Der guten Konjunktur sei Dank: Die Gesetzliche Rentenversicherung hat mehr eingenommen als ausgegeben und damit eine Rücklage von fast 30 Milliarden Euro gebildet. Schon wird wieder über die Abschaffung der Rente mit 67 debattiert, schon wird wieder versucht, Mittel zu verteilen, wo eigentlich keine sind. Denn auch wenn die gesetzliche Rentenversicherung mittlerweile dank der Reformen von der Riester-Rente bis zur Anhebung des Rentenalters wesentlich besser aufgestellt ist als noch zur Jahrtausendwende, so herrscht dennoch mittel- bis langfristig kein Mittelüberfluss. Im Gegenteil: Der demografische Wandel induziert nach wie vor Handlungsbedarf insbesondere in der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die beiden Sozialversicherungen machen auch heute noch zu einem erheblichen Teil die Tragfähigkeitslücke in den öffentlichen Finanzen aus.
Dabei ist die gesetzliche Rente im letzten Jahrzehnt unbestritten sicherer geworden. Doch trotz der Reformen, die darauf abzielen, zumindest bis zum Jahr 2030 die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die finanzielle Lage der Gesetzlichen Rentenversicherung zu begrenzen, wird die Gesetzliche Rentenversicherung laut Sachverständigenrat 2060 im Vergleich zum Jahr 2010 doppelt so hohe Ausgaben haben. Diese Ausgaben aber werden aufgrund des demografischen Wandels kaum zu stemmen sein. Der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird um mehr als ein Drittel schrumpfen, der Anteil der über 65-jährigen wird in den nächsten 50 Jahren von derzeit etwas über 20 Prozent auf knapp 35 Prozent steigen.
Damit ist das soziale Sicherungssystem derzeit nach wie vor nicht nachhaltig ausgestaltet. Zur Nachhaltigkeit gibt es ein schönes Bild aus der Forstwissenschaft: Wenn im Wald jedes Jahr nur so Bäume geschlagen werden wie nachwachsen, bleibt der Wald in derselben Größe erhalten. Schlägt man phasenweise mehr Bäume, so ist dies nicht nachhaltig: Man muss dann später entweder eine Zeitlang weniger Bäume schlagen, oder der Wald verschwindet. Nicht nachhaltige Systeme bedeuten mithin eine Verschiebung der Lasten auf künftige Generationen: Diese müssen entweder mehr einzahlen in die sozialen Sicherungssysteme oder länger arbeiten (und erhalten insofern weniger ausgezahlt).
Die Alternative zum Umlageverfahren in der gesetzlichen Rentenversicherung ist ein Kaiptaldeckungsverfahren. Hier wird Kapital angespart, auf das im Alter zurückgegriffen werden kann. Im Prinzip kann jeder Arbeitnehmer selbst Kapital für sein Alter ansparen (zum Beispiel durch Aktienfonds oder Immobilien). Da der Arbeitnehmer aber ex ante nicht weiß, wie lange er lebt und damit auch nicht, wie viel er ansparen muss, lohnt es sich möglicherweise, eine Versicherung gegen ein zu langes Leben abzuschließen. Damit ist die Altersversorgung auch dann ausreichend, wenn das Leben länger dauert als zuvor vermutet. Eine Versicherung kann durch Poolbildung das Risiko der Langlebigkeit besser übernehmen. Es gibt diverse Möglichkeiten für den Arbeitnehmer, sich für das Alter privat abzusichern. Von größerer Bedeutung sind staatlich geförderte private Versicherungen (vor allem die Riester-Rente) sowie die betriebliche Altersversorgung.
Die private, staatlich geförderte Riester-Rente wird üblicherweise bei einer Bank oder Versicherung abgeschlossen. Bei einem staatlich geförderten Banksparplan, einem Fondssparplan oder einer klassischen oder fondsgebundenen Lebens- oder Rentenversicherung sind die Kosten vorher festgelegt. Dem Versicherten ist mithin bekannt, wie hoch sein Sparanteil ausfällt. Die Anbieter von Fondssparplänen und fondsgebundenen Rentenversicherungen garantieren ebenfalls den Kapitalerhalt. Da eine Garantie bei Aktienfonds nicht möglich ist, werden Wertsicherungsmodelle verwendet. Zur Sicherung wird von der Versicherern auf Rentenfonds mit Schuldnern von hoher Bonität gesetzt.
Problematisch an diesen Versicherungen ist deren Bonitätsabwägung. Setzen beispielsweise alle Versicherungen in ihren Anlagen gehäuft auf Staatsanleihen von Staaten mit gutem Rating, so kann eine Veränderung des Ratings der Staaten zunächst die zu erbringende Zinsleistung der Staaten deutlich erhöhen, die verschuldeten Staaten in die Zahlungsunfähigkeit treiben und damit eine Kapitalvernichtung der Anlagen von Versicherungen auch bei Schuldnern mit hoher Bonität bedeuten. Dabei kommt es zumeist, wenn den Staaten Kapital überlassen wird, nicht erst mit der Zahlungsunfähigkeit der Staaten zur Kapitalvernichtung – die wenigsten Staaten investieren geliehene Mittel, die meisten nutzen sie zur Finanzierung konsumtiver Ausgaben (zum Beispiel umlage- und steuerfinanzierter sozialer Sicherungssysteme). Bei Eintritt eines kumulierten Risikos (Zahlungsunfähigkeit mehrerer Staaten) bedeutet dies als Folge Kapitalvernichtung bei den Versicherungen – der Kapitalerhalt kann nicht gewährleistet werden. Entweder der Staat springt in diesem Fall mit Steuergeldern ein oder die Leistungen der Versicherungen müssen reduziert werden.
Das Betriebsrentengesetz sieht ein Recht des Arbeitnehmers auf betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung, also durch Verzicht auf Gehalt, vor. Da diese Variante Steuervorteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bringt, erfreut sie sich zunehmender Beliebtheit. Die Durchführung der betrieblichen Altersversorgung erfolgt entweder unmittelbar über den Arbeitgeber oder über einen Versorgungsträger. Der Arbeitgeber muss für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen einstehen. Dies gilt auch dann, wenn die Durchführung nicht unmittelbar über ihn erfolgt.
Betriebliche Altersversorgung liegt unter anderem dann vor, wenn der Arbeitgeber sich verpflichtet, Beiträge zur Finanzierung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung zu zahlen und für Leistungen zur Altersversorgung das planmäßig zuzurechnende Versorgungskapital zur Verfügung zu stellen. Sie liegt zudem vor, wenn der Arbeitgeber künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen umwandelt oder wenn der Arbeitnehmer Beiträge aus seinem Arbeitsentgelt zur Finanzierung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung leistet und die Zusage des Arbeitgebers auch die Leistungen aus diesen Beiträgen umfasst.
Diese Leistungen der Altersversorgung haben der Arbeitgeber oder die für ihn die Leistungen übernehmenden Versorgungsunternehmen gegen Insolvenz abzusichern. Laut Betriebsrentengesetz haben die Arbeitnehmer gegen den Träger der Insolvenzsicherung einen Anspruch auf die Leistungen. Die Durchführenden der betrieblichen Altersversorgung zahlen daher in einen Pensions-Sicherungs-Verein ein. Die Aufgabe dieses Vereins ist es, den Rentnern jener Unternehmen, die insolvent sind, Anwartschaften und laufende Renten zu sichern. Die Beitragshöhe, die an den Verein jährlich zu entrichten ist, soll jeweils das aktuelle Schadensvolumen decken. Der Verein unterliegt der Aufsichtspflicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Ist der Sicherungsfall durch kriegerische Ereignisse, innere Unruhen, Naturkatastrophen oder Kernenergie verursacht worden, kann der Träger der Insolvenzsicherung mit Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Leistungen nach billigem Ermessen abweichend festsetzen. Ein konkretes Szenario, was bei kumulierten Schadensfällen passiert (sollte zum Beispiel betriebliche Altersversorgung nicht mehr gefragt sein und Zahlungen an die Versorger und damit auch den Versicherungsverein unterbleiben), ist in den gesetzlichen Vorschriften nicht enthalten. Es steht zu vermuten, dass der Staat mit Steuergeldern einspringt oder aber die Leistungen analog zum Katastrophenfall nach billigem Ermessen reduziert werden müssen.
Kapitaldeckungs- oder Ansparverfahren bergen immer das Risiko des Kapitalverlustes. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Versorger die Anlagen nicht breit genug diversifizieren, sondern zu einem hohen Anteil bei Schuldnern investieren, die eine vermeintlich hohe Bonität aufweisen und wo folglich ihre Konkurrenz ebenfalls investiert. Damit kommt es zu einem Klumpenrisiko. Tritt der Risikofall ein, kommt es zu einer Kapitalvernichtung, und die vermeintlichen Sicherheiten sind verschwunden. Besonders riskant ist es, Staatsanleihen als sichere Häfen zu betrachten, wo erwiesenermaßen die wenigsten Staaten die Haushaltsdisziplin aufbringen, ihre Schulden auch wieder abzubauen.
Dies ist indes kein Argument, auf ein die gesetzliche Rentenversicherung ergänzendes Ansparverfahren zu verzichten. Das Umlageverfahren hat den Vorteil, dass es ohne das Risiko der Kapitalvernichtung auskommt. Dafür reagiert es negativ auf die demographische Entwicklung, weist also das (bereits heute abschätzbare) Risiko einer zukünftig geringer werdenden Erwerbspersonenzahl auf. Eine Kombination aus beiden Verfahren ist sinnvoll, denn beide Arten der Altersvorsorge haben ihre eigenen Risiken. Die Frage ist, in welchem Verhältnis die beiden Systeme zum Tragen kommen sollten. Dies muss und kann mit der gewählten Höhe der privaten Versicherung derzeit zum Glück jeder für sich selbst mitentscheiden.
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Sehr geehrter Herr Neumann,
ich kann nicht verstehen, wie Sie (man könnte auch sagen: man) über die Entwicklung einer umlagefinanzierten Rente schreiben können/kann, ohne auch nur einen Satz über Produktivitätsentwicklung und Lohnentwicklung zu schreiben.
Sie vermischen sozialstatistische/demographische und politische Argumente und unterschlagen dabei fundamentale Aspekte der Wohlfahrtsentwicklung. Was sich aktuell zeigt, ist, dass wenn ein hoher Beschäftigungsgrad und (immer noch bescheidenes) Lohnwachstum herrscht, soziale Sicherung problemlos finanzierbar ist. Damit handelt es sich aber bei der Frage der Rentenfinanzierung vor allem um eine Verteilungsfrage: es geht um den sozialversicherungspflichtigen Lohnanteil am BIP.
Würden die zukünftige Lohnentwicklungen den verteilungsneutralen Spielraum ausschöpfen (geschweige denn die Umverteilung der letzten Ahr zusätzlich kompensieren), d.h. entlang eines Zielwertes von Produktivität+Inflation steigen, ist nicht einzusehen, wo das Problem der Finanzierung liegen soll. Damit würden im Übrigen auch die hochproblematischen Ungleichgewichte in der Eurozone in Angriff genommen. Aktuell exportiert Deutschland nicht nur Waren, sondern auch Schulden. Darüber hinaus importiert es auch relative Armut der eigenen Bevölkerung und Finanzierungsprobleme der sozialen Daseinsfürsorge.
Sie schreiben: „Der demografische Wandel induziert nach wie vor Handlungsbedarf“. Aber: Aus demographischen Veränderungen lassen sich weder einfach noch direkt Wohlstandargumente für Rentner ableiten. Neben der Demographie entwickelt sich unsere Wohlfahrt: Produktivität. Und es entwickeln sich politische Machtverhältnisse: Sozialversicherungspflichtiger Lohnanteil am BIP.
Ihre Argumentation ist meiner Meinung nach deshalb wenig hilfreich und vor allem – eben weil sie beides nicht einmal erwähnen – auch unterkomplex!
Wenn ich falsch liege, würde ich gern wissen, wo Ihrer Meinung nach mein Fehler liegt.
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Ernst