Die Gegner der Schuldenbremse blieben mit ihren konkreten Forderungen lange im Unbestimmten. Zwar argumentierten sie stets, daß Deutschland eine größere Investitionsoffensive bräuchte. Um welche finanziellen Dimensionen es dabei gehen sollte, blieb jedoch bisher unklar.
Das Schweigen über konkrete Dimensionen des Investitionsbedarfs war auch deshalb problematisch, weil man den Eindruck bekam, es ginge um eine Art Generalermächtigung zur defizitfinanzierten öffentlichen Ausgabenausweitung: Erst schaffen wir die Schuldenbremse ab, dann schauen wir einmal, was wir mit neuen Schulden alles finanzieren wollen.
Inzwischen steht nun aber eine Zahl im Raum. Michael Hüther hat im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen einen Investitionsbedarf zusätzlich zum aktuellen Niveau von etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren ausgemacht. Darin enthalten ist, so Michael Hüther, der „Bedarf in den Bereichen Verkehr, Breitband, Dekarbonisierung, Wohnen und Bildung“. Damit wären die wesentlichen Politikfelder abgedeckt.
Man kann über den Betrag sicher noch diskutieren. So sind im genannten Gesamtvolumen beispielsweise 138 Milliarden Euro kommunaler Investitionsbedarf enthalten. Diese werden von der Kreditanstalt für Wiederaufbau in einer Umfrage von den kommunalen Kämmerern erhoben. Inwieweit diese Umfragedaten eher Wünsche oder doch einen objektiven Investitionsbedarf wiederspiegeln ist daher fraglich. Nehmen wir aber für die weitere Diskussion erst einmal an, daß tatsächlich 45 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich für Investitionen aufgebracht werden müssen.
Angesichts der geringen Flexibilität der Einnahmenseite bei Ländern und Kommunen im deutschen Fiskalföderalismus müsste der nötige Finanzierungsspielraum größtenteils vom Bund eröffnet werden, der einen Teil der Mittel dann wieder z.B. mit projektbezogenen Förderprogrammen an Länder und Kommunen weiterreichen könnte. Den nötigen Spielraum kann der Bund sich entweder durch Einsparungen bei anderen Ausgaben verschaffen, oder durch Erhöhungen von Steuern, bei denen der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat. Oder Bund und Länder können nach Wegen suchen, die Schuldenbremse abzuschaffen oder auszuhebeln und im Umfang von 450 Milliarden Euro Kredite aufnehmen.
Der Bundeshaushalt hat in diesem Jahr ein Ausgabenvolumen von geplanten 356 Milliarden Euro. Davon sind 38,9 Milliarden Investitionsausgaben, die natürlich nicht angetastet werden dürfen, wenn man das Investitionsvolumen erhöhen möchte. Vor diesem Hintergrund erscheint es erst einmal sehr schwierig, Spielraum für weitere 45 Milliarden Euro Investitionen im Bundeshaushalt zu mobilisieren. Der Wunsch nach einer Lockerung der Schuldenbremse wirkt verständlich.
So schnell sollte man aber nicht aufgeben. Eine lohnende Lektüre ist die neueste Ausgabe des Kieler Subventionsberichts, die 2018 erschienen und deren Zahlenmaterial auf dem Stand von 2017 ist. Demnach gewährten der Bund und seine Sonderhaushalte auf der Ausgabenseite Finanzhilfen in Höhe von 55,3 Milliarden Euro. Nun sind auch darunter Posten, die man unter Investitionsgesichtspunkten vielleicht nicht streichen möchte, wie etwa Zuschüsse zum Breitbandausbau. Zu den Subventionen auf der Ausgabenseite kommen aber auch noch Steuervergünstigungen hinzu, die das Kieler IfW mit 62,1 Milliarden beziffert. Unterm Strich machte das Subventionsvolumen 2017 damit knapp 118 Milliarden Euro aus. Inzwischen dürfte es noch etwas höher liegen, sofern es keine überraschende Trendumkehr gab, wofür aber wenig spricht.
Nun kann man darüber diskutieren, welche Subventionen problemlos gestrichen werden könnten und welche vielleicht doch wichtige gesamtwirtschaftliche Aufgaben erfüllen. Das IfW sortiert die existierenden Subventionen nach verschiedenen Kriterien in drei Kategorien. Solche, die sofort gestrichen werden sollten, etwa weil sie ineffiziente Wirkungen haben, machen 17,8 Milliarden Euro aus. Die Subventionen, die aus verschiedenen Gründen erhalten werden sollten, betragen dagegen nur 8 Milliarden Euro. Es bleibt eine Grauzone von 92 Milliarden Euro, über die man politisch diskutieren kann und muss.
Jetzt kommt allerdings auch noch die Schuldenbremse ins Spiel. Diese ist nicht identisch mit der Schwarzen Null, sondern lässt einen gewissen Verschuldungsspielraum zu. Wenn man bei der Schuldenbremse zur Sicherheit eine hohe Konjunkturkomponente ansetzt, bestehen etwa 8 Milliarden Euro Spielraum für die Nettokreditaufnahme des Bundes. Bei einer sich verschlechternden Konjunktur würde dieser Betrag deutlich ansteigen. Gehen wir aber einmal von den 8 Milliarden als sicherer Bank aus, dann müssten noch 37 Milliarden Euro zusätzlicher Investitionen durch Subventionsabbau finanziert werden. Ziehen wir die 18 Milliarden definitiv abzuschaffenden, schädlichen Subventionen ab, so bleibt noch ein Finanzierungsbedarf von 19 Milliarden Euro.
Will man also ein sehr großzügiges Investitionsprogramm von 45 Milliarden Euro finanzieren, so besteht der schwierigste Teil der politischen Aufgabe darin, aus einem Volumen von 92 Milliarden Subventionen, die in der Grauzone des IfW-Berichtes sind, 19 Milliarden hin zu den gewünschten Investitionen umzuschichten.
Das ist zweifellos keine angenehme Aufgabe. Sie erfordert die Bereitschaft zum Konflikt mit gut organisierten Interessengruppen, die bisher von Subventionen profitieren. Wenn aber zusätzliche Investitionen tatsächlich eine dringende Priorität haben, dann sollte diese Aufgabe einer verantwortungsvollen Bundesregierung durchaus zumutbar sein.
Dem steht die politische Alternative gegenüber, die Schuldenbremse abzuschaffen oder durch juristische Winkelzüge zu umgehen. Das würde politisch natürlich einiges einfacher machen. Man würde einen Verteilungskonflikt zwischen Mitgliedern der aktuell aktiven Generation vermeiden und diesen auf zukünftige Generationen verlagern, die im Moment politisch noch nicht mitreden können. So gesehen wäre ein Schleifen der Schuldenbremse ein Symptom politischer Hasenfüßigkeit. Anstatt einen Konflikt auszutragen, würde man die Budgetrestriktion zugunsten der aktuellen Generation drehen.
Das bedeutet aber auch, daß man die Chance zur Effizienzsteigerung des Staates verstreichen lassen würde. Denn die Früchte eines erfolgreich ausgetragenen Verteilungskonfliktes bestehen ja gerade darin, daß die Effizienz auf der Ausgaben- und Einnahmenseite des Budgets erhöht wird und effiziente Investitionsausgaben ineffiziente Subventionen verdrängen. Nimmt man durch eine Abschaffung der Schuldenbremse diesen Druck von den staatlichen Akteuren, dann wird der öffentliche Sektor stattdessen zunehmend ineffizient.
Was bleibt als Fazit? Ein Investitionsprogramm von 45 Milliarden Euro im Jahr ist ohne Aushebelung der Schuldenbremse zu finanzieren. Dabei sind jedoch auch diese 45 Milliarden Euro durchaus diskutabel und wohl eher als Höchstgrenze der möglicherweise sinnvollen zusätzlichen Investitionen zu verstehen. Wer sich zum Ziel setzt, nicht einfach nur den Staatssektor größer werden zu lassen, sondern vielmehr seine Effizienz zu erhöhen, wird auf die Einhaltung der Schuldenbremse pochen müssen.
Blog-Beitrag zum Thema:
Sprudelnde Subventionen des Bundes. Die Kieler Subventionsampel
- Auch Du, Brutus?
Die NZZ auf einem Irrweg zu höherer Staatsverschuldung - 21. Oktober 2024 - Wie steht es um den Bundeshaushalt 2025 – und darüber hinaus? - 19. September 2024
- Die Krise des Fiskalföderalismus
Dezentralisierung und Eigenverantwortung sind notwendiger denn je - 31. Juli 2024
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