Schuldenschnitt gelungen – Griechenland gerettet?

Seit dem vergangenen Donnerstagabend (8. März 2012) steht fest, dass rund 86 Prozent der privaten Gläubiger Griechenlands, die Staatsanleihen nach griechischem Recht halten und 69 Prozent derjenigen privaten Gläubiger, die griechische Anleihen nach internationalem Recht halten, bereit sind, „freiwillig“ auf 53,5 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten. Diese Quoten übersteigen deutlich die noch kurz zuvor geäußerten Erwartungen und sind damit insgesamt positiv zu bewerten. Bezogen auf die absolute Höhe der ausstehenden Anleihen bedeutet dies – wie Abbildung 1 veranschaulicht – einen Forderungsverzicht von insgesamt rund 92 Mrd. Euro. Dieser Wert liegt allerdings unter dem angestrebten Schuldenerlass von 107 Mrd. Euro.

Aus diesem Grund soll bei den nach internationalem Recht ausgegebenen Anleihen die Frist für den Anleihentausch bis zum 23. März 2012 verlängert werden. Bei den nach griechischem Recht ausgegebenen Anleihen soll hingegen der noch ausstehende Umtausch in Höhe von 14,2 Prozent mit Hilfe einer nachträglich vom griechischen Parlament verabschiedeten Zwangsumtauschklausel [collective action clause (CAC)] durchgesetzt werden. Dies könnte insgesamt zu einem Forderungsverzicht in Höhe von 105,3 Mrd. Euro führen, der nahezu dem angestrebten Wert von 107 Mrd. Euro entsprechen würde. Die verbliebenen Ansprüche werden umgewandelt in neue griechische Staatsanleihen mit einer verlängerten Laufzeit von bis zu 30 Jahren und niedrigeren Kupon-Zinsen, die einen Durchschnittswert von 3,65 Prozent aufweisen sollen.

Schuldenschnitt
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Nach dem erfolgreichen Schuldenschnitt sind die Voraussetzungen erfüllt, um entsprechende Hilfen aus dem zweiten Griechenland-Rettungspaket von Seiten der Eurostaaten auszuzahlen, was auch bereits zugesagt wurde. Ist Griechenland damit aber zugleich auch gerettet? Daran muss wohl weiterhin gezweifelt werden.

Ziel des Gesamtpakets – einschließlich des Schuldenschnitts – ist es, die Verschuldungsquote Griechenlands bis zum Jahre 2020 auf 120 Prozent des BIP zu reduzieren; eine Quote, die der Internationale Währungsfonds – aus welchen Gründen auch immer – für tragfähig hält. Sieht man einmal von der fehlenden Begründung für das Ziel ab, dann bleibt aber die Frage nach den Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um diese Quote überhaupt zu realisieren.

Um die Voraussetzungen für die angestrebte Entwicklung der Staatschuldenquote zu veranschaulichen, wurden in Abbildung 2 drei mögliche Szenarien gegenüber gestellt. Szenario 1 zeigt dabei die Entwicklung ohne die aktuellen Entscheidungen des zweiten Griechenland-Rettungspakets. Zur Vereinfachung wird davon ausgegangen, dass die (durchschnittliche) Zinsbelastung Griechenlands in diesem Fall dem aktuellen Wert von 4,5 Prozent entspricht. Alle drei Szenarien gehen davon aus, dass sich im Jahre 2012 die Schuldenstandsquote – über die Zinszahlungen und das Primärdefizit hinaus – um weitere 24 Prozentpunkte erhöhen wird. Dieser Anstieg ergibt sich insbesondere aus bereitzustellenden Mitteln, die zur Rekapitalisierung des griechischen Bankensektors, für Garantien und ähnliche Leistungen vorgesehen sind (stock flow adjustment). Alle Ursprungszahlen gehen dabei auf Veröffentlichungen der EU zurück (vgl. hier). Die weiteren Berechnungen basieren auf der dynamischen staatlichen Budgetrestriktion. Bei den Szenarien 2 und 3 wird ferner davon ausgegangen, dass der Forderungsverzicht im Rahmen des Schuldenschnitts zu einer Reduktion der Schuldenstandsquote von 40 Prozentpunkten führt, da der Forderungsverzicht etwa einem Viertel der gesamten ausstehenden griechischen Staatsschuld von rund 160 Prozent des BIP entspricht. Die Annahmen bezüglich des (nominalen) Wirtschaftswachstums, der Primärungleichgewichtsquote und des (durchschnittlichen) Zinssatzes fasst Abbildung 3 zusammen. Dabei wird angenommen, dass die Zinsreduktion bei den öffentlichen und (verbliebenen) privaten Schulden zu einem (durchschnittlichen) Zinssatz bis 2020 von 2,5 Prozent führt. Die Szenarien 1 und 2 nehmen dabei – wie Abbildung 3 veranschaulicht – eine optimistische Entwicklung hinsichtlich des nominalen Wirtschaftswachstums, das bis auf 5 Prozent ansteigt, und der Primärüberschussquote, die einen abschließenden Wert von 3 Prozent aufweist, an. Szenario 3 geht zwar auch von einer grundsätzlich positiven Entwicklung aus, die allerdings durch eine langsamere Verbesserung gekennzeichnet ist.

Schuldenquote
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Szenarien
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Abbildung 2 zeigt, dass ohne die Zinssenkungen und ohne den Schuldenschnitt des zweiten Griechenland-Rettungspakets die Staatsschuldenquote Griechenlands in den nächsten Jahren rasant angestiegen wäre und ihren Höchstwert 2015 mit etwa 215 Prozent erreicht hätte. Selbst wenn die in Abbildung 3 zusammengefassten positiven Annahmen bezüglich der Wirtschaftsentwicklung zuträfen, ließe sich die Staatsschuldenquote bis 2020 nicht signifikant unter 200 Prozent senken – eine Situation, die längerfristig sicherlich nicht tragbar wäre.

Berücksichtigt man hingegen die im zweiten Griechenland-Rettungspaket vorgesehenen Maßnahmen, dann sinkt die Staatsschuldenquote deutlich, wie die Szenarien 2 und 3 zeigen. Bezogen auf die aktuelle Situation wird es allerdings zu keinen deutlichen Verbesserungen bis etwa 2015 kommen. Die Staatsschuldenquote wird vielmehr auf dem aktuellen Wert stabilisiert – und zwar auch unter den positiven Annahmen des Szenarios 2. Doch selbst bei den dort angenommenen positiven Entwicklungen würde es nicht gelingen, die Schuldenstandsquote bis 2020 auf 120 Prozent zu senken. Der Wert für dieses Jahr würde vielmehr bei 128 Prozent liegen. Noch deutlicher würde man das Ziel von 120 Prozent hingegen verfehlen, wenn die positiven Annahmen des Szenarios 2 nicht zutreffen und „nur“ eine moderate Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung gemäß Szenario 3 eintritt. Dann würde die Schuldenstandsquote 2020 bei etwa 150 Prozent liegen und damit keineswegs tragfähig sein.

Welches dieser beiden Szenarien 2 und 3 mit höherer Wahrscheinlichkeit eintritt ist schwer abzuschätzen. Betrachtet man jedoch die gegenwärtige Situation mit einem negativen nominalen Wirtschaftswachstum von etwa fünf Prozent und einer Primärdefizitquote von etwa drei Prozent, dann lässt sich erahnen, wie grundlegend der Umschwung selbst im moderaten Szenario 3 ausfallen muss. Die zuvor angestellten Überlegungen zeigen ferner, dass die Verbesserung der Primärungleichgewichtsquote um 5 bis 6 Prozentpunkte nicht ausschließlich durch dass angenommene Wirtschaftswachstum zustande kommen wird. Auch wenn gegenwärtig häufig der Eindruck erweckt wird, die aktuell „verordneten“ Sparmaßnahmen seien hinreichend, um die angestrebten Ziele zu erreichen, so zeigen die zuvor angestellten Überlegungen, dass Griechenland nicht nur – auf dem gegenwärtigen Niveau – weiter sparen, sondern darüber hinaus zusätzliche Verbesserungen des Staatsbudgets in der Zukunft garantieren muss.

Sollten entsprechende Maßnahmen als nicht zumutbar angesehen werden oder sich als nicht realisierbar herausstellen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein drittes Griechenland-Rettungspaket – über das gegenwärtig bereits diskutiert wird – oder ein weiterer Schuldenschnitt notwendig wird. Ob und in welchem Umfang die privaten Gläubiger ein zweites Mal zu einem Forderungsverzicht (bei den umgetauschten Anleihen) herangezogen werden können ist gegenwärtig unklar. Wird eine EU-(Teil-)Garantie für die neu ausgegebenen Anleihen bereitgestellt, ist dieses Instrument (zum Teil) ausgeschlossen. Dann bleibt aber in erster Linie ein Schuldenschnitt im Bereich der öffentlichen Gläubiger. Da Kredite vom Internationalen Währungsfonds bisher stets und vollständig bedient wurden, blieben nur die Mitgliedsländer der Währungsunion und die Europäische Zentralbank, um auf Forderungen zu verzichten. Begonnen hat dieser schleichende Prozess bereits damit, dass man den Zins für Hilfskredite weit unter den Marktzins – soweit ein solcher überhaupt noch existiert – gesenkt hat. Bisher gibt es auch keinen (offiziellen) Tilgungsplan für die öffentlichen Hilfskredite. Es ist daher damit zu rechnen, dass deren Laufzeit – entgegen den anfänglichen Bekundungen – in einem weiteren Schritt deutlich ausgeweitet werden wird. Zu denken wäre etwa an 30 Jahre. Ähnliche Maßnahmen wären vorstellbar, wenn griechische Staatsanleihen im Besitz der EZB nicht (aus eigener Kraft) bedient werden können. Eine abschließende Maßnahme vor einem Nominalwertverzicht könnte ferner darin bestehen, komplett auf Zinszahlungen zu verzichten. Ohne diese Maßnahme(n) müssten die europäischen Garantieländer diese Anleihen – direkt oder indirekt – von der Europäischen Zentralbank kaufen.

Die zuvor angestellten Überlegungen zeigen, dass zwar der Schuldenschnitt erfolgreich war, Griechenland aber damit bei weitem nicht gerettet ist. Selbst unter positiven Erwartungen hinsichtlich der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung Griechenlands (Szenario 2) wird die Schuldenstandsquote bis 2020 nur in begrenztem Umfang sinken. Dies wird aber zugleich zur Folge haben, dass es – aufgrund der gesammelten Erfahrungen – Griechenland auch in den Jahren nach 2020 lange Zeit nicht möglich sein wird, sich am privaten Kapitalmarkt zu einem Zins zu verschulden, den man als längerfristig tragfähig ansehen kann. Geht man einmal von einem – aus heutiger Sicht – äußerst niedrigen Zins von 7 Prozent aus, dann würde ein im positiven Szenario angenommenes durchschnittliches nominales Wirtschaftswachstum von 5 Prozent zusätzlich eine dauerhafte durchschnittliche Primärüberschussquote von 2,6 Prozent erfordern, um die Schuldenstandsquote auf dem gegebenen Niveau von etwa 130 Prozent im Jahre 2020 zu stabilisieren. Jeder höhere Zinssatz würde die Schuldenstandsquote eher wieder ansteigen lassen. Eine für die Märkte und für Griechenland sicherlich wenig befriedigende Situation. Man bewegt sich folglich bei der Griechenland-Rettung auf sehr dünnem Eis und es bleibt zu befürchten, dass die äußerst ambitionierten (impliziten) Ziele des aktuellen Rettungspakets erneut nicht erreicht werden können.

2 Antworten auf „Schuldenschnitt gelungen – Griechenland gerettet?“

  1. Jetzt haben also Banken und Finanzwirtschaft zuerst ihre Griechenland-Bonds auf 20 bis 24% des Nominalwertes per 31.12.2011 abgewertet und damit kräftig Steuern gespart.
    Inzwischen bekamen sie die Umtauschanleihen, die etwa 43% des ursprünglichen Nominals entsprechen. Das erhöht natürlich den Gewinn im Geschäftsjahr 2012.
    Und hatte die Bank auch noch eine Kreditversicherung, einen CDS auf Griechen-Bonds, dann bekommen sie hieraus auch noch mal 78,5% des Nominals. – Clever gemacht Banker! Da hat Herr Ackermann gut verhandelt.
    Haben die beteiligten Politiker diese Art der Griechenland-Gewinne nicht vorher erkannt? Oder wollten sie den Banken was Gutes tun, zulasten der Steuerzahler?

    Bleibt noch eine Frage, warum haben unsere deutschen, auch EU Banken viele dieser Papiere vorher an Amerikaner verkauft, die nun das Schnäppchen machen?

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