„[P]olitical economy pressures could make exit harder and work towards delaying it.“ Bank for International Settlement, 83th Annual Report, S. 72.
I.
Ist die „Zinswende“ eingeläutet? Die Wortmeldungen aus der amerikanischen Zentralbank deuten darauf hin; die Kursverluste auf den internationalen Anleihe-, Aktien- und Rohstoffmärkten standen ganz offensichtlich im Zusammenhang mit Zinssteigerungserwartungen. Seit dem 1. Mai 2013 ist die 10-Jahresrendite der US-Staatsanleihen von 1,66 Prozent, ihrem bisherigen Rekordtief, auf mehr als 2,70 Prozent am 5. Juli 2013 geklettert.[1] Wenn man sich den Grund der derzeit immer noch tiefen Zinsen in Erinnerung ruft, so lassen sich durchaus Zweifel anmelden, ob denn die Zinsen wirklich noch viel weiter steigen werden.
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Mit dem Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst 2007 haben fast alle großen Zentralbanken unter Führung der US Federal Reserve die Zinsen auf bisher nicht gekannte Tiefstände geschleust und auch für ein drastisches Ausweiten der Basisgeldmengen gesorgt. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass die kolossale Verschuldungspyramide kollabiert, die die Zentralbanken mit ihrer laxen Geldpolitik in den letzten Jahrzehnten aufgetürmt haben. Gerade in Krisenzeiten erweisen sich bekanntlich künstlich gedrückte Zinsen als besonders wirksame Trickserei: Überdehnte Schuldner gelangen wieder an neue Kredite, und vor allem die gedrückten Preise für Aktien, Anleihen und Rohstoffe steigen zur Freude der Investoren wieder an.
Die Bilanz der jüngsten Rekordtiefzinspolitik fällt jedoch uneinheitlich aus. In den Vereinigten Staaten von Amerika scheint sie für einen neuerlichen, wenngleich verhaltenen Scheinaufschwung zu sorgen. Im Euroraum sieht es trotz der tiefen Zinsen hingegen weiter düster aus: Die Rezession hält an, Massenarbeitslosigkeit greift um sich. In Japan ist der Zinssenkungsspielraum im Grunde seit geraumer Zeit ausgeschöpft, und eine ungehemmte Monetisierung der Schulden scheint nun begonnen zu haben. In China braut sich vermutlich erst noch eine wirklich schwere Kreditkrise zusammen – angetrieben von den Fehlentwicklungen im Bau- und Immobiliensektor als Folge der jahrelangen Kredit- und Geldmengenvermehrung, finanziert von der chinesischen Zentralbank zu tiefen Zinsen.
II.
Ein künstliches Herabdrücken des Zinses kann einen Konjunkturaufschwung auslösen. Er wird aber früher oder später in sich zusammenbrechen, in einen Abschwung übergehen. Um den damit verbundenen Einkommensverlusten zu entkommen, rufen Regierungen und ihre treuen Berater, aber auch Bankenvertreter, Gewerkschaften und im Grunde auch alle diejenigen, die ihre Ersparnisse in Staats- und Bankschuldpapieren angelegt haben, nach noch tieferen Zinsen: Mit noch niedrigeren Zinsen, so die irregeleitete Ratio, soll die Krise überwunden werden, die durch künstlich herabgedrückte Zinsen verursacht wurde. Dass daraus nichts Gutes erwächst, sollte selbst dem ökonomischen Laien klar sein.
Dass die Sorge vor steigenden Zinsen in den Vereinigten Staaten von Amerika für Erschütterungen in den Finanzmärkten sorgt, ist nicht verwunderlich. Angesichts der aufgelaufenen Schuldenlasten funktionieren die meisten Kreditgeldsysteme mittlerweile nur noch bei sehr tiefen Zinsen. Im Grunde sind künstlich tief gehaltene Zinsen zum Überlebenselixier der internationalen Kredit- und Geldarchitektur geworden. Das ist auch der Grund, warum es keinesfalls ausgemachte Sache ist, dass die Zinsen merklich weiter steigen werden, beziehungsweise dass sie auf ein „normales“ Niveau ansteigen werden. Denn ob das geschieht oder nicht, liegt in den Händen der Zentralbanken. Sie kontrollieren nicht nur die Kurzfristzinsen, sondern sie können auch durch Anleihekäufe die längerfristigen Zinsen kontrollieren, und zwar perfekt, wenn sie es denn wollen.
Eine Zentralbank kann den von ihr politisch gewünschten Marktzins jederzeit am Markt durchsetzen. Und das geht so: Die Zentralbank kündigt an (erzeugt also die Erwartung), sie sei bereit, den Kurs einer Anleihe durch Käufe bei 100 Euro zu halten. Der Marktpreis der Anleihe wird dann nicht unter diesen Kurs fallen: Niemand wird seine Anleihe für weniger als 100 Euro im Markt verkaufen, wenn ihm die Zentralbank dafür 100 Euro zahlt. Diese Politik ist eine Mindestpreispolitik für Anleihen (was gleichbedeutend ist mit einer Politik, die den Zins nicht über ein politisch gewünschtes Niveau ansteigen lässt).
Dass die Zentralbank dabei den Kurs der Anleihe auf ein Niveau hebt, das höher ist als der Kurs, der sich im freien Markt bilden würde, versteht sich von selbst: Eine Mindestpreispolitik für Anleihen soll ja gerade den Marktzins unter das Niveau senken, das sich einstellen würde, wenn sich die Kursbildung im Markt frei vollziehen könnte. Vielen Investoren ist das bereits klar. An den Kapitalmärkten sind folglich längst nicht mehr die Inflations- und Kreditausfallsorgen der Investoren maßgeblich für die Höhe der Langfristzinsen. Der entscheidende Faktor für die Zinshöhe ist vielmehr die erwartete Bereitschaft der Zentralbanken, Anleihen aufzukaufen.
Zentralbanken können die Zinsen zwar auf das politisch gewollte Niveau schleusen. Sie geben dabei jedoch die Kontrolle über die Geldmenge auf. Denn sie müssen die Anleihekäufe mit neu geschaffenem (Basis-)Geld bezahlen. Und je höher die Beträge sind, die Investoren an den Märkten verkaufen, desto größer wird auch die Geldmengenausweitung ausfallen. Doch genau diese (Neben-)Wirkung kommt wohl nicht wenigen gelegen, allen voran den hoch verschuldeten Staats- und Bankenschuldnern: Künstlich tief gehaltene Zinsen, die niedriger sind als die Rate der Geldentwertung, vermindern nämlich den realen Wert der Schulden – zu Gunsten der Schuldner, zu Lasten der Sparer.
III.
Wo läge denn ein „normaler“ Kapitalmarktzins? In einem Markt, in dem die Zinsen manipuliert sind, lässt sich die Antwort nur kontrafaktisch geben: Der normale Marktzins wäre der Zins, der sich ergeben würde, wenn die Zentralbank (sofort) aufhört, neues Geld durch Kreditvergabe in Umlauf zu bringen; es wäre der Zins, der sich ergibt, wenn Investoren zur Überzeugung gelangen, die Zentralbank wird strauchelnden Staats- und Bankschuldnern nicht mehr mit der elektronischen Notenpresse beispringen. Viel spricht dafür, dass die „normalen“ Zinsen mitunter deutlich oberhalb der derzeitigen Marktzinsen liegen würden. Sogar die Einschätzung, dass bei einem „normalen“ Zins viele Staats- und Bankschuldner Konkurs anmelden müssten, ist nicht von der Hand zu weisen.
Aus diesen Überlegungen lässt sich folgern: Um die Zahlungsunfähigkeit des heutigen Schuldgeldsystems abzuwenden, bedarf es künstlich gedrückter Zinsen – ob nun stark oder nur leicht gedrückt, in jedem Falle müssen sie niedriger ausfallen, als sie in einem freien Marktgeschehen sein würden. Wenn die Zentralbanken den Zins „freilassen“, würden die Kapitalmarktzinsen weltweit vermutlich sehr stark steigen, und eine unmittelbare schwere (Bereinigungs-)Rezession-Depression wäre vermutlich die Folge. Spricht das nicht für das Vorgehen der Geldpolitiker? Die Antwort ist Nein, denn ein „Ausweg“ ist die fortgesetzte Zinsmanipulation der Zentralbanken nicht: Sie verursacht noch größere Fehlentwicklungen und Ungleichgewichte und wird absehbar in eine noch größere Krise münden.
Ein kurzer Blick in die leidvolle Geldgeschichte lässt in der Tat befürchten, dass in einer Situation, in der zwischen „Krise sofort“ und „Krise später“ zu wählen ist, „Krise später“ bevorzugt wird. Die Zentralbanken werden wohl also weitermachen mit ihrer Zinsmanipulation. Sie werden nun vermutlich dazu übergehen, die Langfristzinsen für die noch als relativ gut angesehen Staatsschuldner bei ungefähr 3 Prozent „festzuhalten“: Die Zinsen sollen nicht zu tief gedrückt werden, damit der öffentliche Unmut gegen das Schuldgeldsystem nicht befördert wird; die Zinsen sollen aber auch nicht zu hoch ausfallen, sodass Schuldner überleben können. Mit einer Zinswende im Sinne einer „Normalisierung“ der Zinsen ist damit vorläufig wohl nicht zu rechnen. Recht sicher ist hingegen, dass die Zinsmanipulation der Zentralbanken die Saat für die nächste Krise legt.
Fußnote
[1] Ein solcher Zinsanstieg mag gering erscheinen, hat aber beträchtliche barwertige Folgen. Man nehme nur einmal eine Anleihe mit zehnjähriger Laufzeit, einem Nominalwert von 100 US$ und einem Jahrescoupon von 1,7 US$. Steigt der Marktzins von 1,7 Prozent auf 2,5 Prozent, so bedeutet das einen Barwertverlust in Höhe von etwa 7 Prozent auf den Anleihebestand; steigt der Marktzins auf 4 Prozent, beläuft sich der Buchverlust schon auf knapp 19 Prozent.
- Kurz kommentiert
Verbietet den Zentralbanken, Aktien zu kaufen - 12. September 2016 - Auf dem Weg in eine Welt ohne Renditen - 19. Juli 2016
- Frieden braucht Eigentum - 28. Mai 2016
Ist die hier vertretene Argumentation nicht inkonsistent? Wenn der Versuch der Zentralbank, den Zins über die Ankündigung unbegrenzter Anleihekäufe niedrig zu halten, die Aufgabe der Kontrolle über die Geldmenge und letztlich Inflation bedeuten würde, dann würde doch gerade diese expansive Geldpolitik zu steigenden, nicht zu fallenden Langfristzinsen führen. Anders herum: Der geringe Marktzins reflektiert die Erwartung geringen nominalen Wachstums und gerade nicht die Erwartung unbegrenzt expansiver Geldpolitik.
Hallo Andreas,
haha, ja, die Sache der „Erwartungen“. Sieh mal, Aufgabe der Notenbank ist es ja gerade, die mittel- und lagfristigen Erwartungen zur Inflation ( die anders definiert wird als es eigentlich sein müsste ) einzudämmen. Die Marktteilnehmer nehmen also an / vertrauen darauf, dass die Zentralbank dies unter Kontrolle hat. Deshalb der niedrige Zins. Sobald jedoch allen ( und das ist hoffentlich bald ) Marktteilnehmern klar wird, dass das nur Hokuspokus ist und sie keine andere Wahl haben als zu „inflationieren“ ( also die Bilanzen auszuweiten ), werden auch diese Zinsen steigen. Die Frage ist dann allerdings, wie die Inflation seitens der statistischen Ämter und der Notenbank berechnet wird. Nochmal zur wirklichen Definition: Inflation ist eine Erhöhung der Geldmenge. Die WIRKUNGEN davon sind ( wenn auch in manchen Fällen nur partial ) steigende Preise. Sie können deshalb auch in Zeiten höherer monetärer Expansion die Parameter ( sprich den Warenkorb ) zur Berechnung der Inflation ändern. Dann hätten wir ( wahrscheinlich ) immer noch niedrige Zinsen. Es ist eine schwierige Angelegenheit das präzise zu erklären. Aber ich hoffe das genügt ( fürs Erste ).
Hallo Arne,
Danke für Deine „Erklärungen“. Dein Vertrauen in die Intelligenz der Marktteilnehmer scheint nicht sehr ausgeprägt zu sein, wenn sich diese nun schon jahrelang vom „Hokuspokus“ der Zentralbank blenden lassen. Gut, dass Du es besser als der verrückte Markt weißt. Mit diesem Wissen müsstest Du am Finanzmarkt, wenn all den anderen endlich die Augen geöffnet werden, ein Vermögen machen können. Viel Glück dabei.
Nein, mal im Ernst. Die Zentralbanken haben ja nun bereits ihre Bilanzen massiv ausgeweitet ohne dass es zu einer Inflationierung der Preise gekommen ist, und deren (erwartetes) Niveau, nicht die Höhe der (erwarteten) Geldmenge (welche überhaupt?), ist ausschlaggebend für die Entwicklung der langfristigen Zinsen – wie sich ja gezeigt hat. Solange Europa in der Rezession gefangen bleibt und niemand eine baldige Erhöhung des Auslastungsgrades und allgemein steigende Löhne erwartet, wird es auch keine Erwartung einer Inflation geben. Die ZB könnte Wachstumserwartungen unterstützen, aber gerade das tut sie zurzeit nicht. Erwartet wird nicht eine zu lose, sondern eine zu enge Geldpolitik – unter anderem.
Deine implizite Erwartung, die Berechnung der Inflationsrate würde im Falle steigender Preise von den statistischen Ämtern flux „angepasst“, um die Zinserwartungen zu drücken, scheint ebenfalls von ausgeprägter Ignoranz der Marktakteure auszugehen.
Ich glaube Dir gern, dass es schwierig ist, Deine Vorstellungen über die Wirkungsweise und Auswirkungen von Geldpolitik präzise zu erkären. Du gehst offenbar von massiver Irationalität der Marktteilnehmer aus, die sich von plumpen Manipulationen der ZB und der Statistischen Ämter täuschen lassen und dabei offenbar nicht einmal lernfähig sind. Es dürfte schwer sein, das in einen konsistenten theoretischen Ansatz zu übersetzen.
Und welchen Sinn soll es überhaupt haben, Inflation an der Höhe der Geldmenge zu messen? Das wäre ungefähr so, als würde man bei einer polizeilichen Geschwindigkeitskontrolle die PS-Zahl messen. Nicht sehr ausschlaggebend für das, was man eigentlich wissen will, oder?
Aber nochmals: Vielen Dank für Deine Belehrung. Ich fühle mich jetzt viel klüger.
Lieber Andreas,
ja ich denke das mit der Schwierigkeit der Erklärung liegt einfach daran, dass ich Dich zum Beispiel nicht zu sehr verwirren will ^^.
In den USA sind die Berechnungen zur Inflation seit den 1980iger Jahren etliche ( wenn ich mich nicht täusche um die 30 Mal ) Male „angepasst“ worden. Ähnliches sollte in allen anderen Ländern beobachtbar sein.
Wenn Du davon ausgehst, dass die Aktionen der Regierungen positiver Natur sind, muss ich dies natürlich hinnehmen und akzeptieren.
Was mich jetzt nur interessiert ist folgendes: wenn die ZB, wie Du bereits angemerkt hattest, die Bilanzen bereits ausgeweitet haben um Schuldenschnitte oder Bilanzverluste zu vermeiden, wie können Sie diese nun zurückführen und was passiert dann ( wenn Sie es nicht tun ) ?
Ich denke ich benötige dazu keinen neuen theoretischen Ansatz, vieles dazu wurde bereits von Ökonomen im letzten Jahrhundert entwickelt. Ich versuche das nur verbal auf verständliche Art und Weise klar zu machen, was meiner Meinung und auch der des Kommentarschreibers, entspricht. Das ich daran scheitere, kann möglich sein.
Die Frage danach ob ich die Marktteilnehmer als irrational ansehe muss ich verneinen. Aber man stellt schon einen gewissen Herdentrieb fest, der, wahrscheinlich auf Grund des Mangels an Informationen, zu falschen Entscheidungen führt ( Thema Verzerrung des Preissystems ).
Schade, dass ich nicht helfen konnte, aber es kommt eben auch auf die Denkschule an, zu der man sich zu zählen scheint.
Wenn ich mir Herrn Bernanke ansehe, der noch im Mai vor dem Kongress meinte, Treasuries würden „performen“ um dann in den nächsten Monaten eine tollen Renditeanstieg zu sehen, muss man sich schon fragen, wozu es noch eidesstattliche Erklärungen gibt. Gleiches gilt bei den letzten Anhörungen, in der er nicht verstanden hat, was der Goldpreis ausdrückt. Nun ja, die „Intelligenz“ der Regierungsangestellten ist wohl hier größer als der des Marktes … .
Andreas,
ich muss noch beipflichten, dass auch Vertreter der Zentralbanken durchaus über die Irrationalität der Marktteilnehmer ( in bestimmten Fällen ) besorgt sind. Allerdings sind Sie es ja, die gerade dafür verantwortlich sind. Von daher kann ich jene Argumentation nicht verstehen. Was wollen sie nun ? „Verrückte Märkte“ oder Finanzstabilität ? Hmm, kannst Du mir helfen ?
Der Erfolg an Finanzmärkten sollte natürlich daurch gekennzeichnet sein, realproduktiv zu sein. Da meine Ausführungen sich mehr auf die realen Konsequenzen als auf die Veränderung von monetären Stromgrößen beziehen, ist Deine Ausführung zu diesem Erfolg mir natürlich fern. Jedoch verweise ich auf John Paulson, der die Verzerrungen im US-Hausmarkt schon früh erkannte und daraufhin eine Menge „Geld“ gemacht hat. Ob dies moralisch korrekt oder falsch ist, muss jeder für sich selber beantworten. Er hat jedoch nur die „Inkonsistenz“ ( um auf deine Wortwahl zurückzugreifen) der Regierungsaktionen ausgenutzt.
Lieber Arne,
vielen Dank für Deine ausführliche Antwort – und natürlich dafür, dass Du mich nicht verwirren willst. Leider verwirrst Du mich aber dennoch.
Ich habe nicht behauptet, dass die Aktionen der Regierungen im Verlaufe der Krise positiv sind, ich bin sogar ganz gegenteiliger Auffassung. Worum es hier geht ist aber die ZB-Politik, und diese ist dankenswerterweise immer noch weitestgehend unabhängig vom Regierungshandeln, ansonsten wäre – jedenfalls in Europa – der Karren längst an die Wand gefahren.
Werden Inflationsraten wirklich manipuliert? In den USA gibt es diese Diskussion ja bereits seit längerem. Zum Glück gibt es dort auch unabhängige Berechnungen der Inflationsrate, z.B. das Billion Prices Project. Und dessen Berechnungsergebnisse entsprechen weitestgehend der offiziellen Inflationsrate. Dass die offizielle Berechnungsmethode ständig angepasst wird, ist wohl auch kaum ein Fehler. Schließlich ändern sich auch die Konsumgewohnheiten ständig.
Wenn Du von einem theoretischen Ansatz sprichst, der von Ökonomen des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde, wäre ich interessiert daran zu erfahren, welchen Du meinst. Die Monetaristen bspw. gingen von rationalen Marktteilnehmern aus, die sich nicht systematisch von der ZB täuschen lassen. Wären die MT in ihren Reaktionen so langsam, wie Du es annimmst, müsste Geldpolitik unglaublich wirksam sein. Das scheint mir nicht der Fall zu sein. Ich bin alles andere als der Meinung, Finanzmarktakteure verhielten sich so, wie Monetaristen es annehmen. Aber aus der hauptsächlich auf Marktintransparenz und Einladungen zu Regulierungsarbitrage zurückzuführenden Finanzkrise zu schließen, Finanzmärkte verhielten sich systematisch und langfristig widersinnig, halte ich für weit hergeholt. Die Märkte scheinen mir zurzeit sehr gut zu sehen, dass es ohne Nachfrage keine Inflation gibt, egal wie hoch die Zentralbankgeldmenge ist.
Was passiert, wenn die ZBen ihre Bilanzen eindampfen? Du scheinst anzunehmen, dass ein solcher Schritt notwendig wird, weil es zunehmende Inflationserwartungen und steigende langfristige Zinsen gibt, bevor die Wirtschaft anspringt. Aber warum sollte das so sein? Die Inflationserwartungen werden erst dann zunehmen, wenn die Wirtschaft wieder fluppt, und das Eindampfen der Bilanzen ist dann die gebotene Politik. Schwierig wird es, wenn die ZBen selbtst in Inflationspanik verfallen und engere Geldpolitik ankündigen, bevor es soweit ist, so wie die Fed es getan hat. Sie hat ihren Fehler allerdings eingesehen und das ist eine gute Nachricht.
Ich kann nicht sehen, wie man zur gleichen Zeit annehmen kann, die ZBen seien für eine Verzerrung des Preissystems verantwortlich UND die Marktteilnehmer seien dabei rational. Alles was die ZB tut, ist transparent und wird millionenfach dokumentiert und kommentiert. Wie blind müssten die Marktteilnehmer sein, wenn sie das nicht zur Kenntnis nehmen? Herdentrieb gibt es ohne Frage. Aber ist das Schuld der ZBen? Dieses Verhalten gäbe es auch wenn es noch den Goldstandard und keine aktive Geldmengensteuerung gäbe. Die Verzerrungen wären dann nur viel größer, weil niemand gegensteuert.
Und John Paulson, ich bitte Dich. Der hat 2010 Inflation vorhergesagt, hielt eine Double-Dip-Rezession für ausgeschlossen und wettete auf steigende Immobilienpreise. Noch im April hat er 300 Mio. Dollar mit Gold verloren. Ob sein Handeln moralisch ist oder nicht, ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob er das richtige ökonomische Modell verwendet, und da habe ich meine Zweifel.
Ja, wo soll man da anfangen ^^.
Was Du in Deiner Analyse nicht einbeziehst ist folgendes. Währenddessen die Regierungen „scheinbar“ das System stabilisieren und am laufen halten, bleibt nichts stehen. Das heisst die Kommentare ( auch von Herrn Schnabl ) sind ja von der Natur, dass Teilbereiche, die eigentlich produktiv sein könnten durch die Abschöpfung von Mitteln ( die zur Stabilisierung der Vermögenswerte nun in den Zentralbankbilanzen schlummern ) nicht mehr laufen können ! Das ist das Problem ! Die Zinsen und die „normale“ Marktdynamik kann nur wieder starten, wenn diese assets ausgespült werden. Oder was denkst Du was damit passiert ? Das hast Du nämlich noch nicht beantwortet. Was machen die Zentralbanken mit den ganzen Schuldverschreibungen ?? Wenn Sie sie abschreiben hat das im keynesianischen Modell natürlich enorme Auswirkungen auf den Staatshaushalt, oder irre ich mich da ? Das ist wie ein riesengroßer Stein, den nun alle hinter sich herziehen müssen.
Sie mal in Japan heisst es auch man habe Deflation. Aber bist Du schon mal vom Flughafen in die City nach Tokyo gefahren ? Dann sage mir nicht das waren nur 20 Euro … .
Das Problem ist die Polemik und Ideologie der Preisstabilität. Dies führt zu immer neueren und stärken Zyklen der monetären Anpassung. Und das ist meiner Meinung nach nicht gesund.
Wie bereits sagte, monetäre Stromgrößen sind eigentlich irrelevant. Das Du jetzt mit dem Verlust von 300 Mio Dollar kommst, naja. In Relation zu allem anderen ist das doch dann nichts, oder ? Oder wir würde man in der Statistik sagen: ein Beta-Fehler zweiter Natur bei geringer Varianz … .
Du erinnerst mich ein wenig an Herrn Braunberger von der FAZ, der auch unbedingt griechische Staatspapiere anpriess. Ja nominal ist alles klar, aber real ist alles tot. So ist das.
Vielleicht nochmal zum Verständnis, weil es wirklich verwirren mag und ich eigentlich mathematische Modelle, naja, nicht wirklich schätze ( bis auf Optimierungen in der Mikroökonomie vielleicht ).
Sieh mal, was würdest Du als „Investor“ eher machen: eine Investition, die durch eine Abnahme durch einen Marktteilnehmer ( hier die Zentralbank ) garantiert oder eine in der es Risiko gibt ? Die Antwort sollte klar sein. Das ist hier mit Preisverzerrungen gemeint. Und diese behindern dann die richtigen ( wohl mit Riskio behafteten ) Entscheidungen.
Und zu guter letzt: auch wenn es Dir nicht einleuchten mag, aber es sollte im Finanzwesen eigentlich keine Freifahrtscheine geben. Durch die Zentralbanken wird dies aber institutionalisiert. Und das die FED etwas eingesehen hat, nun ja, wir werden sicherlich alle sehen wie ernst die Herren das meinen ( obwohl es ja der Kongress ist der darüber entscheidet, nicht wahr ?! ).
Ja, lieber Arne, wo soll man da anfangen. Deine wirtschaftstheoretischen Vorstellungen sind so originell, dass man sich in der Tat kaum einen Reim daraus machen kann.
Zunächst einmal scheinst Du mit der Idee zu argumentieren, die Zentralbanken entzögen dem Wirtschaftskreislauf Kapital, das dann in der Realwirtschaft für Investitionen fehlt. Dieses alte, für die Effekte von Staatsverschuldung angenommene und selbst dort empirisch wiederlegte Verdrängungsargument gilt jedoch für eine Zentralbank gerade nicht, denn diese kauft die Wertpapiere ja mit selbst produziertem Geld – das ist die Geldmengeninflation, die du ja an anderer Stelle für wichtiger als die Entwicklung des Preisniveaus hälst. Sie bringt Geld in den Kreislauf, sie entzieht es nicht.
Wenn die ZBen diese Wertpapiere wieder abgeben, verringert sich die Geldmenge. Das werden sie dann tun, wenn die Wirtschaft wieder läuft, und das ist normales Zentralbankhandeln. Müssen die ZBen die Wertpapiere abschreiben, dann, da hast Du recht, gibt es einen Verlust. Der muss allerdings eben nicht von den Staaten ausgeglichen werden, ein unbegrenzter Verlustvortrag ist möglich. Wir haben an anderer Stelle darüber diskutiert. Ich sehe darin kein größeres Problem, zumal das Handeln der ZB den Eintritt eines Defaults ja gerade verhindern soll.
Deine Überzeugung, in Japan könne es aufgrund deiner Beobachtung des Taxipreises in Tokyo keine Deflation geben, erstaunt mich. Zum einen beschreibt Inflation nicht das Preisniveau, sondern die Entwicklung des Preisniveaus. Folgte man deiner Argumentation, müsste die Inflationsrate in Norwegen besonders hoch sein, weil dort das Bier so teuer ist, und in Tschechien herrschte Deflation, weil dort die Zigaretten wenig kosten. Das ist natürlich Unsinn. Zum zweiten könnte man vom Taxipreis selbst dann nicht auf die Inflationsrate schließen, wenn er stark gestiegen wäre. Stichworte: Warenkorb, Relativpreise, etc.. Das sollten eigentlich Grundlagen sein.
Das monetäre Stromgrößen irrelevant sind, wie Du schreibst, widerspricht wohl jeglicher historischen Erfahrung und auch jeder ökonomischen Theorie, die mir bekannt ist.
In welcher Form garantieren die ZBen die Abnahme von Wertpapieren? Sie akzeptieren Wertpapieren als Sicherheit gegen Zentralbankkredite, aber das ist etwas völlig anderes. Ein Investor steht nicht vor der Wahl, sein Kapital in ein Investitionsprojekt oder in ein von der ZB eventuell als Sicherheit akzeptiertes Wertpapier zu stecken. In erster Linie braucht er Kapital von den Banken und diese erhalten es in den Krisenländern von der ZB. Was würde geschehen, wenn die ZB nicht so vorgehen würde. Würde dann in Spanien wie verrückt investiert? Das scheint mir keine treffende Beschreibung der Wirklichkeit zu sein. Und selbst wenn Investoren diese Wahl hätten: Sie können und konnten überall und zu jeder Zeit zwischen dem Erwerb als sicher eingeschätzter Wertpapiere und risikoreicheren Investitionen wählen. Wenn irgendetwas die derzeitige Situation kennzeichnet, dann ist es kein Überfluss, sondern ein Mangel an sicheren Anlagen. Deiner Vorstellung nach müssten unter diesen Umständen die risikoreichen Investitionen explodieren. Warum nur tun sie es nicht? Könnte es nicht vielleicht doch damit zusammenhängen, dass in einem rezessiven Umfeld kaum einer so recht weiß, ob sich eine Investition lohnt? Und könnte es nicht vielleicht so sein, dass die Banken ihre Bilanzen verkürzen und weniger bereit sind, risikoreiche Kredite zu vergeben?
Mit einem hast Du recht: Es sollte im Finanzwesen keine Freifahrtscheine geben. Deshalb brauchen wir bspw. eine massive Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen für Finanzinstitute und ein den europäischen Verhältnissen angepasstes Resolutionsregime. Eine veränderte ZB-Politik brauchen wir aus diesem Grund nicht. Die vergangenen Versäumnisse lassen sich wohl kaum damit wiedergutmachen, dass man das Finanzsystem abwürgt und die Realwirtschaft noch mehr in die Folgen des dortigen Versagens hineinreisst, als ohnehin schon.
P.S: ^^
Du verstehst es von Anfang an nicht. Viel Erfolg !
Arne
Zutreffende Analyse. Ich verstehe im übrigen auch den Kreationismus und die Eisweltlehre nicht.
Beste Wünsche
Andreas