Katalonien
Droht eine Abspaltung von Spanien?

Ein großes Problem, das Spanien heute  zusetzt, sind die Autonomiebestrebungen in Katalonien im Nordosten des Landes. Unter Führung des konservativen Ministerpräsidenten Artur Mas stellen die „Nationalisten“, wie sie sich selbst bezeichnen, das föderale Staatsgebilde samt parlamentarischer Monarchie in Frage, das aus der demokratischen Verfassung von 1978, nach Beendigung des 40jährigen Franco-Regimes, hervorgegangen ist. Die katalanische Bevölkerung hatte damals in der vorgeschriebenen Volksabstimmung mit 90,5 Prozent zugestimmt (Landesdurchschnitt: 87,8%). Davon wollen Artur Mas und die übrigen Nationalisten jetzt nichts wissen. Der Regierungschef bricht bewusst seinen Amtseid (Staatstreue), und er und seine Regierung missachten unverblümt nationale Gesetze und Urteile des Obersten Verfassungsgerichts, die ihnen nicht gefallen (namentlich das von der spanischen Verfassung in Artikel 3 garantierte Bürgerrecht auf Benutzung der spanischen Sprache  sowie die Schuldenbremse für den öffentlichen Haushalt gemäß Artikel 135 der Verfassung). Jetzt betreiben die Nationalisten ganz offen die Sezession der Region von Spanien – ein Vorgang, der dem (missglückten) Staatsstreich der Militärs vom 23. Februar 1981 gleichkommt. Dass sie damit den wirtschaftlichen Gesundungsprozess in Spanien nach der schweren Krise der letzten Jahre wegen der entstehenden Unsicherheit gefährden lässt sie kalt. Die Achtung von Freiheitsrechten sieht anders aus.

Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hatten die Nationalisten am 9. November 2014 ein Referendum veranstaltet, obwohl das verfassungswidrig war.  Das Ergebnis, das vom Obersten Verfassungsgericht für null und nichtig erklärt wurde, muss die Nationalisten enttäuscht haben: Bei einer Wahlbeteiligung von nur etwas mehr als einem Drittel der Wahlberechtigten gab es zwar 80,7 Prozent Ja-Stimmen, das entsprach aber nur 35,5 Prozent aller Wahlberechtigten. Einer demokratischen Debatte über ihre Pläne im Abgeordnetenhaus des Nationalen Kongresses in Madrid, in dem die Nationalisten mit zwei Fraktionen vertreten sind, haben sie sich hartnäckig verweigert, ganz anders als vor zehn Jahren die baskische Regierung mit ihrem Unabhängigkeitsplan („Plan Ibarretxe“). So wie damals jener Plan im Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit abgelehnt wurde, sind sich heute die katalanischen Nationalisten darüber im Klaren, dass sie im spanischen Parlament keine Chance auf eine Mehrheit haben.

Katalonien ist eine der 17 Autonomen Regionen („Comunidades Autónomas“) Spaniens. Diese regionalen Gebietskörperschaften haben viel mehr Befugnisse als unsere Bundesländer (allem voran in der Besteuerung, im Schulwesen, im Gesundheitssektor und in der Wohnungswirtschaft). Bevölkerungsmäßig ist Katalonien die zweitgrößte Region nach Andalusien (7,5 Millionen Einwohner, 16 Prozent der spanischen Gesamtbevölkerung), ihre Wirtschaftskraft ist  die zweitstärkste nach Madrid (Pro-Kopf-Einkommen fast 30.000 Euro, 32 Prozent über Landesdurchschnitt). Katalonien ist, wie jedermann weiß, ein exzellenter Tourismusstandort.  Es weist auch eine diversifizierte Industriestruktur mit der Automobilindustrie (VW/SEAT, Bosch) als Wachstumsmotor auf und beherbergt Betriebsstätten zahlreicher, auch deutscher multinationaler Unternehmen insbesondere der Chemischen und Pharmazeutischen Industrie sowie der Versicherungswirtschaft. Das spanische Verlagswesen ist in Katalonien konzentriert. Die Fischerei und  der Weinanbau sind wichtige regionale Wachstumstreiber.

Indoktrination und gezielte Desinformation

Warum dann die Sezessionsbewegung? Die politische Argumentation verläuft entlang von zwei Grundlinien: eine historische und eine ökonomische. Beide sind ein Zerrbild der Wirklichkeit, verfangen aber bei vielen Bürgern in Folge einer in den regionalen Medien, allen voran im Fernsehen (TV3), betriebenen Dauerpropaganda.

  • Auf die Geschichte berufen sich die Nationalisten, indem sie behaupten, im Jahre 1714 zwangsweise in das spanische Staatsgebilde integriert worden zu sein. Am 11. September finden in Barcelona und anderen Städten alljährlich offizielle Denkfeiern statt („Diada Nacional“). Die Nationalisten tun so, als sei Katalonien zuvor ein selbständiger Staat gewesen. Das aber ist falsch. Tatsächlich hatte sich Katalonien ursprünglich in Form verschiedener Grafschaften konstituiert und wurde Anfang des 12. Jahrhunderts als Folge einer dynastischen Vereinigung eine Grafschaft des Königreichs Aragonien. Durch die Vermählung des Königs von Aragonien (Fernando) mit der Königin von Kastilien (Isabel) und die damit einhergehende Gründung des spanischen Staates im Jahre 1492 wurde Katalonien automatisch ein Teil von Spanien. Im Spanischen Erbfolgekrieg zwischen Österreich und Frankreich Anfang des 18. Jahrhunderts setzten sich die Bourbonen durch (Philipp V.); die Katalanen hatten auf den Habsburger Prätendenten (Karl von Österreich) gesetzt. Mit der Bourbonen-Monarchie haben radikale katalanische Politiker nie ihren Frieden geschlossen, bis zum heutigen König Philipp VI. nicht. Sie gefallen sich in der Rolle eines seit Jahrhunderten vom spanischen Staat unterdrückten Opfers. Im Oktober 1934 hatten die Nationalsten schon einmal versucht, die Unabhängigkeit Kataloniens durchzusetzen (Lluís Campanys), für wenige Tage, bis das Militär auf Anordnung der (sozialistischen) Zentralregierung dem Spuk ein Ende bereitete. In den vergangenen 25 Jahren haben sich die Zentralregierungen, die im Abgeordnetenhaus des Kongresses auf die Unterstützung katalanischer Parteien angewiesen waren, immer zu weiteren Zugeständnissen erpressen lassen. Am weitesten mit der Beschwichtigungspolitik trieb es der sozialistische Regierungschef José-Luis Rodríguez Zapatero (2004-11), der das Konzept der Nation relativierte und damit den katalanischen Nationalisten erst richtig Auftrieb gab.
  • Die Ökonomie bemühen die Nationalisten mit der Behauptung, die Region werde von Spanien ausgeplündert („España nos roba“, lautet das Motto). Begründet wird das damit, dass Katalonien mehr Steuereinnahmen an den Gesamtstaat abführt, als finanzielle Leistungen (z.B. für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur) zurückfließen. In der Sprache des deutschen Länderfinanzausgleichs heißt das, dass Katalonien Nettozahler ist (mit rund 8 Prozent des regionalen Bruttoinlandsprodukts). Eine negative Fiskalbilanz ist eigentlich für eine wohlhabende Region völlig in Ordnung und entspricht dem Grundsatz der Solidarität zwecks Gewährleistung gleicher Lebensverhältnisse für die gesamte Bevölkerung im Staat. Die Autonome Region Madrid verzeichnet ein noch größeres Fiskaldefizit (fast 11 Prozent des BIP), und beklagt sich nicht. Ganz und gar nicht passt zur Ausplünderungsthese, dass Katalonien über Jahrzehnte hinweg eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen in der EU ist. Der bisher größte öffentliche Skandal in Katalonien, dass nämlich der langjährige katalanische Ministerpräsident Jordi Pujol, der ursprünglich die Ausplünderungsthese in Umlauf gebracht hatte, samt Familie sich in großem Stil an öffentlichen Aufträgen bereichert und die damit akkumulierten riesen  Privatvermögen nach Andorra und in die Schweiz übertragen und dabei millionenfach Steuern hinterzogen haben, d.h. dieser so katalanische Clan es war, nicht Restspanien, der seine eigenen Landsleute „beklaut“ hat, beschäftigt zwar die Justiz, wird aber von den Nationalisten nicht weiter thematisiert.

 Eine Parlamentswahl soll es richten

Am 28. September 2015 werden in Katalonien vorgezogene Parlamentswahlen (unseren Landtagswahlen vergleichbar) stattfinden. Notwendig waren sie nicht (die bisherige Legislaturperiode wäre bis Oktober 2016 gelaufen). Aber die Nationalisten wollten Nägel mit Köpfen machen und unter Berufung auf ein vermeintliches Selbstbestimmungsrecht endgültig den Weg zur „Unabhängigkeit“ Kataloniens ebnen.

  • Dazu haben zwei regionale Traditions-Parteien – die bürgerlich-konservative Regierungspartei Demokratische Konvergenz CDC und die linksrepublikanische Partei von Katalonien ERC gemeinsam mit zwei linken Splitterparteien  ein Wahlbündnis geschlossen („Junts pel Sí“, „Gemeinsam für das Ja“) und diese Parlamentswahl einfach (und rechtswidrig) zu einer „plebiszitären Wahl“ über die Unabhängigkeit Kataloniens erklärt. Auf Stimmenfang für die Unabhängigkeit ist auch die radikale links-ökologische Partei der Volkseinheit CUP, die dem Wahlbündnis jedoch nicht beigetreten ist, um ihre Eigenständigkeit zu demonstrieren. Zwei kraftvolle Bürgerbewegungen – Asamblea Nacional Catalana und Ã’mnium Cultural – sorgen auf der Straße für die gewünschte Unabhängigkeitsstimmung.
  • Unterstützt wird die Sezessionsbewegung von der landesweit aufstrebenden ultralinken, populistischen Partei Podemos, der es allerdings um Größeres geht: die Zerschlagung der spanischen Verfassungsordnung und die Einführung eines autoritären Regimes unter Einschränkung der Freiheits- und Menschenrechte nach venezolanischem Muster („Chavismo“).
  • Dagegen halten u.a. die beiden großen Landesparteien (die Volkspartei PP sehr strikt, die Sozialistische Partei PSOE/PSC etwas ambivalent), sowie eine katalanische, sozialdemokratische  Partei  Ciudadanos C“˜s, die 2006 ausdrücklich mit dem Ziel gegründet worden war, Katalonien in Spanien zu halten; diese einst regionale Partei hat sich nach den jüngsten Kommunal- und Regionalwahlen (Mai) in ganz Spanien etabliert.

Der von den Nationalisten verkündete Fahrplan ist folgender: Bei einem Wahlsieg am 27. September soll im regionalen Parlament feierlich der Prozess der Unabhängigkeit eingeleitet  werden. Es wird eine Verfassung für Katalonien ausgearbeitet und zur Volksabstimmung gestellt. Wird der Verfassungsentwurf von der Mehrheit der Katalanen gutgeheißen, wird sofort offiziell die Unabhängigkeit erklärt. Danach sollen allgemeine Parlamentswahlen im dann souveränen Katalonien stattfinden. Der ganze Prozess soll innerhalb von 18 Monaten vollzogen werden. Gleichzeitig soll von Barcelona aus das Projekt eines Großkataloniens („Paisos Catalans“) unter Einbeziehung der Region Valencia und der Balearen vorangetrieben werden.

Wider dem Autonomiestreben

Nach bisherigen Umfragen wird das Ja-Wahlbündnis keine absolute Mehrheit erzielen, eine hohe Wahlbeteiligung vorausgesetzt. Aber die Separatisten werden nicht locker lassen, wie ihre Führer bereits lauthals erklären. Der Prozess sei unumkehrbar, heißt es. Wie könnte dem vom außen entgegengewirkt werden? Es gibt mindestens fünf Optionen:

  • Erstens: die Verhandlungslösung. Hier ist der Wunsch Vater des Gedankens, bedenkt man, wie sich die Position der Nationalisten verhärtet hat und wie gering der Spielraum für die Zentralregierung geworden ist, weitere Zugeständnisse zu machen, ohne dass es massenhafte Proteste aus den anderen Autonomen Regionen hagelt.
  • Zweitens: ein landesweites Referendum in ganz Spanien. Das und nur das wäre mit der Verfassung vereinbar wäre (Artikel 1 Abs.2 und Artikel 2). Die katalanischen Nationalisten haben dies bisher stets abgelehnt. Sie ahnen wohl, was dabei herauskäme: nämlich ein klares Votum des spanischen Volkes für die staatliche Einheit. Nach jüngsten Umfragen wären das rund 90 Prozent.
  • Drittens: ökonomische Sanktionen. Die Autonome Region Katalonien ist faktisch bankrott und die Regierung ist mit Versuchen, eigene Staatsanleihen am Kapitalmarkt zu platzieren, kläglich gescheitert. Die Regierung hängt am Tropf des spanischen Staates; seit 2012 sind rund 40 Milliarden Euro an Finanzhilfen geflossen. Würde das nationale Finanzministerium den Hahn der finanziellen Hilfen zudrehen, könnte die katalanische Regierung keine öffentlichen Gehälter mehr bezahlen und müsste Schulen und öffentliche Krankenhäuser schließen. Aber die nationalistischen Politiker glauben nicht, dass das geschieht, und fordern unverblümt weitere Finanzhilfen aus Madrid.
  • Viertens: die Suspendierung der Autonomierechte, Auflösung des katalanischen Parlaments und Absetzung der Regionalregierung durch die Zentralregierung mit absoluter Mehrheit des Senats (Artikel 155 Abs. 1 der Verfassung, seinerzeit konzipiert in Anlehnung an Artikel 37 Grundgesetz über den „Bundeszwang“). Katalonien würde unter Kuratel der Zentralregierung gestellt, und die Führer der Sezessionsbewegung müssten sich vor dem Oberstes Gerichtshof wegen Hochverrat verantworten. Artur Mas in der Rolle eines Märtyrers?
  • Fünftens: die militärische Lösung. Nach Artikel 8 Abs. 1 der spanischen Verfassung ist das Militär verpflichtet, die territoriale Einheit des Staates zu sichern. Eine Wiederholung von 1934? Das will natürlich niemand.

Eines dürfen die Nationalisten ihren Anhängern nicht länger vorgaukeln: dass Katalonien im Falle einer Abspaltung von Spanien Mitglied in der EU bleiben, weiterhin Teil des europäischen Binnenmarktes sein und den Euro behalten könnte. Dass das nicht geht, ist von Brüssel aus mehrmals klargestellt worden Die wirtschaftlichen Folgen für Katalonien wären zunächst einmal dramatisch[1]: Die neue, eigene Währung würde kräftig gegenüber dem Euro und anderen wichtigen Währungen abwerten und die „Auslands“-Schuld Kataloniens real kräftig erhöhen, beides zu Lasten der eigenen Bevölkerung. Der Außenhandel würde durch Zölle  beeinträchtigt, vor allem der Handel mit Restspanien (derzeit 70 Prozent), wodurch gut 35 Prozent der industriellen Produktion, 40 Prozent der privaten Dienstleistungen (ohne Tourismus) und 50 Prozent der Landwirtschaft betroffen wären. Viele Unternehmen würden nach eigenen Angaben ihren Firmensitz verlagern (vor allem nach Madrid), und talentierte Fachkräfte würden scharenweise auswandern, so dass auch auf diesem Weg die Wachstumskraft der Region geschmälert würde. Nach Schätzungen ist mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts Kataloniens um bis zu 23 Prozent zu rechnen. Ist es das wert? Die Nationalisten schwärmen davon, dass langfristig ein souveränes Katalonien so dastehen würde wie heute Dänemark, Österreich oder die Schweiz. Eine sorgfältige Analyse für dieses Zukunftsbild haben sie bis heute nicht vorgelegt. Wunschdenken also?


[1] Vgl. die verschiedenen Analysen in Instituto de Estudios Económicos, The Political Economy of Catalan Independence, Madrid, September 2014.

Weitere Blog-Beiträge zu diesem Thema:

Thomas Apolte: Sezession und individuelle Freiheit. Anmerkungen zu einem Beitrag von Roland Vaubel

Jan Schnellenbach: Schottland, Großbritannien und die EU. Eine schwierige Konstellation aus politisch-ökonomischer Sicht

Norbert Berthold: Der Wunsch nach einem eigenen Staat. Ist Schottland bald überall?

Tim Krieger: Das Schottland-Referendum. Eine Herausforderung für die Autokratien und Demokratien dieser Welt.

Roland Vaubel: Das katalanische Referendum

4 Antworten auf „Katalonien
Droht eine Abspaltung von Spanien?

  1. Prima Zusammenfassung!

    Zwei historischen Anmerkungen:
    1.- „die Katalanen hatten auf den Habsburger Prätendenten (Karl von Österreich) gesetzt“: nicht nur die Katalanen, sondern auch, z.B, Aragon und Valencia. Als Konsequenz, da Philipp V gewonnen hat, haben ALLE einige historische lokalen Rechte verloren. Also, es ging nicht um die Katalanen und allen anderen an den anderen Front, wie es sich sehr oft verkaufen lässt…
    2.- 1934: Companys rief den Staat Katalonien, aber innerhalb einer Spanischen Bundesrepublik aus! Es ging nicht um die klassische Unabhängigkeit.

    Es wäre toll, dass jemanden ganz objektiv beschreiben könnte, alles was aktuell die Autonomie selbst entscheiden kann (nicht wenig, meiner Meinung nach)

    Übrigens: es wird ganz wenig berichtet, dass z.B, seit 20 Jahren, die Schulen nur auf Katalanische Sprache unterrichten, und dass alles was Spanisch klingt entfremdet wird… leider verlieren viele damit den Stolz zwei Sprachen und Kulturen vereinbaren zu dürfen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert