Im Zuge der Syrienkrise werden die Stimmen lauter, die die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland fordern. In der Tat ist es zutiefst unmenschlich, wie die russische Armee den syrischen Regierungstruppen dabei hilft, die eigene Bevölkerung zu ermorden. Man kann die Wut einiger Politiker nachvollziehen. Vor diesem Hintergrund ist aber es geboten, die Wirkungen von wirtschaftlichen Sanktionen einmal genauer zu untersuchen. Gemeint sind dabei nicht diejenigen Sanktionen, die wie im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbart werden, um bestimmte Handlungen im Vorhinein zu unterbinden, sondern diejenigen Sanktionen, die auf das Verhalten ausländischer Regierungen reagieren.
Solche Sanktionen sind entweder auf den Außenhandel bezogen, das heißt sie reduzieren den Außenhandel typischerweise bei denjenigen Produkten, die für das Zielland der Sanktionen besonders wichtig sind (im Falle Russlands wären das wohl Öl und Gas), oder sie gelten bestimmten Personen und deren Finanzen oder Reisen. Man friert die Auslandskonten von Politikern oder Unternehmern des Ziellandes ein, oder verbietet diesen Personen die Einreise in bestimmte Staaten; denkbar sind beliebte Ferienziele dieser Personenkreise.
Allerdings ist die Effektivität von Sanktionen überaus zweifelhaft. Eine empirische Studie aus dem anerkannten Peterson Institute for International Economics zeigt auf, dass in nur einem Drittel der Fälle die gewünschten Resultate erzielt worden sind, im Falle von begrenzten Verhaltensänderungen waren es immerhin die Hälfte. Anders gewendet: Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist gering. Dieses Schicksal scheint auch der Russland-Sanktion der letzten Jahre zu drohen.
Stattdessen gibt es das Phänomen, dass die Sanktionen der Regierung im Zielland die Möglichkeit geben, für eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, die keineswegs ausschließlich durch die Sanktionen begründet sein muss, dem Sanktionsgegner die Schuld zu geben. Im russischen Fall ist es vor allem die Abhängigkeit von Öl und Gas, die angesichts fallender Ölpreise die Krise des Landes herbeiführt. Hätte die Regierung frühzeitig, d.h. im Grunde schon mit dem Fall der Sowjetunion begonnen, Industrie und Dienstleistungssektoren zu modernisieren und eine Marktwirtschaft einzuführen, wären die Probleme der Bevölkerung kleiner. So geben die Sanktionen der Regierung die Möglichkeit, andere zu beschuldigen. Hinzu kommt, dass die Regierung nun die Rolle eines Beschützers der Bevölkerung vor „fremden Mächten“ einnehmen kann; man kann insofern davon sprechen, dass sich die Russen nun hinter Präsident Putin gegen die Welt da draußen versammeln.
Darüber hinaus gibt es natürlich Nebeneffekte bei beiden Sanktionsgegnern, denn Sanktionen wirken genauso wie Handelsbarrieren zum Schutz bestimmter Sektoren. Die Wirtschaft des sanktionsverhängenden Landes leidet zumeist doppelt. Zunächst muss sie etablierte Lieferbeziehungen aufgeben. Ihre Vorleistungen aus Russland müssen nun aus einem anderen Land bezogen werden (was zumeist mit einem Preisanstieg einhergeht). Wenn es dann noch – wie im russischen Fall – zu Gegenmaßnahmen kommt, leidet auch noch die europäische Exportindustrie. Im vorliegenden Fall kann die deutsche Milchwirtschaft ein trauriges Lied davon singen. Ein lukrativer Markt ist weggebrochen; die Existenz zahlreicher Betriebe steht auf dem Spiel; hier hilft dann auch nicht der Verweis auf Marktkräfte, denn genau darauf hatte der Sektor ja mit steigendem Export reagiert.
Unter den Sanktionen leidet natürlich auch die russische Bevölkerung. Russische Arbeitsplätze sind durch die Sanktionen bedroht; die Exportmöglichkeiten der russischen Wirtschaft verringern sich. Durch die Gegensanktionen wiederum verknappt sich das Angebot für die Bevölkerung. Es ist sicherlich kein Zufall, dass es mit der Milch ausgerechnet ein beliebtes Importprodukt war, das von den russischen Sanktionen betroffen war. Man kann es zynisch nennen, aber die Regierung im Kreml hat ein gutes Gespür bewiesen, wie sie die eigene Bevölkerung leiden lassen kann, aber zugleich den Eindruck vermittelt, es sei der böse Westen, der sich bewusst gegen die russische Bevölkerung wendet.
All dies spricht eher dagegen, Sanktionen auszurufen. Das heißt natürlich nicht, dass es nun politisch einfach wäre, ohne Gesichtsverlust die Sanktionen zurückzunehmen. Dies gilt allemal im Umgang mit einem russischen Präsidenten, der die Welt vermutlich als ein Nullsummenspiel ansieht: Was er gewinnt, verlieren die anderen. Er würde die Rücknahme von Sanktionen wohl als großen Sieg feiern und die westlichen Regierungschefs als Schwächlinge darstellen. Das ist aber gerade ein Grund, die Sanktionen nicht auszuweiten, auch wenn es im Moment wenig Anlass zum Abrücken von den bestehenden Sanktionen gibt.
Hinweis: Der Beitrag erschien am 21. Oktober 2016 in der Wirtschaftswoche.
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