Der demographische Wandel stellt eine große gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderung dar. So wird in 25 Jahren jeder dritte Bürger Deutschlands älter als 60 Jahre sein. Einer Person zwischen 20 und 60 Jahren stehen dann mehr als doppelt so viele Personen über 60 Jahre gegenüber wie heute. Und bis 2060 wird die Bevölkerung in Deutschland um rund 13 Millionen auf 67,6 Millionen Menschen zurückgehen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, muss das Beschäftigungspotenzial am Arbeitsmarkt erhöht, die Qualität der Aus- und Weiterbildung verbessert und die präventive Gesundheitsvorsorge gestärkt werden. Zudem müssen die sozialen Sicherungssysteme demographiefest gemacht werden – insbesondere durch eine automatische Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Dass diese Reformen heute noch nicht in ausreichendem Maße stattfinden, ist insbesondere ein polit-ökonomisches Problem, da Reformen, die kurzfristig mit Einschnitten für bestimmte Wählergruppen verbunden sind und sich erst längerfristig positiv auswirken, politisch unpopulär sind.
Ursache des demographischen Wandels in Deutschland ist insbesondere der kontinuierliche Anstieg der Lebenserwartung und die relativ konstant niedrige Geburtenrate. Zudem stellt in den kommenden Jahren der massive Eintritt der Babyboomer-Generation in das Rentenalter eine besondere Herausforderung dar. Die Lebenserwartung von Jungen bei der Geburt hat sich von 1986/88 bis 2010/12 um sechs Jahre auf 77,7 Jahre erhöht. Im gleichen Zeitraum ist die Lebenserwartung von neugeborenen Mädchen um 4,8 auf 82,8 Jahre gestiegen. Angesichts der steigenden Lebenserwartung muss auch die Lebensarbeitszeit angepasst werden, damit nicht einer konstanten Lebensarbeitsphase eine immer länger werdende Rentenbezugsperiode gegenübersteht. Dies würde zu deutlich steigenden Rentenbeiträgen führen oder eine deutliche Absenkung des Rentenniveaus erfordern. Mit der schrittweisen Einführung der Rente mit 67 hat die Bundesregierung 2007 einen ersten Schritt für eine demographiefestere Rentenpolitik getan. Allerdings hat die aktuelle Regierung mit der im vergangenen Jahr beschlossenen Rente mit 63 rentenpolitisch wieder einen Schritt zurück gemacht. Angesichts der fortschreitenden Alterung ist das ein falsches Signal. Zudem profitieren von der Rente mit 63 vor allem gut qualifizierte Facharbeiter. Damit wird auch das sozialpolitische Ziel, Geringverdiener zu unterstützen, verpasst. Um wiederkehrende, schwierige politische Diskussionen um das Renteneintrittsalter zu vermeiden, sollte es automatisch an die Lebenserwartung angepasst werden. Dabei sollte das Verhältnis von Zeit vor dem Berufseintritt, Erwerbszeit und Rentenbezugszeit konstant bleiben. In dem Maße, in dem die Lebensarbeitszeit steigt, sollte auch dafür gesorgt werden, dass Arbeitnehmer sich kontinuierlich weiterbilden können. Zudem sollte mehr Gewicht auf Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge gelegt werden.
Die zweite Ursache für den demographischen Wandel liegt in der in Deutschland niedrigen Geburtenrate, die dazu führt, dass jede folgende Generation um jeweils ein Drittel kleiner ist als die vorangegangene. Vielfältige familienpolitische Maßnahmen haben bisher keine grundlegende Veränderung der Geburtenrate bewirken können. Daher sollten die Mittel besser dafür verwendet werden, die Potenziale am Arbeitsmarkt deutlich besser auszuschöpfen – insbesondere durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch die Reformen der Agenda 2010 haben sichtbare Fortschritte bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen, Jüngeren und Älteren gebracht, allerdings besteht noch Spielraum nach oben. Auch Einwanderung kann dazu beitragen, die Wirkungen des demographischen Wandels am Arbeitsmarkt abzumildern. Neben der Zahl der Arbeitskräfte sollte ein besonderer Fokus auch darauf liegen, die Qualität der Arbeitskräfte zu verbessern.
Deutschland ist dank der in den vergangenen Legislaturperioden durchgeführten arbeitsmarkt- und rentenpolitischen Reformen relativ gut für den demographischen Wandel gerüstet. Durch kurzsichtige, auf bestimmte Wählergruppen abzielende Maßnahmen wie die Rente mit 63 oder die Mütterrente drohen jedoch vergangene Erfolge geschmälert zu werden. Insgesamt sollte die Politik ihren Fokus stärker auf die junge Generation richten, denn sie bildet das Fundament der Alterspyramide. Den Herausforderungen des demographischen Wandels adäquat zu begegnen, ist weniger ein ökonomisches als vielmehr ein politisches Problem, da Politiker sich scheuen, (vermeintlich) schmerzhafte Reformen umzusetzen. Hier gilt es zunächst, bestehende Vorurteile zu adressieren. So sind die heute z.B. 60- oder 70-Jährigen deutlich „jünger“ als ihre Altersgenossen vor 40 oder 50 Jahren – Reformen werden jedoch oftmals noch mit Blick auf die Bedingungen in der Vergangenheit beurteilt und als unzumutbare Einschnitte gesehen. Auch sollte die Arbeitsleistung Älterer stärkere Wertschätzung erfahren. Weder ist es richtig, dass Ältere per se zu krank und abgearbeitet sind, noch, dass sie weniger produktiv sind. Politik sollte hier flexiblere Lösungen zulassen, so dass diejenigen, die länger arbeiten wollen und können, dazu auch die Möglichkeit haben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Zu- und Abschläge in der Rentenversicherung neutral sind, so dass sich keine Fehlanreize einstellen.
Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Demographischer Wandel – Herausforderung für die Wirtschafts- und Sozialpolitik“ mit Prof. Axel Börsch-Supan, Ph.D. (MaxPlanck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik) am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Blog-Beiträge der Serie “65 plus“:
Michael Neumann: Der demografische Wandel auf dem Ausbildungsmarkt und seine Folgen auf dem Arbeitsmarkt
Leonhard Knoll: Lebensarbeitszeit und das doppelte Umlagesystem
Cornelius Richter und Gert G. Wagner: Länger arbeiten: Keine Frage des Rentenrechts
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