Nun sitzt die AfD in drei Parlamenten. Dort wäre sie wohl auch gelandet, wenn die etablierten Parteien sich klüger verhalten und die AfD nicht selbst durch undifferenzierte Gegnerschaft zum universellen Auffangbecken für jede Art von Protest hochgejazzt hätten. Bislang handelt es sich nur um Landesparlamente, aber es ist absehbar, dass die Partei auch im nächsten Bundestag vertreten sein wird. Dürfen wir dann womöglich mehr als zehn Prozent der Wählerschaft als demokratisch nicht satisfaktionsfähige Schmuddelkinder betrachten?
Blickt man auf Nachbarländer wie Frankreich oder Holland, so ist das Auftreten einer Partei, die sich an nationalen Interessen und nicht an internationalistischen Vorstellungen ausrichten möchte, keine Anomalie, sondern der Normalfall. Wenn die mit dem sozialistischen Internationalismus gefütterten Bürger der neuen Bundesländer sich an die Spitze der Bewegung gestellt haben, sollte uns das ebenfalls nicht wundern. Natürlich gibt es ewig Gestrige, denen die Grundinstitutionen und Grundfreiheiten des demokratischen Rechtsstaates immer noch eher fremd sind, aber das ist keineswegs zwingend der einzige Grund. In der AfD gibt es ewig Gestrige — oder wegen der größeren Zeit, die seit dem völkischen verglichen mit dem DDR-Kollektivismus verflossen ist, eher Vor-Gestrige –, doch wäre es vollkommen verkehrt, alle, die sich für die AfD engagieren, in den braunen Topf zu stecken. Wenn man das tut, wird man jenen, die das Protestpotenzial gern für ihre eigenen „völkischen“ und anderen verqueren Ideen nutzen möchten, das üble Spiel nur erleichtern.
Pluralisten sollten auch im Umgang mit den eigenen Landsleuten Respekt für die abweichenden Überzeugungen anderer zeigen. Sofern andere sich an die grundlegenden rechtsstaatlichen Spielregeln halten, verdienen sie unseren Respekt. Das Bekenntnis zu den Regeln sollten wir ihnen abverlangen. Wir müssen darauf verzichten, sie zu diskreditieren, soweit sie sich eindeutig zu den rechtsstaatlich demokratischen Spielregeln bekennen. Allein angemessen ist es, nach den Spielregeln der demokratischen Institutionen gewählte Repräsentanten von Wählergruppen bis zum Beweis des Gegenteils als legitimiert anzusehen.
Unterhalb dieser Ebene müssen wir zu verstehen versuchen, worum es vielen AfD Wählern zu gehen scheint. Die Forderung der früheren AfD etwa nach einer Rückkehr zu einer deutschen Währung (D-Mark) oder der heutigen nach einer Beschränkung des Zuzugs von Migranten entspringen häufig dem Wunsch nach einer realistischen Parteinahme für die eigenen deutschen Interessen. Das kann man inhaltlich ablehnen, aber gewiss nicht als buchstäblich indiskutabel bezeichnen. Die Forderung nach nationaler Interessenwahrung ist nicht zwangsläufig Ausdruck nationalistischer, ewig gestriger Vorstellungen. Sie wird häufig unkluge Mittel wählen. Es kann und wird sich häufig um eine kurzsichtige Politik handeln. Aber das kennen wir schließlich auch zur Genüge von der Ablehnung von TTIP und anderen Freihandelsabkommen oder der Subventionspolitik im Agrar- oder Bergbaubereich.
Selbst diejenigen, die von der höchsten Priorität der Wahrung der rechtsstaatlichen, freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgehen, müssen anerkennen, dass diese politisch aus dem jeweiligen nationalen Prozess der Unterstützung und Durchsetzung von Institutionen hervorgeht. In der Erhaltung dieser Grundordnung liegt aus Sicht des Anhängers des demokratischen Rechtsstaates das höchste nationale Interesse. Diese Ordnung wird uns nicht von Brüssel gegeben, sondern wir müssen sie primär selbst schaffen und erhalten.
Das vielbeschworene internationale Recht jedenfalls existiert selbst in der Europäischen Union nur in bestimmten Aspekten und außerhalb nur in so rudimentärerer Form, dass es ihm an verlässlicher Durchsetzbarkeit mangelt. Die rechtsstaatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland müssen in einer Welt endemischer Rechtlosigkeit von deutschen Staatsbürgern erhalten werden, die im Zweifel bereit sind, für ihre rechtsstaatlichen Institutionen Partei zu ergreifen.
Dass die Erhaltung der freiheitlich rechtsstaatlichen Institutionen im Interesse der weit überwiegenden Zahl der Bürger der Bundesrepublik Deutschland ist – einschließlich der Wähler der AfD –, sollte auch den meisten Wählern der AfD klarzumachen sein. Zugleich sollte es für Gegner der AfD klar sein, dass die BRD keineswegs Migranten in beliebiger Zahl aufnehmen kann, ohne die breite Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der in ihr verkörperten Rechtsstaatlichkeit zu gefährden. Es ist in keinem Fall eine gute Idee, ohne Rücksicht auf diese Tatsachen an Politiken festzuhalten, die erkennbar nicht nachhaltig durchgehalten werden können.
Vor diesem Hintergrund war das Gerede von der Willkommenskultur gewiss leichtfertig. Wenn es auch möglicherweise angesichts der Lage in Griechenland psychologisch verständlich war, den Griechen einige der Lasten abnehmen zu wollen, war das Signal der nahezu unbedingten Aufnahmebereitschaft falsch. Es war problemerzeugend, mochte es auch problemlösend gemeint gewesen sein. Andererseits sind wir weder in Griechenland noch zuvor in Italien vor Lampedusa bereit, überfüllte Boote mit Flüchtlingen untergehen zu lassen. Das ist kein Zeichen der Schwäche, sondern der Humanität. Doch selbst diese Art der Hilfsbereitschaft würde sehr schnell an Grenzen stoßen, wenn sie unbegrenzt gewährt werden müsste. Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag, die legale Immigration zu bevorzugen und die illegale abzuschrecken, der einzige bislang vorgestellte gangbare Weg.
Jene, die einfach die Grenzen in Europa schließen wollen, würden die Griechen und Italiener und vielleicht später die Spanier mit den Problemen der meeresnahen Außengrenzen tendenziell allein lassen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Europäer Flüchtlingsboote in hohen Zahlen ohne Rettungsversuch im Meer versinken lassen könnten. Das müsste man aber vorübergehend tun, wenn man die Flüchtlinge nicht wie in dem mit den Türken besprochenen Vorschlag zurückführt.
Es ist nicht erfreulich, wenn wir mit politischen Strolchen, wie sie in der Türkei an der Regierung sind, kooperieren müssen. Auf der anderen Seite spricht einiges dafür, dass die Türkei jedenfalls nicht fragwürdiger ist als Russland, mit dem wir lange Zeit richtiger Weise gute Beziehungen pflegten. Dass wir uns hier mit Systemen einlassen, die letztlich nach unseren Maßstäben inakzeptabel sind, ist der Preis der Realpolitik – und einer humanen dazu.
Wir müssen mit den Schmuddelkindern spielen, den ausländischen und den inländischen. Solange wir uns dabei immer wieder bewußt machen, dass es letztlich um den Schutz freiheitlich-rechtsstaatlicher Werte in einer alles andere als idealen Welt geht, können wir hoffen, unsere wohlverstandenen nationalen Interessen zu wahren, ohne das rechtsstaatliche Tafelsilber gleich mit zu verscherbeln. Die humanitäre Leistung der Türkei, große Zahlen syrischer Flüchtlinge zu beherbergen, verdient ohnehin ebenso wie die entsprechende Leistung der Jordanier eine Anerkennung, die sich endlich auch in entsprechenden finanziellen Transfers niederschlagen sollte. Dass solche Maßnahmen, sofern sichergestellt werden kann, dass die Mittel nicht in Korruptionssümpfen versickern, so etwas wie die beste Vorwärtsverteidigung unserer Interessen darstellen, sollten wir nicht verkennen, darüber aber die Notwendigkeit, auch militärisch gerüstet zu sein, nicht vergessen. Insoweit sind neuere Nachrichten darüber, dass die Bundesrepublik ihre Verteidigungsanstrengungen verstärken will, ebenfalls zu begrüßen. Solange alle diese Maßnahmen dem Erhalt und der Durchsetzung rechtsstaatlicher Institutionen dienen, handelt es sich um Politiken im wohlverstandenen nationalen Interesse. Diese Politiken sollten endlich den Bürgern auch als das nahegebracht werden, was sie sind, wohlverstandene nationale Politik.
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