Um das Potenzial der vielen leistungsfähigen Flüchtlinge zu nutzen, wird man sich in den wenigsten Fällen auf die reine Arbeitsvermittlung beschränken können. Vielmehr werden massive Anstrengungen in der Bildungs- und Integrationspolitik erforderlich sein, um den besonderen Umständen fremdsprachlicher Menschen aus anderen Kulturkreisen gerecht zu werden.
Eine nach arbeitsmarktpolitischen Erwägungen gesteuerte Migration würde sowohl Sprachkenntnisse als auch Qualifikationsprofile der Antragsteller zu wesentlichen Auswahlkriterien erheben. Ökonomen analysieren in diesem Kontext die im Saldo zu erwartenden Be- oder Entlastungseffekte für die einheimische Wohnbevölkerung, die unter anderem von der für die Einwanderer zu erwartenden Erwerbsbiografie samt Steuer- und Beitragszahlungen einerseits und Leistungsbezügen andererseits abhängen. Bezüglich der Asylsuchenden stellt sich die Frage nach ihrer Integration allerdings gänzlich anders. Ihre Qualifikations- bzw. Bildungsstruktur ist äußerst heterogen und aus guten Gründen eben nicht durch arbeitsmarktpolitische Erwägungen des Aufnahmelands selektiert.
Eine Vermengung der beiden Themenkreise birgt die Gefahr, als ökonomische Argumentation für eine Verschärfung des Asylrechts missverstanden zu werden. Schließlich erscheint es unzweifelhaft, dass die Zuwanderung von gesuchten Arbeitskräften für die bisherige Wohnbevölkerung mit weniger Kosten und höheren Steuer- und Beitragseinnahmen verbunden wäre, als die Zuwanderung von Menschen, deren Integration in den deutschen Arbeitsmarkt unabsehbar ist. Sofern das Asylrecht aus humanitären Gründen nicht in Frage gestellt wird, ist dabei allerdings nicht gestaltbar, wer zuwandert, sondern nur ob und mit welchen Maßnahmen den Asylsuchenden eine Perspektive geboten wird, ihre vorhandenen Qualifikationen zu nutzen bzw. in absehbarer Zeit möglichst gute Arbeitsmarktqualifikation zu erreichen. Investitionen in die Zuwanderer lohnen sich aus ökonomischer Perspektive nicht erst dann, wenn dadurch eine im Saldo absolute Besserstellung der einheimischen Wohnbevölkerung zu erwarten wäre, sondern bereits dann, wenn die Zuwanderer dadurch geringere Kosten oder höhere Erträge erwarten lassen, als wenn man entsprechende Bemühungen unterlässt.
Die Herausforderungen
Die auf nicht überprüften freiwilligen Angaben beruhenden Befragungsergebnisse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vermitteln eine grobe Idee der Herausforderungen und Chancen: Von den zwischen Januar und August 2015 insgesamt 105.000 befragten Asylsuchenden über 20 Jahren gaben 16,6 % an, eine Universität oder Fachhochschule besucht zu haben, 17,5 % ein Gymnasium und 29,7 % eine Mittelschule. Immerhin fast ein Drittel gab an, keine oder nur eine Grundschule besucht zu haben. Der Großteil der Schutzsuchenden spricht kein Deutsch, einige sind nicht mit dem lateinischen Alphabet vertraut. Die meisten Zuwanderer werden schnell in der Lage sein, ihren Alltag zu bewältigen und einfache Tätigkeiten auszuüben. Um qualifizierte Berufe auszuüben, braucht es jedoch weitaus größere Anstrengungen. Fast 29 % der Personen, die im ersten Halbjahr 2015 in Deutschland einen Asylantrag stellten, waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die zu gut qualifizierten Fachkräften ausgebildet werden könnten – wenn sich etwas in unseren Schulen ändert. Denn bisher ist unser Schulsystem nicht gut auf Schüler mit anderem kulturellen und fremdsprachlichen Hintergrund vorbereitet. Laut Bericht des Beauftragten der Bundesregierung für Migration vom Oktober 2014 sind ausländische Schüler noch immer weit überrepräsentiert in den Hauptschulen (27,5 % der ausländischen Schüler gegenüber 10,6 % der deutschen Schüler) und bei denjenigen, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen (11,6 % gegenüber 5,4 %). An Gymnasien sind sie hingegen deutlich unterrepräsentiert (24,5 % gegenüber 48,9 %).
Ohne entschlossene Maßnahmen droht Deutschland, auch die neuen Zuwanderer und ihre Kinder in großem Maße in geringqualifizierte Tätigkeiten abzudrängen.
Die Chancen
Doch die Herausforderung birgt auch große Chancen: Im Zuge der jetzt erforderlichen Maßnahmen könnten Strukturen entstehen, die nicht nur das Bildungspotenzial der Flüchtlinge erschließen, sondern auch die Chancen für alle Kinder und Jugendlichen mit ähnlichen Problemen erhöhen. Deutschland hat seit Jahrzehnten verschlafen, auf die Probleme einer großen Zahl von Kindern und Jugendlichen systematisch zu reagieren. Die mangelhafte Anpassung unseres Bildungssystems auf die heterogenere Struktur der Schüler trifft nicht nur Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan. Dasselbe gilt für viele Kinder deutscher Aussiedler aus Russland und für türkischstämmige Jugendliche, für die Kinder der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie für die Kinder der Arbeitsmigranten aus Rumänien und Bulgarien. Laut Mikrozensus 2012 wies jedes dritte in Deutschland lebende Kind unter 15 Jahren einen Migrationshintergrund auf. Für sie alle erwachsen Chancen aus der aktuellen Herausforderung, die zu einem geeigneten Zeitpunkt eine mediale und politische Aufmerksamkeit schafft.
Zugleich muss man vor diesem Hintergrund Ideen widersprechen, die eine Privilegierung oder Diskriminierung der Flüchtlinge beinhalten würden. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat die Beschäftigungschancen für mit besonderen Vermittlungshemmnissen kämpfende Arbeitslose sicher nicht erhöht. Ausnahmen dürften sich aber keinesfalls auf eine einzelne Gruppe beschränken. Die Vorrangprüfung bei der Entscheidung über Anträge auf Arbeitserlaubnis erschwert Nicht-EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung und kann insgesamt in Frage gestellt werden. Eine Ausnahme nur für spezielle Gruppen müsste jedoch gut begründet werden, etwa mit deren hoher Bleibewahrscheinlichkeit.
Eckpunkte und Kriterien
Zur Verbesserung der Integrationschancen der Zuwanderer gibt es unzählige Ansatzpunkte, die hier nicht erörtert werden können. Zur systematischen Durchforstung und Bewertung der Möglichkeiten erscheinen jedoch folgende allgemeine Überlegungen hilfreich.
Vor dem Hintergrund der politischen Bemühungen um schnellere Entscheidungsverfahren erscheint eine Differenzierung zwischen Flüchtlingen mit einer relativ hohen und solchen mit einer nur sehr geringen Bleibewahrscheinlichkeit pragmatisch. Allerdings sollte keine größere Angst vor „unnötigen“ Bildungsanstrengungen Raum greifen. Sofern entsprechende Strukturen etabliert werden, halten sich die zusätzlichen Kosten für einzelne Teilnehmer in Grenzen. Sollten Asylsuchende in den Genuss eines Sprachkurses kommen, bevor sie Deutschland aus eigener Entscheidung oder gezwungener Maßen doch wieder verlassen, erscheint dies weniger bedauerlich, als wenn umgekehrt Hunderttausenden der Zugang zu integrations- und sprachfördernden Maßnahmen verwehrt wird, weil ihr Rechtsstatus noch nicht geklärt ist.
Für Fragen der Integration ist es unerlässlich, möglichst frühzeitig zu ermitteln, über welche Bildungsabschlüsse und Berufserfahrungen die ankommenden Flüchtlinge verfügen, welche Sprachkenntnisse sie mitbringen und welche besonderen Begleitumstände, wie beispielsweise physische und psychische gesundheitliche Beeinträchtigungen, berücksichtigt werden müssen. Bei Flüchtlingen mit Bleiberecht muss im zweiten Schritt eine regionale Zuteilung erreicht werden, die geeignete Integrationsmaßnahmen ermöglicht.
Erste Schritte zur kulturellen und sprachlichen Integration müssen möglichst schnell nach der Zuwanderung erfolgen. Viele Asylsuchende sind voller Tatendrang und fest entschlossen, ihre Chancen wahrzunehmen. Diese Motivation muss unterstützt und gefördert werden. Eine zu lange Untätigkeit führt hingegen häufig zu Entwöhnungs- und Resignationseffekten sowie in eine lethargische Haltung, aus der sich nicht jeder wieder zu befreien weiß.
Die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen sollte nicht freigestellt, sondern eine selbstverständliche Pflicht sein. Dabei geht es nicht nur um den Spracherwerb, sondern zugleich auch um eine Vermittlung der Grundwerte, die diese freiheitliche Gesellschaft auszeichnen, das Land attraktiv für Flüchtlinge machen und deren Verständnis wesentlich für eine Integration ist.
Um die Chancen zu nutzen, die die Zuwanderung gebildeter oder bildungsfähiger Zuwanderer eröffnen, gilt es, geeigneten Kandidaten die Kenntnisse zu vermitteln, die für höhere Schulbesuche, Ausbildungen, Studium und qualifizierte Tätigkeiten erforderlich sind. Dazu sind nicht nur langjährig begleitende Kurse und Unterstützungsangebote zur allgemeinen Sprachförderung erforderlich. Für Schüler, die im Elternhaus keine hinreichende Unterstützung zur Erledigung der Hausaufgaben erfahren, müssen auch Angebote einer qualitativ hochwertigen Hausaufgaben- und Lernzeitenbetreuung geschaffen werden.
Die angemahnten Bemühungen bedürfen der Aufwendung zusätzlicher Mittel. Die Belastung der Schulen mit neuen Aufgaben ohne eine vorherige Erhöhung der zur Verfügung stehenden Mittel würde andernfalls die Schwierigkeiten verschärfen, denen die Schulen schon heute gegenüberstehen.
Deutschlands wirtschaftliche Lage ist ausgesprochen gut, die Beschäftigung und die Steuereinnahmen erreichen Rekordstände, der überwiegende Teil der deutschen Wahlbürger steht den Zuwanderern offen gegenüber. Wir schaffen das. Wenn wir wollen.
Hinweis: Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 10/2015 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
Woher wissen denn die Autoren, dass „der überwiegende Teil der deutschen Wahlbürger steht den Zuwanderern offen gegenüber. „??? Man hat das Volk bisher nicht gefragt, ob es diese unkontrollierte Zuwanderung überhaupt möchte. Von Demokratie ist in dieser Frage derzeit nichts zu sehen. Vielmehr bekommen Städte und Kommunen „von Oben“ befohlen, wieviel Asylsuchende sie gefälligst aufzunehmen haben. Selbst in Orten, wo nach Befragungen der Bewohner mehr als 50% der gegen Zuwanderung in diesem Maße sind, kann sich niemand dagegen wehren. Da werden alle vor vollendete Tatsachen gestellt und müssen die Ankunft vieler Busse mit Flüchtlingen hinnehmen. Die überall in den Medien zu findende Diagnose, dass die Meisten in Dtl. für die Überfrachtung mit Flüchtlingen sind, halte ich für falsch. Man bekommt den Eindruck, dass die linke Meinungsmache mit gleichzeitig diffamieren von Kritikern ähnlich wie in der DDR System hat.
Für Bildung, Familien, Kinderbetreuung war in den letzen Jahrzehnten nie Geld da. Ständig hieß es, dass die Kassen leer sind. Aber für die Millionen Zuwanderer hat man über Nacht plötzlich 11 Mrd EUR jährlich. Wie ist das zu erklären?
Ich halte es im Übrigen für einen Trugschluss, dass eine Integration, wie sie sie oben skizzieren, funktionieren wird. Wenn Leute sich nicht integrieren wollen, geht das Bildungsangebot ins Leere. Zuwanderungssysteme wie in Australien oder Kanada sind m.E. treffsicherer und bedarfsgerecht, mithin effizient.
Die Mentalität und die religiösen Überzeugungen der Zuwanderer passen nicht zu unserem Kontinent und unseren „Spielregeln“ und Werten. Sie werden sich nicht an das Grundgesetz halten, sondern ihr Leben so leben wollen, wie sie es von zuhause kennen. Es werden ja nicht mal unsere Registrierungsbemühungen befolgt. Stattdessen wandern nicht wenige Flüchtlinge ohne Registrierung durch unser Land. Sowas gibts in keinem Land der Welt. Nur in Dtl.
Es ist nicht leicht, das mit der Zuwanderung verbundene und in Deutschland tasächlich angewendete Humankapital abzuschätzen. Ungeprüfte Selbstauskünfte über Universitäts- oder Hochschulbesuch besagen noch wenig.
Das IAB berichtet in seinen Kurzberichten 21.1./2014 bis 21.4/2014 über Ergebnisse einer umfangreichen Befragung von Personen mit Migrationshintergrund. Von diesen gaben 16% an, im Zuzugsjahr einen Universitäts- oder Hochschulabschluss gehabt zu haben. Allerdings ließen nur 45% dieser Hochqualifizierten ihren Abschluss anerkennen (IAB, S. 18), obwohl damit erhebliche Einkommenszuwächse verbunden sind. Von den Anträgen wurde 73% anerkannt. Das sind dann- wenn ich mich nicht verrechnet habe- nur noch gut 5% anerkannt hochqualifizierte Zuwanderer.
Das BAMF veröffentlicht vierteljährlich einen „Wanderungsmonitor“. Danach waren zum 30.6.2015 ca. 23.400 Personen mit der „Blauen Karte EU“ in Deutschland aufhältig. Die „Blaue Karte EU“ wurde im August 2012 als erleichterte Zuwanderungsmöglichkeit für Hochqualifizierte aus Nicht-EU-Ländern eingeführt, die auch tasächlich über einen ihrer Qualifikation entsprechenden Arbeitsvertrag mit einer inländischen Behörde/Firma verfügen. Auf der Basis der Angaben im Wanderungsmonitor kann man vorsichtig schätzen, dass von Mitte 2012 bis Mitte 2015 ca. 850.000 Personen aus Drittstaaten in Deutschland geblieben sind (Wanderungssaldo). Eine mit der Blauen Karte EU nachgewiesene in Deutschland eingesetzte hohe Qualifikation hatten demnach weniger als 3% der Zuwanderer aus Drittstaaten. Auch wenn man annimmt, dass einige Personen, die über die Blaue Karte EU gekommen sind, mittlerweile einen anderen Aufenthaltsstatus haben, so bleiben diese nachgewiesen in den Wirtschaftsprozess integrierten Hochqualifizierten doch eine Randgruppe unter den Zuwanderern.