Krisenbekämpfung mit Sondermaßnahmen und Niedrigzinspolitik
Im Zuge der Finanzkrise und der darauffolgenden Staatsschuldenkrise hat die Geldpolitik eine zentrale Rolle bei der Eindämmung der Krisen übernommen. Zur Vermeidung einer Liquiditätskrise wie nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers stellte die EZB den Geschäftsbanken zunächst über zahlreiche Sondermaßnahmen Liquidität zur Verfügung, nachdem die normalen Finanzierungskanäle nicht mehr funktionierten (vgl. ECB, 2013). Zu diesen sogenannten unkonventionellen Maßnahmen zählen die Vollzuteilung bei Refinanzierungsgeschäften, Refinanzierungsgeschäfte mit längeren Laufzeiten, die Einführung von Linien für Fremdwährungsswaps sowie Erleichterungen bzgl. der notenbankfähigen Sicherheiten. Zwischen Mitte 2009 und Mitte 2010 kaufte die EZB darüber hinaus gedeckte Schuldverschreibungen (Covered Bonds) an, um den für die Refinanzierung der Banken sehr wichtigen Markt wiederzubeleben. Im Frühjahr 2010, als sich infolge der Finanzkrise und der darauffolgenden Rezession massive Belastungen in den Staatshaushalten zeigten und einzelne Segmente des Staatsanleihemarktes austrockneten, implementierte die EZB schließlich ein Ankaufprogramm für Staatsanleihen (Securities Markets Programme – SMP). Im Rahmen dieses Programms erwarb sie Staatsanleihen im Volumen von insgesamt gut 210 Mrd. Euro. Nachdem das SMP auslief, verkündete die EZB im Sommer 2012 ein neues Ankaufprogramm für Staatsanleihen (Outright Monetary Transactions – OMT). Die geschilderten unkonventionellen Maßnahmen sind im Kern bis heute weiterhin in Kraft und haben zu einer Ausweitung der Zentralbankbilanz um zeitweise rund 160 % geführt.
Neben den erwähnten unkonventionellen Maßnahmen wurden von den Notenbanken auch die gewöhnlichen geldpolitischen Instrumente, und hierbei insbesondere die Leitzinsen, zur Krisenbekämpfung eingesetzt. Die US-amerikanische Notenbank begann bereits Ende 2007 damit, ihren Leitzins massiv zu senken, und nahm damit eine Vorreiterrolle für andere Zentralbanken ein. Die EZB handelte zunächst gegen den Trend, indem sie ihren Leitzins, den Hauptrefinanzierungssatz, 2008 sogar noch einmal erhöhte. Im Zuge der scharfen Rezession Ende 2008/Anfang 2009 schwenkten dann aber auch die Währungshüter im Euroraum auf einen ausgeprägten Zinssenkungskurs ein. Der Versuch der EZB, den Leitzins 2011 anzuheben und sich dadurch von anderen Notenbanken abzukoppeln, scheiterte an den sich erneut verschlechternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Euroraum. Noch im selben Jahr machte die Notenbank die Leitzinserhöhungen wieder rückgängig. 2012 und 2013 folgten weitere Kürzungen beim Hauptrefinanzierungssatz auf zuletzt 0,25 %. Zusammen mit dem Leitzins senkte die EZB auch andere für die geldpolitische Steuerung relevante Zinssätze. So liegt beispielsweise der Zinssatz für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB seit Mitte 2012 bei null.
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Geldpolitik nur teilweise wirksam
Die Maßnahmen der Geldpolitik können mit Blick auf das Ziel einer Stabilisierung des Bankensektors und der Finanzmärkte als erfolgreich bewertet werden. Eine erneute Liquiditätskrise im Bankensektor ist bis dato ausgeblieben. Durch das neue Ankaufprogramm der EZB für Staatsanleihen konnte eine erneute Verschärfung der Staatschuldenkrise im Euroraum vermieden werde. Tatsächlich sind die Renditen für Staatsanleihen der Euro-Peripheriestaaten seit Ankündigung des Programms im Juli 2012 kontinuierlich zurückgegangen. Trotz einer zeitweisen Zunahme der politischen Unsicherheiten, die sich in einer wachsenden Opposition gegen Konsolidierungsmaßnahmen und einer Verschleppung dringend notwendiger Reformmaßnahmen in den Krisenländern äußerten, kam es seitdem nicht mehr zu einem signifikanten Anstieg der Risikoprämien und Renditen bei den betroffenen Staatsanleihen. Dabei wurde das OMT bisher nicht einmal aktiviert. Offensichtlich reichte aus Marktsicht bisher allein die Ankündigung von Ankäufen durch die EZB, um ein erneutes Auseinanderlaufen der Renditen von Staatsanleihen im Euroraum zu verhindern.
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Weniger klar ist der Befund mit Blick auf die konjunkturellen Effekte der Geldpolitik. Zwar sind nach jahrelanger Rezession in den meisten Krisenstaaten Anzeichen für eine konjunkturelle Belebung erkennbar. Die Wirtschaftsleistung in den USA, in UK und im Euroraum liegt trotz ultraexpansiver Geldpolitik aber nach wie vor unter dem aus einer Fortschreibung des Vorkrisentrends errechneten Pfad (vgl. BIS, 2013, S.69 ff). Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit in den genannten Währungsräumen ungeachtet der ultraexpansiven Geldpolitik zunächst weiter an und befindet sich in den meisten Krisenstaaten weiterhin auf einem außerordentlich hohen Niveau. Ein wesentlicher Grund, warum die Geldpolitik in den vergangenen Jahren nicht zu einer stärkeren konjunkturellen Belebung geführt hat, dürfte in der Beeinträchtigung wichtiger Transmissionskanäle zu finden sein. Da sich viele Staaten in einer sogenannten Balance Sheet Recession befinden, die u.a. durch ein Abbau von Risiken in den Bankportfolien gekennzeichnet ist, wird der sonst übliche Transmissionskanal der Geldpolitik in Richtung Realwirtschaft blockiert. Leitzinssenkungen kommen dann wegen der mangelnden Kreditvergabefähigkeit der Banken nicht bei Unternehmen und Privathaushalten an. Eine Rückkehr zu alter Wachstumsstärke ist erst nach Beendigung des Deleveraging Prozesses im Bankensektor zu erwarten. Gleichwohl diente das Argument gestörter Transmissionskanäle der EZB als wichtigstes Argument zur Rechtfertigung ihres immer expansiveren Kurses (vgl. ECB, 2011, S. 56f).
Die schwache Konjunkturentwicklung in den Krisenjahren war mit einem Rückgang der Inflationsraten in den großen Industriestaaten verbunden. Dies hat es aus Sicht der Geldpolitik erleichtert am ultraexpansiven Kurs festzuhalten, ohne dass eine Verfehlung des Preisniveaustabilitätsziels befürchtet werden musste. Die EZB verweist in diesem Zusammenhang immer wieder auf die Inflationserwartungen im Euroraum, die sich trotz der umfangreichen geldpolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise nicht verändert haben (vgl. ECB, 2013b). Tatsächlich hat in der EZB angesichts weiter sinkender Inflationsraten zuletzt die Sorge vor einer deflatorischen Entwicklung zugenommen, was auch ein wesentlicher Anlass für die zuletzt erfolgte Leitzinssenkung gewesen sein dürfte.
Wahrscheinlichkeit von Kredit- und Finanzmarktblasen steigt
Die erkennbaren Erfolge der Geldpolitik bei der Bekämpfung der Banken- und Finanzkrise dürfen aber nicht den Blick dafür verstellen, dass der von den Notenbanken eingeschlagene Weg auf lange Sicht erhebliche Risiken birgt. Gefahren, die mit einer lang anhaltenden Niedrigzinspolitik in Verbindung gebracht werden, sind:
- Sinkende Risikoaversion und Blasenbildung an den Finanzmärkten
- eine wachsende Tendenz zur Überschuldung
- Konservierung struktureller Probleme und Produktivitätsverluste in einer Volkswirtschaft
- Einengung des geldpolitischen Handlungsspielraums der Notenbanken
Je tiefer die Leitzinsen gesenkt werden und je länger die Niedrigzinsphase anhält, desto größer ist das Risiko, dass eine der genannten unerwünschten Nebenwirkungen eintritt.
Werden die Leitzinsen gesenkt, substituieren Investoren auf der Suche nach einer höheren Rendite geldmarktnahe Anlagen durch andere Anlageformen, so dass mit einer zeitlichen Verzögerung auch dort die zu erwartende Verzinsung sinkt. Im Ergebnis kann es in einem Umfeld niedriger Zinsen und Staatsanleiherenditen dann zu einer sinkenden Risikoaversion der Investoren und einem Aufbau von Risiken in unerwünschten Marktsegmenten kommen (vgl. BIS, 2012, S.43). Dieser Zusammenhang war bereits in den Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise zu beobachten und dürfte einer der wesentlichen Auslöser für die Krise am US-Hypothekenmarkt und dem darauf basierenden Verbriefungs- und Derivatemarkt gewesen sein. Allerdings fällt mit den Banken aktuell ein wesentlicher Treiber der Entwicklung aus. Denn der weitaus überwiegende Teil der Banken in den Industriestaaten ist nach wie vor mit dem Abbau von Risiken beschäftigt, nicht zuletzt um die von den Aufsehern geforderte Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen erfüllen zu können.
Dies schließt indes nicht aus, dass andere Marktakteure durch ihre Nachfrage zu einer Blasenbildung an den Märkten beitragen können. Insbesondere Lebensversicherer stehen angesichts des lang anhaltenden Niedrigzinsumfelds unter starkem Druck, durch Investitionen in höherverzinsliche, aber damit auch risikoreichere Anlageformen die den Kunden zugesagte Garantieverzinsung zu erwirtschaften. So stieg beispielsweise bei deutschen Versicherern der Anteil der Unternehmensanleihen an den gesamten Kapitalanlagen von 3,4 Prozent Ende 2009 auf 6,0 Prozent Mitte 2013 (vgl. Deutsche Bundesbank, 2013, S. 14). Der Bestand der von Banken gehaltenen Unternehmensanleihen hat sich demgegenüber in dem genannten Zeitraum nicht signifikant verändert. Gleichwohl stehen auch Banken in einem lang anhaltenden Niedrigzinsumfeld unter wachsendem Ertragsdruck, da mit dem Zinsniveau in der Regel die Zinsmarge sinkt. Letztendlich können niedrige Zinsen auf Dauer selbst zu einer Bedrohung der Finanzstabilität werden, wenn sich der Risikogehalt der von Banken und Versicherern gehaltenen Portfolien verschlechtert oder sinkende Erträge die Eigenkapitalbasis der Finanzinstitute oder Finanzintermediäre erodieren.
Die Notenbanken sehen die Risiken eines lang anhaltenden Niedrigzinsumfelds für die Finanzstabilität durchaus, nehmen sie angesichts der besonderen Umstände in einer Krise aber in Kauf (vgl. Asmussen, 2013). Die Anerkennung der Verantwortung der Geldpolitik für die Entwicklung der Asset-Preise stellt aber immerhin eine beachtliche Kehrtwende dar, da die Währungshüter dem Zinsniveau als Einflussfaktor für die Finanzmarktentwicklung noch bis vor einigen Jahren nicht ausreichend Beachtung geschenkt haben. Ebenso wurde die Bekämpfung von Blasen nicht als Aufgabe der Geldpolitik angesehen. Diese Argumentation gründete auf der Behauptung, Blasen seien nicht zweifelsfrei diagnostizierbar und die Geldpolitik verfüge nicht über die Instrumente eine Blase zielgenau zu bekämpfen. Unter dem Eindruck der Krise und neuerer Analysen wurden die Argumente entkräftet. So zeigte sich, dass es weitere Transmissionskanäle gibt, die zu einer Verstärkung geldpolitischer Impulse während eines finanziellen Booms führen können. Beispielsweise lässt sich eine enge Korrelation zwischen dem Risikoverhalten von Banken einerseits und den jeweiligen geldpolitischen Rahmenbedingungen andererseits beobachten (vgl. ECB, 2010, für einen Überblick zum Thema). Zudem gibt es inzwischen neuere, vielversprechende Methoden zur Identifikation von Asset-Preisblasen (vgl. Taipalus, 2012).
Hinweis
Die vollständige Version dieses Beitrags finden Sie in Heft 2 / 2014 der WiSt.
Literatur
Asmussen, Jörg, Member of the Executive Board of the ECB, Rede “Saving the Euro“, The Economist´s Bellwether Europe Summit, London, 25. April 2013
Bach, Stefan, Niedrigzinsen: Vermögensabgabe der Mittelschicht, in: Wirtschaftsdienst, 93 (9), 2013, S. 580
Belke, Ansgar, Impact of Low Interest Rate Environment – Global Liquidity Spillovers and the Search-for-Yield, S. 7f, 2013
Bank for International Settlements (BIS), 82nd Annual Report, Chapter IV, The Limits of Monetary Policy, 2012
Bank for International Settlements (BIS), 83rd Annual Report, Chapter VI, S. 69f, 2013
Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2013, S. 14
European Central Bank (ECB), Asset Price Bubbles and Monetary Policy Revisited, in: Monthly Bulletin, November 2010, S. 71-83
European Central Bank (ECB), Monthly Bulletin July 2011, The ECB’s Non-Standard Measures – Impact and Phasing-Out, S. 56f, 2011
European Central Bank (ECB), Working Paper Series No. 1528, The ECB’s Non-Standard Monetary Policy Measures, S. 10ff, 2013a
European Central Bank (ECB), Survey of Professional Forecasters, Q4/2013b, URL:http://www.ecb.europa.eu/stats/prices/indic/forecast/html/index.en.html
Taipalus, Katja, Detecting Asset Price Bubbles with Time-Series Methods, in: Bank of Finland, Scientific monographs E: 47, 2012
- Der Chefvolkswirt
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