf

Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (BMFFSJ) (2013), Ehe- und familienbezogene Leistungen insgesamt, Aufruf am 21.1.2014, abrufbar unter: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/familie,did=158318.html.

Gauthier, Anne H. (2002), Family Policies In Industrialized Countries: Is There  Convergence?. In: Population, 2002, 57 (3), S. 447-474.

Käfer, A. (2010): Deutschland rangiert an der Spitze, in Stuttgarter Zeitung Online vom 21.06.2010, Aufruf am 22.01.2014, abrufbar unter: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stz-familienserie-teil-2-deutschland-rangiert-an-der-spitze.28bf6b73-3715-4414-b5e7-dcafab48d67d.html

o. V. (2013): Geburtenrate: Immer mehr Frauen bleiben in Deutschland kinderlos, in Zeit Online vom 7.11.2013, Aufruf am 11.11.2013, abrufbar unter: http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2013-11/geburten-in-deutschland

Statistisches Bundesamt (2013a), Bevölkerung, Aufruf am 21.1.2014, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Bevoelkerung/lrbev06.html.

Statistisches Bundesamt (2013b), Durchschnittliche Kinderzahl, Aufruf am 21.1.2014, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Geburten/AktuellGeburtenentwicklung.html.



[1] Die inflationsbereinigte Steigerung beträgt 4,4 Prozent, wobei sich die Ausgabensteigerung vor allem durch den Ausbau der Kinderbetreuung erklären lassen (siehe BMFSFJ, 2013).

[2] Siehe Statistisches Bundesamt (2013a).

[3] Siehe Statistisches Bundesamt (2013b) und o. V. (2013).

[4] Siehe BMFSFJ (o. J.). Die Zahlen schwanken dabei stark. 2010 schätzte das BMFSFJ die Ausgaben auf etwa 182 Milliarden Euro. Dagegen kalkulierte das Kieler Institut für Weltwirtschaft mit 240 Milliarden Euro, die in Familie und Ehe investiert wurden. Der katholische Familienbund hingegen schätzt, dass etwa 59 Milliarden Euro zur Förderung von Familien ausgegeben werden (Käfer, 2010).

Frank Daumann

4 Antworten auf „Ist die Familien- und Kinderförderung in Deutschland hilfreich und richtig?“

  1. Kinder und Karriere 133.400 Euro für jede Familie

    14.02.2014 · In Deutschland gibt es ein gigantisches Sammelsurium von Wohltaten für Familien – 150 sind es insgesamt. Aber was bitte erreicht der Staat damit? Jedenfalls wohl nicht, dass mehr Kinder zur Welt kommen.
    Von Dietrich Creutzburg

  2. Ich finde Familie ist Privatsache, wie sexuelle Ausrichtung, Religion, Einstellung zur Ernährung und Gesundheit, Hobbies, Komunikation…, überhaupt alles, was mein Leben beeinflusst. Da hat der Staat sich nicht einzumischen, wenn ich es nicht selber will. Die Förderung von Familie ist so eine Einflussnahme. Ich bin gegen Kindergeld, Sozialhilfe, Rente, staatliche Gesundheitsfürsorge, solange sie auf Zwang beruht. Wenn der Staat sich aus all dem raushält, nur noch bei Freiwilligkeit der Bürger entsprechendes anbietet, dann kann man die Steuern auf 2-3% des Einkommens senken. Allerdings kriegen dann auch kinderlose Menschen keine staatliche (Zwangs)Rente mehr, oder nur zu erhöhten Beitragskonditionen, da die Familien sich ja selber und alleine durch ihre Kinder refinanzieren.

  3. Bis zur Zeit von Renate Schmidt und Ursula von der Leyen war die Begründung von Familienpolitik auch nicht, dass damit die Geburtenraten angehoben werden sollten. Eine bevölkerungspolitische Begründung wurde aufgrund der deutschen Geschichte vermieden. Unabhängig von der deutschen Geschichte muss man es auch hinterfragen, ob der Staat sich bevölkerungspolitische Ziele setzen sollte. Die Rechtfertigung für die Familienpolitik war der Familienlastenausgleich. Kindererziehung bring hohe Kosten mit sich, die kinderlose nicht aufbringen müssen. Kinderlose können damit Geld sparen, das Menschen mit Kindern nicht sparen können. Die einen sichern ihre Altersvorsorge durch Kindererziehung und die anderen durch das Ansparen von Kapital. Durch den staatlichen Generationenvertrag werden aber die Einkommen der Kinder abgeschöpft und zu Gunsten der Kinderlosen umverteilt. Wenn es keinen Generationenvertrag geben würde, müssten Kinderlose mehr Geld zum Ansparen ihrer Altersversorgung aufwenden. Daraus kann man ableiten, dass es eine gewisse Umverteilung von Kinderlosen zu Gunsten von Familien mit Kindern geben sollte, nichts anderes ist ja jeder Form von Familienpolitik. Das ist also eher eine Gerechtigkeitsfrage.

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