„Diese äußeren Zeichen brauchen Zeit, anzukommen, wie das Licht eines solchen Sterns dort oben, von dem wir nicht wissen, ob er nicht schon im Erlöschen begriffen, nicht schon erloschen ist, wenn er am hellsten strahlt“ (Tom zu Tony in Thomas Mann, Buddenbrooks).
Die Welt blickt teils bewundernd, teils neidisch auf Deutschland. Deutschland ist der Superstar unter den wirtschaftlich Arrivierten. Noch Anfang des Jahrtausends war es der kranke Mann Europas. Der weitere Niedergang war ausgemachte Sache. Es kam anders. Aus der Finanzkrise erstand Deutschland wie Phönix aus der Asche. Auch die Eurokrise geht scheinbar spurlos an ihm vorbei. Die meisten Länder leiden wirtschaftlich, Deutschland ist erfolgreich. Europa ächzt unter galoppierender Arbeitslosigkeit, in Deutschland steigt die Beschäftigung. Staaten versinken im Schuldensumpf, Deutschland gleicht seinen Haushalt aus. Die großen Länder schreiben im Außenhandel rote Zahlen, Deutschland eilt von einem Rekordüberschuss zum nächsten. In Europa schrumpft die Wirtschaft mit immer höherem Tempo, in Deutschland wächst sie weiter, wenn auch langsam. Gibt es einen teutonischen Zaubertrank oder ist alles nur eine Fata Morgana?
Deutsche Stärken
Es ist erstaunlich, dass die Finanzkrise der positiven Entwicklung auf den deutschen Arbeitsmärkten kaum etwas anhaben konnte. Für die Welt ist die Kurzarbeit die „Wunderwaffe“. Beitrags- und Steuerzahler trugen die Lasten. Das allein war es aber nicht. Arbeitnehmer räumten ihre prall gefüllten Arbeitszeitkonten aus besseren Zeiten. Entlassungen wurden so vermieden. Und Unternehmer schmolzen Eigenkapital ab, horteten Arbeitskräfte trotz Verlusten. Ohne solide wirtschaftliche Basis wäre allerdings diese spezifische arbeitsmarktpolitische Strategie nie und nimmer aufgegangen. Geschaffen wurde sie in der Zeit vor der Finanzkrise. Eine relativ maßvolle Lohn- und Tarifpolitik in der Nach-Hartz-Ära war das Herzstück. Die stark exportabhängige deutsche Wirtschaft war der Treiber. Das Damoklesschwert lahmender internationaler Wettbewerbsfähigkeit trieb die Gewerkschaften zu einer Lohn- und Tarifpolitik mit mehr Augenmaß.
Trotz Eurokrise setzte sich die positive Entwicklung fort. Strukturreformen am Arbeitsmarkt hatten ihren Anteil. Der teutonische Zaubertrank waren sie aber nicht. Mit den Hartz-Reformen wurde der Schlendrian der Bundesagentur für Arbeit gestutzt. Die bis dahin grottenschlechte aktive und passive Arbeitsmarktpolitik wurde etwas besser, die Mismach-Arbeitslosigkeit sank. Auch einfache Arbeit erhielt wieder eine Chance. Hartz-IV war ein wichtiger Grund. Die gute Performance beruht aber vor allem darauf, dass Deutschland zum Investitionsgüterhersteller der Welt avancierte. Der wirtschaftliche Aufschwung der Schwellenländer löste einen Boom bei der Nachfrage nach Investitionsgütern aus. Viele deutsche Hersteller haben die „richtigen“ Produkte. Die Kombination aus exzellenter technologischer Entwicklung, pfiffigen Unternehmern und gut ausgebildeten Facharbeitern machen viele deutsche Unternehmen zu Weltmarktführern.
Deutsche Schwächen
Allerdings bleibt die Skepsis, ob das deutsche „Wunder“ anhält. Trotz guter Ergebnisse auf den Arbeitsmärkten leidet Deutschland seit längerem unter einem Schwund bei den Nettoanlageinvestitionen. Davon konnte es sich auch nach der Finanzkrise nicht nachhaltig erholen. Trotz hoher privater Sparquote ist die Bereitschaft nach wie vor gering, in Deutschland zu investieren. Die Ersparnisse wurden seit der Einführung des Euro lieber in Südeuropa versenkt. Auch der Staat war nicht willens, die Investitionslücke zu schließen, im Gegenteil. Deutschland mangelt es, wie den meisten reichen Ländern weltweit, an grundlegenden Neuerungen. Die Innovationen wachsen unterproportional. Das ist ein wichtiger Grund für die anhaltende Wachstumsschwäche der Industrieländer. In Deutschland wird diese Entwicklung verstärkt, weil gegenwärtig weniger und schlechter als bei der Konkurrenz anderswo in Humankapital investiert wird. Das deutsche Bildungssystem ist weiter defizitär. Der demographische Wandel wird die Fehler der aktuellen Bildungspolitik schonungslos offenlegen.
Es ist fraglich, wie lange Deutschland noch von seinen „alten“ Industrien profitiert. Deutsche Unternehmen werden auch künftig weltweit erfolgreich sein. Nur werden sie immer weniger in Deutschland produzieren. Die Produktionsstätten folgen den Absatzmärkten. Diese liegen aber immer seltener in Europa, sondern vor allem in Asien und Lateinamerika. Die deutsche Industrie verlässt die EU in Scharen. Der missratene Euro, der den deutschen Steuerzahler noch gewaltige Summen kosten wird, verliert für die exportlastige deutsche Industrie an Bedeutung. Mit der Produktion verlagern die Unternehmen auch die Forschung und Entwicklung an den Ort der Produktion. Das wird die Lage auf den Arbeitsmärkten hierzulande auch für qualifizierte Facharbeiter und hochqualifizierte Arbeit verschlechtern. Solange die deutschen Dienstleistungsmärkte weiter stark reguliert sind, können sie künftige Arbeitsmärkte nicht wirkungsvoll entlasten.
Deutsche Fehler
Der wirtschaftliche Himmel über Deutschland wird sich wieder verdunkeln. Eines der größten Probleme ist die Demographie. Es gibt kaum andere Länder weltweit, die schneller altern als Deutschland. Die demographischen Lasten lassen sich nur schultern, wenn Deutschland stärker wächst. Gerade daran mangelt es aber. Stark alternde Gesellschaften sind wenig innovativ. Sie leben günstigstenfalls von der Hand in den Mund, schlimmstenfalls von der Substanz. Das wirtschaftliche Wachstum leidet, der Wohlstand schwindet. Die Politik tut wenig, dies zu ändern. Staatliche Investitionen sind defizitär, sozialer Gegenwartskonsum dominiert. Eine Mehrheit der alternden Wähler denkt nur an das Heute. Sie verlangt von der Politik immer neue, meist konsumtive staatliche Ausgaben, ohne dafür zu zahlen. Die finanziellen Lasten werden künftigen Generationen aufgebürdet. Immer höhere staatliche Schuldenberge, explizite und implizite, türmen sich auf. Die Quellen des Wachstums werden verschüttet.
Und die deutsche Politik tut alles, das wirtschaftliche Wachstum weiter zu drosseln. Die überstürzte Energiewende ist ökonomisches Harakiri. Sie erodiert die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Explodierende Preise für Energie vertreiben die schon unter starkem weltweiten wettbewerblichen Druck stehende Industrie noch schneller aus Deutschland. Der abrupte Ausstieg aus der Kernenergie ist ein schwerer Fehler. Er ist äußerst kostspielig. Eine sofortige Korrektur ist notwendig. Und wir werden künftig eine weitere Erblast ökonomisch irrlichternder Politik schultern müssen. Den Euro einzuführen, bevor Europa einigermaßen real integriert ist, war ein schlimmer Fehler. Er wird durch die milliardenschweren Rettungsschirme noch vergrößert. Die finanziellen Lasten werden künftigen Generationen in Deutschland wie Mühlsteine am Hals hängen. Wir verspielen gerade die Zukunft unserer Kinder. Das ist verantwortungslose Politik.
Fazit
Der Schein trügt. Ein Wirtschaftswunder 2.0 ist eine teutonische Fata Morgana. Die hohen Wachstumsraten der 50er und 60er Jahre waren einem Aufholprozess geschuldet. Künftig wird Deutschland nur noch wachsen, wenn es wieder mehr im Inland investiert und weniger konsumiert. Mehr Investitionen in Humankapital und mehr Innovationen sind der Schlüssel zum Erfolg. Beim Humankapital ist Deutschland allenfalls mittelmäßig. Wir setzen mehr auf sozialen Konsum. Innovationen lassen sich schwer national steuern. Sie werden stark von internationalen Trends bestimmt. Exzellente Forschung hoffentlich bald auch wieder im universitären Bereich, hervorragende Entwicklung der Forschungsergebnisse in Unternehmen und pfiffige, wagemutige Unternehmer können helfen, diese Trends zu reiten. Eine freie Gesellschaft und weltweit offene Märkte sind wichtige Treiber. Die breite Masse der Leistungsträger steuerlich zu schröpfen, energiepolitisch Amok zu laufen, hochqualifizierte Arbeitnehmer von deutschen Arbeitsmärkten fernzuhalten und Unternehmer medial zu verteufeln, lassen den Traum von einem neuen Wirtschaftswunder wie eine Seifenblase platzen.
- Pakt für Industrie
Korporatismus oder Angebotspolitik? - 27. Oktober 2024 - De-Industrialisierung nimmt Fahrt auf
Geschäftsmodelle, De-Globalisierung und ruinöse Politik - 12. September 2024 - Ordnungspolitischer Unfug (13)
So was kommt von sowas
Unternehmer, Lobbyisten und Subventionen - 17. August 2024
Barry Eichengreen weist in einem Beitrag darauf hin, dass kein Grund für die deutsche Selbstzufriedenheit existiere. Die Euro-Krise sei noch lange nicht gelöst, die demographische Entwicklung könne dazu beitragen, dass Deutschland in Zukunft zu den kränkelnden Volkswirtschaften in Europa zählt. Beides ist richtig. Seine Vorschläge zur Lösung der Euro-Krise – Bankenunion mit gemeinsamer Einlagensicherung und europäische Arbeitslosenversicherung – sind allerdings kontraproduktiv. Wir brauchen weniger und nicht mehr inter-regionale Umverteilung in Europa.