Gastbeitrag
Wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs korrigieren

Deutschland steht wirtschaftlich gerade im Vergleich zu vielen seiner Nachbarn erstaunlich gut da. Die wirtschaftspolitischen Ziele stabiles Preisniveau, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum sind so gut erfüllt wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Allerdings trüben vor allem geopolitische Risiken sowie die schlechte wirtschaftliche Entwicklung in anderen Ländern der Eurozone das Bild. Daneben bereitet der von der Bundesregierung eingeschlagene wirtschafts- und sozialpolitische Kurs Sorge. Statt die zentralen Herausforderungen, vor allem den demographischen Wandel, in den Blick zu nehmen, hat die Bundesregierung in der neuen Legislaturperiode eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährden: Mindestlohn, Mütterrente, Rente mit 63 und Mietpreisbremse sind gut gemeinte Politikmaßnahmen, aber ungeeignet, die angestrebten Ziele zu erreichen. Wichtige Strukturreformen wie z. B. eine Reform, die das Steuersystem effizienter und unbürokratischer gestaltet, stehen nicht auf der Tagesordnung. Dass die Kalte Progression in dieser Legislaturperiode abgebaut wird, ist unwahrscheinlich und wie die notwendige Reform des föderalen Finanzausgleichs ausfallen wird, noch offen. Statt die sprudelnden Steuereinnahmen für sozialpolitische Wahlgeschenke zu verteilen und immer mehr in den Marktprozess einzugreifen, sollte die Bundesregierung die  Herausforderungen des demographischen Wandels besser an- gehen und ihre Politik stärker auf Investitionen und Innovationen ausrichten.

Arbeitsmarktpolitik: Der Arbeitsmarkt ist in sehr guter Verfassung. Die Arbeitslosenquote ist niedrig und die Beschäftigung auf Rekordniveau. Diese arbeitsmarktpolitische Performance droht allerdings durch den flächendeckenden Mindestlohn gefährdet zu werden. Insbesondere im Dienstleistungssektor und in Ostdeutschland sind negative Folgewirkungen zu erwarten. Einschränkungen von Zeitarbeit und Werkverträgen mindern die Möglichkeiten für Unternehmen, sich flexibel an die jeweiligen wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen.

Rentenpolitik: Die rentenpolitischen Beschlüsse der Bundesregierung sind nicht nur teuer, sie zeigen auch in die falsche Richtung. Denn in der Rentenversicherung ist langfristig aufgrund der steigenden Lebenserwartung eine Anhebung des Renteneintrittsalters notwendig. Bei der Rente mit 67 wird es daher nicht bleiben können.

Finanzpolitik: Der gesamtstaatliche Haushalt ist in guter Verfassung. 2014 hat der Bund erstmals keine neuen Schulden gemacht. Die Schuldenstandsquote geht deutlich zurück. Diese guten Ergebnisse beruhen allerdings zum Teil auf Sonderfaktoren wie den sehr niedrigen Zinsen und den sprudelnden Steuereinnahmen. Daher sollte dies nicht zum Anlass genommen werden, die vermeintlichen finanziellen Spielräume übermäßig auszuschöpfen. Allein durch das Rentenpaket steigt die Tragfähigkeitslücke der öffentlichen Finanzen um 0,4 Prozentpunkte. Die derzeit gute Lage der öffentlichen Finanzen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie langfristig nicht tragfähig sind. Daher sollte die Finanzpolitik am Konsolidierungskurs festhalten und die Ausgaben sollten wachstums- und investitionsfreundlicher ausgerichtet werden.

Steuerpolitik: Die Steuerpolitik zeichnet sich im Wesentlichen durch Stillstand aus. Eine Strukturreform, die das Steuersystem effizienter und unbürokratischer gestaltet, steht nicht auf der Tagesordnung. Und dass die Kalte Progression in dieser Legislaturperiode tatsächlich abgebaut wird, ist unwahrscheinlich. Vielmehr haben Bund und Länder die Einnahmen aus der Kalten Progression – ca. 2,5 Mrd. Euro pro Jahr – bereits für zusätzliche Ausgaben verplant. Die aktuelle Diskussion um die Zukunft des Solidaritätszuschlags lässt befürchten, dass hier ebenfalls die Chance für Steuerentlastungen verpasst wird – obwohl es nach dem Aufbau Ost keine Rechtfertigung mehr für diese befristet eingeführte Sonderabgabe gibt. Dabei sind strukturelle Steuerreformen durchaus vereinbar mit Haushaltskonsolidierung – insbesondere wenn man den Subventionsabbau konsequent angeht.

Europäische Staatsschuldenkrise: Die Krise ist keineswegs überwunden – auch wenn sich derzeit etwas beruhigt hat. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Eurozonen-Mitgliedern mit ihrem geldpolitischen Kurs immer wieder Zeit verschafft, um notwendige Reformen anzugehen. Während einige Länder diese Zeit genutzt und durchaus beachtenswerte Fortschritte erzielt haben, ist in Frankreich und Italien die Konsolidierung zum Erliegen gekommen, und es wurden bisher kaum Reformen durchgeführt, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessern könnten. Um keine falschen Anreize im Hinblick auf Reformbemühungen zu setzen, müssen die neuen Regeln für die europäische fiskalpolitische Überwachung ohne Abstriche angewendet werden. Die EZB sollte sich nicht an der Finanzierung von Staatsschulden beteiligen.

Deutschland steht wirtschaftspolitisch vor großen Herausforderungen. Der demographische Wandel wird sich spätestens ab den 2020er Jahren negativ auf die Wachstumsaussichten auswirken. Daher sind die öffentlichen Finanzen langfristig nicht tragfähig. Die Bundesregierung sollte ihren wirtschaftspolitischen Kurs korrigieren und wachstums-, investitions- und innovations- freundlich ausrichten. Dazu gehört, stärker auf marktwirtschaftliche Prozesse zu vertrauen, Investitions- und Innovationsbedingungen zu verbessern sowie die Aufstiegschancen breiter Bevölkerungskreise durch Bildung zu erhöhen und die Haushaltskonsolidierung konsequent weiterzuführen.

Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Die wirtschaftspolitische Performance der Bundesregierung aus Sicht eines Wirtschaftsweisen“ mit Prof. Dr. Lars P. Feld (Walter Eucken Institut und Sachverständigenrat) am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

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