Was bleibt?
Die Erbschaftsteuer, das Bundesverfassungsgericht und die chronisch unterdrückte Synopse steuerlicher Belastungen

Es kam, wie es kommen musste. Wenn selbst der Bundesfinanzminister unmittelbar nach Verabschiedung einer Steuerreform mit Klagen gegen das neue Gesetzeswerk rechnet, darf man davon ausgehen, dass diese auch früher oder später beim Bundesverfassungsgericht eingehen.

Nun bedurfte es auch keiner großen Weitsicht, als Peer Steinbrück 2009 eine solche Prognose für die neuen erbschaft- und schenkungsteuerlichen Bestimmungen abgab, die bemerkenswerterweise deshalb nötig geworden waren, weil das Bundesverfassungsgericht den Status quo ante 2006 (wie auch bereits 1995) als verfassungswidrig verworfen hatte. Der Versuch, die verfassungswidrigen Passagen durch andere Vorgaben zu ersetzen, die mehr oder weniger zum gleichen Ergebnis führen, war schlicht zu einfach zu durchschauen: Anstatt die Werte von Betriebsvermögen deutlich zu niedrig anzusetzen sollten näherungsweise marktgerechte Werte dadurch fiskalisch entschärft werden, dass unter wenig anpsruchsvollen Bedingungen weitreichende Verschonungen für diese Form von Nachlässen oder Schenkungen gewährt wurden.

Zwar gab es praktisch umgehend entsprechende Vorstöße, doch die Sache bekam erst den nötigen Schwung, als der Bundesfinanzhof als höchstes deutsches Gericht in steuerlichen Belangen diese neue Form der Begünstigung von Unternehmenserben dem Bundesverfassungsgericht vorlegte. Am 17.12.2014 war es dann so weit: Das Bundesverfassungsgericht stufte die entsprechenden Bestimmungen des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) als verfassungswidrig ein, und man darf gespannt sein, ob die bis spätestens 30.6.2016 anstehende Gesetzesreform dann etwaigen neuen Karlsruher Prüfungen standhalten wird – die „Tradition“ in diesem Bereich spricht eher dagegen.

Tatsächlich war dieser Ausgang nach der vorangegangenen mündlichen Verhandlung im Sommer zu erwarten gewesen. Die Verfassungsrichter störten sich insbesondere daran, dass die Kriterien für eine Minderung der Steuerlast zu wenig ambitioniert ausgefallen waren. Die Verschonung führt in relativ wenigen Fällen zur beabsichtigten Erhaltung von Arbeitsplätzen, bei Kleinbetrieben, die rund 90% aller deutschen Unternehmen ausmachen, schon deshalb, weil die bisherige Erhaltungsbedingung dort nicht greift. Dies muss nun geändert werden, und Wolfgang Schäuble als Nachfolger Steinbrücks im Amt des Bindesfinanzministers erklärte denn auch umgehend, dass die Änderungen des Gesetzes auf den Bereich beschränkt bleiben, den die Karlsruher Richter abgesteckt haben.

Wer diese Konstellation als „Ohrfeige für die Politik“ (Titelseite des Handelsblatts vom 18.12.2014) einstuft, muss schon einigen Interpretationsspielraum für sich beanspruchen. Die Verfassungsrichter haben, wieder einmal, die angesichts unsäglicher Verhältnisse unverhältnismäßig sanfteste Form einer Kassation fehlgeleiteter Legislative gewählt – so sanft, dass sich die angeblich geohrfeigten Politiker sogar öffentlich durch die Entscheidung bestärkt wähnten und jetzt bis zu anderthalb Jahren Zeit haben, während derer die verfassungswidrigen Regelungen weiter anwendbar sind. Man fragt sich demgegenüber, wie oft ein Gesetz verfassungswidrig „reformiert“ werden kann, bevor es vom Bundesverfassungsgericht ohne wenn und aber endlich aus dem Rennen genommen wird!

In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte herauszuheben, die von den Richtern de facto nicht adressiert wurden. Der erste betrifft die merkwürdige Idee, dass nur das Eigenkapital von  Familienbetrieben für den Erhalt von Arbeitsplätzen erforderlich und deshalb steuerlich weitgehend zu verschonen ist. Diese Sicht unterliegt gleich aus mehreren Gründen einer Fehlprogrammierung:

  •  Jeder Aktionär einer börsennotierten Gesellschaft stellt Eigenkapital zur Verfügung und jeder Sparer seiner Bank Geld, das in vielen Fällen seine Letztverwendung als Fremdkapital von Klein- und Mittelbetrieben (KMU) findet. Außerdem stelle man sich vor, dass ein Vater zwei Kinder hat, die beide seinen Betrieb übernehmen könnten, aber nicht miteinander auskommen. Daher erhält der Sohn das Unternehmen und die gleich geliebte Tochter einen annahmegemäß gleichwertigen Geldbetrag, mit dem sie ihrerseits ein vergleichbares Unternehmen gründen will, aber nicht kann, weil die höhere Steuerlast auf liquide Mittel dies verhindert.
  •  Der angeblich zu kompensierende Nachteil gegenüber Großunternehmen im Streubesitz resultiert aus einem Charakteristikum, das beinahe makabre Züge trägt: Weil dort beim Tod eines von vielen Aktionären durch die Erben kein vergleichbar leichter Zugriff auf die Substanz des Unternehmens möglich ist, sieht der Staat hier keinen Verschonungsbedarf. Dass dafür die Erben oft große Teile des Nachlasses verkaufen müssen und bei einem schnellen Kursverfall sowie Nachlassverbindlichkeiten durchaus ein Totalverlust des übertragenen Nettovermögens resultiert, hat die Bewusstseinsschwelle der bisherigen Finanzministergenerationen noch nicht erreicht. Hätten Steinbrück, Schäuble & Co. kurz vor der Lehman-Pleite ein teilweise fremdfinanziertes Aktiendepot geerbt, dessen Wert sich vor der Veräußerbarkeit dramatisch reduziert hätte, würden sie heute vermutlich anders reden.
  •  Umgekehrt steht den Erben die Alternative offen, anstatt Geld aus dem Unternehmen zu ziehen, ihre Anteile ganz oder partiell an Dritte zu veräußern. Das mag bitter erscheinen, aber ist die Veräußerung anderer Teile eines Nachlasses zur Finanzierung der Erbschaftsteuerlast das reine Vergnügen?

Sollte man also daher das „Steuerschlupfloch“ Betriebsvermögen umgehend schließen? Der zweite in Karlsruhe nicht adressierte Aspekt, legt eine gänzlich andere Schlussfolgerung nahe. Vor wenigen Monaten wurde in diesem Blog die steuerrechtlichen Trennung von Ertrag-, Substanz- und Verkehrsteuern thematisiert, deren kumulative Wirkung regelmäßig ignoriert wird.[1] Die dort angesprochene Synopse zwischen Einkommen- und Vermögensteuer lässt sich nun auch auf die Einbeziehung der Erbschaft- und Schenkungsteuer ausdehnen. Tut man dies für zu vererbende Kapitalanlagen, so lässt sich implizit eine zusätzliche laufende Ertragsteuerbelastung beim Erblasser berechnen, die schnell zweistellige Prozentsätze erreichen kann.[2] Zusammen mit der „normalen“ Einkommensbesteuerung ist dann selbst ohne eine Neuauflage der nicht mehr erhobenen Vermögensteuer mitunter mehr als die Hälfte des Bruttoeinkommens weg. Bei Aktienanlagen kann es unter Berücksichtigung der Besteuerung auf Unternehmensebene[3] sogar zu einer Totalkonfiskation des bis zum Lebensende des Erblassers erzielten Kapitalertrags kommen. Wer sich fragt, was von seinen Anlageerfolgen für die Nachkommen bleibt, muss sich in diesen Fällen selbst ohne einen postmortalen Vermögensverlust durch eine Börsenbaisse mit der Antwort „wenig bis nichts“ abfinden und damit zufrieden sein, einen nominal nur mäßig gewachsenen oder gerade noch gleich hohen, aber nach langjähriger Inflation real deutlich entwerteten Kapitalstock an die nächste Generation weiterzureichen.

Angesichts dessen kann man sich nur wünschen, dass die Regierung sich nicht rechtzeitig auf eine Gesetzesreform einigen wird und das ErbStG damit ab dem 1.7.2016 nicht mehr vollzogen werden darf. Wer die Äußerungen einiger einflussreicher Politiker im Nachgang der Karlsruher Urteilsverkündung gehört hat, wird demgegenüber zufrieden sein, wenn die Reform der Reform der Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer für die Betroffenen im Durchschnitt nicht zu einer Mehrbelastung führen wird. Auf die Frage „Was bleibt?“ wird es wohl auch für zukünftige Steuerzahlerkohorten keine erfreulichere Antwort geben.


[2] Vgl. hierzu Knoll, DB 2007, S. 2439 ff., wo eine von Wenger, FAZ vom 28.6.2007, S. 22, entwickelte Idee über ein breites Spektrum von Parameterevaluierungen quantifiziert wird. Die im Zuge der danach erfolgten Reform veränderten Intervallgrenzen für die anzuwendenden (teilweise ebenfalls veränderten) Steuersätze ändert diesen Befund nicht grundsätzlich, sondern führt lediglich zu einer etwas geringeren Belastung gegenüber den vormaligen Regelungen.

[3] Vgl. auch hierzu http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=15308 und Knoll, DB 2007, S. 2439 ff. hier: S. 2441.

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