Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein marktwirtschaftlich orientierter Ökonom sich veranlasst sieht, ein Loblied auf die EU-Kommission zu singen – am 30. August war solch ein Tag. EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Verstager verkündete, die steuerlichen Vergünstigungen Irlands zugunsten von Apple als unzulässige Unternehmensbeihilfe zu werten und den Konzern zu einer Steuernachzahlung an den irischen Fiskus in Höhe von 13 Mrd. € zu verpflichten. Dabei wendet sie sich nicht gegen die relativ niedrigen allgemeinen Körperschaftsteuersätze in Irland, sondern dagegen, dass manchen Unternehmen innerhalb dieses Systems zusätzliche extreme Steuervergünstigungen eingeräumt werden.
Im Fall Apple kam dabei der sogenannte Double Irish With a Dutch Sandwich zum Einsatz, bei dem Gewinne an Verwaltungssitze verlagert werden, die gänzlich von der Steuer befreit sind. Da solche Vorteile nur manchen Unternehmen gewährt werden, konstatiert die Kommission eine Wettbewerbsverfälschung, die nach den beihilferechtlichen Vorschriften der Art. 107 bis 109 AEUV mit dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht unvereinbar sind. Als Rechtsfolge ziehen unerlaubte Beihilfen regelmäßig eine Rückzahlungspflicht der begünstigten Unternehmen an ihren Fiskus nach sich.
Im Fall Apple wurde die Gewinnverlagerung offenbar in erster Linie dadurch erreicht, dass die irischen Tochtergesellschaften ihre Gewinne nahezu vollständig als Lizenzgebühren deklarierte, wobei die steuerbefreiten Verwaltungssitze als Lizenzgeber fungierten. Ein weiterer gebräuchlicher Kanal, durch den Gewinne in Steueroasen verschoben werden, Â sind künstlich verzerrte Verrechnungspreise bei konzerninternen Lieferungen. Und schließlich können Kreditverflechtungen innerhalb von Konzernen so gestaltet werden, dass die Zinsen in Hochsteuerländern gezahlt und in Niedrigsteuerländern als Gewinnbestandteile vereinnahmt werden.
All diese Praktiken, die von Unternehmensberatern gern als aggressive Steuerplanung tituliert werden, sind bei multinationalen Konzernen in vielfältigem Gebrauch und nur schwer kontrollierbar, wenn man nicht tief in die Steuerautonomie der einzelnen Länder eingreifen will oder kann. Für die Finanzbehörden sind sie ein steter Quell des Ärgernisses, und auf dem internationalen Parkett sorgen sie immer wieder für diplomatische Verstimmungen. Ein stilistischer Höhepunkt solcher Verstimmungen war die Erklärung des damaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück, die Kavallerie zum Steuereintreiben in die Schweiz schicken zu wollen. Wörtlich sagte er am 14. März in London, eine schwarze Liste von Steueroasen, auf der auch die Schweiz auftauchen würde, „… ist, umgangssprachlich formuliert, die siebte Kavallerie im Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann. Aber die muss nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt.“
Um auch ohne Kavallerie zu einer Lösung des Problems zu kommen, brachten die Regierungen der G20 im Jahr 2012 auf ihrem Gipfel in Los Cabos eine Initiative auf den Weg, mit der zumindest erreicht werden soll, dass die anzuwendenden Verfahren in der Steuererhebung international möglichst einheitlich gestaltet werden und dass sich die verschiedenen Sitzländer multinationaler Konzerne und ihrer Tochtergesellschaften gegenseitig konsultieren und informieren über die jeweilige Steuererhebung. Die OECD wurde beauftragt, geeignete Maßnahmen zur Umsetzung dieser sogenannten BEPS-Initiative (base erosion and profit shifting) zu entwickeln (OECD, Action plan on base erosion and profit shifting. Paris 2013). Dabei wurde sie von vorherein von der EU-Kommission unterstützt. Diese Unterstützung fiel allein deshalb schon ins Gewicht, weil einige der international bedeutendsten Steueroasen zur EU gehören (insbesondere Irland, Luxemburg, das Vereinigte Königreich und die Niederlande).
Auf dem G20-Gipfel in Brisbane im Jahr 2014 wurde der OECD Action Plan angenommen, und es wurden konkrete Maßnahmen zur Umsetzung auf nationaler und internationaler Ebene ins Auge gefasst. All diesen Anstrengungen zum Trotz ist die BEPS-Initiative aber bisher ein zahnloser Papiertiger geblieben. Doch das hat sich zumindest innerhalb der EU schlagartig geändert. Die schlichte Anwendung des gemeinschaftlichen Beihilferechts auf die Praktiken der aggressiven Steuerplanung besitzt eine weitaus höhere Durchschlagskraft als die gesamte BEPS-Initiative.
Im Fokus der Öffentlichkeit steht derzeit das Verfahren gegen Apple. Weitere Prüfverfahren der Kommission, die inhaltlich ähnlich gelagert sind, betreffen die steuerliche Behandlung von McDonald’s  und von Amazon in Luxemburg. Daneben hat die Kommission  zwei Verfahren eröffnet,  in denen es um tax rulings (Steuervorbescheide)  der Finanzbehörden in Luxemburg und den Niederlanden zur Anerkennung extrem verzerrter interner Verrechnungspreise der Unternehmen Fiat Finance & Trade und Starbucks geht. Die Kommission argumentiert auch hier, die daraus resultierenden Steuervorteile seien als wettbewerbsverfälschende (und im Übrigen auch als nicht notifizierte) Beihilfen anzusehen und müssten deshalb von den Unternehmen zurückgezahlt werden (Europäische Kommission: Bericht über die Wettbewerbspolitik 2015. SWD (2016) 198 final, Brüssel 2016).
Von Politikern in den Steueroasen selbst und von den begünstigten Konzernen werden solche Steuervorteile gern als innovations-und wachstumsfördernde Maßnahmen verteidigt. Doch diese Argumentation steht, wie bei Klodt und Lang gezeigt, auf tönernen Füßen (Henning Klodt/Stefanie Lang: Patentboxen – Forschungsanreiz oder Steuersparmodell? in: List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Band 41, 3/2015, S. 349-365). Tatsächlich geht es für die beteiligten Unternehmen schlicht um Steuerflucht. Und für die Steueroasen geht es darum, kleine Mehreinnahmen an Steuern zu erzielen, die in anderen Ländern erhebliche Steuermindereinnahmen zur Folge haben. Mit marktwirtschaftlich erwünschtem Standortwettbewerb haben solche Praktiken nichts gemein.
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2 Antworten auf „Die Apple-Saga (1)
Apple für’n Ei?
Steuerflucht im Fokus der EU“