Das Schottland-Referendum
Eine Herausforderung für die Autokratien und Demokratien dieser Welt

Das Scheitern des Referendums über eine mögliche schottische Unabhängigkeit am 18. September 2014 hat in weiten Teilen Großbritanniens, der EU und weltweit für Erleichterung gesorgt. Diese Erleichterung war zumeist der Tatsache geschuldet, dass ein außerhalb Schottlands – und überwiegend auch, wie das Abstimmungsergebnis zeigt, in Schottland selbst – ungeliebter und komplizierter Ablösungsprozess mit all seinen politischen, sozialen und rechtlichen Konsequenzen, Problemen und Rückwirkungen auf andere Weltregionen ausgeblieben ist. Tatsächlich aber stellt das Votum der Schotten einen historischen Einschnitt für eine sich zunehmend globalisierende Welt dar, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Die globale politische und wirtschaftliche Ordnung dürfte sich durch das „Beispiel Schottland“ nachhaltig verändern.

Die Governance-Konsequenzen der Globalisierung

Aus Sicht der Global Governance-Theorie hat sich der Nationalstaat überlebt. Die Kräfte der Globalisierung, so zum Beispiel Kahler und Lake in „Globalization and Governance“, entziehen dem Nationalstaat langsam aber sicher die politische Legitimität und Autorität, indem sie seine traditionellen Regelungs- und Steuerungskompetenzen in drei Richtungen verlagern. Erstens kommt es als Reaktion auf die im Globalisierungsprozess zunehmenden grenzüberschreitenden externen oder „Spillover“-Effekte zu einer Verlagerung nach oben auf die supranationale Ebene, auf der diese Effekte internalisiert werden können. Die Entwicklung und Vertiefung der EU, aber auch internationale Abkommen sind typische Beispiele für diese Entwicklungsrichtung. Letztlich hat auch das politische Gebilde Großbritannien mit seinen Landesteilen England, Schottland, Wales und Nordirland eine ähnliche internalisierende Wirkung.

Zweitens kommt es, im Schottland-Kontext allerdings weniger relevant, zu einer Seitwärts-Verlagerung zu privaten Akteuren wie multinationalen Konzernen und Nichtregierungsorganisationen. Die Internationalisierung von Unternehmen auf globalen Märkten ist eine natürliche Folge der sich bietenden Marktchancen und trägt zu zunehmenden Wohlstand bei, sofern nicht die Kosten in Form zunehmender Ausweichmöglichkeiten bei Besteuerung und Regulierung diese Wohlstandsgewinne zunichtemachen (was seinerseits eine Verlagerung dieser Regierungskompetenz auf die supranationale Ebene bedingen kann). Die zunehmende Bedeutung von Nichtregierungsorganisationen erklärt sich u.a. aus dem Wunsch nach einer Entpolitisierung beispielsweise der Entwicklungshilfe, dem Überwinden von Glaubwürdigkeitsproblemen, die staatliches Handeln mit sich bringen kann, sowie dem Einsparen von Transaktionskosten durch Spezialisierung (ironischerweise lassen sich ähnliche Argumente auch für das Entstehen der gerne verteufelten internationalen Rating-Agenturen machen).

Schließlich, drittens, und besonders relevant vor dem Hintergrund des Schottland-Referendums ist die Stärkung der subnationalen Ebene, also von Gemeinden. Kommunen, Regionen oder Provinzen. Insbesondere dann, wenn ein hoher Regelungs- und Steuerungsbedarf auf der supranationalen Ebene entsteht, entfernen sich die politischen Machtzentren und ihre Entscheidungen von den Bürgern und ihren spezifischen Bedürfnissen. Die „one-size-fits-all“-Politik der supranationalen Ebene kann die lokalen Präferenzen der Wähler kaum noch abbilden. In der Folge wird der Wunsch nach funktionierender Subsidiarität stärker, also einer Hierarchisierung der Entscheidungskompetenz in einer Weise, die garantiert, dass stets die niedrigste politische Ebene, die eine Entscheidung gerade noch verzerrungsfrei treffen kann, diese Entscheidung auch tatsächlich trifft. So ist die Entfernung zwischen Entscheidungsträger und Bürger am geringsten und die erwartete Präferenzverwirklichung am größten. Oder vereinfacht gesagt: die Qualitätskontrolle schottischen Whiskys darf getrost in Schottland erfolgen, denn Brüssel hat in dieser Frage keine – wie auch immer geartete – überlegene Regulierungs- oder Kontrollkompetenz. Umgekehrt ist es aber zweifellos ein Herzensanliegen der Schotten, die Kontrolle über das traditionellste Produkt ihres Landes auszuüben. Subsidiarität führt somit zu politischer Legitimität und kann gleichzeitig die Akzeptanz höherer Entscheidungsebenen bei grenzüberschreitenden Effekten stärken, weil sie auf eben diese Effekte beschränkt bleibt.

Konflikttheoretische Überlegungen

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stellen sich zwei wichtige Fragen: zu fragen ist zum einen, ob das Subsidiaritätsprinzip tatsächlich in der gewünschten Weise funktioniert, und zum anderen, inwieweit der Nationalstaat und seine Organe diese Entwicklung akzeptieren bzw. was passiert, wenn sie dies nicht tun. Beide Fragen sind eng miteinander verknüpft. In der politischen Realität ist davon auszugehen, dass eine saubere Trennung der Zuständigkeiten der einzelnen Hierarchieebenen nicht erfolgt (und – pragmatisch betrachtet – wohl auch nicht erfolgen kann). Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass mit dem Nationalstaat eine Hierarchieebene existiert, die mit Verve ihr – aus Sicht der Global Governance-Theorie zunehmend zweifelhaftes – Existenzrecht verteidigt. Gerade für ethnisch, religiös, sprachlich oder anderswie heterogene Staaten stellt dies eine große Herausforderung dar, denn der Rückbezug auf das Regionale, der in vielen Gegenden der Welt spürbar ist, führt gerade hier zu einer besonders starken Abgrenzung der regionalen von den nationalen staatlichen Institutionen. Der allgemeine Trend zur Regionalisierung wird also gerade in diesen Staaten zu entsprechenden Forderungen nach Autonomie oder sogar Unabhängigkeit führen.

In Europa lassen sich entsprechende Entwicklungen an vielen Stellen zeigen, wobei die Heterogenität innerhalb der Nationalstaaten sehr unterschiedliche Dimensionen annehmen kann und das Bestreben nach Regionalisierung auch nicht immer eine unmittelbare Folge der wirtschaftlichen Globalisierung sein muss. Ein besonders offensichtliches Beispiel ist das ehemalige Jugoslawien, in dem die unterschiedlichen Volksgruppen zunächst blutig ihre staatliche Unabhängigkeit erkämpften, um dann schnellst möglich Aufnahmeanträge bei der (supranationalen) EU zu stellen. Ähnliche Entwicklungen kennzeichnen auch andere Länder des ehemaligen Ostblocks, die nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs ihr Heil in Eigenständigkeit und Freiheit suchten. In all diesen Fällen suchte eine – in sich jeweils recht homogene – Bevölkerungsgruppe die Unabhängigkeit von übergeordneten Autoritäten oder gleichgeordneten, ihnen aber eigentlich „fremden“ (Zwangs-)Partnern, um die gemeinsamen gruppenspezifischen Teile der Präferenzordnung besser abbilden zu können. Das Beispiel der Ukraine (aber im Prinzip auch der baltischen Länder) mit seiner starken russischen Minderheit weist in eine ähnliche Richtung.

Die Gefahren einer solchen Entwicklung sind dabei offensichtlich: der Versuch, die Freiheit und Selbstbestimmung einzelner Volksgruppen oder spezifischer Minderheiten zu unterdrücken, kann schnell zu offenen Konflikten, Revolten, Bürgerkriegen oder – im Falle einer eher asymmetrischen Machtkonstellation – Terrorismus führen. Zwar mag wirtschaftliche Prosperität Konfliktlinien bis zu einem gewissen Grad kitten, doch wird dies auf Dauer kaum erfolgreich sein, denn wirtschaftlicher Erfolg ohne individuelle Freiheit wird über kurz oder lang in sich zusammenbrechen. Die aktuellen Entwicklungen in Hongkong können vor diesem Hintergrund durchaus als Menetekel gedeutet werden. Selbst die Aktivitäten der so genannten Terrormiliz „Islamischer Staat“ können als eine Strategie bestimmter Bevölkerungsgruppen interpretiert werden, durch einen territorialen Neuzuschnitt ein Gebiet bzw. eine Region zu schaffen, in der der Einfluss der nationalen Regierungen der Länder Syrien und Irak zugunsten eines – zumindest von den Milizen und ihren Führern – bevorzugten islamistischen Regierungstypus zurückgedrängt ist (dass die IS dabei menschenverachtend und brutal vorgeht, ändert an diesem grundsätzliche Befund nicht viel).

Vor diesem Hintergrund bedeutet das „Beispiel Schottland“ vor allem für die Autokraten dieser Erde wenig Erfreuliches, denn es zeigt – medial mit voller Wucht in die Welt hinausgetragen –, dass Demokratien über Mechanismen verfügen, um mit inneren Konfliktlinien in konstruktiver Weise umzugehen. So sehr manch ein Schotte über das Ergebnis und den Verbleib in Großbritannien trauern mag, die Tatsache, dass überhaupt ein solches Referendum stattgefunden hat und dabei in jeder Phase friedlich abgelaufen ist, darf er als einen Sieg der Demokratie über alle anderen Staatsformen feiern. Die Bürger Schottlands können sich darüber glücklich schätzen.

Umgekehrt haben die Bürger der Autokratien durch das Referendum die besonderen Vorzüge demokratischer Staatswesen und Regierungsformen sehr deutlich vor Augen geführt bekommen. Gruppen, die um Autonomie oder Unabhängigkeit innerhalb autokratischer Staaten kämpfen, dürften hierdurch beflügelt werden, neben der Unabhängigkeit parallel auch gleich noch für die Demokratie zu streiten bzw. die Demokratie als ersten Schritt in Richtung Unabhängigkeit zu betrachten. Gemengelagen dieser Art haben für Autokraten den großen Nachteil, dass es sehr viel schwieriger wird, Bevölkerungsgruppen innerhalb des Landes gegeneinander auszuspielen und so ihre Macht abzusichern. Das „Beispiel Schottland“ kann vor diesem Hintergrund nicht hoch genug eingeschätzt werden, bildet es doch einen Referenzfall für einen friedlichen und freiheitlichen Umgang um nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen. Nicht weniger loben sollte man den souveränen Umgang der Briten mit ihren – manchmal vielleicht etwas störrischen – schottischen Brüdern und Schwestern, auch wenn nicht ignoriert werden sollte, dass dieser Umgang bis zu einem gewissen Grad auch der speziellen Konstruktion Großbritanniens und einem leidvollen Lernprozess im Falle Nordirlands geschuldet ist.

Nicht nur Autokratien sind betroffen

Fast noch interessanter als die Wirkung auf Autokratien ist der Vorbildcharakter, den das schottische Referendum für Demokratien mit nationalen Autonomie- oder Unabhängigkeitsbestrebungen von Volksgruppen in westlichen Staaten hat. Das naheliegende Beispiel hierfür ist Spanien mit den beiden notorisch nach stärker Autonomie oder sogar Unabhängigkeit strebenden Regionen Katalonien und Baskenland. Aber auch anderswo in Europa sind ähnliche Konfliktlinien erkennbar, so etwa im belgischen Wallonien, im italienischen Südtirol und Venetien (oder allgemeiner in ganz Norditalien) oder im französischen Korsika. Darüber hinaus sind Fragen der Abspaltung auf Zypern und im Kosovo weiterhin ungelöst.

Den jeweiligen Bevölkerungsgruppen dieser Regionen wird das „Beispiel Schottland“ als Argument dienen, um von den nationalen Regierungen ihrerseits einen demokratischen Ablösungsprozess per Volksabstimmung, zumindest aber weitere Zugeständnisse für mehr Autonomie zu fordern. Tatsächlich reagierte die Regionalregierung Kataloniens nach dem schottischen Referendum schnell: Ende September kündigte sie ein eigenes Referendum zur Abspaltung von Spanien an, das bereits am 9. November 2014 stattfinden sollte. Regionalpräsident Artur Mas argumentierte dabei in vorhersehbarer Weise: „Katalonien will sich äußern, es will gehört werden, und es will abstimmen.“ Auch wenn die spanische Regierung mit Hilfe des Verfassungsgerichts das Referendum außer Kraft setzen konnte, zeigt sich an diesem Beispiel die schwierige Lage, in die Demokratien durch das schottische Beispiel gebracht werden. Einerseits entspricht es dem Selbstverständnis einer Demokratie, dass Wahlen und Referenden zur öffentlichen Meinungsfindung und -äußerung genutzt werden, selbst wenn diese nur von regionaler Relevanz ist. Andererseits fürchten die nationalen Regierungen um die territoriale Einheit, aus der ihre eigene politische Legitimität abgeleitet ist. Selbst wenn man kein Eigeninteresse im politökonomischen Sinne unterstellt, kann dies zu einer kaum erstrebenswerten politischen Instabilität führen. Diese ist auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass in Schottland, Katalonien oder auch Norditalien bis zu einem gewissen Grad eine Unabhängigkeit oder Autonomie „à la carte“ angestrebt wird, bei der es sehr stark um wirtschaftliche Fragen geht. Die genannten drei Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass im Vergleich zum Rest des Landes relativ wohlhabende Regionen sich von den ärmeren Landesregionen und den nationalen Umverteilungssystemen abnabeln wollen (ein Problem, das auch in Deutschland durchaus eine Relevanz hat). Eine Ablösung hat daher fast zwangsläufig eine negative Rückwirkung auf den jeweils verbleibenden Rest.

Während also in einer Autokratie die Frage für die Herrscher nur ist, ob und wie lange sie den durch das schottische Referendum neu angefachten Freiheits- und Unabhängigkeitswunsch ihrer Regionen und Minoritäten unterdrücken können, müssen Demokratien und ihre politischen Institutionen und Organe um die politische Legitimität (die ein Autokrat ohnehin nicht hat) fürchten. Dies macht das Problem der Unabhängigkeitsbestrebungen umso schwieriger. Auch hier ist der Fall Spanien aufschlussreich: der baskische Terrorismus der ETA, die ein eigenes Baskenland anstrebte, hatte auf die Legitimität der Zentralregierung in Madrid kaum Auswirkungen, weil das Mittel des Terrorismus dem Ziel der Unabhängigkeit unangemessen erschien. Das Legitimitätsproblem lag also bei den Basken selbst. Das Referendum in Schottland und die Reaktion der Regierung in Madrid auf das geplante Referendum in Katalonien können dagegen dazu beitragen, die Legitimität der Zentralregierung zu untergraben, weil nun die unangemessene Reaktion eher in Madrid gesehen wird.

Die Auswirkungen auf die EU

Auch für die Europäische Union stellt das schottische Referendum ein Problem dar. Zwar ändert sich die Lage in der kurzen Frist nicht, da es nicht zu einer Unabhängigkeit Schottlands gekommen ist. Damit stellt sich auch nicht die in den EU-Verträgen unbeantwortete Frage, wie sich die Aufteilung eines Mitgliedsstaats in zwei neue Staaten auf deren Mitgliedschaft in der EU auswirkt. Werden beide Staaten automatisch Mitglieder der EU, dann wäre dies gerade für reiche, sich abspaltende Landesteile eine günstige Regelung, da sie ihre wirtschaftliche Stärke im EU-Binnenmarkt weiterhin problemlos ausspielen könnten. Es ist allerdings zu vermuten, dass die Lage juristisch eher so interpretiert wird, dass der neue unabhängige Staat (hier also Schottland) einen Aufnahmeantrag bei der EU stellen müsste, während das bisherige Mitglied (hier Großbritannien) automatisch in der EU verbliebe, was die Unabhängigkeit tendenziell unattraktiver machen dürfte. Auch wenn die Klärung dieser juristischen Fragen aufwendig und kontrovers werden dürfte, dürfte sie zumindest bei eher wohlhabenden Mitgliedsstaaten wie Großbritannien und dann Schottland kein wirkliches Problem darstellen, da die EU – in welcher Konstellation auch immer – ein Interesse an der Mitgliedschaft beider Länder haben dürfte.

Das eigentliche Problem für die EU liegt an einer anderen Stelle. Die in Brüssel angestrebte tiefere Integration der Gemeinschaft mit einer stärkeren grenzüberschreitenden Vernetzung in politsicher, wirtschaftlicher und sozialer Sicht führt dazu, dass – in einer Art selbstverstärkender Rückkoppelung – auch der Regelungsbedarf auf der supranationalen Ebene weiter zunimmt, weil auch die zu internalisierenden grenzüberschreitenden Externalitäten zwangsläufig zunehmen. Wie oben beschrieben entfernt sich hierdurch jedoch die Entscheidungskompetenz immer weiter von den Bürgern und deren eher am lokalen Kontext ausgerichteten Präferenzen. Zumindest auf dem Papier beantwortet die EU diese Problematik mit einer Betonung des Subsidiaritätsprinzips und dem Versuch einer Stärkung der Regionen. Die Legitimität der Nationalstaaten wird hierdurch allerdings in Frage gestellt, was diesen kaum gefallen kann.

Zugleich verursachen das Signal für stärkere Regionen und ein relativer Bedeutungsverlust der Nationalstaaten aber auch eine Stärkung von Kräften und Gruppen, die innerhalb der Mitgliedsstaaten nach Unabhängigkeit streben und eigenständig in Europa existieren wollen. Verweigern sich die Nationalstaaten dieser Entwicklung, nimmt das Konfliktpotenzial zu. Geben sie ihm dagegen nach, dann werden sie weiter geschwächt und Europa zersplittert in Kleinstaaterei. Hatte man zuletzt neue Erweiterungsrunden der EU eher skeptisch betrachtet, weil die politischen Institutionen der EU – insbesondere der mit Vetorechten einzelner Mitgliedsstaaten ausgestattete Rat, aber auch die überdimensionierte Kommission – mit der großen Zahl der Mitglieder zunehmend überfordert war und ist, so würde man sich über Abspaltungen von Landesteilen in den EU-Mitgliedsländern genau dieses Problem auch ohne (räumliche) Erweiterung einhandeln. Verweigern könnte man Kleinstaaten wie Venetien oder Katalonien eine Mitgliedschaft wohl kaum, gehören sie doch politisch, kulturell und wirtschaftlich zum Kern Europas. Sicherlich würden diese neuen Mitglieder auch eine gehörige Portion politisches Selbstbewusstsein mitbringen (und einen demonstrativen Abgrenzungswunsch von ihrer alten „Heimat“), die Einigungen auf der europäischen Ebene innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens noch schwieriger machen. Die Stärkung der supranationalen Ebene würde dann über die Rückwirkungen durch die stärkere Regionalisierung zu einem politischen und institutionellen Stillstand führen, wenn die EU ihre politischen Entscheidungsfindungsprozesse nicht reformiert. Dazu jedoch bedarf es eines politischen Kraftakts (einschließlich einer Zustimmung der Nationalstaaten, die – auch bei abnehmender Legitimität – immer noch ausreichende Vetorechte in Brüssel besitzen), den selbst kühne Optimisten nicht erwarten. Dies lässt nichts Gutes für die Zukunft Europas erwarten…

Fazit

Man darf Schottland und Großbritannien getrost dazu gratulieren, dass sie den im Raum stehenden, letztlich aber nicht ausreichend starken schottischen Ablösungswunsch in einer Weise behandelt haben, die einer Demokratie würdig ist. Die Aussprache und breite Diskussion über die Unabhängigkeitsfrage werden Großbritannien als Ganzes stärken und möglicherweise über die Jahrzehnte entstandenen Entfremdungstendenzen der Landesteile entgegenwirken. Die Welt kann vom „Beispiel Schottland“ vieles lernen. Die Menschen und Bevölkerungsgruppen, die unter autokratischen Regimen leiden, sollten Mut daraus ziehen, ihren Wunsch nach Unabhängigkeit und Unabhängigkeit weiterhin – möglichst friedlich – zu verfolgen. Die westlichen Demokratien und die EU müssen dagegen vor allem akzeptieren, dass im Prozess der Globalisierung die politische Landschaft kleinteiliger wird, weil die Regionen an Bedeutung gewinnen. Die politische Bedeutung und Legitimität des klassischen Nationalstaats, der glaubt, die Interessen diversen Regionen gleichzeitig vertreten zu müssen, wird vor allem innerhalb der EU zurückgehen, weil hier die supranationale Ebene bereits sehr stark ausgebaut ist. Länder wie Spanien werden nicht umhin kommen, ihren Regionen immer mehr Autonomie einzuräumen, wenn sie die nationale Einheit erhalten wollen. Zugleich sollte sich die EU klarmachen, dass starke Regionen und eventuelle neue Klein- und Kleinstmitgliedsstaaten anders zu behandeln sind als man es gewohnt ist. Um nicht in endlosen Verhandlungsrunden feststecken zu bleiben und politisch gelähmt zu werden, muss das Subsidiaritätsprinzip endlich so gelebt werden wie es gemeint ist. Die europäische Ebene wird sich massiv zurücknehmen und auf die wirklich grenzüberschreitend zu regelnden Aufgaben beschränken müssen – und diese sind viel weniger, als man sich in Brüssel vorstellen kann.

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Jan Schnellenbach: Schottland, Großbritannien und die EU. Eine schwierige Konstellation aus politisch-ökonomischer Sicht

Norbert Berthold: Der Wunsch nach einem eigenen Staat. Ist Schottland bald überall?

 

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