Die Anzahl der Erwerbspersonen in Deutschland liegt momentan bei etwa 44 Millionen Menschen. Diese Zahl wird je nach Vorausschätzung bis 2030 auf 37 bis 41 Millionen Personen zurückgehen, wobei die Höhe des Rückgangs von den zugrunde gelegten Annahmen zur Erwerbsbeteiligung abhängig ist. Dabei wird die Bevölkerungspyramide vor allem in den jüngeren Kohorten dünner. Das Statistische Bundesamt hatte für das Jahr 2008 noch einen Altenquotienten von 34 Prozent ausgewiesen[1]. Im Jahr 2030 soll der Wert dieses Altenquotienten bereits bei über 50 Prozent und im Jahr 2050 sogar bei über 60 Prozent liegen (Statistisches Bundesamt, 2009, S. 39ff.). Dies wird u.a. dazu führen, dass die Belegschaften der Unternehmen im Schnitt älter werden und dass den Betrieben weniger Erwerbspersonen insgesamt zur Verfügung stehen.
Vielfach wird vor den Auswirkungen dieses demografischen Wandels gewarnt, der uns bevorsteht. Doch auf den meisten Märkten ist vom demografischen Wandel bisher noch kaum etwas zu spüren. Angekommen ist der Bevölkerungsrückgang dagegen in den Jahrgängen der heutigen Schulabgänger und Auszubildenden. Vor allem auf dem Ausbildungsmarkt ist der demografische Wandel seit einigen Jahren deshalb schon deutlich zu erkennen: Die Anzahl der 15- bis 19-Jährigen ging von 4,84 Mio. im Jahr 2005 auf 4,03 Mio. im Jahr 2013 zurück. Dies ist ein prozentualer Rückgang von fast 17 Prozent innerhalb von acht Jahren. Dieser Rückgang in den Jahrgangsstärken ist ein neues Phänomen; es stellt sozusagen den demografischen Wendepunkt dar: Die Anzahl der 20- bis 24-Jährigen ist im selben Zeitraum nämlich nahezu konstant geblieben.
Die Zahl der Schulabgänger, die keine Hochschulzugangsberechtigung haben, ging seit 2005 sogar noch deutlicher, nämlich um 20 Prozent, zurück. Diese Zahl ist besonders bedeutsam für den Lehrstellenmarkt. Unter den Studienberechtigten entscheidet sich nämlich nur jeder Vierte nach Verlassen der Schule für die Aufnahme einer Berufsausbildung. Der Anteil der Studienberechtigten, der eine betriebliche (und nicht rein schulische) Berufsausbildung im dualen System startet, liegt sogar nur bei 15 Prozent (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014, S.107).
Weil die Ausbildung im dualen System traditionell vor allem von den nicht studienberechtigten Abgängern der allgemeinbildenden Schulen als Weg in den Beruf wahrgenommen wird, wirkt der deutliche Rückgang der Zahl nicht studienberechtigter Schulabgänger besonders einschneidend auf dem Lehrstellenmarkt: Bewerbermangel in vielen Berufsfeldern ist die Konsequenz. Allerdings ist dieser Bewerberrückgang keineswegs gleichmäßig in allen Berufsfeldern und Betrieben zu verzeichnen. Berufsfelder, die unter Ausbildungsplatzsuchenden als unattraktiv gelten und daher wenig nachgefragt werden (wie zum Beispiel in der Gastronomie oder im Lebensmittelhandwerk), haben besonders starke Besetzungsprobleme.
Auch die Betriebe leiden in unterschiedlichem Maße unter den fehlenden Ausbildungswilligen: Vor allem Kleinstbetriebe sowie kleinere mittelständische Betriebe, Betriebe in den neuen Bundesländern sowie Betriebe in Regionen, in denen sich die Ausbildungsmarktverhältnisse entspannt haben, trifft der Mangel an Auszubildenden in erster Linie. Die demografische Entwicklung kommt auch in den Regionen Deutschlands ungleich an: In einigen Ländern wie in Bayern, in Hessen, in Baden-Württemberg oder in Niedersachsen ist die Gruppe der 15- bis 19-Jährigen zwischen 2005 und 2011 gerade einmal um fünf Prozent geschrumpft. Die ostdeutschen Flächenländer haben in dieser Altersgruppe ihrer Jugendlichen einen Rückgang von mehr als 50 Prozent zu verkraften (BIBB, 2013, S.253). In Mecklenburg-Vorpommern beträgt der Rückgang sogar 59 Prozent.
Was folgt aus diesem Wandel am Ausbildungsmarkt?
Wenn in Zukunft weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen, dann müssen die fehlenden Personen im Produktionsprozess substituiert werden. Hier kann erstens arbeitssparender technischer Fortschritt zu Lösungen führen. Zweitens kann ein höheres Bildungsniveau und damit mehr Humankapital ein Schlüssel sein, wobei zusätzliche Investitionen in diesem Bereich vermutlich für die aktuelle Problematik zu spät greifen werden. Drittens ist es denkbar – und aufgrund der parallel durch den demografischen Wandel auftretenden Finanzierungsprobleme des staatlichen Alterssicherungssystems auch sinnvoll –, dass das altersbedingte Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt im Durchschnitt erst in einem späteren Lebensjahr erfolgt.
Die bisherigen Daten und Fakten zum demografischen Wandel legen nahe, dass der Rückgang an ausgebildeten jungen Menschen nicht einheitlich zu Problemen auf dem Arbeitsmarkt führen wird. Bestimmte Berufe sind nach wie vor auch in der Ausbildungsphase überlaufen, während von Seiten der Jugendlichen an anderen Berufen kaum Interesse besteht. Werden die regionalen Unterschiede hinzugenommen, so lässt sich erkennen, dass der demografische Wandel bestimmte Berufsfelder in bestimmten Regionen sehr stark, andere hingegen überhaupt nicht treffen wird.
- Diese unterschiedlichen Entwicklungen werden zumindest mittelfristig Druck auf Löhne und Vergütungsmechanismen ausüben. Berufsfelder in Regionen, in denen eine hohe Knappheit an Auszubildenden besteht, werden sich in der Vergütung der Auszubildenden und auch des dann fertig ausgebildeten Fachpersonals überbieten. Gleichzeitig werden sie versuchen, mit attraktiven Angeboten ihre ältere Belegschaft so lange wie möglich im Betrieb zu halten, weil sie die Älteren nicht eins zu eins am Arbeitsmarkt ersetzen können. In anderen Berufsfeldern und anderen Regionen hingegen wird kaum etwas von einem demografischen Wandel zu spüren sein.
- Hier sind Differenzierungsmöglichkeiten und Flexibilität gefragt: In den von der Demografie betroffenen Regionen muss es möglich sein, andere Löhne und Vergütungen zu wählen als in den nicht betroffenen Regionen. Dies ist eine Aufgabe vor allem für die Tarifpartner. Aber es adressiert auch die politischen Entscheidungsträger: Der Übergang vom Erwerbsleben in die Alterssicherungssysteme benötigt erhebliche Flexibilitätsspielräume, so dass die Unternehmen in den betroffenen Regionen überhaupt in die Lage versetzt werden, entsprechend attraktive Angebote an ihre ältere Belegschaft zu richten.
- Sollten diese Flexibilitätsspielräume nicht gewährt werden, werden Unternehmen, die nicht räumlich gebunden sind, eine Standortveränderung prüfen. Hier droht dann eine Abwanderung von Unternehmen, wenn die erforderlichen Arbeitskräfte und das benötigte Humankapital nicht ausreichend vorhanden sind. Diese Verlagerungen dürften für die von der Demografie betroffenen Regionen besonders bitter sein, da es ja in diesen Regionen auch schon an junger Bevölkerung zunehmend fehlt. Das könnte wiederum dazu führen, dass mit den abwandernden Unternehmen ein Agglomerationsprozess einsetzt, in welchem die junge Bevölkerung mit den Unternehmen abwandert, was die räumliche Divergenz in Deutschland noch einmal erheblich verschärfen würde.
Gelöst oder zumindest abgemildert werden kann dieses Problem nur, indem in den betroffenen Berufsfeldern und Regionen mehr und länger gearbeitet wird. Dies wird von den Betroffenen aber nur dann getan werden, wenn die Anreize stimmen. Hierfür sind die politischen Voraussetzungen zu schaffen: Flexible Lohn- und Vergütungssysteme und individualisierte Übergänge in die Alterssicherungssysteme sind gefragt.
Quellen
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2014): Bildung in Deutschland 2014, „Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen“, Bielefeld
BIBB – Bundesinstitut für Berufsbildung (2013): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2013- Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, Bonn
Statistisches Bundesamt (2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060 – 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden
[1] Der Altenquotient berechnet sich aus dem Verhältnis der Anzahl mindestens 65-Jähriger zur Anzahl der 20- bis unter 65-Jährigen.
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Interessante Übersichtsdarstellung, die allerdings auf der Lösungsseite unter einer entscheidenden Leerstelle leidet: Das Thema gezielte Zuwanderungssteuerung bleibt erstaunlicherweise vollkommen unerwähnt.