Jutta Urpilainen und der EURO
Vier Szenarien zur Zukunft der Währungsunion

Die Krise in der Euro-Zone wandelt sich zusehends von der Krise einzelner überschuldeter Länder zu einer Krise der Währungsunion selbst. Hinter den Länderkrisen stehen letztlich überzogene Ansprüche, die über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinausgehen. Dabei waren es in Griechenland und Portugal die Einkommensansprüche der Bürger, die sich in rasch steigenden Löhnen und ausufernden staatlichen Wohltaten niederschlugen. In Irland war es die Illusion, der Staat könne seinen überdimensionierten, in die Schieflage geratenen Finanzsektor ohne schmerzliche Strukturanpassung durch die Krise bringen. Bisher haben die Euro-Retter mit Maßnahmen reagiert, die es den Krisenländern erleichtern, ihre Schuldenberge zu tragen. Diese Rettungspakete sind es, die aus den Länderkrisen eine Währungskrise machen.

Wie wird es weitergehen? Wenn man die absehbare Entwicklung konsequent bis zum Ende durchdekliniert, fällt die Antwort gar nicht so schwer. Denn die systemimmanenten Ursachen der Krise sind hinreichend analysiert, die Aussichtslosigkeit der Sanierung der griechischen (und portugiesischen) Staatsfinanzen ist vielfach belegt und die Verhaltensmuster der politischen Akteure lassen sich täglich neu studieren – alles Weitere lässt sich deduktiv ableiten. Dabei sollen die folgenden vier Szenarien helfen, von denen sich am Ende nur eines als tragfähig erweisen wird.

Weiter so – mehr davon

Die aktuelle Politik ist geprägt von der Vorstellung, die Krise sei letztlich Ergebnis übernervöser Finanzmärkte, die von kurzsichtigen und interessengeleiteten Ratingagenturen sowie von irrationalen und gierigen Finanzinvestoren dominiert würden. Es komme deshalb vorrangig darauf an, die Krise durchzustehen und sich hinüberzuretten in eine Zeit, in der sich die Finanzmärkte wieder beruhigt haben werden. Nicht Probleme lösen, sondern Zeit kaufen lautet die Devise. Zwar wird den Krisenstaaten ein strenges Sparprogramm verordnet, aber die Durchsetzung erfolgt nur zögerlich und dient eher der innenpolitischen Beruhigung in den Geberländern als der Krisenbewältigung in den Empfängerländern.

Das unter diesem Szenario bevorzugte Verhaltensmuster lautet, möglichst große Rettungsschirme aufzuspannen und diese notfalls weiter aufzustocken, falls sie sich im Nachhinein als zu klein erweisen sollten. Flankiert werden die Rettungsschirme von Aufkäufen dubioser Staatsanleihen durch die EZB, durch ausufernde Target-Kredite im Zentralbanksystem und künftig vielleicht auch durch die Ausgabe von Euro-Bonds.

Diese Politik muss scheitern, weil sie die Ursachen der Krise verkennt und weil sie unzureichende Anreize für die maßgeblichen Akteure setzt: Die um ihre Wiederwahl fürchtenden Politiker in den Krisenländern haben in diesem Szenario allen Grund, eisernen Sparwillen nur vorzutäuschen und dafür zu sorgen, dass der eigenen Bevölkerung möglichst wenig Anpassungsschmerzen zugefügt werden. Und die Investoren können weiter darauf vertrauen, dass die von ihnen erworbenen Staatsanleihen nur ein minimales Ausfallrisiko bergen, da die Rettungsschirme es im Zweifel schon richten werden.

Das Szenario ist nicht tragfähig, denn es impliziert ständig steigende Staatsschulden in den Krisenländern. Daran würde auch eine „geordnete“ Insolvenz der Krisenländer, worunter ein moderater Schuldenschnitt mit Verbleib in der Währungsunion gemeint sein dürfte, nichts Wesentliches ändern. Denn auch damit würde letztlich nur Zeit gekauft, da die Ursachen der ständig steigenden Neuverschuldung nicht beseitigt wären. Die Rettungsschirme für diese Länder werden damit zu Fässern ohne Boden.

Darüber hinaus würde es für weitere Länder attraktiv werden, sich auf die Rettungsschirme zu verlassen und die Konsolidierung der Staatsfinanzen auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben. Immer mehr Länder würden von der Geber- auf die Nehmerseite der Rettungsschirme wechseln, bis schließlich auch die Bonität der wenigen verbleibenden Geberländer in Mitleidenschaft gezogen würde und sämtliche Rettungsschirme in sich zusammenfielen.

Anreizeffiziente Umschuldung

Aus rein ökonomischer Sicht wäre es durchaus möglich, all die in dem obigen Szenario beschriebenen Fehler zu vermeiden und die Währungsunion dauerhaft auf ein solides Fundament zu stellen. Das Grundprinzip müsste lauten, Handlung und Haf¬tung zusammenfallen zu lassen und den Griff in fremde Taschen zur Finanzierung der eigenen Schulden zu verwehren. Die dazu nötige Strategie enthält vier Kernelemente (ausführlicher hier):

  • An allererster Stelle steht die Regulierung des Finanzsektors. Solange systemrelevante Banken damit drohen können, durch ihre Insolvenz ganze Volkswirtschaften zu destabilisieren, werden alle Haftungsregeln zwischen Regierungen und Staaten ins Leere laufen. Nötig ist ein spezielles Insolvenzrecht für Banken, das es erlaubt, die systemrelevanten Teile unter staatliche Kontrolle zu bringen und die übrigen Teile Konkurs gehen zu lassen
  • Das zweite Kernelement sind die Zinssignale an den Kapitalmärkten, die Entfaltungsspiel-aum benötigen, um Überschuldungsprobleme einzelner Länder frühzeitig anzeigen zu können.
  • Das dritte Kernelement stellt die Schaffung geeigneter Instrumente zur Umschuldung dar. Hier liegt zunächst einmal keine Aufgabe der europäischen Wirtschaftspolitik, sondern eine Aufgabe für die unmittelbar involvierten Schuldner, denn diese haben ein vitales Interesse daran, ihre gewährten Kredite zurückgezahlt zu bekommen. Jene Länder, die eine massive Umschuldung in Anspruch nehmen, wären allerdings auf viele Jahre vom Kapitalmarkt abgeschnitten. Die Gemeinschaft der Euro-Retter wird als Garantiegeber einspringen müssen, wenn ein Absturz der Krisenländer ins Bodenlose vermieden werden soll. Eine Möglichkeit dafür wäre, ihre Staatsanleihen unter voller Beteiligung der privaten Investoren zunächst stark abzuwerten und sie dann als Euro-Bonds von den Euroländern insgesamt garantieren zu lassen.
  • Die gemeinschaftliche Bereitstellung von Euro-Bonds stellt natürlich eine Verletzung des Prinzips der Einheit von Handlung und Haftung dar. Deshalb wird als viertes Kernelement ein Sanktionsmechanismus benötigt für jene Länder, die diese Garantien in Anspruch nehmen. Kein gutes Modell dafür sind die Strafzahlungen, wie sie im Maastrichter Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehen sind; denn sie dürften ins Leere laufen gegenüber Ländern, denen ohnehin schon das Geld ausgegangen ist. Weitaus wirksamer wäre die temporäre Abtretung der Haushaltssouveränität der Schuldenländer an die Garantieländer. Hilfreich dafür könnten die Vorgabe verbindlicher Fiskalregeln und die Einrichtung unabhängiger Schuldenkommissionen für die Überwachung dieser Regeln sein.

Bei Befolgung dieser Rezeptur haben alle Akteure einen Anreiz, die Schuldenkrise zu bekämpfen und künftige Schuldenkrisen zu vermeiden: Die Banken müssen zwar einen Schuldenschnitt hinnehmen, können dann aber auf gemeinschaftlich garantierte Euro-Bonds zurückgreifen. Und sie werden künftig bei ihrer Kreditvergabe stärker auf die Solvenz der Schuldner schauen als bisher. Die Krisenländer erhalten wieder eine realistische Perspektive, zumindest auf längere Sicht ihre fiskalische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Und die Garantieländer schließlich, an deren Anreizstrukturen derzeit niemand denkt, können die Währungsunion vor dem Zusammenbrechen bewahren, ohne dafür in Fässer ohne Boden einzahlen zu müssen.

In der öffentlichen Diskussion wird insbesondere gegen den in diesem Szenario enthaltenen Schuldenschnitt eine Reihe von Einwänden vorgebracht, die allerdings wenig überzeugend sind.

  • Erstens sei Griechenland dann vom Kapitalmarkt abgeschnitten und bekäme keine neuen Kredite mehr. Tatsächlich ist das heute schon der Fall, wie sich an den exorbitanten Spreads zeigt.
  • Zweitens würden die Geschäftsbanken in Deutschland, Frankreich und anderswo ins Wanken geraten, wenn sie ihre griechischen Staatspapiere um die Hälfte oder mehr abschreiben müssten. Tatsächlich haben die allermeisten Banken längst entsprechende Wertberichtigungen vorgenommen.
  • Drittens wären die griechischen Banken einem massiven Schuldenschnitt nicht gewachsen. Dies trifft sicher zu, aber die Stabilisierung notleidender griechischer Banken dürfte deutlich weniger Rettungsmittel erfordern als die Stabilisierung des gesamten griechischen Staatshaushalts.
  • Viertens werde es zu Domino-Effekten in anderen Euro-Ländern kommen. Fraglich ist aber, ob diese Effekte tatsächlich ausgeprägter wären als beim Weiter so mehr davon-Szenario. Dort wäre auf längere Sicht erst recht mit einem Übergreifen der Krise auf andere Länder zu rechnen, und zwar zum einen wegen der schwindenden Hoffnung, alle Krisenländer könnten nach gleichem Muster gerettet werden, und zum anderen wegen der zu erwartenden Überschuldung überstrapazierter Geberländer.

Wenn es dagegen gelänge, nach Maßgabe des Szenarios der anreizeffizienten Umschuldung die Währungsunion insgesamt auf ein solides Fundament zu stellen, könnte sich die Nervosität an den Finanzmärkten auf Dauer legen, so dass nur noch solche Länder um ihre Kreditwürdigkeit an den Kapitalmärkten fürchten müssten, die tatsächlich überschuldet sind.

Die Einwände gegen den Schuldenschnitt sind es also nicht, die gegen das Szenario der anreizeffizienten Umschuldung sprechen. Die Fallstricke liegen vielmehr auf der politischen Ebene. Dies beginnt bereits bei dem ersten der genannten Kernelemente – der Insolvenzordnung für systemrelevante Banken. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise nach der Lehman-Pleite war der Reformeifer groß, doch geschehen ist so gut wie nichts. Die Chancen, in diesem Bereich substantiell voranzukommen, sind vielleicht schon vorbei. Zumindest sind keine allzu großen Bestrebungen mehr erkennbar, den systemischen Banken durch adäquate Regulierungen ihr politisches Erpressungspotential zu nehmen.

Unter die Räder der Politik könnte auch die Idee anreizeffizienter Euro-Bonds geraten. Würden sie – wie derzeit – diskutiert –die nationalen Staatsanleihen der Krisenländer ohne jeden Schuldenschnitt im Verhältnis 1:1 ersetzen, wären sämtliche Anreizstrukturen zerstört. Das Szenario der anreizeffizienten Umschuldung würde damit unweigerlich zum Weiter so mehr davon-Szenario mutieren.

Die dritte politische Hürde liegt bei der fiskalischen Überwachung der Krisenländer. Es ist schwer vorstellbar, wie die dafür nötigen Eingriffe in die nationale Souveränität praktikabel umgesetzt werden sollen. Damit die Haushaltssanierung nicht nur versprochen, sondern tatsächlich vollzogen wird, müssten die Geberländer mit Nachdruck die Befolgung der Regeln einfordern. Wie sich an den aktuellen Debatten zeigt, ist es politisch alles andere als opportun, als einziges unter den Geberländern den Hardliner zu spielen und auf strenge Haushaltsdisziplin zu pochen. Die übrigen Geberländer werden dies als bequeme Einladung zum Schwarze-Peter-Spiel ausnutzen und damit den Schuldenländern alle Möglichkeiten eröffnen, sich vor der Haushaltskonsolidierung zu drücken.

Aus diesem Blickwinkel heraus erscheint das Szenario der anreizeffizienten Umschuldung als ebenso wenig tragfähig wie das Weiter so mehr davon-Szenario, allerdings aus politischen und nicht aus ökonomischen Gründen.

Die Neu-Drachme

Immer vernehmlicher werden die Stimmen, die einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone fordern – sei es freiwillig oder auf Druck der anderen Euro-Länder. Der Haken dabei ist aber, dass sich kaum einer die Mühe macht, dieses Szenario wirklich in allen praktischen Konsequenzen auszuleuchten. Entscheidend sind die folgenden Punkte:

  • Eine Währungsumstellung über Nacht ohne öffentliche Vorankündigung ist in einer Demokratie nicht möglich.
  • Wenn vorangekündigt wird, dass die in Griechenland gehaltenen Bankkonten in Kürze zwangsweise von Euro auf Neu-Drachmen umgestellt werden, wird jeder seine Euros retten wollen und unter die Matratze oder ins Ausland schaffen, um drohende Abwertungsverluste zu vermeiden. Das bedeutet einen Bankrun, dem zumindest die griechischen Banken nicht gewachsen sein werden. In Ansätzen hat ein solcher Run bereits begonnen, aber er hat bislang keine panikartigen Züge angenommen, wie es bei einer Währungsumstellung zu erwarten wäre.
  • In dieser Übergangsphase käme das gesamte Geld- und Kreditwesen Griechenlands zum Erliegen. Es würde keine Überweisung mehr funktionieren, Gehälter und Renten könnten nicht mehr ausgezahlt werden, Lieferantenrechnungen blieben offen, und die gesamte Wirtschaft würde vorübergehend in die Tauschwirtschaft mit Zigarettenwährung zurückfallen. Die griechische Realwirtschaft würde ins Bodenlose stürzen.
  • Vermieden werden könnte der Zusammenbruch des Geldwesens vielleicht, wenn aus anderen Ländern so viel Bargeld nach Griechenland geschafft würde, dass jedem Auszahlungswunsch der Bürger entsprochen werden könnte. Allein schon die logistische Herausforderung derartiger Geldtransporte wäre erheblich. Hinzu kommt, dass wohl kaum ein Euro-Land bereit wäre, Euro-Noten in derartigem Umfang bereitzustellen, wenn in Kürze ohnehin die Neu-Drachme eingeführt würde.

Auch im Szenario der Neu-Drachme wäre ein kräftiger Schuldenschnitt unvermeidbar. Denn die Staatseinnahmen würden jetzt in Neu-Drachmen anfallen, während die Staatsschulden zu einem großen Teil nach wie vor in Euro bedient werden müssten. Da die Neu-Drachme von Anbeginn an unter starkem Abwertungsdruck stünde, würde die Zinslast für den griechischen Staatshaushalt noch viel drückender als heute schon ausfallen. Die griechische Wirtschaft würde zwar infolge der Währungsabwertung auf den Weltmärkten wieder wettbewerbsfähiger werden, aber der griechische Staatshaushalt wäre endgültig zerrüttet.

Fazit: Es war wohl ein Fehler, Griechenland überhaupt in die Euro-Zone aufzunehmen – zum Nachteil nicht nur für die Euro-Zone insgesamt, sondern auch für Griechenland selbst, das in die Schuldenfalle der Währungsunion getappt ist. Aber ist dieser Schritt ist nicht rückgängig zu machen, solange Griechenland nicht wieder aus eigener Kraft eine stabile Neu-Drachme garantieren kann. Der Hauptgrund dafür ist der in der Übergangsphase zu erwartende Bankrun, der das gesamte Land ins Chaos stürzen würde. Es ist erstaunlich, wie wenig diese einfachen Überlegungen in der politischen Debatte um die Zukunft der Währungsunion beachtet werden.

Jutta-Urpilainen-Szenario

Der Ausstieg aus der Währungsunion ist möglich für die wirtschaftlich stabilen Länder, da sie bei der Wiedereinführung ihrer nationalen Währungen keine massive Abwertung gegenüber dem Euro, sondern eher eine Aufwertung zu erwarten hätten. Sie müssten deshalb auch keinen Bankrun befürchten. Für große Länder wie Deutschland ist ein solcher Schritt derzeit politisch schlichtweg nicht vorstellbar. Für kleinere Länder, deren Rolle im gesamten Prozess der europäischen Integration eher peripher ist, könnte sich die Situation aber anders darstellen.

Ein erstes Signal in eine solche Richtung ging von der finnischen Finanzministerin Jutta Urpilainen aus. Sie forderte als Gegenleistung für die finnische Beteiligung an der Griechenland-Rettung ein Pfand, das verzinslich angelegt werden solle und dessen Gegenwert langfristig dem finnischen Beitrag zum Rettungsschirm des EFSF entsprechen würde. Als die griechische Regierung im August 2011 den Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung für solch eine Kompensationszahlung vermeldete, kamen prompt entsprechende Forderungen aus anderen kleineren Ländern – zunächst aus Österreich und dann aus den Niederlanden.

Würden alle EFSF-Länder diesem Beispiel folgen, wäre das Konzept des Rettungsschirms natürlich ad absurdum geführt. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass der finnische Vorstoß von Deutschland und anderen Ländern als undurchführbar zurückgewiesen wird. Die finnische Regierung wiederum lässt sich nicht so leicht in die Schranken weisen, da sie sich an einen Parlamentsbeschluss gebunden fühlt, der ihr gar keine andere Wahl lasse. Wie dieser Streit ausgeht, ist derzeit schwer absehbar, aber es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass Finnland sich unter dem innenpolitischen Druck seiner Euro-Gegner letztendlich zum Ausstieg aus der Euro-Zone entschließen wird. Eventuelle Befürchtungen, das Land werde damit zum Außenseiter in der Europäischen Union, halten sich vermutlich schon deshalb in Grenzen, weil auch Schweden und Dänemark ihre eigene Währung haben, ohne wirtschaftlich isoliert zu sein.

Mittlerweile zieht der Urpilainen-Vorstoß weitere Kreise. In der Slowakei, wo es schon vorher Widerstände gegen die Beteiligung an den Hilfsmaßnahmen für das deutlich reichere Irland gab, wird recht offen über einen Euro-Ausstieg diskutiert. Und aus Polen, Tschechen, Ungarn, Bulgarien Rumänien, Litauen und Lettland, die sich allesamt zu einem zukünftigen Euro-Beitritt verpflichtet haben, kommt immer deutlichere Kritik an der währungspolitischen Hegemonie von Deutschland und Frankreich. „Wenn wir in das gemeinsame Haus einziehen sollen, wollen wir auch über die Inneneinrichtung mitbestimmen können“, heißt es dort. Im Umkehrschluss könnte das bedeuten, zu den gegenwärtigen Bedingungen eher auf einen Beitritt zur Euro-Zone verzichten zu wollen. Wenn es tatsächlich zu einem Austritt mehrerer kleinerer Länder kommen sollte, würde sich irgendwann auch für Deutschland die Frage des Verbleibs in der Währungsunion neu stellen. Am Ende einer solchen Entwicklung würde der Euro dann nur noch in Griechenland und wenigen anderen überschuldeten Ländern gelten, während die stabileren Länder wieder ihre eigenen Währungen hätten.

Aus gegenwärtiger Sicht mag das Jutta-Urpilainen-Szenario als utopisch erscheinen. Es ist allerdings unter den vier hier vorgestellten Szenarien das einzig tragfähige, da es in sich widerspruchsfrei ist und sowohl ökonomisch als auch politisch umsetzbar wäre. Außerdem passt es zu der allgemeinen Erfahrung, nach der verkrustete Strukturen in aller Regel nicht aus ihrer Mitte, sondern von den Rändern her zerbröseln.

Bei all diesen Überlegungen geht es nicht darum, auf normativer Ebene das Wünschenswerte zu beschreiben, sondern auf positiver Ebene das zu Erwartende. Es geht auch nicht um ein Szenario für die ganz nahe Zukunft, sondern um die längerfristige Perspektive. Es spricht einiges dafür, dass wir noch eine geraume Zeit im Weiter so mehr davon-Szenario verharren werden, bis sich das Jutta-Urpilainen-Szenario durchsetzen wird. Manchmal kommt die Zukunft allerdings schneller als gedacht.

Henning Klodt
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6 Antworten auf „Jutta Urpilainen und der EURO
Vier Szenarien zur Zukunft der Währungsunion

  1. Eine Währungsumstellung über Nacht ohne öffentliche Vorankündigung ist in einer Demokratie nicht möglich.

    Wieso nicht?

    Das Beispiel der Schweiz zeigt, dass selbst die faktische Übernahme an eine sterbende Währung unter Umgehung der demokratischen Entscheidungswege möglich ist.

  2. „…alles Weitere lässt sich deduktiv ableiten. Dabei sollen die folgenden vier Szenarien helfen, von denen sich am Ende nur eines als tragfähig erweisen wird.“

    Das wahrscheinlichste Szenario fehlt noch: Griechenland erklärt sich zahlungsunfähig, erklärt einen Schuldenschnitt von 50%-70% und die verzögerte Rückzahlung seiner ausstehenden Schulden, bleibt aber beim Euro. Die bisher gezahlten Rettunggelder und die Garantien werden in Anspruch genommen, die Banken (zwangs-)rekapitalisiert. Ohne schnelle Abwertung wird die griechische Wirtschaft dann erst nach mehreren Jahren durch nominale Lohnkostensenkungen im Vergleich zum Ausland wieder wettbewerbsfähig sein, so lange wird Griechenland in einer Abwärtsspirale bleiben.

    Der griechische Staatshaushalt bleibt vom Kapitalmarkt abgeschnitten, kann keine Nettoneuverschuldung aufnehmen und muss in diesem Zeitraum mit sinkenden Steuereinnahmen rechnen.

    Erst nach Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit ist dann eine positive Entwicklung möglich.

    Am meisten würde es den Griechen dann helfen, wenn die Exportüberschussnationen ihre zu hohe Wettbewerbsfähigkeit durch relativ höhere Lohnsteigerungen ausglichen. Das ist politisch aber schwer umzusetzen.

  3. Die Einführung und Abwertung der „Neuen Drachme“ ist ohne Bank Run und Kapitalflucht machbar. Die Sichteinlagen bei griechischen Banken werden – ebenso wie das Euro-Bargeld – von der Währungsumstellung ausgenommen. (Auch in Deutschland wurden ja 1990 die DDR-Geldbestände anders umgestellt als zum Beispiel die Löhne.) Die griechischen Banken müssten dann dafür entschädigt werden, dass ihre Verbindlichkeiten in Form von Sichteinlagen – anders als ihre Inlandsforderungen – nicht entwertet werden. Die Sichteinlagen der Nichtbanken bei griechischen Banken belaufen sich zur Zeit auf rund 20 Mrd. Euro. Bei einer Abwertung um 20 Prozent wären also etwa 4 Mrd. Euro zu zahlen. Selbst wenn die Sichteinlagen noch vor der Abwertung steigen würden, weil Termin- und Spareinlagen aufgelöst werden, wäre der Entschädigungsbetrag „Peanuts“ verglichen mit den irrwitzigen Beträgen, für die sich die Euro-Staaten – allen voran Deutschland – verbürgt haben und noch verbürgen wollen.

  4. Mit einer freiwilligen Parallelwährung könnte ein Austritt vorbereitet oder sogar vermieden werden. Diese ist gesetzliches Zahlungsmittel in Griechenland und kann in bestimmten Grenzen in Euro umgetauscht werden. Die griechische Zentralbank darf diese drucken.

  5. Lieber Jan,
    viellecht wäre die Insolvenz mit Verbleib in der Währungsunion wirklich ein eigenes Szenario wert gewesen. Ich hatte es in meinem Text als Unterpunkt zu Szenario 1 verbucht.
    Dort steht:
    „Daran würde auch eine „geordnete“ Insolvenz der Krisenländer, worunter ein moderater Schuldenschnitt mit Verbleib in der Währungsunion gemeint sein dürfte, nichts Wesentliches ändern. Denn auch damit würde letztlich nur Zeit gekauft, da die Ursachen der ständig steigenden Neuverschuldung nicht beseitigt wären.“
    Dennoch vielen Dank für den Hinweis.
    Henning Klodt

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