Meinungsumfragen sind in einer Demokratie wichtig. Sie helfen den politischen Entscheidungsträgern, ein Bild davon zu erhalten, was in einer Gesellschaft mehrheitlich gewünscht wird und was nicht. Sie evaluieren zudem, was die Menschen von der politischen Umsetzung ihrer Wünsche halten. So liefern sie erheblichen Mehrwert an Informationsgehalt im Vergleich zu den nur alle vier Jahre stattfindenden Wahlen. Doch gerade bei den Umfragen zu gesellschaftlich wichtigen Themen ist es wichtig, Meinungsumfragen auch so zu gestalten, dass die Umfrage interpretierbar ist und es zudem nicht bei der Befragung bereits feststeht, wie die Antwort ausfallen wird und soll. Dann handelt es sich bei der Umfrage nämlich nicht um Informationsgewinnung, sondern um Meinungsmache.
Ein schönes Beispiel hierfür liefern die Umfragen zur Zukunft der sozialen Marktwirtschaft. Alljährlich erhebt zum Beispiel der Bankenverband bei 1.000 Befragten die Meinung dazu, ob sich die soziale Marktwirtschaft bewährt hat oder nicht. Nach einem Tief im Jahr 2010, als die Zustimmung einmalig auf unter 50 Prozent absank, ist seitdem der Anteil der Zustimmung wieder deutlich auf mittlerweile 67 Prozent gestiegen. Dies ist ein dramatischer Anstieg: Immerhin adressiert die Frage die Grundlage unseres Wirtschaftssystems. Da sich aber an unserem System gar nicht viel geändert hat, dürften die Befragten statt der eigentlich gestellten Frage die Frage beantwortet haben, ob sie mit den gegenwärtigen ökonomischen Auswirkungen der Marktwirtschaft zufrieden sind. Damit haben sie implizit nach 2000 zur hohen Arbeitslosigkeit und nach 2008 dann zu den Folgen der Finanzmarktkrise ihre Meinung kundgetan.
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Dies ist an sich kein Problem für die Umfrage – allerdings muss man die Ergebnisse eben zurückhaltend interpretieren. Eine generelle Aussage zum System der sozialen Marktwirtschaft darf man aus der Umfrage deshalb kaum ziehen.
Setzen wir jedoch den Fall, die Befragten geben tatsächlich ihre Meinung zum System Soziale Marktwirtschaft ab. Dann stellt sich als nächstes Problem die Frage, was mit dem Begriff Soziale Marktwirtschaft gemeint ist.
Die Aussage, die Soziale Marktwirtschaft habe sich nicht bewährt, kann heißen
- dass die auf den ordoliberalen Grundsätzen von Walter Eucken basierende Wirtschaftsordnung „Soziale Marktwirtschaft“ aus normativer Sicht anderen Wirtschaftssystemen unterlegen ist und daher politisch Änderungen gewünscht sind, oder
- dass sich die Soziale Marktwirtschaft in positiver Sichtweise im Wettbewerb der Systeme nicht durchsetzen konnte, was bedeuten würde, dass wir in Deutschland keine soziale Marktwirtschaft mehr hätten, obwohl diese aus normativer Sicht vielleicht die bessere Lösung wäre.
Aufgrund dieser Doppeldeutigkeit lassen sich die Ergebnisse von Umfragen zur sozialen Marktwirtschaft kaum mehr sinnvoll einordnen.
Deutlich zu Tage tritt die Problematik des Durcheinanders von normativen und positiven Fragestellungen zum Beispiel in der Infratest/dimap Umfrage von 2012. Hier dominieren die positiven Einordnungen: 77 Prozent der Befragten sind der Meinung, die Marktwirtschaft mache die Reichen reicher und die Armen ärmer. Dies ist zunächst einmal eine deskriptive Meinungsäußerung über die Folgen der Ausprägung des Systems in Deutschland ohne eine normative Bewertung, ob eine solche Änderung der Einkommensverteilung wünschenswert ist oder nicht (auch wenn eine zunehmende Einkommensspreizung von den meisten Menschen normativ als unerwünscht interpretiert werden dürfte). Die Zustimmung zur Aussage „Die soziale Marktwirtschaft ist für Deutschland immer noch am besten“ hingegen ist rein normativer Natur – ein Werturteil und jeglichen Empiriegehalt.
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Was soll ein Politiker aus einer solchen Umfrage lernen? Interpretiert man die Ergebnisse böswillig (also nicht so, wie es die Abbildung eher suggerieren möchte), kommt man zu folgendem Schluss: 77 Prozent der Befragten stimmen zu, dass die soziale Marktwirtschaft die Reichen reicher macht. 65 Prozent bejahen gleichzeitig die Aussage, die soziale Marktwirtschaft sei für Deutschland immer noch am besten. Steigender Reichtum der Reichen ist wohl ein erfreuliches Ergebnis: Alle Menschen haben in einer Marktwirtschaft einen starken Anreiz, reich zu werden. Denn dann werden sie in unserem System schnell noch reicher. Und Reichtum ist in unseren Werten ja ein positiv belegter Begriff. Ob dies die Ergebnisse der Befragung uns verraten wollen?
Die soziale Marktwirtschaft ist für die derzeit gute Lage in Deutschland verantwortlich (so die Umfrage). Dies ist eine normative wie positive Aussage: Die Lage hierzulande ist gut (normativ!), die Marktwirtschaft ist verantwortlich hierfür (positiv!). Aber: Die derzeitige Lage ist offenbar kein relevantes Kriterium: 51 Prozent (die Mehrheit!) stimmen zu, dass die soziale Marktwirtschaft grundlegend verändert werden muss. Sie ist aber für Deutschland jedoch immer noch am besten (65 Prozent Zustimmung)! Was soll man hieraus jetzt für politische Schlüsse ziehen?
Meinungsumfragen sind wichtig. Dies gilt auch für Umfragen zur sozialen Marktwirtschaft, und dies sowohl aus normativer wie auch aus positiver Sicht. Normativ ist es wichtig zu evaluieren, ob unsere Soziale Marktwirtschaft die richtige Wirtschaftsordnung, also jene, die unsere Werte und Normen adäquat formuliert, für uns ist. In einer Demokratie muss die Wirtschaftsordnung vom Volk mehrheitlich legitimiert werden. Eine solche Legitimationsbasis kann erodieren, wenn sich grundlegende Werte der Menschen verändern. Wenn etwa ein Wertewandel in Form eines Abrückens vom Freiheits- zum Gleichheitsprinzip zu beobachten ist, so ist die Politik aufgefordert, konstruktive Reformen zur Umsetzung des Wertewandels in die Wirtschaftsordnung einzuleiten. Ob dies der Fall ist, und welche Werte, auf denen unsere Wirtschaftsordnung basiert, sich verändern, wird in den Umfragen zur Sozialen Marktwirtschaft leider nicht thematisiert. Für Parteien wie in diesem Fall für die FDP wären solche Aussagen aber hochrelevant: Wird Freiheit ein weniger geschätzter Wert? Und in welchen Bereichen verzichten Menschen auf Freiheit und wünschen sich mehr Staat? Oder ist Freiheit in den meisten gesellschaftlichen Bereichen nach wie vor von hoher Bedeutung?
Zudem können sich auch Normen verändern, ohne dass sich die dahinter stehenden Werte mit verändern müssen. Technischer Fortschritt oder der Globalisierungsprozess sorgen dafür, dass neue Herausforderungen an die Wirtschaftsordnung entstehen. Die Globalisierung etwa liefert hier viel Diskussionsstoff, man denke nur etwa an die Ausbeutung von Rohstoffen in den Krisenregionen der Welt wie etwa der Demokratischen Republik Kongo. Welche Antwort hat unsere Wirtschaftsordnung auf das Problem, dass Eigentumsrechte dort nichts wert sind und der Markthandel mit den Rohstoffen dieser Region die Kriegsherren im Kongo finanziell unterstützt? Oder nehmen wir die Folgen des demografischen Wandels: Der Wert, Menschen sollten in Würde altern können, hat sich möglicherweise nicht verändern. Aber die gesellschaftliche Norm, wie dies sicher zu stellen ist, hat sich in den Jahrzehnten zunehmender Kinderlosigkeit vieler Menschen von der (Groß-)familie wegbewegt und wird vermehrt als öffentliche Aufgabe betrachtet. Aussagen über die Relevanz von Werten und Normen zu gewinnen ist für die politische Umsetzung von Werten und Normen absolut wünschenswert.
Auch die positive Sicht zur Sozialen Marktwirtschaft in der Gesellschaft abzufragen macht Sinn. Denken die Menschen in Deutschland tatsächlich, dass wir noch eine soziale Marktwirtschaft haben? Was verstehen sie unter Marktwirtschaft, was halten sie für sozial? Denken Sie, dass die Marktwirtschaft die Reichen reicher und die Armen ärmer macht? Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung vom April 2011 denken 71 Prozent der Bürger, dass wir in Deutschland eine soziale Marktwirtschaft haben. Von dieser erwarten sie vor allem gleiche Bildungschancen für alle, geringe Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum. Andere zentrale Items sind die Höhe der Staatsschulden oder die Förderung des Umweltschutzes. Von den tatsächlichen Merkmalen einer sozialen Marktwirtschaft (freie Preisbildung; offene Märkte; Eigentumsrechte; Haftung) ist in der Auflistung, was der Bürger von einer Marktwirtschaft erwarten kann, gar nichts zu finden. Diese aber müsste man in der Umfrage auch abfragen – ansonsten redet die Umfrage den Befragten (fälschlicherweise) ein, die Höhe der Staatsschulden habe etwas mit der Wahl der Wirtschaftsordnung zu tun.
Interessant wird die positive Sicht vor allem dann, wenn man sie mit den tatsächlichen Daten und Fakten kontrastieren kann. Dann lässt sich überprüfen, was die Deutschen über ihre Wirtschaftsordnung wissen und wie gut sie über ihre Folgen informiert sind. Stellt sich heraus, sie sind schlecht informiert, ist Aufklärung im Sinne ökonomischer Bildung gefordert. Diese würde unmittelbar zur Volksbildung beitragen. Die Umfragen, wie sie bisher durchgeführt werden, sind jedoch wohl zu einem Teil einfach unglücklich gestellt, und zu einem anderen Teil wohl der politischen Meinungsmache zuzuschreiben. So führen sie statt zur Volksbildung eher zu Volksverdummung.
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Soziale Marktwirtschaft … Zumal die Menschen selbst oder zumindest der Erwerbstätige die Finanzierungskosten der Mittel trägt, die notwendig sind seine Arbeitskraft zu finanzieren, erschließt sich mir nicht, warum inbesondere unselbstständig Erwerbstätige noch besonderen Einsatz dabei zeigen just jene zu unterstützen die im reichen Maße abschöpfen.
Das hat 2 Konsequenzen. Selbständigkeit hat zurecht Vorteile und bitte nicht für andere sich zu Tode arbeiten als unselbstständig Erwerbstätiger. Aus Sicht der Finanzierung trägt jeder Einzelne ähnlich viel zur Finanzierung des Wirtschaftsraums bei.
Wirft man jedoch einen genauen Blick in die Struktur jener die Finanzvermögen horten so drängt sich mir doch der Verdacht auf, dass eher durch staatl. Einfluss Begünstigte profitieren. Das kein Zeichen für Soziale Marktwirtschaft. Da drängt sich der Verdacht auf, dass just der Sozialismus unter dem Argument der Solidarität oder mit sozialem Flair wird der Breite untergejubelt.
Sozial ist was Arbeit schafft! Unsinn. Sozialistisch ist was Arbeit schafft! Sozial ist was Wertschöpfung bringt und fair verteilt. Das wäre an sich der Markt – der freie Markt im Idealbild ergänzt um die Kompensation von temporär auftretenden Zahlungsmittelknappheiten beim Individuum. Die Sicht im positiv befreiten Markt wäre eine Solidarität zugunsten der Wiederaufnahme von Partizipation am Chancenpool. Daraus machen machen muss jeder selbst etwas.
Das beseitigen eines Marktteilnehmers (Ressourcennehmers) egal ob Individuum oder Unternehmen, ist im Sozialismus insbesondere Attraktiv, da kurzfristig und auch kurzsichtig die Mehrheit profitiert. Das ist die Verlogenheit wenn Sozialisten über den ‚Kapitalismus‘ und freie Märkte urteilen. In einem Szenario ist derjenige der ‚Held‘ im anderen ist er der Raubtierkapitalist, da er nicht die Ressourcen des vernichten Geschlagenen an die ‚Meute‘ verteilt.
In einem Punkt gestehe ich Deutschland wohl schon die Erreichung eines Ziels einer sozialen Marktwirtschaft durchaus zu. Die Bereitstellung von Fortschritt im Sinne von kollektivem Mehrwert. Der Zugriff wird teuer erkauft. Die Erwirtschaftung selbst steht auf solide organisierten Beinen.