Unabhängigkeit der EZB (2)
Das BVerfG stellt die Unabhängigkeit der EZB nicht in Frage

Am 5. Mai urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem Programm zum Ankauf von Staatsanleihen (Public Sector Purchase Programme, PSPP) ihre Kompetenzen überschritten habe, weil sie es zu untersuchen versäumt habe, ob die erwünschten geldpolitischen Effekte dieses Programms in einem vertretbaren Verhältnis zu seinen unmittelbaren wirtschaftspolitischen und fiskalischen Wirkungen stehen (Verhältnismäßigkeitsprüfung). Die Bundesregierung und der Bundestag wurden verpflichtet, gegen das kompetenzüberschreitende Verhalten der EZB vorzugehen und auf eine mandatskonforme Politik der EZB hinzuwirken. Der Deutschen Bundesbank wurde es untersagt, nach Ablauf einer Konsultationsfrist von drei Monaten weiter an den Ankäufen des PSPP teilzunehmen, sofern bis dahin nicht den Monita des Bundesverfassungsgerichts durch einen Beschluss des EZB-Rates Rechnung getragen worden sei.

Das facettenreiche Karlsruher Urteil ist umgehend von verschiedener Seite kritisiert worden. Eine vor allem von Ökonomen vorgetragene Kritik betont, dass die Europäische Zentralbank in Artikel 130 und Artikel 282 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) als eine unabhängige Institution verankert sei. Die Pflicht, geldpolitische Beschlüsse einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen, deren Inhalt vom Europäischen Gerichtshof oder von nationalen Verfassungsorganen geprüft und ggf. gerügt werden könne, verstoße gegen diese Unabhängigkeit.

Urteilsschelte ist unangemessen

Diese Kritik greift regelmäßig zu kurz. In Artikel 130 AEUV wird die Unabhängigkeit der EZB unter Bezug auf die Wahrnehmung der ihr „übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten“ festgeschrieben. Ähnlich formuliert Artikel 282, dass die EZB „in der Ausübung ihrer Befugnisse“ unabhängig ist. Beides ist so zu verstehen, dass der EZB keine Weisungen erteilt und die Mitglieder ihrer Beschlussorgane nicht beeinflusst werden dürfen, soweit und solange sie die ihnen gesetzlich auferlegten Befugnisse, Aufgaben und Pflichten wahrnehmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber gerade ein Pflichtversäumnis der EZB konstatiert. Der EZB-Rat habe – zumindest in der Sicht der Karlsruher Richter – eine ihm übertragene Aufgabe nicht wahrgenommen, weil er die nach Artikel 5 des EU-Vertrages (EUV) zwingend vorgeschriebene Verhältnismäßigkeitsprüfung für das PSPP unterlassen habe. In einem solchen Fall wird die EZB verständlicherweise nicht mehr durch die im AEUV garantierte Unabhängigkeit vor Weisungen oder Einflussnahme Dritter geschützt.

Es ist also nicht so leicht, wie manche Kritiker des Bundesverfassungsgerichts dies zu glauben scheinen. Solange die EZB innerhalb ihrer Aufgaben und Befugnisse handelt, kann eine von ihr vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht zum Angriff auf ihre Unabhängigkeit genutzt werden – davor schützt Artikel 130 AEUV. Kommt aber ein Gericht zu der Überzeugung, dass die EZB nicht mandatskonform handelt und verpflichtet deshalb Verfassungsorgane zur korrigierenden Einflussnahme auf die EZB, ist auch dies kein Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB, weil die EU-Verträge die Unabhängigkeit der EZB nicht als Immunität eines Exekutivorgans vor der gewaltenteiligen Kontrolle durch die Gerichtsbarkeit verstehen.

Gewaltenteilung als oberstes Rechtsstaatsprinzip

Die Frage, ob das Karlsruher Urteil negative (oder positive) Implikationen für die Unabhängigkeit der EZB hat, muss also mit großer Präzision gestellt und beantwortet werden. Zumindest ist die Unabhängigkeit der EZB bezüglich der drei Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative zu differenzieren. Dabei dürfte es weitgehend unstreitig sein, dass die EZB, selbst Teil der Exekutive, vom Rest der Exekutive unabhängig sein sollte. Dass dies in der Realität nicht vollständig erfüllt ist, weil die EZB über verschiedene institutionelle und personelle Arrangements mit dem Europäischen Finanzaufsichtssystem ESFS und dort insbesondere mit dem Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus SSM sowie dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken ESRB verknüpft ist, soll hier nur vermerkt, nicht jedoch weiter diskutiert werden.

Das Mandat eines Exekutivorgans bestimmt die Legislative

Von der Legislative kann eine Zentralbank niemals völlig unabhängig sein, denn die Legislative definiert das Mandat der Zentralbank. Dies kann mehr oder weniger detailliert erfolgen und Änderungen des Mandats oder nachgeordneter Bestimmungen wie zum Beispiel der Satzung der EZB oder des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) sind jederzeit möglich. Die Unabhängigkeit der Zentralbank bemisst sich danach, wie detailliert die Vorgaben der Legislative ausfallen und wie oft die Legislative von ihrem Recht auf Änderung der Rahmenbedingungen Gebrauch macht.

Im einfachsten – und vielleicht idealen – Fall setzt die Legislative lediglich allgemeine Regeln und überlässt der Zentralbank die diskretionären Entscheidungen, die im Rahmen dieser Regeln zu treffen sind. Ob dies gelingt, hängt aber sowohl von der Qualität der Rahmengesetzgebung ab als auch von der Bereitschaft der Zentralbank, das gegebene Regelwerk zu respektieren. Andernfalls kann es zu Regeländerungen kommen wie zum Beispiel nach dem Bail-out der American International Group (AIG) im September 2008 durch die New York Federal Reserve Bank. Dieser hatte dem US-Kongress Anlass gegeben, das Zentralbankgesetz (den Federal Reserve Act) zu ändern und künftig selektive Unternehmensrettungen zu verbieten. Dass zwischen häufigen Regeländerungen und diskretionären Eingriffen der Legislative kein klar definierbarer Unterschied mehr bestehen würde, braucht nicht besonders betont zu werden.

Der Bundestag als Teil der europäischen Legislative

Das Verhältnis zwischen EZB und Deutschem Bundestag ist freilich komplizierter, weil der Deutsche Bundestag nur ein Teil der das Mandat der EZB setzenden EU-Legislative ist. Deshalb kann der Bundestag einer eventuellen Kompetenzüberschreitung der EZB nicht mit einer Ertüchtigung der Rahmengesetzgebung begegnen. Jedoch gebietet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, dass der Bundestag einen Missbrauch demokratisch übertragener Hoheitsrechte nicht untätig hinnimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Deutschen Bundestag (und die Bundesregierung) deshalb dazu verpflichtet, auf die Organe der Europäischen Union einzuwirken und „für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände (zu) sorgen“.

Diese Aufforderung drückt aus, dass der Bundestag gegenüber der EZB eine viel geringere Machtfülle hat, als dies im einzelstaatlichen Kontext gegenüber einer nationalen Zentralbank der Fall wäre. Die EZB ist weitaus unabhängiger vom Bundestag als eine nationalstaatliche Zentralbank von der sie legitimierenden Legislative. Verglichen mit den Möglichkeiten, die der Legislative im rein innerstaatlichen Verhältnis zu Gebote stünden, hat das Bundesverfassungsgericht dem Deutschen Bundestag eine bemerkenswert niedrigschwellige Aufgabe zugewiesen: Statt einer eventuellen Änderung der Rahmengesetzgebung, die unter Umständen als ein die Unabhängigkeit der Zentralbank antastender Eingriff hätte gesehen werden können, muss der Bundestag nur für „vertragskonforme Zustände sorgen“,  sprich: für ein mandatstreues Verhalten der EZB. Da das Mandat als solches nicht angetastet wird, ist die Unabhängigkeit der EZB innerhalb der Grenzen ihres Mandats unverändert.

Unabhängigkeit von der Judikative wäre rechtsstaatswidrig

Von der Judikative schließlich kann die EZB nicht unabhängig sein, ohne grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung zu verletzen. Denn in einem Rechtsstaat muss jedes staatliche Handeln gerichtlicher Kontrolle unterliegen. Dabei achtet die Judikative natürlich die gesetzlich garantierte Unabhängigkeit der EZB bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Befugnisse. Aber die Judikative hat das Recht und die Pflicht, das Handeln der EZB auf eventuelle ausbrechende Rechtsakte bzw. auf ein Überschreiten der ihr übertragenen Kompetenzen zu überprüfen.

Gerade eine unabhängige EZB bedarf der gerichtlichen Kontrolle

Dies ist kein Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB, sondern die zwingende Konsequenz aus dieser Unabhängigkeit: Da das diskretionäre Handeln der EZB weder von der Exekutive noch von der Legislative kontrolliert werden darf, muss diese Kontrolle notwendigerweise und mit besonderer Gründlichkeit durch die Gerichtsbarkeit erfolgen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies deutlich hervorgehoben und zudem gefordert, dass die EZB ihr Mandat „eng“ auslegen müsse, gerade weil sie von demokratischer Kontrolle durch Parlament und Regierung befreit ist. Wörtlich heißt es in Randnummer 143 des Urteils:

„Hinzu kommt, dass das Mandat des ESZB wegen der mit der Unabhängigkeit der EZB und der nationalen Zentralbanken (…) verbundenen Absenkung des demokratischen Legitimationsniveaus ihrer Entscheidungen eng begrenzt sein muss. Die gewährleistete Unabhängigkeit bezieht sich nur auf die der EZB durch die Verträge eingeräumten Befugnisse und deren inhaltliche Ausgestaltung, nicht aber auf die Bestimmung von Umfang und Reichweite ihres Mandats.“

Keine Selbstermächtigung der EZB

Mit dem letzten Satz berührt das Bundesverfassungsgericht den entscheidenden Punkt: Jene Kritiker des Urteils, die die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung von Beschlüssen des EZB-Rates als einen Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB sehen, missverstehen die Unabhängigkeit der EZB als die Befugnis, selbst (unabhängig) entscheiden zu können, welche Befugnisse die EZB zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigt. Diese Auffassung ist offenkundig irrig.

Staatsrechtler haben in diesem Zusammenhang den Begriff der „Kompetenzkompetenz“ entwickelt: Die Kompetenz einer Institution, ihre eigenen Kompetenzen zu definieren. Eine Kompetenzkompetenz der EZB (oder einer anderen europäischen Institution) verstieße gegen den ebenfalls in Artikel 5 des EU-Vertrages festgeschriebenen Grundsatz der beschränkten Einzelermächtigung, also gegen das fundamentale Rechtsprinzip, dass Institutionen der Europäischen Union nur die Zuständigkeiten besitzen, die ihr von den Mitgliedsstaaten als Trägern der staatlichen Souveränität ausdrücklich übertragen worden sind.

Vorrang des EuGH unstrittig

Damit erweist sich die Kritik an der gerichtlichen Überprüfung des PSPP-Beschlusses als haltlos. Auf die sich anschließende Frage, welches Gericht zur Überprüfung von Rechtsakten der EZB befugt ist, soll hier nur kurz eingegangen werden, weil die Antwort eindeutig ist: Die Befugnis (und die Verpflichtung) liegt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das bestreitet auch das Bundesverfassungsgericht nicht. Im konkreten Einzelfall des PSPP-Verfahrens wirft das Bundesverfassungsgericht dem EuGH zwar vor, seinem Rechtsprechungsauftrag nicht nachgekommen zu sein und „objektiv willkürlich“ geurteilt zu haben. Deshalb seien Bundestag und Bundesregierung auch in Bezug auf den EuGH verpflichtet, für die Wiederherstellung mandatskonformer Zustände zu sorgen. Aber der grundsätzliche Rechtsvorrang des EuGH wird nicht bestritten und da die derzeitigen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH allein in rechtswissenschaftlicher Methodik begründet sind und nichts mit der Unabhängigkeit der EZB zu tun haben, führt eine Diskussion dieses wichtigen Konflikts an dieser Stelle nicht weiter.

Darf die Gerichtsbarkeit materiell prüfen?

Zu vermerken ist noch, dass manche Kritiker des Bundesverfassungsgericht eine scheinbar moderatere Argumentation vortragen: Sie erkennen den grundsätzlichen Kontrollauftrag der Gerichtsbarkeit an, beanstanden aber, dass das Bundesverfassungsgericht eine materiell-inhaltliche Prüfung der Beschlüsse des EZB-Rates fordert. Dies sei mit der Unabhängigkeit der EZB unvereinbar.

Bei der vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Abschätzung der Verhältnismäßigkeit der Staatsanleihenkäufe etwa müsse die Beurteilung der Frage, ob die zwangsläufigen realwirtschaftlichen Nebenwirkungen des PSPP-Programms (z. B. Auswirkungen auf private Altersvorsorge, Immobilienpreise, Zombie-Unternehmen, Anreize zu soliden Staatshaushalten etc.) angesichts der geldpolitischen Zielerreichung vertretbar seien, allein dem Ermessen der EZB überlassen bleiben. Die Gerichtsbarkeit habe nur formal festzustellen, ob die EZB die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen überprüft habe. Würde diese Frage bejaht, sei ein gerichtlicher Eingriff nur möglich, wenn die EZB ihr Ermessen willkürlich ausgeübt habe und ihre Einschätzung objektiv nicht nachvollziehbar sei.

Eine nur formale Prüfung liefe ins Leere

Diese Argumentation vermischt zwei unterschiedliche Sachverhalte: Den der rein formalen und den einer inhaltlich-materiellen Kontrolle. Müsste die Gerichtsbarkeit allein auf das formale Kriterium abstellen, ob die EZB eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt hat, wäre eine geldpolitische Maßnahme der EZB letztlich stets statthaft, wenn die EZB befände, dass sie statthaft sei. Die gerichtliche Kontrolle liefe damit völlig ins Leere, weil die EZB sich ihr de facto entziehen könnte. Deshalb ist das Eintreten für eine lediglich formale Kontrolle mandatskonformen Verhaltens faktisch identisch mit der – rechtsstaatswidrigen – Position, dass die EZB keiner gerichtlichen Kontrolle unterworfen sein dürfe.

Ob die EZB ihr Ermessen willkürlich ausgeübt hat und ob ihre Entscheidungen zumindest nachvollziehbar sind, kann aber nicht mehr ausschließlich formal geprüft werden. Diese Fragen führen zwangsläufig in den Bereich der inhaltlich-materiellen Kontrolle, sie sind ihrer Essenz nach inhaltlicher Natur.

Prüfmaßstäbe der EZB müssen objektiv nachvollziehbar und willkürfrei sein

Mehr als eine objektiv nachvollziehbare, sichtlich willkürfreie Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Bundesverfassungsgericht auch gar nicht verlangt. Konkrete Kriterien für die Verhältnismäßigkeitsprüfung oder gar Gewichte für die Bewertung unterschiedlicher Auswirkungen des Programms gibt das Gericht nicht vor. Dies haben manche Kritiker des EZB-Urteils beklagt, ohne zu verstehen, dass genau solche Vorgaben in der Tat eine Einschränkung der Unabhängigkeit der EZB gewesen wären. Zudem steht die Vorgabe von Prüfmaßstäben dem Bundesverfassungsgericht gar nicht zu. Dies wäre eine Kompetenz der Legislative, während Gerichte in der gewaltenteiligen Ordnung auf Kontrolle beschränkt sind.

Kompetenzabgrenzung muss reale Auswirkungen berücksichtigen

Undurchdacht ist auch der aus der Rechtsprechung des EuGH abgeleitete Vorwurf, das Bundesverfassungsgericht greife die Unabhängigkeit der EZB an, weil es nicht auf ihre Ziele und Instrumente abstelle, sondern auf die realwirtschaftlichen Wirkungen der Staatsanleihenkäufe. Dieser Kritik liegt der Gedanke zugrunde, die in den europäischen Verträgen getroffene Kompetenzzuweisung der Geldpolitik an die EZB und der Wirtschaftspolitik an die Mitgliedsstaaten solle in Bezug auf Ziele und eingesetzte Instrumente operationalisiert werden. Demnach wären Staatsanleihenkäufe der Zentralbank (auf dem Sekundärmarkt) ein geldpolitisches Instrument und die EZB mithin zu dessen Einsatz befugt, weil sie die Befugnis zur Geldpolitik innehat.

Diese auf den ersten Blick vielleicht ansprechende Abgrenzung trägt aber nicht weit. Zum einen sind „Ziele“ nicht objektiv feststellbar. Hätte zum Beispiel – rein hypothetisch – die EZB mit dem PSPP das Ziel verfolgt, monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben, so hätte sie sich zweifellos gehütet, dieses Ziel explizit zu machen, weil die monetäre Staatsfinanzierung durch Artikel 123 AEUV ausdrücklich untersagt ist. Eine gerichtliche Kontrolle der wahren Ziele ist also gerade bei unzulässigen Zielen nicht möglich.

Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten darf nicht konterkariert werden

Allein auf die Instrumente abzustellen, öffnet aber ebenfalls vielfältige Missbrauchsmöglichkeiten. Mit ihren geldpolitischen Instrumenten steuert die EZB die intertemporalen Preise und kann zudem diskretionär die verschiedensten Finanzaktiva erwerben oder veräußern. Daraus ergeben sich enorme realwirtschaftliche Einflussmöglichkeiten: Selektive Unternehmensrettungen wie bei AIG, Steuerung von Investitions-, Spar- und Konsumentscheidungen, Bail-outs insolventer Staaten, Änderungen in Außenhandelsströmen und Vermögensverteilung – alles üblicherweise Gegenstand wirtschaftspolitischer Entscheidungen und der demokratischen Willensbildung. Einer parlamentarisch nicht kontrollierten, weil unabhängigen Institution kann diese Machtfülle nicht überantwortet werden.

Öffentliche Folgenabschätzung ist staatspolitische Pflicht einer unabhängigen EZB

Deshalb ist es unverzichtbar, bei der gerichtlichen Kontrolle der EZB inhaltlich-materiell zu prüfen und auf die tatsächlichen realwirtschaftlichen Wirkungen von EZB-Entscheidungen einzugehen. Diese Prüfung ist rechtsstaatlich zwingend geboten. Sie beinhaltet keinerlei Einschränkung der Unabhängigkeit der Zentralbank, solange bei der vorgeschriebenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Setzung nachvollziehbarer Bewertungsmaßstäbe der EZB überlassen wird.

Ganz im Gegenteil: Dass die EZB der Öffentlichkeit darlegt, warum ihrer Auffassung nach die vielfältigen realwirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Politik insgesamt in einem vertretbaren Verhältnis zu den beabsichtigten geldpolitischen Wirkungen stehen, ist nicht nur rechtlich erforderlich. Es ist angesichts des Vertrauensvorschusses, der ihr durch Gewährung ihrer Unabhängigkeit zuteil wurde, eine natürliche staatspolitische Pflicht.

Blog-Beiträge der Serie „Unabhängigkeit der EZB“

Uwe Vollmer: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu PSPP. Anfang vom Ende der Notenbankunabhängigkeit

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