Trügerische Hoffnung auf den Einstieg in den Ausstieg

Estragon: Komm, wir gehen!
Wladimir: Wir können nicht.
Estragon: Warum nicht?
Wladimir: Wir warten auf Godot.
Estragon: Ah!
Samuel Beckett (1906 – 1989), Warten auf Godot.

I.

Die Vertreter der amerikanischen Zentralbank (Fed) haben angedeutet, dass sie angesichts verbesserter Wirtschaftsdaten ihr Anleihe-Aufkaufprogramm möglicherweise im September des laufenden Jahres zurückfahren wollen. Die Politik der Anleihekäufe wird als „Quantitative Easing“ oder kurz „QE“ bezeichnet. Die Finanzmärkte haben reagiert: Seit Mai 2013 ist die Rendite der zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihe von etwa 1,60 Prozent auf mittlerweile etwa 2,90 Prozent angestiegen.

Im Zuge der QE-Politik kauft die US-Zentralbank derzeit im Kapitalmarkt Anleihen in Höhe von 85 Mrd. USD pro Monat. Dadurch hebt sie die Anleihekurse künstlich an, manipuliert also die Anleihezinsen herab. Zudem führen die Anleihekäufe zu einer Ausweitung der (Basis-)Geldmenge, da die US-Zentralbank die Anleihekäufe mit neuem, „aus dem Nichts“ geschaffenem Geld bezahlt.

Durch ihre tatsächlich unbegrenzte „Kaufmacht“ übt die US-Zentralbank einen entscheidenden Einfluss auf die internationalen Zins-, Aktien- und Rohstoffmärkte aus. Die zentralen Frage, die viele Investoren nun umtreibt, lauten daher: Wird die Fed ihre Anleihekäufe tatsächlich zurückfahren oder gar einstellen? Und: Werden die Zinsen auf „normale“ Niveaus ansteigen?

II.

Wenn es gilt, diese Frage zu beantworten, bietet es sich an, die US-Geldmengenentwicklung seit Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise näher zu betrachten. Die nachstehende Grafik zeigt die Veränderung der US-Geldmenge gegenüber dem Vorjahr in Mrd. USD seit Anfang 2007. Wie zu erkennen ist, nahm der Zuwachs von M2 krisenbedingt in 2009 und 2010 ab. Das lag vor allem an der sich abschwächenden Bankkreditvergabe, die bereits krisenbedingt 2008 begann nachzulassen.

US-Zentralbank sorgt durch QE für steigende Geldmenge
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Dazu muss man wissen, dass es vor allem die Bankkreditvergabe ist, durch die die Geldmenge M2 ausgeweitet wird, und dass ein Schrumpfen der Bankkredite (ausgelöst durch zum Beispiel eine Rückzahlung der Kredite) einen Rückgang der Geldmenge M2 bewirkt. Mit anderen Worten: Zusätzliche Bankkredite erhöhen die Geldmengen M2, und Rückzahlungen von Bankkrediten reduzieren die Geldmenge M2.

Als Reaktion auf die Krise begann die Fed Ende 2008, US-Geschäftsbanken Anleihen abzukaufen. Das Ergebnis war, dass die Basisgeldmenge in den Händen der Banken anstieg. Das ließ die Geldbestände in den Händen der Nichtbanken (wie Unternehmen und private Haushalte) unberührt – und folglich gab der Zuwachs der Geldmenge M2 trotz der QE-Politik nach. Dann jedoch, ab Beginn 2011, stieg die Basisgeldmenge und gleichzeitig stieg auch der Zuwachs der Geldmenge M2.

Die Erklärung für diesen Befund ist, dass die Fed nun auch Anleihen kaufte, die bislang von Nichtbanken (wie Versicherungen, Pensionskassen, privaten Sparern etc.) gehalten wurden. Diese Aufkäufe führen dazu, dass die Fed den Verkäufern den Verkaufspreis direkt auf deren Konten überweist, und diese Konten sind Bestandteil der Geldmenge M2. Die Anleiheaufkaufpolitik der Fed sorgt also dafür, dass die Zuwächse von M2 sich nicht weiter abschwächen – obwohl die Bankkreditvergabe nachlässt.

Schaut man auf die jüngste Entwicklung seit Mitte 2012, so zeigt sich, dass sich die Bankkreditvergabe merklich abgeschwächt hat; und dass nur die Anleihekäufe der Fed ein Abschwächen der Geldmengenzunahme verhindert haben. Steigt die US-Zentralbank jetzt aus der Politik der Anleihekäufe aus, so würde das aller Voraussicht nach zu einer Abschwächung des M2-Zuwachses führen – und das wiederum dürfte eine Abschwächung der Konjunktur auslösen, etwas, dass man bislang mit allen Mitteln zu „bekämpfen“ versuchte.

III.

Angesichts dieser Überlegungen erscheint daher ein Ausstieg aus dem QE-Programm derzeit (geld-)politisch also gar nicht möglich zu sein – entgegen den vielfachen Andeutungen der Fed-Repräsentanten. Das heißt natürlich nicht, dass der Fed-Zentralbankrat im September nicht doch eine Verkleinerung des Anleihekaufprogramms ausrufen könnte. Die obigen Überlegungen legen jedoch nahe, dass eine solche Politikumkehr wohl nur von kurzer Dauer sein würde, dass die US-Zentralbank vermutlich relativ rasch wieder zur QE-Politik zurückkehren würde, um die Zinsen „künstlich“ tief zu halten (denkbar wäre eine Bandbreite von 2,5 bis 3,0 Prozent für 10-jährige Staatsanleihen).

Ludwig von Mises (1881 – 1973) erkannte bereits in den 20. Jahren des vergangenen Jahrhunderts, welche fatalen polit-ökonomischen Folgen eine Krise hat, die durch die Geldpolitik verursacht wurde. Er sah, dass eine Abkehr von der fatalen Geldpolitik des Zinsniederdrückens und Geldmengenausweitens nicht möglich ist, wenn die Mehrheit der Bevölkerung darin den Ausweg aus der Krise erblickt.

In Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus (1922) schrieb Mises das Folgende – das unverändert auf die aktuellen Verhältnisse angewendet werden kann, dass nämlich die Hoffnung auf einen geldpolitischen Einstieg in den Ausstieg trügerisch, wenn nicht vergeblich ist, wenn im Zinsniedrighalten und in der Geldvermehrung die Politik der „Rettung“ und nicht die der Zerstörung erblickt wird:

„Ratlos stehen die Politiker der Krise gegenüber, die sie heraufbeschworen haben. Und sie wissen keinen anderen Ausweg zu empfehlen als neue Inflation oder, wie man in der jüngsten Zeit zu sagen pflegt, Re-Deflation. Die Wirtschaft soll „angekurbelt“ werden durch neue zusätzliche Bankkredite (…), wie die Gemäßigten wollen, oder durch Ausgabe von neuen Staatsnoten, wie die Unentwegten wünschen.
Doch die Vermehrung der Menge des Geldes und der Umlaufsmittel wird die Welt nicht reicher machen und das nicht wieder aufbauen, was der Destruktionismus niedergerissen hat. Ausdehnung des Zirkulationskredits führt zwar zunächst zum Aufschwung, zur Konjunktur; doch diese Konjunktur muß notwendigerweise früher oder später zusammenbrechen und in neue Depression einmünden. Durch Kunstgriffe der Bank- und Währungspolitik kann man nur vorübergehende Scheinbesserung erzielen, die dann zu umso schwererer Katastrophe führen muß. Denn der Schaden, der durch die Anwendung solcher Mittel dem Volkswohlstand zugefügt wird, ist um so größer, je langer es gelungen ist, die Scheinblüte durch fortschreitende Schaffung zusätzlichen Kredits vorzutäuschen.“

Thorsten Polleit
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6 Antworten auf „Trügerische Hoffnung auf den Einstieg in den Ausstieg“

  1. Geldmenge M2 und Umverteilung…

    Eben ist es mir ein Gedanke gekommen, leider kann ich nicht abschätzen ob dies quantitativ zutrifft, eventuell können Sie dies aber einschätzen:

    Nehmen wir mal an, die Zentralbanken würden ihre QE, OMT und ähnliche Programme mittelfristig beenden und könnten alle Wertpapiere verkaufen, würden also aus dem Markt M2 & M1 -Geld entziehen. welches Geld bleibt dann eigentlich noch übrig ? Ich befürchte das ein Großteil der verfügbaren Mittel weder beim Staat, noch bei Unternehmen, noch bei den untersten 90% der privaten Personen liegt, sondern direkt oder mittelbar über Verwalter, bei den Top 10% der Vermögenden. Dies würde bedeuten, dass unser Zinseszins-System eigentlich schon nicht mehr funktioniert, da kein M0 & M1 für den üblichen Marktkreislauf vorhanden ist und Kredite (M2-> M1) nicht vergeben werden (Unsicherheit).

  2. In einem Interview mit Dalls Fed Chef Fisher gestern auf dem TV-Nachrichtensender Bloomberg nannte jener im Hinblick auf das „Tapering“ der US Zentralbank den US-Staatsanleihenmarkt als Hauptdeterminante zum „Ausstieg“, da seiner Meinung nach alles andere an diesem angelagert ist ( CL, CMBS, MBS, etc. ). Ja, na dann viel Spass – QE forever.

  3. Der Mises-Satz „Ausdehnung des Zirkulationskredits führt zwar zunächst zum Aufschwung, zur Konjunktur; doch diese Konjunktur muss notwendigerweise früher oder später zusammenbrechen und in neue Depression einmünden.“ gilt offensichtlich nur in einer Welt, in der es niemals zu Nachfragelücken kommen kann. Mehr als 90 Jahre, nachdem er von Mises geschrieben wurde, gibt es aber eigentlich schon die „ein oder andere“ Untersuchung, die empirische Evidenz für die Existenz von Nachfragelücken liefert. Es gibt sogar Theorien, die zeigen, dass Nachfragelücken mit rationalen Erwartungen zu vereinbaren sind usw. Aber der Autor übergeht diese Entwicklungen hier völlig zu Recht. Für den wahren Gläubigen sind die Worte des Propheten unantastbar und müssen es auch bleiben!

  4. Hallo Kai,

    ja selbstverständlich gibt es diese „Theorien“. Es ist ja auch ganz „normal“, dass es Nachfragelücken gibt, ansonsten wäre die gesamte Ökonomie ja auf Autopilot geschalten oder ? Das Problem, dass sich ergibt, wenn man ständig und stetig nachfragewirkend in den Kreislauf eingreift, bewirkt aber gerade eine Verschiebung der unter normalen und freien Umständen entstehenden Präferenzen. Da diese Art von Ökonomie dann aber nur ein Derivat zum eigentlichen Prozess darstellt führt dies zwangsläufig ( unter Einbeziehung der „Theorien“ von von Mises – welche eigentlich keine reinen Theorien sind, da sie aus der Realität abgeleitet ( Ursache – Wirkungsbeziehung ) wurden ) zu einer Anpassung zum eigentlichen Prozess. Die Frage muss dann allerdings gestellt werden ob der ursprüngliche Prozess nach stetigem Eingreifen überhaupt noch funktionstüchtig ist, sodass wir dann in das Dilemma geraten in dem wir uns heute befinden. Die Strukturen haben sich soweit von den eigentlichen Präferenzen entfernt, dass es fast ( und das kann nicht mit Gewissheit gesagt werden ) nicht möglich ist auf diesen Pfad zurückzukehren. Also ist es dann doch besser weiterhin nachfragewirksam tätig zu werden, sodass wir am Ende doch zum Autopiloten gelangen. Das dies nicht mit einer freiheitlichen Ordnung vereinbar ist, sollte und müsste zumindest jedem, wenigstens ansatzweise, klar sein.

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