Bisher gelang es den nationalen Fußballigen, die Spiele zentral vermarkten, für ihre Unterhaltungsdienstleistung nationale Exklusivität zu sichern. Im hier relevanten Fall des Bezahlfernsehens werden in der Regel die TV-Rechte an einen Bezahlsender wie Sky oder Teleclub verkauft, der dann die Spiele live über ein verschlüsseltes Signal ausstrahlt. Um dieses Signal verwerten zu können, benötigt der Verbraucher einen entsprechenden Decoder und eine Decoderkarte. Eine nationale Exklusivität wird nun dadurch erreicht, daß die Decoderkarten nur Verbrauchern zugänglich gemacht werden, die im entsprechenden Sendegebiete des Senders leben. Damit gelang den Anbietern eine regionale, also vertikale Preisdifferenzierung – Arbitrage zwischen den nationalen Märkten wurde damit wirksam unterbunden. Mit anderen Worten: Die die Unterhaltungsdienstleistung anbietende Liga – sofern kein Rechthändler zwischengeschaltet ist – hat bei einer derartigen Konstruktion in Abhängigkeit von der Nachfrage in der entsprechenden Region einen erheblichen Preisgestaltungsspielraum und kann diesen auf manchen Märkten, in denen die Konkurrenz unbedeutend ist, dazu verwenden, ihren Optimalpreis durchzusetzen.
Der EuGH hat diesem munteren Treiben nun ein Ende bereitet (Urteil in den Rechtssachen C-403/08 und C-429/08). Nach diesem Urteil verstoßen „nationale Rechtsvorschriften, die die Einfuhr, den Verkauf und die Verwendung ausländischer Decoderkarten untersagen, …Â gegen den freien Dienstleistungsverkehr…“ und können „weder im Hinblick auf das Ziel, die Rechte des geistigen Eigentums zu schützen, noch durch das Ziel, die Anwesenheit der Öffentlichkeit in den Fußballstadien zu fördern, …“ gerechtfertigt werden (EuGH, Pressemitteilung Nr. 102/11). Mit anderen Worten: Der EuGH hat den Mechanismus, der der vertikalen Preisdifferenzierung zugrunde liegt, ausgehebelt; Arbitrage ist damit möglich. Der britische Zuschauer kann nun also eine griechische Decoderkarte kaufen, die im Vergleich zur britischen wesentlich günstiger ist.
Um die ökonomisch relevanten Konsequenzen dieses Urteils erfassen zu können, lohnt sich nochmals ein Blick auf das Geschäftsmodell: So verkauft die Premier League bspw. national abgegrenzte Live-Übertragungsrechte ihrer Spiele an einzelne nationale Bezahlsender zu unterschiedlichen Preisen. Diese Sender machen die Spiele ihren Abonnenten zugänglich. Sender, die diese bislang regional abgegrenzten Abonnements zu hohen Preisen veräußert haben, laufen nun Gefahr, durch die einsetzende Arbitrage Abonnenten zu verlieren. Daher werden diese Sender nicht mehr bereit sein, vergleichsweise hohe Preise für die Übertragungsrechte zu bezahlen mit der Folge, daß auch die Umsätze der entsprechenden Ligen absinken können.
Im Falle der Premier League, die etwa 1,8 Mrd. britische Pfund (= 2,14 Mrd. Euro) gegenwärtig pro Jahr für ihre TV-Übertagungsrechte erlöst, wovon mehr als ein Fünftel im Ausland erzielt wird, dürften somit erhebliche Umsatzeinbußen zu erwarten sein. Die Fußballbundesliga hingegen erzielt im Ausland lediglich 50 Mio. Euro, was etwa 12% ihrer gesamten jährlichen Einnahmen aus der Veräußerung der TV-Übertragungsrechte ausmacht (gesamt: 420 Mio. Euro). Von diesen im Ausland erwirtschafteten 50 Mio. Euro fällt gar nur die Hälfte auf EU-Länder (o. V. 2011a; 2011b). Zudem erweist sich die Gefahr einer Arbitrage als vergleichsweise gering, da in den für deutsche Konsumenten interessanten Ländern Österreich und Schweiz ein ähnliches Preisniveau wie in Deutschland vorherrscht. Die ökonomischen Auswirkungen auf die Bundesliga halten sich somit in sehr engen Grenzen, wenngleich natürlich die Erlösperspektiven für eine zukünftige Vermarktung im Ausland sich eingetrübt haben.
Aus ordnungsökonomischer Sicht ist das Urteil vorbehaltlos zu begrüßen, da es die monopolistischen Strukturen aufbricht und die Möglichkeiten der vertikalen Preisdifferenzierung sehr stark einschränkt. Es ermöglicht also mehr Wettbewerb auf den entsprechenden Märkten. Inwieweit dies dem Verbraucher zugute kommt, hängt von den Reaktionsmöglichkeiten der Anbieter ab. Können die Anbieter die Arbitrage zwischen den nationalen Märkten nicht unterbinden und sehen sie diese als eine Bedrohung an, so werden sie die Preise in den Märkten anheben, in denen die Rechte bislang vergleichsweise günstig verkauft wurden oder zumindest dafür Sorge tragen, daß die Bezahlsender entsprechend ihre Abonnementpreise angleichen.
Daneben werden die Rechteanbieter mit den Bezahlsendern zusammenarbeiten, um die vertikale Marktspaltung aufrecht erhalten zu können. Die Pharmaindustrie mit einsprachigen Beipackzetteln oder die Automobilindustrie mit Gewährleistungseinschränkungen zeigen hier gangbare Wege auf. Neben einer entsprechenden regionalen Produktdifferenzierung etwa über das Sendeformat oder die Berichterstattung – was nützt einem britischen Zuschauer ein Kommentar in ungarischer Sprache – bestehen für die Anbieter nach wie vor Möglichkeiten der verdeckten Marktspaltung etwa in Form „eingeschränkter“ technischer Möglichkeiten etwa bei der Funktionsweise der Software, beim Zugang von Updates oder der Abhilfe von Störungen.
Die ordnungspolitisch richtige Entscheidung des EuGH kann also durch entsprechende Maßnahmen der Anbieter noch unterlaufen werden. Ob dies allerdings einen weiteren wettbewerbspolitischen Handlungsbedarf auf derartig dynamischen Märkten erforderlich macht, scheint eher nicht der Fall zu sein. Vielmehr sollte prinzipiell die Institution der Zentralvermarktung beseitigt werden, wodurch die vertikale Marktabschottung stark an Bedeutung verlieren dürfte. Die von den Ligen hervorgebrachten Argumente im Sinne der Notwendigkeit einer Umverteilung der Einnahmen zum Ausgleich der Spielstärke der Clubs erweisen sich kaum als stichhaltig. Hier könnten durchaus andere Instrumente wie ein freiwilliger Ausgleichsfonds bei dezentraler Vermarktung zu einem Ausgleich der Spielstärken führen, ohne daß damit derartige wettbewerbspolitisch problematische Folgen verbunden wären.
o. V. (2011a), Hintergrund: Bundesliga-Spiele im Ausland, Zugriff am 5. Oktober 2011 unter: http://www.news.de/sport/855229540/hintergrund-bundesliga-spiele-im-ausland/1/
o. V. (2011b), Pub-Besitzerin siegt: Milliardenmarkt in Aufruhr, Zugriff am 5. Oktober 2011 unter: http://www.news.de/sport/855229490/pub-besitzerin-siegt-milliardenmarkt-in-aufruhr/1/
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