Wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwann der Bund daher
Neues vom Länderfinanzausgleich

Nachdem die Verhandlungen um die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ins Stocken geraten sind, sorgt nun die Nachricht für Aufmerksamkeit, daß Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz einen neuen gemeinsamen Vorschlag lanciert haben. Es ist ein weiterer Versuch, zwischen den stark divergierenden Interessen der einzelnen Bundesländer einen Weg zu einer konsensfähigen Lösung zu finden.

Da die Originaldokumente nicht öffentlich sind, muß man sich auf die Berichterstattung verlassen, in der bisher von folgenden Eckpunkten des neuen Vorschlags die Rede ist:

1. Der Umsatzsteuervorwegausgleich wird abgeschafft.

Dieser Schritt ist ohne Einschränkung zu begrüßen. Der Umsatzsteuervorwegausgleich ist eine dem eigentlichen Länderfinanzausgleich vorgeschaltete Stufe, auf der ein Teil der Einnahmen aus der Umsatzsteuer nicht nach der Einwohnerzahl auf die Länder verteilt wird, sondern nach ihrer finanziellen Bedürftigkeit.

Dieser Vorwegausgleich erfüllt vor allem einen Zweck: Er verschleiert das eigentliche Umverteilungsvolumen. So macht er es beispielsweise der bayerischen Politik leichter, den Finanzausgleich gegenüber der eigenen Bevölkerung zumindest so weit zu rechtfertigen, dass es keinen offenen Tumult gibt. Diesen würde man vielleicht riskieren, wenn die Bayern transparent sehen könnten, wie hoch ihre wahre Belastung ist. Der Vorwegausgleich lässt andererseits aber die ostdeutschen Bundesländer, das Saarland und Niedersachsen im eigentlichen Finanzausgleich etwas besser dastehen.

Die Abschaffung dieser Vorstufe des Finanzausgleichs macht das System also einfacher und transparenter. Der große symbolische Gewinner wäre Nordrhein-Westfalen, das bisher im Vorwegausgleich mehr verliert als es im eigentlichen Länderfinanzausgleich als Nehmerland bekommt. Deckt man die gesamten Verteilungswirkungen auf, steht NRW also über Nacht als das da, was es tatsächlich ist: ein Geberland.

Daraus sollte man aber nicht zu viel Lob für die immer noch höchst problematische Finanzpolitik in Düsseldorf ableiten. Die Finanzkraft der Länder, welche die Zahlungsströme im Finanzausgleich bestimmt, ergibt sich aus ihren Steuereinnahmen pro Kopf. Ein Land kann also gleichzeitig Geberland sein und eine unverantwortlich hohe öffentliche Verschuldung haben. Das ist kein Widerspruch, wie NRW eindrücklich zeigt.

2. Die Deutschland-Bonds werden zur Normalität.

Es ist die Rede davon, dass neue Staatsanleihen künftig verstärkt als gemeinsame Anleihen von Bund und Ländern emittiert werden sollen. Obwohl es nach der aktuellen Rechtslage und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eigentlich bereits institutionell ein Einstehen des Bundes für Bundesländer in Zahlungsschwierigkeiten gibt, unterscheiden sich die Renditen zwischen Staatsanleihen des Bundes und der Länder, sowie zwischen einzelnen Ländern, doch immer noch spürbar. Von einer gemeinsamen Emission profitieren daher die Länder, vor allem die hoch verschuldeten, die nun geringere Zinsen zahlen müssen.

Ist das gut oder schlecht? Kommt darauf an. Nehmen wir an, die verfassungsmäßige Schuldenbremse funktioniert und die Neuverschuldung der Länder wird ab 2020 wie geplant auf Null zurückgefahren. Dann wären die Deutschland-Bonds sinnvoll, denn der Schuldendienst auf die historisch aufgelaufene Schuldenlast wird niedriger. Gerade Länder wie das Saarland oder Bremen, die unter einem hohen Zinsanteil an ihren Gesamtausgaben leiden, würden so entlastet.

Nehmen wir dagegen an, die Schuldenbremse hat nicht die gewünschte Wirkung. Dann wird es zunächst einmal für die Länder billiger, also: attraktiver, ihre Aufgaben stärker über öffentliche Verschuldung finanzieren. Natürlich hätte der Bund hier ein Veto, er könnte sich der Ausgabe neuer Deutschland-Bonds immer wieder verweigern. Nur birgt gerade diese starke Stellung des Bundes paradoxerweise auch ein Risiko. Die gemeinsamen Anleihen könnten zu einer Art Währung in vertikalen politischen Tauschgeschäften werden. Der Bund braucht noch ein paar Stimmen für eine Bundesratsmehrheit? Gut, dann kommt er eben den Ländern ein wenig bei der Emission neuer Anleihen entgegen.

Optimisten könnten dagegen einwenden, dass mit einem fiskalisch disziplinierten Finanzminister im Bund die Deutschland-Bonds zu einem Instrument werden, um die Schuldenbremse besser durchzusetzen. Würde er damit drohen, dass Länder, die die Schuldenbremse nicht erfüllen, automatisch aus dem Club der Bond-Emittenten herausfliegen, dann wäre das ein sinnvoller Anreiz. Noch besser würde dieser natürlich funktionieren, wenn das Herausfliegen als Automatismus vereinbart würde und nicht von einer diskretionären politischen Entscheidung abhinge.

3. Die zentrale Aufsicht über die Länderhaushalte wird gestärkt.

Der aktuelle Bundesfinanzminister wünscht sich tatsächlich stärkere zentrale Durchgriffsrechte auf die Länderhaushalte, um eine solide Haushaltspolitik durchzusetzen. Hier ist die Rede davon, die Rolle des Stabilitätsrates zu stärken.

Die Lehre aus den europäischen Erfahrungen sollte aber eigentlich vor allem darin bestehen, dass eine Einschränkung politischer Handlungsspielräume zugunsten von mehr institutionellen Automatismen nötig wäre. Die Sanktionen für Länder, die sich der Schuldenbremse verweigern, dürfen nicht von den politischen Präferenzen und den Verhandlungspositionen der jeweils gerade handelnden Politiker abhängig sein. Ob man sich auf solche Automatismen einigen kann, ist offen und erfahrungsgemäß mehr als fraglich.

4. Der Bund pumpt, unter anderem über den sekundären vertikalen Finanzausgleich, zusätzliche 8,5 Milliarden Euro im Jahr ins System.

Wie schafft man es, in Verhandlungen mit 16 Ländern zumindest annähernd einen Konsens herzustellen? Ganz einfach indem man dafür sorgt, dass alle Länder besser gestellt werden als im Status Quo. Wenn man den horizontalen Länderfinanzausgleich mit entsprechenden Verteilungswirkungen ändert, geht das aber nur, wenn man über den vertikalen Kanal mehr Geld ins System fließen lässt. Genau dies bietet der Bund an.

Ob das reicht, ist noch offen. Denn schon gehen die Eifersüchteleien zwischen den Bundesländern los, die mürrisch auf ihre Nachbarn schauen und ausrechnen, ob diese vielleicht pro Kopf der Bevölkerung mehr profitieren als sie selbst. Hinzu kommen wiederum polit-psychologische Probleme. Die ostdeutschen Länder beispielsweise würden sich monetär ebenfalls besser stellen als bisher, aber durch den Wegfall des Umsatzsteuervorwegausgleichs würde das Ausmaß der ihnen zufließenden Mittel etwas transparenter. Wie viel Geld muß man ihnen nun zusätzlich als vertikale Bundesergänzungszuweisung geben, um sie für den politischen Schaden im horizontalen Länderfinanzausgleich zu kompensieren? Über solche Fragen wird in den nächsten Monaten weiter verhandelt.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass der Bund sich in einer Größenordnung zusätzlich engagieren will, mit der man auch einen schrittweisen Übergang zu einem System mit verstärkter Länderautonomie und eigener Steuerhoheit der Länder hätte finanzieren können. Es ist ein weiterer Akt in der Tragödie des deutschen Föderalismus, wenn diese Mittel stattdessen wieder einmal für eine schleichende Zentralisierung aufgewendet werden.

Was bleibt unter dem Strich?

Die Verhandlungen bewegen sich in Richtung eines Konsenses, aber es wird aller Voraussicht nach ein falscher Konsens sein. Die Chance, den Ländern endlich wieder finanzpolitische Verantwortung zurück zu geben, wird wohl wieder einmal vertan. Je mehr man aber auf eine Vertikalisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen setzt, desto mehr werden sich die Länder irgendwann die Frage gefallen lassen müssen, wo sie eigentlich ihre originären Aufgaben, die sie autonom erledigen, überhaupt noch sehen.

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