Der Herbst hat begonnen, die Tage werden kürzer. In den Büros ist die Entspannungswirkung des Sommerurlaubs schon fast wieder aufgebraucht.
Uns hatte es dieses Jahr an die südfranzösische AtlanÂtikküste verschlagen. Im Médoc, also auf der Halbinsel nördlich von Bordeaux, auf dem linken Ufer der Gironde, sorgt ein Kalksteinboden, der häufig von mehreren Meter dicken eiszeitlichen Ablagerungen von Sand und Kies überzogen ist, für eine gute Basis. So können die WeinreÂben tief wurzeln und stehen dank des guten Wasserabzugs und der ohnehin hervorragenden klimatischen BedingunÂgen nie im Wasser. Die Trauben bilden eine entsprechend dicke Haut und bieten damit das ersehnte fruchtige AroÂma für langlebige Rotweine der Spitzenklasse.
Ein typisches Château, wie die Weingüter im Bordelais ganz unabhängig von der Erscheinungsweise der Gebäude genannt werden, produziert nur wenige unterschiedliche Weine und konzentriert sich dabei auf jeweils einen „Grand Vin“. Dieser charakteristische „Grand Vin“, mit dem sich die stolzen Weingüter identifizieren, entsteht als Cuvée aus den je nach Witterungsverlauf eines Jahres in unterschiedlichen Mengenverhältnissen und unterschiedÂlichen Qualitäten zur Verfügung stehenden gekelterten Früchten von zwei bis fünf Rebsorten.
Wer nun glaubt, ein guter Bordeaux habe mit Klima, BoÂdenbeschaffenheit, guten Rebsorten und althergebrachter Handwerkskunst zu tun, aber wenig mit WirtschaftspoliÂtik, irrt gewaltig. Das in der Appellation Saint-Julien gelegene Château Beychevelle, imposant mit Park zur Gironde hin gelegen, hieß uns nach einer Voranmeldung freundlich willkomÂmen und gewährte uns Einblick.
Arbeitszeitgesetze entwerten die alten Weinkeller
So horcht der wirtschaftspolitisch interessierte WeinliebÂhaber beispielsweise auf, wenn bei der Besichtigung der jahrhundertealten unterirdischen Keller zwar auf deren klimatisch ideale Voraussetzungen zur Lagerung des Weins aufmerksam gemacht wird, die riesigen Keller jedoch leer stehen. HatÂte man noch in den 1990er Jahren
kostspielig einen LasÂtenaufzug in die alte Bausubstanz eingebaut, um den bis dahin mühsamen und gefährlichen Transport der Fässer über steile Rampen zu modernisieÂren, brachte die 35-Stunden-Woche kurz darauf das Aus für die Keller.
Wie in den meisten Spitzenweingütern des Bordelais wird der Wein im Château Beychevelle nicht gefiltert, sondern nur geschönt. Zu diesem Zweck wird der Wein wähÂrend des 18-monatigen Gärungsprozesses mehrfach „abgestoÂchen“, der geklärte Wein also von Schwebstoffen aus Fruchtfleisch und Schale befreit, die sich abgesetzt haben. Die Prozedur erfordert, dass der Wein abgelassen, die Barriques ausÂgewaschen und geschwefelt und der Wein anschließend wieder in die Fässer abgefüllt werden. Diese ArbeitsproÂzesse müssen verständlicherweise so schnell wie mögÂlich aufeinander folgen. Solange man jedoch die natürlich temperierten Keller nutzte, mussten die Fässer zu Beginn des Abstichs außerdem aus dem Keller nach oben und anschließend wieder hinunter zum Lagern geÂbracht werÂden.
Ebendies ist aber nicht mehr möglich, seit die gesetzÂliche Arbeitszeit in Frankreich auf 35 Stunden verkürzt wurde. Selbst bei Inkaufnahme von ÜberstundenzuschläÂgen darf seit Februar 2000 die Höchstarbeitszeit eines Arbeiters 44 Wochenstunden im Dreimonatsdurchschnitt nicht überÂsteigen. Pro Kopf sind nicht mehr als 130 ÜberÂstunden im Jahr zulässig. Auch das ergänzende Modell der JahresarÂbeitszeiten und Arbeitszeitkonten hilft nicht weiter. Denn auch hierbei dürfen die Höchstarbeitszeiten pro Woche nicht überschritten und müssen die durch Mehrarbeit anÂgesparten Tage innerhalb der nächsten fünf Jahre durch Freizeit abgegolten werden.
Für den arbeitsÂintensiven und zeitsensitiven ArbeitsproÂzess im TradiÂtionsweingut ist das keine Option. Da man darauf Wert legt, dass kein Saisonarbeiter, sondern nur langjährig beschäftigte Mitarbeiter Zutritt zu den sensibÂlen ProdukÂtionsbereichen im Inneren des Gutes haben, konnte man der Einschränkung zulässiger WochenarÂbeitszeiten pro Beschäftigtem auch nicht durch die zuÂsätzliche BeschäfÂtigung von Aushilfskräften zu den StoßÂzeiten begegnen. In Château Beychevelle sah man sich deshalb gezwungen, auf die gesetzliche Regulierung der 35-Stunden-Woche durch die Aufgabe der jahrhunderteÂalten Keller zu reagieÂren.
Erbschaftsteuern sorgen für neue Besitzverhältnisse
Nachdem Château Beychevelle in seiner langen GeÂschichte seit dem 14. Jahrhundert stets namhaften PersönÂlichkeiten und Familien gehörte, darunter im 16. JahrhunÂdert dem damals überaus mächtigen Admiral von FrankÂreich Jean Louis de Nogaret de La Valette und Ende des 19. Jahrhundert dem Bankier Armand Heine, einem Cousin Heinrich Heines, gehört es nun seit knapp drei JahrÂzehnten internationalen Geldgebern. Wurde der Wechsel der Besitzerfamilien in früheren Zeiten meist durch Heirat vollzogen, hört sich der Besitzübergang Mitte der 1980er Jahre recht unromantisch an: Die FamiÂlie Achille-Fould, die das Gut über drei Generationen geführt hatte, sah sich 1986 zum Verkauf des Weinguts an eine Finanzholding von Banken und Versicherungen gezwungen, um die ErbÂschaftsteuer aufbringen zu könÂnen. Heute gehört Château Beychevelle zur Hälfte dem japanischen Whisky-Konzern Suntory.
Ähnlich wie in Deutschland bestehen in Frankreich zurÂzeit Ausnahmeregelungen, die bei der Vererbung von BetriebsÂvermögen unter bestimmten Bedingungen eine Befreiung von der Steuer für wesentliche Anteile der Erbmasse erlauÂben. Diese Verschonungsregeln wurden in Frankreich aber erst im Jahre 2000 etabliert. In DeutschÂland hat der Bundesfinanzhof diese hier erst 2009 von Peer Steinbrück eingeführten Verschonungsregeln als verfassungswidrig angesehen und die Frage dem BundesÂverfassungsgericht vorgelegt. Viele Fachleute argumenÂtieren, dass die unterÂschiedliche Behandlung von BeÂtriebsvermögen und anderen Vermögensarten gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße und darüber hinaus eine solche Ausnahme große Gestaltungsspielräume eröffne, da es den Besitzern eines Betriebes wohl relativ leicht falle, privates Vermögen in Firmenvermögen umzuwidÂmen. Ein Urteil des BundesverÂfassungsgerichts in dieser Frage wird in den nächsten Monaten erwartet.
Tatsächlich gibt es, wie das Beispiel von Château Beychevelle anekdotisch vor Augen führt, keinen unmitÂtelbar einleuchtenden Grund, sich um die Fortführung eines Betriebes zu sorgen, nur weil die anfallende Steuer die Erben zur Veräußerung zwingt. Ein Wechsel des BeÂsitzers muss weder zu einer Änderung der BetriebsabläuÂfe, noch zu Stellenabbau führen, geschweige denn zur Einstellung des Betriebs. Vielleicht entspricht es also nur einer kindisch naiven Vorstellung: Aber ein kleiner WerÂmutstropfen mischt sich schon in den Rotwein, wenn Traditions-Weingüter nach mehr als 500 Jahren nicht mehr als Familienunternehmen geführt werden.
Staatliche geschützte Herkunftsbezeichnungen garanÂtieren Verkaufserfolge
Andererseits hing das Geschick des Weinguts in den verÂgangenen 150 Jahren auch massiv von einer staatlichen Privilegierung ab. So ist kaum zu bestreiten, dass Château Beychevelle maßgeblich von der Auszeichnung als „Grand Cru Classé von 1855“ profitiert, die damals anÂlässlich der Weltausstellung in Paris von der Regierung vergeben wurde. Um den Besuchern der Weltausstellung eine OrienÂtierung an die Hand zu geben, hatte man die VereiniÂgung der Weinmakler gebeten, eine Liste der besÂten Rotweine anzufertigen. Die daraus entstandene Liste von heute noch 61 Weingütern wurde damals angeblich nach den ErfahÂrungswerten der Makler bezüglich der VerkaufsÂerlöse und Qualitäten mehrerer Jahre gebildet. Ein Schelm, wer vor diesem Hintergrund argwöhnt, bei der Erstellung der Liste könne es Gefälligkeiten und speÂzielle Interessen gegeben haben. Seitdem jedenfalls erfuhr kein weiteres Château die Ehre der Aufnahme in diese Liste und keines der noch beÂsteÂhenden Châteaux von damals verlor seinen Status. Denn mit der heftig geÂschützten Auszeichnung ist keinerlei akÂtuelle QualitätsÂkontrolle verbunden. Wer daÂmals dabei war, bleibt es. Die Liste wird in Frankreich als unantastÂbar betrachtet.
Die einmal eingeführte Bezeichnung als „Grand Cru Classé von 1855“ privilegiert damit seit beinahe 160 JahÂren weniger als 65 Weingüter unter mehreren Tausend. Gegründet auf ein nur begrenzt transparentes Verfahren, welÂches zum Beispiel kleinere oder vorübergehend gerade in der Krise befindliche Weingüter von vornherein unbeÂrücksichtigt ließ, gewann die Liste der Weinmakler über die Zeit hinÂweg aufgrund der Pfadabhängigkeiten eines wertÂvollen Namensrechts eine beachtliche Autorität. Heute ist die ZuÂgehörigkeit zur Liste von 1855 nach EinÂschätÂzung von Experten bei den glücklichen Weingütern für bis zu einem Drittel der Verkaufserlöse verantwortÂlich.
Die Produktionsweise, die Besitzverhältnisse und die UnÂternehmenserfolge von Château Beychevelle hängen masÂsiv von wirtschaftspolitischen Rahmensetzungen ab. Ob die entsprechenden Entscheidungen allerdings unter BeÂrücksichtigung ihrer spezifischen Wirkungen auf den Rotwein getroffen wurden, muss wohl bezweifelt werden und wäre auch zu viel verlangt. Hoffen wir aber, dass den wirtschaftspolitischen Akteuren bewusst ist, dass ihr HanÂdeln und ihre Entscheidungen mit Nebenwirkungen einhergehen. À votre santé.
Dieser Text ist zugleich als Ausgabe Nr. 10/2014 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
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Eine Antwort auf „Ordnungspolitischer Kommentar
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