„If technology disrupts enough, who knows what will happen?“ (Lawrence Katz)
Verteilungsfragen haben weiterhin Hochkonjunktur. Die jüngsten Reformen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland waren allesamt Reaktionen auf eine tatsächliche oder auch nur wahrgenommene Zunahme der Einkommensungleichheit. Thomas Piketty (2014) ist das seltene Kunststück gelungen, ein ökonomisches Fachbuch auf die Beststellerlisten diesseits und jenseits des Atlantiks zu bringen. Ende 2014 hat die OECD in einem Working Paper dargestellt, dass die gestiegene Einkommensungleichheit in den entwickelten Industriestaaten einen erheblichen Teil des Wachstumspotentials aufgezehrt hat (Cingano 2014) und damit große Medienaufmerksamkeit erlangt.
In Deutschland steht bei Verteilungsfragen oft das Wohl und Wehe der Mittelschicht im Vordergrund. Die Bertelsmann Stiftung hat Anfang 2013 eine Studie vorgelegt, die die Entwicklung der Mittelschicht seit Mitte der 1980er Jahre analysiert. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse findet sich auch in diesem Blog (Thode 2013). Zentrales Ergebnis war, dass die Mittelschicht seit Ende der 90er Jahre bis zum Beginn dieses Jahrzehnts kontinuierlich geschrumpft ist. Dafür lässt sich eine Reihe von Ursachen anführen. Erstens hat der Anteil von Ein-Personen- und Alleinerziehendenhaushalten in diesem Zeitraum deutlich zugenommen. Während im Jahr 1996 knapp 12,7 Millionen Personen (15,6% der Gesamtbevölkerung) allein in ihrem Haushalt lebten, waren es 2011 bereits 15,9 Millionen (19,6%) (Destatis 2012). Zwischen 1996 und 2009 ist die Zahl der Alleinerziehenden um gut 20% gestiegen (Destatis 2010). Mittlerweile ist in jeder fünften Familie nur ein Elternteil vertreten. Alleinlebenden ist es nicht möglich, Skalenerträge zu realisieren, die in größeren Haushalten anfallen, z. B. bei der Miete des Wohnraums. Alleinerziehende haben häufig Schwierigkeiten, in Vollzeit erwerbstätig zu sein und können daher oftmals nur ein geringes Einkommen erzielen.
Zweitens haben zwischen 1999 und 2005 mehrere Reformen der Einkommensbesteuerung stattgefunden, die in ihrer Gesamtwirkung als regressiv eingeschätzt werden. Darüber hinaus ist die Gesamtsteuerbelastung so umverteilt worden, dass sie sich stärker auf die Einkommensmitte konzentriert (Maiterth und Müller 2009; Corneo 2005). Beides belastet mittlere Einkommen, und zusätzlich kann diese Entwicklung dazu beigetragen haben, dass Personen am oberen Rand der Mittelschicht in die Oberschicht gewechselt sind oder dass Abstiege von der Oberschicht in die Mittelschicht seltener stattgefunden haben.
Drittens ist bis zum Jahr 2010 ein deutlicher Anstieg atypischer Beschäftigungsverhältnisse zu beobachten. Die Niedriglohninzidenz in Erwerbsformen wie Zeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung und befristeter Tätigkeit ist höher als in so genannten Normalarbeitsverhältnissen. Gleichzeitig ist die Beschäftigungssicherheit oftmals geringer, sodass Phasen der Arbeitslosigkeit mit geringem Einkommen häufiger auftreten.
Viertens hat auch die rückläufige Verbreitung von Tarifverträgen im Zuge von Strukturwandel und schwindender Gewerkschaftsmacht zum Schrumpfen der Mittelschicht beigetragen. In Branchen mit hoher Tarifabdeckung ist das Lohnniveau gerade für Arbeitskräfte mit mittlerer Qualifikation vergleichsweise hoch. Nicht nur innerhalb der Wirtschaftszweige ist die Tarifabdeckung zurückgegangen. Der Strukturwandel hat auch den Anteil derjenigen Branchen steigen lassen, in denen Tarifverträge typischerweise nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Fünftens hat der demographische Wandel dazu beigetragen, dass die Spreizung der Löhne und mithin auch die Polarisierung der Einkommen zugenommen hat. Betrachtet man die Einkommensverteilung getrennt nach Altersjahrgängen, so zeigt sich, dass die Einkünfte beim Eintritt ins Erwerbsleben noch relativ eng beieinander liegen. Mit zunehmendem Lebensalter gehen im Zuge ausdifferenzierter Karrierepfade auch die Einkommen weiter auseinander. Erst gegen Ende des Erwerbslebens und vor allem später in der Ruhestandsphase bewegen sich die Einkommen wieder aufeinander zu. Zwar üben mit zunehmenden Lebensalter Einkünfte aus Vermögen einen zunehmenden ungleichheitsverstärkenden Effekt aus, dieser vermag jedoch die Verteilungskompression im Ruhestand nicht zu kompensieren (Farrell et al. 2008, Böhnke und Lüthen, 2014).
Die große Gruppe der Babyboomer beginnt momentan, in den Ruhestand einzutreten. Ihr Altern während der letzten 30 Jahre dürfte daher zu steigender Einkommensungleichheit beigetragen haben. Darüber hinaus gibt es einen Struktureffekt bei den Beschäftigungsformen. Von denjenigen, die heute kurz vor dem Renteneintritt stehen, übt der weit überwiegende Teil ein Normalarbeitsverhältnis aus, während unter den jungen Arbeitsmarkteinsteigern atypische Erwerbsformen und Niedriglohnbezug wesentlich verbreiteter sind.
Schließlich lässt sich beobachten, dass auch die Ungleichheit der Lebenseinkommen zugenommen hat. Als Ursachen dafür treten vor allem zwei Entwicklungen hervor: Zum einen war für das unterste Quartil der Lebenseinkommen ein massiver Anstieg der durchschnittlichen Arbeitslosigkeitsdauer von fünf auf 40 Monate zu beobachten, während solch drastische Zunahmen bei den anderen Quartilen ausblieben. Das vermehrte Auftreten längerer Phasen der Arbeitslosigkeit sorgt also im Lebenszyklus für eine größere Spreizung der Einkommen. Zum anderen driften aber auch die realen Monatslöhne zwischen den verschiedenen Einkommensschichten bereits seit sechs Jahrzehnten auseinander (Bönke und Lüthen 2014).
Viele dieser genannten Entwicklungen haben in der jüngsten Zeit an Dynamik verloren. Die Ausweitung atypischer Beschäftigung ist seit 2011 zum Erliegen gekommen, bereits seit 2006 haben auch die Normalarbeitsverhältnisse zahlenmäßig wieder deutlich zugelegt (Destatis 2014). Substantielle Reformen der Einkommensbesteuerung sind für die nächsten Jahre nicht zu erwarten, eine Abschaffung der kalten Progression dürfte der Mitte eher zugutekommen. Die Gewerkschaften vermelden Erfolge beim Abbremsen des Mitgliederschwundes. Und wenn die Babyboomer in großer Zahl in Rente gehen, dürfte sich die Einkommensungleichheit allein durch den Kohorteneffekt wieder verringern.
Sind diese Beobachtungen nun Grund zur Entwarnung auf breiter Front? Möglicherweise wäre das verfrüht, denn eine Reihe jüngerer Entwicklungen, die sich bislang noch nicht substantiell in den Daten niedergeschlagen haben, könnten die Mittelschicht künftig weiter und sogar noch stärker unter Druck setzen.
Mehr Stratifizierung im Privaten und im Arbeitsleben?
Zu diesen Veränderungen zählt das so genannte „assortative mating“. Dies bezeichnet den Sachverhalt, wenn zwei Individuen mit gleichem Bildungsniveau, gleichem beruflichen Hintergrund bzw. in der striktesten Form mit gleichem Einkommenspotenzial eine Partnerschaft eingehen. Während bei „random mating“, also einer in ökonomischer Hinsicht zufälligen Partnerwahl, das Eingehen einer Lebensgemeinschaft den Charakter eines Risikoausgleichs bezüglich der individuellen Lebenseinkommen hat, führt „assortative mating“ eher zu einer Risikobündelung: Hohe wie geringe Einkommensaussichten beider Partner addieren sich und führen so zu einer weiteren Spreizung der Einkommen zwischen den Haushalten. Das Eingehen einer Partnerschaft fungiert damit nicht mehr als Absicherung gegen zu geringes eigenes Lebenseinkommen. Die wenigen empirischen Untersuchungen, die bislang in diesem Feld verfügbar sind, deuten darauf hin, dass das „assortative mating“ in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, in Deutschland vor allem im unteren Qualifikationsbereich (Greenwood et al. 2014, Grave und Schmidt 2012). Diese Entwicklung könnte sich künftig weiter verstärken.
Ein ähnlich gelagertes Phänomen ist das „assortative matching“. Hierbei geht es darum, dass die Allokation von heterogenen Arbeitskräften nicht zufällig auf offene Stellen in heterogenen Unternehmen erfolgt, sondern dass eine Sortierung von hoch (wenig) produktiven Arbeitnehmern zu hoch (wenig) profitablen Betrieben erfolgt. Auch hier entsteht aus der Kumulierung der Eigenschaften beider Seiten eine höhere Ungleichheit, da sich die individuell erzielten Löhne weiter voneinander weg bewegen. Frühere empirische Studien fanden nur schwache Evidenz für „assortative matching“, litten allerdings auch unter methodischen Problemen. Jüngere Untersuchungen liefern belastbarere Belege und kommen insbesondere zu dem Ergebnis, dass zunehmender Wettbewerbsdruck im Zuge der Globalisierung das „assortative matching“ verstärkt hat (Ehrl 2014, Davidson et al. 2014, Helpman et al. 2010).
Das Aufspalten menschlicher Arbeit in „Tasks“
Technologischer Wandel und Globalisierung haben nicht nur das Aufteilen von Wertschöpfungsketten über Betriebe und Ländergrenzen hinweg ermöglicht. Auch die Art und Weise, wie menschliche Arbeit verrichtet wird, kann mittlerweile sehr viel kleinteiliger und in Aufgabenpaketen organisiert betrachtet werden (Autor et al. 2003, Baldwin 2006, Autor und Dorn 2013). Prozesse lassen sich in einzelne Tätigkeitsabschnitte aufteilen, die sich hinsichtlich der Komplementarität oder Substitutivität zwischen den Produktionsfaktoren unterscheiden und die sich über die Zeit durch technologische Neuerungen oder sich ändernde relative Preise von Produktionsfaktoren auch verschieben können. Das hat zur Folge, dass sich die Aufteilung zwischen menschlicher Arbeit, ersetzender oder unterstützender maschineller Arbeit in Berufen und individuellen Tätigkeiten im Zeitverlauf wandelt.
Ob eine Tätigkeit von einem Computer bzw. allgemeiner einer Maschine oder einem Automaten auszuüben ist, hängt bis zum heutigen Zeitpunkt wesentlich davon ab, ob sie „kodifizierbar“ ist, also ob sie sich in wiederkehrenden routinemäßigen Arbeitsschritten ausdrücken lässt und ob Interaktionen mit der Umwelt (Menschen, andere Maschinen) in einfachen „wenn, dann“-Beziehungen zu bewältigen sind.
Neben der Frage, ob sich eine Tätigkeit in einen routinemäßigen Algorithmus überführt werden kann, der von einer Maschine abgearbeitet wird, kommt es auch darauf, ob die Tätigkeit an einem anderen Ort ausgeübt werden kann. Das hängt davon ab, ob sie dort erbracht werden muss, wo sie konsumiert wird oder in den weiteren Produktionsprozess eingebracht wird. Diese Outsourcing- oder Offshoring-Facette geht häufig Hand in Hand mit technologischen Neuerungen. Der Betrieb von Callcentern in Niedriglohnländern ist genauso wie die dortige Analyse von Röntgenbildern oder Unternehmensbilanzen erst durch moderne Kommunikationstechnologien möglich geworden.
Neues Paradigma?
Unter Druck geraten aus diesem Blickwinkel also solche Tätigkeiten und Berufe, die einen hohen Anteil von Routinearbeiten aufweisen und/oder bei denen das Arbeitsergebnis weit entfernt vom Ort der Erbringung verwendet werden kann. Dies sind klassischerweise Berufe, die ein mittleres Qualifikationsniveau erfordern und mittlere Einkommen liefern. Damit wird ein neues Paradigma für die Auswirkungen des technischen Fortschritts (und auch der Globalisierung) auf die Einkommensverteilung aufgestellt.
Bisher lautete die gängige Geschichte so: Technischer Fortschritt wirkt komplementär zu hochqualifizierter Arbeit, während geringqualifizierte Arbeit durch ihn ersetzt wird. Globalisierung wirkt in dieselbe Richtung. Das führt zwar zu einer weiteren Spreizung, aber nicht zu einer Polarisierung der Einkommen und somit auch nicht zu einer Aushöhlung der Mittelschicht. Die Beziehung ist vielmehr monoton: Je höher die Qualifikation, umso höher die Nachfrage danach und umso größer die Einkommenssteigerung.
Der Task-Ansatz behauptet etwas anderes: Auch hier steigt die Nachfrage nach hochqualifizierter Arbeit, weil sie größtenteils nicht aus Routinetätigkeiten besteht, sondern Kreativität, Intuition, Flexibilität und menschlichen Umgang erfordert. Das sind allesamt Eigenschaften, die Computer heute (noch) nicht besitzen. Daher bleibt die Komplementarität zwischen Mensch und Maschine bestehen. Doch auch die (relative) Nachfrage nach einfachen Dienstleistungen, bei denen es auf direkten Kontakt zum Kunden ankommt, nimmt zu. Diese lassen sich ebenfalls nicht durch Computersysteme ersetzen. oder der Kunde legt Wert darauf, dass sie weiterhin von Menschen erbracht werden, auch wenn der Einsatz von Maschinen bereits technisch möglich und ökonomisch sinnvoll wäre. Dagegen ist davon auszugehen, dass die Zahl der Arbeitsplätze, die ein mittleres Qualifikationsniveau erfordern, zurückgeht. Solche Arbeitsplätze, vor allem in der Industrie, aber auch im Dienstleistungssektor, zeichnen sich oft durch einen hohen Anteil von Routinetätigkeiten aus oder lassen sich relativ leicht an einen anderen Ort mit einem günstigeren Verhältnis aus Lohn und Produktivität verlagern. Damit entsteht eine Polarisierung der Beschäftigungsstruktur und mittelbar auch der Einkommensverteilung. Die Aushöhlung der Mittelschicht ist die Folge.
Die Validität der Task-Theorie ist in zahlreichen empirischen Studien untersucht worden (vgl. etwa Goos et al. 2014, Michaels et al. 2014, Goldin und Katz 2009, Antonczyk et al. 2011, Dustmann et al. 2009). Während die meisten Studien für die USA die Vorhersagen der Task-Theorie bestätigen, fällt das Bild für Europa bislang gemischter aus. Diesseits des Atlantiks scheint weiterhin eher das alte Paradigma zu gelten: Beschäftigungschancen und Löhne steigen monoton mit der Wissensintensität von Arbeitsplätzen und Berufen. Erst am aktuellen Rand gibt es Hinweise auf eine stärkere Gültigkeit der Task-Theorie. Diese sind aber durch die Verwerfungen der Finanz- und Wirtschaftskrise mit großen Unsicherheiten behaftet (Eurofound 2014).
Die Tatsache, dass sich die Vorhersagen der Task-Theorie besser in den USA als in Europa mit den Daten in Einklang zu bringen sind, lässt sich vor allem durch zwei Dinge erklären. Zum einen schlagen Marktprozesse in den USA stärker auf realisierte Einkommen durch, weil Umverteilungsmechanismen und Institutionen wie kollektive Lohnverhandlungen, Arbeitslosenversicherung oder Grundsicherung schwächer ausgeprägt sind. Zum anderen dürften die Vereinigten Staaten der alten Welt immer noch ein Stück weit voraus sein, was die Durchdringung der Wirtschaft mit Computern angeht, sodass sich die Entwicklung diesseits des Atlantiks womöglich mit einiger Verzögerung vollzieht. Vor diesem Hintergrund wird das Ende der Fahnenstange auch hierzulande noch nicht erreicht sein.
Eine technologische Sturmflut?
Eine Reihe ernstzunehmender Beobachter geht sogar davon aus, dass noch weit größeres Ungemach für die Arbeitskräfte von der zunehmenden Computerisierung ausgeht wird. Bereits heute ist zu beobachten, dass Computer aufgrund steigender Rechenleistung in immer mehr Bereiche vordringen, die vor noch nicht allzu langer Zeit dem Menschen vorbehalten schienen. Im Jahr 1997 wurde zum ersten Mal ein Schachweltmeister von einem Computer geschlagen. 2011 gewann IBMs Computer Watson im US-Fernsehquiz Jeopardy gegen zwei menschliche Wettbewerber. Bei diesem Spiel geht es neben dem Abrufen von Wissen auch um das Verstehen natürlicher Sprache in all ihren Facetten. In Japan kommen bereits Pflegeroboter zum Einsatz. Die Schlagworte „Internet der Dinge“ und „Industrie 4.0“ sind schillernde Begriffe, die noch einer genauen Definition harren. Zumindest bedeuten sie aber, dass künftig verschiedene rechnergestützte Systeme direkt miteinander kommunizieren ohne Umweg über den Menschen als Übersetzer, wie es heute noch häufig der Fall ist. Sind beispielsweise in einem Betrieb Lagerbestand, Warenwirtschaftssystem, Kundenbestellungen, Personalabteilung und Sozialversicherungssysteme direkt miteinander vernetzt, bleibt für menschliche Tätigkeiten in diesen Bereichen wenig Platz.
Vieles spricht dafür, dass sich diese Entwicklungen nicht inkrementell, sondern eher exponentiell vollziehen könnten. Die Vertreter dieser Sichtweise berufen sich auf Moore’s Law. Dies ist in Wirklichkeit kein Gesetz, sondern eine empirische Beobachtung, nach der sich die Zahl der Transistoren auf integrierten Schaltkreisen bei gleichbleibender Fläche in einem Zeitraum von 18 bis 24 Monaten jeweils verdoppelt. Aus dieser seit Mitte der 60er Jahre erstaunlich stabilen Beziehung wird geschlossen, dass auch die Rechenleistung von Computern exponentiell wächst (Brynjolfsson und McAfee 2014, Summers 2014). Die Rate, mit der Menschen neues Wissen und neue Fähigkeiten erwerben, könnte dagegen allenfalls als linear wachsend betrachtet werden. Computer würden so eher früher als später in alle Bereiche menschlicher Arbeit vordringen und ihre biologischen Wettbewerber verdrängen. Letztlich würden nur noch verschwindend wenige, höchstqualifizierte Menschen gebraucht, um neue Computer zu entwerfen. Für den großen Rest würde es keine Erwerbstätigkeit mehr geben. Eine Untersuchung für die USA kommt zu dem Ergebnis, dass selbst unter Verwendung heute absehbarer Möglichkeiten der Computerisierung knapp die Hälfte aller Arbeitsplätze dem Risiko unterliegt, durch Maschinen ersetzt zu werden (Frey und Osborne 2013). Für Europa werden ähnliche Zahlen berichtet (Bowles 2014, Pajarinen und Rouvinen 2014).
Behalten die Ludditen diesmal Recht?
Es ist keineswegs neu, dass befürchtet wird, neue technologische Entwicklungen könnten menschliche Arbeitskraft überflüssig machen. Die Ludditen kämpften Anfang des 19. Jahrhunderts in Großbritannien gegen mechanisierte Spinnereien, weil sie um ihre Existenz fürchteten. Keynes zog 1930 in seinem Essay „Economic Possibilities for Our Grandchildren“ die Möglichkeit „technologischer Arbeitslosigkeit“ in Betracht (Keynes 1991). Bislang hat sich diese Befürchtung auf der aggregierten Ebene stets als falsch erwiesen. Zwar waren die Ludditen tatsächlich Opfer des Strukturwandels, indem sie ihren angestammten Arbeitsplatz verloren haben, von Arbeitslosigkeit betroffen waren und wahrscheinlich eine neue Tätigkeit nur zu schlechteren Arbeitsbedingungen und Löhnen finden konnten. Gleichzeitig hat die britische Wirtschaft aber einen enormen Wachstumsschub durch die mechanischen Webstühle erfahren. Durch die günstigere Produktion von Stoffen wurden Ressourcen frei für die Herstellung anderer Waren, und billigerer Stoff ließ die Realeinkommen und die Güternachfrage steigen. Den Verlierern des Strukturwandels standen die Gewinner gegenüber, und zwar bis zuletzt stets in größerer Zahl. Ende 2014 waren in Deutschland mehr als 43 Millionen Personen erwerbstätig, mehr als je zuvor.
Wovon wird es abhängen, ob die Dinge diesmal anders ausgehen? Zentral ist das Verhältnis zweier dynamischer Größen: die Rate der Arbeitsplatzvernichtung einerseits, und die Rate der Arbeitsplatzschaffung andererseits. Beide werden maßgeblich von der Art der technologischen Entwicklung beeinflusst. Vollzieht sie sich eher inkrementell, so wie meistens in der Vergangenheit, dürfte sich am alten Paradigma nichts ändern. Verhält sie sich dagegen disruptiv in rasch aufeinanderfolgenden Umwälzungen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass in Summe mehr Jobs verloren gehen als neu entstehen. Was zu erwarten ist, lässt sich heute noch nicht sagen. Die Apologeten von Moore’s Law sehen zwangsläufig disruptive Sprünge. Andere sind eher besorgt, dass in Zukunft überhaupt keine großen Innovationen mehr zu erwarten sind, und fürchten schon das Ende des Wachstums (Gordon 2012).
Diese Debatte lässt sich kaum auflösen, und sie ist inhärent verzerrt: Die zitierten Studien zeigen, dass sich schon heute mehr oder weniger gut abschätzen lässt, welche menschlichen Tätigkeiten auf mittlere und lange Sicht durch Computer und Roboter ersetzt werden können und welche Arbeitsplätze somit künftig wegfallen oder zumindest einen anderen Zuschnitt bekommen. Wer dagegen vorhersagen möchte, welche neuen Arbeitsplätze durch neue Technologien künftig entstehen, hat es ungleich schwerer. Wer hat sich vor 25 Jahren vorstellen können, dass es bald Webdesigner, Suchmaschinenoptimierer oder Social Media-Betreuer geben würde?
Weitere Faktoren spielen für den Ausgang eine wichtige Rolle. Vergleichsweise sicher können wir heute schon vorhersagen, wie sich das Arbeitsangebot zahlenmäßig entwickeln wird. Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf das Erwerbspersonenpotenzial sind gut erforscht. Auch diese Zahl lässt sich nicht genau berechnen, sicher ist aber eines: Die Zahl der Arbeitskräfte, die dem Arbeitsmarkt künftig zur Verfügung stehen, wird deutlich zurückgehen. Taugt der technologische Wandel also möglicherweise als Kompensation für den demographischen Wandel?
Darüber hinaus wird es in Zukunft vielleicht noch stärker auf die Geschwindigkeit und die Qualität ankommen, mit der Arbeitskräfte und Arbeitsstellen zueinander finden. Je stärker sich Friktionen im Job-Matching vermeiden lassen, umso reibungsloser läuft der wirtschaftliche Strukturwandel ab. Der aktiven Arbeitsmarktpolitik kommt damit auch künftig eine bedeutende und vielleicht noch wachsende Bedeutung zu.
Bereits heute ist zu beobachten, dass das Haltbarkeitsdatum von bestehenden Kenntnissen und Fähigkeiten und die Dauer des Erwerbslebens immer weiter auseinanderdriften. Angesichts der skizzierten Entwicklungen wird es in Zukunft noch mehr auf zweierlei ankommen. Erstens muss bereits in sehr jungen Jahren das Rüstzeug erworben werden, mit schnellen Veränderungen umzugehen. Die Fähigkeit und auch die Offenheit, sich selbst neue Kenntnisse und Fähigkeit anzueignen, stehen dabei an erster Stelle. Zweitens muss auch an dieser Stelle nochmals wiederholt werden, wie wichtig Weiterbildung während des Erwerbslebens ist. Sie ist das wesentliche Instrument, mit dem Arbeitskräfte in die Lage versetzt werden, auf Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren. Da es aus diesem Blickwinkel weniger um den Erwerb von betriebsspezifischen, sondern um allgemein verwertbares, betriebs- und berufsübergreifendes Humankapital geht, ist viel Engagement auf Seiten der Unternehmen nicht zu erwarten. Die Arbeitskräfte stehen selbst in der Verantwortung, der Staat kann und soll allerdings unterstützen. Wie das funktioniert lässt sich in Ländern mit verwirklichter Flexicurity, wie Dänemark oder Schweden, beobachten. Ob das ausreichen wird, die Mittelschicht vor der Aushöhlung zu bewahren, lässt sich heute nicht sagen. Nützlich wäre ein solches Vorgehen aber allemal.
Vermieden werde sollte, aufgrund alarmistischer Einschätzungen heute in Aktionismus zu verfallen. Der gesunde Menschenverstand kennt, was Ökonomen den Optionswert des Wartens nennen. Dieser ist umso höher, je größer die Unsicherheit über künftige Entwicklungen ist. Insofern dürfte es sich auszahlen, die Entwicklungen noch eine Zeitlang zu beobachten, um jetzt keine politischen Weichenstellungen vorzunehmen, die sich später als falsch und schwer revidierbar herausstellen.
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Blog-Beiträge zum “2. Würzburger Ordnungstag“:
Guido Zimmermann: Vermögensverteilung: Die Piketty-Kontroverse
Werner Becker: Niedrigzinsen: Vorübergehendes Phänomen oder neue Normalität?
Klaus Gründler: Werden aus armen Kindern arme Erwachsene? Über Höhe und Ursachen sozialer Mobilität
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“2. Würzburger Ordnungstag“
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Die Mittelschicht schrumpft – Wo liegt der Handlungsbedarf? - 13. Februar 2013
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