Ordnungspolitischer Kommentar
Neidet den Flüchtlingen nicht das Smartphone
Gebt ihnen freies Internet

Nur wenige, besonders schräge Geister empfinden Neid statt Mitgefühl gegenüber Flüchtlingen. Stadtverwaltun­gen, Vereine, Schulleitungen, karitative Einrichtungen, Bürgerinitiativen und einzelne Helfer arbeiten vielerorts gut zusammen und geben ihr Bestes, um die Flüchtlinge anständig aufzunehmen und zu be­handeln. Alle Men­schen, die hier um Hilfe bitten, haben Anspruch auf eine men­schenwürdige Be­handlung und ein rechtsstaatliches Ver­fahren zur Ent­scheidung über ihre Anträge. Der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung sieht das als selbst­verständlich an und begegnet den Men­schen mit Ver­ständnis und Respekt.

Dennoch gewinnen auch fremdenfeindliche Gruppierun­gen und Aktionen Zulauf. Selbst nach den terroristischen Brandstiftungen und Krawallen haben nicht alle Bürger das Bedürfnis, sich eindeutig schützend vor die Flüchtlin­ge zu stellen. So demonstrierten z. B. einige lautstarke Wirrköpfe beim Kanzlerinnen-Besuch in Heidenau ihr Unverständnis: „Warum sollte ich die­jenigen als Men­schen achten, die nur hierher kommen, um sich durchfüt­tern zu lassen?“ rief ein De­monstrant. Solche Worte ma­chen fassungslos. In all sei­ner morali­schen Beschränkt­heit bringt diese Frage aber vermutlich auf den Punkt, was viele derer umtreibt, die sich durch mutwillige Desin­formationen oder auch nur durch Miss­verständnisse in eine Neiddebatte treiben las­sen.

Wie können sich Flüchtlinge ein Smartphone leisten?

Irritationen rufen unter anderem Smartphones hervor, mit denen viele Flüchtlinge hantieren. Smartphones gelten als Symbol für Wohlstand. Zunächst ist nüchtern festzustellen, dass es sich bei den Smartpho­nes der Flüchtlinge im Regelfall nicht um das neueste Modell handelt. In den Herkunftsländern gibt es einen regen Handel mit gebrauchten Mobiltelefonen und eigens für diese Märkte produzierten, technisch deutlich abge­speckten Geräten.

Zum Zweiten ist zu unterscheiden, welche Funktion so ein Gerät für den jeweiligen Nutzer hat. In Deutschland prägt ein spielerischer Gebrauch das Bild: Selfies, Zo­cken, Chatten. Viele betonen, so ein Ding nicht zu brauchen. Das Smartphone ist hier ein Luxusartikel, den man sich leisten kann, wenn man bereits alles andere hat. Oder dem man sich sogar absichtlich verweigert.

In vielen anderen Gegenden der Welt verhält es sich an­ders. Smartphones stehen dort nicht zusätzlich zu Fest­netztelefon, Fax und funktionierender Briefpost als Kommunikationsmittel zur Verfügung, sondern stattdes­sen. Sie ermöglichen dort nicht zusätzlich zu unzensierten Fernsehsendern, Radioprogrammen und Zeitungen Zu­gang zu Informationen, sondern bieten die einzige ver­trauenswürdige Quelle. Sie bieten nicht zusätzliche Mög­lichkeiten, Geldgeschäfte mobil zu erledigen, sondern sind die Voraussetzung zur Nutzung des dort üblichen Zahlungssystems. Ein internetfähiges Mobiltelefon ist für viele Menschen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge ein wichtiger Gebrauchsgegenstand.

Für die Gruppe der Flüchtlinge schließlich ist so ein Gerät unentbehrlich in einem existenziellen Sinne: Ohne Smart­phone ist die ohnehin mit immensen Strapazen und Ge­fahren behaftete wochen- und monatelange Flucht in den meisten Fällen unmöglich. Das Smartphone dient dazu, Informationen über mögliche Fluchtrouten zu erlangen, Warnungen vor Grenz- und Polizeikontrollen zu erhalten, Kontakte zu Schleusern herzustellen und deren Anwei­sungen zu empfangen, Geldtransfers zu bewerkstelligen, sich in unbekannten Transferländern zurecht zu finden, Texte zu übersetzen und vieles mehr.

Natürlich besitzt nicht jeder Mensch in Syrien und in Albanien ein Smartphone. Die erfolgreichen Flüchtlinge gehören in ihren Herkunftsländern häufig eben nicht zu den ärmsten Menschen. Wer nicht das Geld aufbringen kann, um Transporteure, Reisekosten, Schmiergelder und ein Smartphone zu bezahlen, hat kaum eine Chance, es bis nach Mitteleuropa zu schaffen. Um dieses Geld zu­sammenzutragen, verkaufen die Flüchtlinge und ihre Fa­milien häufig ihren ganzen Besitz. Neben den Pa­pieren ist das Smartphone für viele Flüchtlinge nicht nur das wert­vollste, sondern auch das einzige Eigentum. Die Flücht­linge kaufen sich also nicht mit dem durch den deutschen Steuer­zahler zur Verfügung gestellten Ta­schengeld ein Smart­phone. Ihnen ist vielmehr nur dank ihres Smartpho­nes die komplizierte und gefährliche Flucht gelungen.

„Und wie können sie es sich leisten, hier ihre Mobiltele­fone für Auslandsgespräche zu nutzen?“ wird nachge­hakt. Tat­sächlich erhalten Einzel­personen in den Erstaufnah­meein­richtungen für Flücht­linge 143 Euro monatlich. Kleidung, Hygieneartikel und Nahrung erhalten sie als Sachleistun­gen. Später, in den Gruppenunterkünften wäh­rend des laufenden Asylverfah­rens, erhalten sie im Regel­fall außer der Unterkunft keine Sachleistungen mehr, sondern ent­sprechend höhere Bar­mittel. Allerdings noch immer we­niger als Hartz IV-Empfänger. Und sie dürfen keiner Ar­beit nachgehen, um ihre materielle Ausstattung zu verbes­sern. Natürlich kann man sich damit keine Lu­xustarife der großen Netzanbieter leisten. Es gibt jedoch preisgünstige Prepaid-Datentarife und es gibt kostenlosen Internetzu­gang in Cafés, Schnell­restaurants, Bahnhöfen etc. Der Kontakt mit der Familie und Freunden wird in der Regel über Skype, WhatsApp und Viber aufrecht­erhalten. Das bietet zwar keine beson­ders gute Ge­sprächsqualität, ist aber praktikabel.

Sachleistung statt Bargeld?

Da der Kontakt zu Familie und Freun­den für die im Un­gewissen und in Sorge lebenden Menschen von ungeheu­rer Wichtigkeit ist, sind viele Flüchtlinge ohne Zögern bereit, die notwendigen Mittel für Prepaid-Guthaben oder die Tasse Kaffee im Fastfood-Restaurant mit Internetzu­gang auszugeben. Sie würden auf fast alles eher verzich­ten als darauf.

In jüngster Zeit wird dennoch diskutiert, den Flüchtlingen auch während des Asylverfahrens in erster Linie Sachleis­tungen zu gewähren, statt sie mit entsprechenden Barmit­teln auszustatten. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, die Unterstützung weniger attraktiv erscheinen zu lassen. Wer ein Lebensmittelpaket und Kleidung ausgehändigt bekommt statt Bargeld, hat es schwerer die Unterstützung dafür zu verwenden, Prepaid-Tarife zu erwerben. Die aus Sicht der Flüchtlinge eventuell weniger dringend benötig­ten Lebensmittel und Kleider müssten zunächst auf Schwarzmärkten wieder zu Geld gemacht werden. Das ist mühsam und verlustreich. Tatsächlich erwarten Ökono­men, dass Sachleistungen dem Empfänger regelmäßig einen geringeren Nutzenzuwachs eröffnen als ein Bar­transfer im selben Wert. Will man also tatsächlich gezielt dafür sorgen, dass es Flüchtlingen in Deutschland weni­ger gut geht, ohne dadurch den deutschen Steuerzahler zu entlasten, dann ist man mit Sachleistungen auf dem rich­tigen Weg. Das al­lerdings ergibt nur dann irgendeinen Sinn, wenn man tatsächlich glaubt, die Menschen kämen hierher, um die „großzügigen“ Sozialleistungen in An­spruch zu nehmen.

Aber im Ernst: Niemand kommt zum Spaß hierher. Kriegsflüchtlinge sowie politisch oder religiös verfolgte Menschen besaßen vor der jeweiligen Bedrohung in ihrer Heimat fast immer Wohnungen oder Häuser, hatten häu­fig eine feste Arbeit, verfügten vielleicht auch über ein Auto. Sie nehmen nicht deshalb den le­bensbedrohlichen Weg auf sich, weil sie vom Lebensstandard träumen, den deutsche Sozialleistungen versprechen, sondern weil sie keine andere Wahl haben.

Aber auch die Menschen, deren Leben zuhause zwar nicht unmittelbar bedroht ist, die jedoch in ihren Heimat­ländern keine Möglichkeit sehen, ein auskömmliches Ein­kommen zu erzielen, kommen in den wenigsten Fällen hierher, um im Transferbezug in Asylunterkünften abzu­warten bis ihre Ausweisung oder Abschiebung vollzogen wird. Zwar sind die hier gewährten Transfers für manche höher als die im Heimatland erreichbaren Einkommen. Allerdings fallen hier auch wesentlich höhere Lebenshal­tungskosten an. Abzüglich der Kosten, die für die Flucht­reise anfallen, wäre dies nur äußerst selten ein gutes Ge­schäft. Diesen Menschen wurde vielmehr häufig von Schleußern und Schwätzern Hoffnung auf den Erhalt von Arbeitsplätzen gemacht. Die Bundesregierung versucht seit geraumer Zeit, solchen Fehlinformationen Herr zu werden, indem sie durch Botschaften, Goethe-Institute, youtube-Videos und in Zusammenarbeit mit den Regie­rungen der Her­kunftsländer Informationen darüber zu verbreiten ver­sucht, wie die Chancen stehen, in Deutsch­land Asyl ge­währt zu bekommen. Die Schutzquote für Kosovaren beispielsweise betrug im Januar 2015 nur 0,3 Prozent. Doch die Menschen in den Herkunftsländern trauen die­sen offiziellen Informationen nur begrenzt. Und in großer Verzweiflung ergreift man jeden Strohhalm.

Authentische Information ist im allseitigen Interesse

Zuverlässiger erscheinen die Berichte von Bekannten, die authentisch von ihren eigenen Erlebnissen in Deutsch­lands Asylunterkünften und Asylverfahren berichten. Umso häufiger und umso ausführlicher die hier ange­kommenen Flüchtlinge von ihren Erfahrungen berichten, desto eher kristallisiert sich bei ihren Gesprächspartnern ein realistisches Bild heraus und erreicht auch deren Freunde, Familien und Bekannte. Es ist also nicht nur leicht und gut verständlich, warum die bei uns Hilfe su­chen­den Menschen Smartphones be­sitzen und benutzen. Es ist auch im allseitigen Interesse.

Hören Sie also nicht auf die Dummköpfe, die den Flücht­lingen ihr Mobiltelefon nei­den. Verschaffen Sie den Flüchtlingen lieber kostenlosen Internetzugang.

2 Antworten auf „Ordnungspolitischer Kommentar
Neidet den Flüchtlingen nicht das Smartphone
Gebt ihnen freies Internet

  1. Ich bin auch klar für Soforthilfe für Menschen die aus Kriegsgebieten flüchten und um ihr Leben bangen müssen!
    Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die Herausforderungen bzgl. zukünftiger Flüchtlingsströme nicht geringer werden. In diesem Jahr kommen mind. 1 Mio. Flüchtlinge nach Dtl. Dass die Flüchtlingsströme in den nächsten Jahren geringer werden ist nicht zu erwarten. In den nächsten 25 Jahren wird sich die Bevölkerung in Afrika auf über eine Milliarde verdoppelt haben. Weltweit werden bis 2050 ca. 10 Milliarden Menschen gezählt werden (also fast 50% mehr als heute). Diese Menschen müssen alle ernährt werden. Wenn sie in ihrer Heimat keine zufriedenstellenden Lebensbedingungen vorfinden, und sich auch nichts bessert, werden sie sich weiterhin auf den Weg machen. Auch nach Europa. Das was wir aktuell erleben ist m.E. erst die Spitze des Eisbergs. Und schon jetzt ist Europa – auch Dtl. – überfordert. In dieser Überforderung sind die Menschen für Emotionalisierungen zugänglich. Die Medien veröffentlichen Bilder weinender Menschen oder auch am Strand liegender toter Kinder, um eher die linke Position zu vertreten: Schleusen unbegrenzt auf und alle reinlassen egal was uns das in Zukunft kostet. Leider haben aber auch die rechten Meinungsvertreter ebenso leichten Zugang zu einigen Menschen, indem im anderen Extrem emotionalisiert wird. Da beobachten die Leute, dass ihnen Flüchtlinge vor die Tür gesetzt werden, die eben alle Smartphones haben und fast ausschließlich männlich sind. Sowas schürt Ängste, und die Leute fragen sich, wo sind die Alten, Frauen und Kinder? Haben die Männer sie im Krieg egoistisch zurückgelassen? Werden sie unseren Frauen und Töchtern etwas antun? Solche Positionen schüren Ängste und begründen den Zulauf zu Rechten. Ich denke aber, dass eine Demokratie alle politischen Positionen und Meinungen aushalten muss und wird. Bin aber gespannt, wie die Welt in 10 oder 20 Jahren aussehen wird.
    Das Griechenlandproblem kann man mit viel Zentralbankgeld über Jahrezenhnte hinweg einfach aus der Welt schaffen. Mit den Völkerwanderungen der Zukunft wird es nicht so leicht.

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