28 Jahre nach der Wiedervereinigung gesteht der Bericht der Bundesregierung ein, dass das Aufschließens des Ostens in weite Ferne gerückt ist. Zwar glänzen, auch dank schmuck renovierter Fassaden, einige Leuchttürme wie Potsdam, Leipzig, Dresden und Erfurt. In der Fläche sind die blühenden Landschaften hingegen ausgeblieben. Die Pro-Kopf-Einkommen in Ostdeutschland haben nur ca. 70% von Westdeutschland erreicht (siehe Abbildung). Der Aufholprozess stagniert und basiert bei den Pro-Kopf-Einkommen seit Mitte der 1990er Jahre weitgehend auf Abwanderung. Immer mehr Menschen verlassen die kleineren Städte und Dörfer. Fenster sind vernagelt, Straßenzüge veröden und Geschäfte schließen. In der Fläche macht sich Trostlosigkeit breit.
Einen wichtigen Anteil an dieser Entwicklung hat die Europäische Zentralbank (EZB), die die Zinsen weiter bei null hält und die Anleihekäufe (2600 Milliarden Euro seit März 2015 bis Dezember 2018) fortsetzt, obwohl die Konjunktur brummt. Während einige Regionen in Deutschland davon profitieren, bleiben andere – z.B. weite Teile Ostdeutschlands – zurück. Dafür gibt es drei Gründe.
– Erstens fließt aufgrund der niedrigen Zinsen viel Kapital aus Deutschland ab, auch weil der Zins für Deutschland zu tief ist, derzeit fast 300 Milliarden Euro pro Jahr (siehe Murai und Schnabl 2018). Deutsche Unternehmen investieren insbesondere in den USA, wo die Zentralbank schrittweise die Zinsen anhebt. Zudem wurden seit dem Jahr 2008 pro Jahr durchschnittlich 100 Milliarden Euro über das TARGET-Zahlungssystem des Europäischen Systems der Zentralbanken als nicht-rückforderbare Kredite in andere Euroländer transferiert. Im Vergleich dazu wirken die ca. 3,5 Milliarden Euro, die nach Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 über den deutschen Länderfinanzausgleich noch in die ostdeutschen Flächenländer fließen, gering.
– Zweitens hat die ultralockere Geldpolitik negative Auswirkungen auf die kleinen und mittleren Banken, die die wirtschaftliche Aktivität im Osten prägen. Die EZB schwächt das traditionelle Bankengeschäft, weil sie die Marge zwischen Kredit- und Einlagenzinsen drückt. Das Vermögen der Banken, das z.B. in Staatsanleihen angelegt ist, erbringt immer geringere Renditen. Die schwindenden Einnahmen müssen durch risikoreichere Anlagen, z.B. auf den internationalen Finanzmärkten kompensiert werden. Hier haben die großen, investmentorientierten Banken in den wirtschaftlichen Zentren wie Frankfurt oder London die Nase vorn.
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Die wachsende Regulierung, die die Lage für die Banken noch schwieriger macht, ist auch Folge einer zu lockeren Geldpolitik der EZB. Denn nach dem Platzen der Dotcom-Blase (2000) befeuerten die niedrigen Zinsen der EZB in Südeuropa kreditfinanzierte Immobilien- und Aktienblasen. Deren Platzen zog ab dem Jahr 2007 sowohl die europäische Finanz- und Schuldenkrise als auch eine Regulierungswelle nach sich. Die kleinen und mittleren Banken haben deutlich geringere finanzielle Kapazitäten, um mit den umfangreichen Auflagen und Dokumentationspflichten umzugehen. Sie müssen bei sinkenden Einnahmen und höheren Kosten Filialen schließen und fusionieren. Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Menschen gehen verloren.
– Drittens werden auch die Klein- und Mittelunternehmen (KMU) von der EZB diskriminiert. Große Unternehmen, die den direkten Zugang zum Kapitalmarkt haben, können sich heute sehr günstig refinanzieren. Die EZB kauft im Rahmen der Wertpapierkaufprogramme deren Anleihen sogar direkt an! Da die EZB den Wechselkurs des Euro schwächt, profitieren die exportorientierten Groß- und Mittelunternehmen, die überwiegend im Westen sitzen. Nur ein DAX-Unternehmen hat seinen Hauptsitz im Osten.
Die Klein- und Mittelunternehmen im Osten, die keinen direkten Zugang zu den Anleihemärkten haben, bleiben hingegen auf Bankkredite angewiesen. Nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Lage der kleinen und mittleren Banken, liegt das Zinsniveau für Unternehmenskredite deutlich über der Kapitalmarktfinanzierung. Von der Abwertung des Euro haben die Handwerker und kleinen Dienstleistungsbetriebe im Osten wenig. Es profitieren höchstens indirekt Zulieferer der großen Exportunternehmen. Aufgrund der lang exerzierten Lohnzurückhaltung in Deutschland wurde das große Potenzial des Tourismus im Osten nur bedingt genutzt.
Die ultra-lockere Geldpolitik begünstigt im Ergebnis die Regionen, in denen sich die großen Unternehmen und deren Zulieferer sowie die großen investmentorientierten Banken konzentrieren. Die sind überwiegend in Westdeutschland. Dort entstehen noch neue, vergleichsweise noch gut bezahlte Arbeitsplätze. Weil Ostdeutschland stagniert, wandern die jungen Menschen in die wirtschaftlichen Zentren ab. Im Westen liegt der durchschnittliche gezahlte Lohn immerhin 1000€ höher. Dort wird gebaut, während in den kleinen und mittleren Städten Ostdeutschlands immer mehr Häuser leer stehen und verfallen. Die ostdeutschen Flächenländer haben seit der Wende 15% ihrer Bevölkerung verloren. Der Staat verstärkt diese Entwicklung, weil er größere oder neue Regulierungsbehörden meist in großen Städten wie Berlin und Frankfurt schafft.
Japan, wo die Kreditblase knapp 20 Jahre früher als in Europa geplatzt ist und das billige Geld schon länger strömt, zeigt, wo die Reise hingeht (siehe Fischer und Schnabl 2018). Während Tokio als wirtschaftliches und administratives Zentrum nach wie vor floriert, siecht der Rest des Landes dahin. Daran kann ein umfangreicher regionaler Finanzausgleich nichts ändern, weil er über die Notenpresse finanziert werden muss.
Noch boomt Deutschland dank einer vom billigen Geld befeuerten Export- und Immobilienblase. Sobald die Blase platzt, werden sich die regionalen Konzentrationseffekte der ultralockeren Geldpolitik nochmals verstärken. Weil die Klein- und Mittelunternehmen und -banken das Rückgrat unserer Wirtschaft und Gesellschaft sind – und auch Deutschlands Osten in der Fläche eine positive Perspektive braucht –, sollte die EZB bald aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen!
Literatur:
Murai, Taiki / Schnabl, Gunther 2018: Wer treibt den deutschen Leistungsbilanzüberschuss auf ein Allzeithoch? Draghi, Scholz und Altmaier. Blog „Wirtschaftliche Freiheit“, 25.8.2018.
2 Antworten auf „Die EZB behindert den Aufholprozess Ostdeutschlands“