„Demokratie nimmt von den Reichen das Geld und von den Armen die Stimmen und verspricht beiden, sie vor den jeweils anderen zu beschützen.“ (Frédéric Bastiat)
Das Pendel schlägt zurück. Die Finanzkrise war eine Zäsur. Vorbei scheint die Zeit weltweit offener Märkte. Die Globalisierung ist auf dem Rückzug. Wirtschaftlich „Abgehängte“ und wohlhabende Wutbürger blasen zum Kampf gegen offenere Güter- und Faktormärkte. Sie erhalten höchsten Beistand von oben. Marktwirtschaften töten, tönt es aus dem Vatikan. Nicht der staatliche Leviathan, die gierigen Märkte sollen gezähmt werden. Marktwidrige Politiken sind wieder en vogue. Staatliche Intervention und wuchernder Protektionismus haben Konjunktur. Populistische Parteien am linken und rechten Rand sprießen wie Pilze aus dem Boden. Das Virus der staatlichen Allmacht verbreitet sich rasend schnell. Es infiziert immer öfter auch traditionelle Parteien der „linken und rechten“ Mitte. Die wirtschaftliche Freiheit bleibt auf der Strecke.
Sterbender Industriesektor
Für viele Ökonomen ist die Sache klar. Es sind die wirtschaftlich „Abgehängten“, die populistischen Parteien auf den Leim gehen. Weltweit offene Märkte beschleunigen einen doppelten strukturellen Wandel. Betroffen ist vor allem der industrielle Sektor. Er steht unter wettbewerblichem Druck aufstrebender Länder. Zuerst verlieren Arbeitnehmer mit einfacher Qualifikation. Ihre Arbeitsplätze werden massenhaft ins kostengünstigere Ausland verlagert. Unter dieser Entwicklung leiden vor allem (weiße) Männer. Sie sind es, die primär im industriellen Sektor beschäftigt sind. Dieser inter-industrielle Wandel hat aber nicht nur mit offenen Märkte zu tun. Er wird auch stark von der fortschreitenden Automatisierung auf Trab gehalten. Vor allem einfache Arbeit wird durch Kapital ersetzt.
Der strukturelle Wandel krempelt auch die Struktur der Qualifikationen um. Die um sich greifende Digitalisierung meint es nicht gut mit bestimmten Tätigkeiten. Vor allem routinemäßige Aktivitäten haben einen schlechten Stand. Sie sind leichter durch Kapital zu substituieren und in kostengünstigere Länder zu verlagern. Von dieser Sorte an Tätigkeiten hat der industrielle Sektor eine ganze Menge. Sie reichen bis weit hinein in die Mittelschicht der Facharbeiter. Verstärkt nachgefragt werden allerdings nicht-routinemäßige Qualifikationen, egal ob kognitiv oder manuell. Sie werden vor allem in den stärker wissensbasierten Sektoren angeboten aber auch im Bereich der stärker personenbezogenen Dienstleistungen. Dorthin wollen aber die männlichen Industriearbeiter nicht (hier).
Der „doppelte“ strukturelle Wandel produziert Gewinner und Verlierer. Auf der Verliererseite finden sich viele männliche Arbeitnehmer, die bisher im industriellen Sektor beschäftigt waren. Sie sind oft weniger gut qualifiziert. In den USA sind sie vor allem weiß. Die industriellen Cluster tragen dazu bei, dass sich die „Abgehängten“ regional konzentrieren. Die Wahlergebnisse für Donald Trump und die Abstimmungsergebnisse zum Brexit scheinen dieses regionale Muster zu bestätigen. Störend bei diesem Befund ist allerdings, dass den Verlusten an Arbeitsplätzen im industriellen Sektor noch größere Gewinne im Dienstleistungssektor gegenüberstehen. Frauen sind die Gewinner des Aufschwungs der Dienstleistungen. Dagegen nutzen Männer, die ihren industriellen Arbeitsplatz verlieren, die Chancen des Strukturwandels bisher kaum.
Wachsende Flüchtlingsströme
Wie es um die Globalisierung steht, erkennt man nicht nur daran, wie offen Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte weltweit sind. Dass es ihr gegenwärtig nicht gut geht, zeigt sich auch an den politischen Aktivitäten, Arbeitsmärkte protektionistisch gegen Zuwanderung abzuschirmen. Der Widerstand gegen Einwanderung ist ein zentrales Element vieler Programme populistischer Parteien. Für die Rechts-Populisten ist Einwanderung ein rotes Tuch. Links-Populisten, wie Podemos, Syriza oder die Fünf-Sterne-Bewegung, sind nicht grundsätzlich gegen Zuwanderung. Allerdings verteufeln griechische und spanische linke Populisten die Globalisierung. Sie haben wohl nicht verstanden, dass offene Güter- und Faktormärkte für einfache Arbeit substitutiv sind (hier).
Die weltweite Migration ist eine wichtige Wohlstandsmaschine. Alle beteiligten Länder stellen sich besser. Allerdings produziert die Immigration einfacher Arbeit auch Verlierer: Gering qualifizierte einheimische Arbeitnehmer. Das gilt kurzfristig selbst dann, wenn die Zuwanderung in Arbeit stattfindet. Mit der Einwanderung steigt das Arbeitsangebot. Es entsteht ein Druck auf die Löhne. Verhindern Mindestlöhne das, droht der Verlust von Arbeitsplätzen. Immigration verteilt zugunsten knapper inländischer Faktoren um. Vor allem Real- und Humankapital gewinnen. Die Anreize nehmen zu, in beide zu investieren. Das bekommt auch der Nachfrage nach einfacher Arbeit. Höhere Löhne für einfache Arbeit und mehr Arbeitsplätze für gering Qualifizierte sind die Folge. Trotz dieser positiven Zweitrunden-Effekte zählt einfache Arbeit zu den Verlierern (hier).
Der Import arbeitsintensiv produzierter Güter wirkt wie die Zuwanderung wenig qualifizierter Arbeit. Die Einkommen einheimischer Geringqualifizierter geraten mit der Einwanderung verstärkt unter Druck. Tatsächlich kommt es aber selbst in der kurzen Frist nicht ganz so schlimm. Einerseits übernehmen Zuwanderer oft Tätigkeiten, die inländische Arbeitnehmer nicht erledigen wollen. Andererseits übt die Immigration einen Druck auf einheimische Geringqualifizierte aus, verstärkt in ihr Humankapital zu investieren. Schließlich konkurrieren die Zuwanderer weniger mit „eingeborenen“ Einheimischen, sondern vor allem mit der „1. Generation“ von Zuwanderern. Trotzdem: Geringqualifizierte sind anfälliger für protektionistische Verheißungen der Populisten aller Parteien.
Horizontale Gleichheit
Es ist ökonomisch ein alter Hut: Globalisierung produziert Gewinner und Verlierer. Erst wenn die Gewinner die Verlierer entschädigen (Kaldor-Hicks) können und sich trotzdem besser stellen als zuvor, sind offene Märkte für ein Land per Saldo wohlfahrtssteigernd. Werden die Verlierer der Globalisierung nicht (ausreichend) entschädigt, wenden sie sich gegen das institutionelle Arrangement offener Märkte. Populisten nutzen diese verteilungspolitisch weiche Stelle der Globalisierung. Trotzdem sind die ökonomischen Erklärungen über Strukturwandel und Immigration unbefriedigend. Der strukturelle Wandel hat in den meisten Ländern den Zenit längst überschritten. Nicht so in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Das wirtschaftliche Wachstum erholt sich. Die Polarisierung hilft auch unteren Einkommensschichten. Warum also jetzt so viel Populismus?
Möglicherweise hat die wachsende Migration das Fass zum Überlaufen gebracht. Internationaler Handel ist personenfern. Es werden Güter getauscht. Das ist bei Migration anders. Es kommen Menschen mit eigenen Vorstellungen. Diese sind auch durch kulturelle Erfahrungen geprägt. Nicht immer passen sie mit denen der Einheimischen zusammen. Manchmal konvergieren sie nie. Das ist aber notwendig, wenn eine Gesellschaft funktionieren soll. Ein wichtiger Kitt ist das Sozialkapital. Es entsteht durch gegenseitiges Vertrauen. Das ist in homogenen Gesellschaften mit ähnlichem kulturellem Hintergrund leichter aufzubauen. Mit der massenhaften Zuwanderung werden Gesellschaften heterogener. Da es an Vertrauen fehlt, geht dort seit einiger Zeit die Angst um, dass Zuwanderung das Sozialkapital erodiert und die Gesellschaft destabilisiert (hier).
Und noch etwas spricht dafür, dass kulturelle Faktoren eine wichtige Rolle spielen: Die steigende horizontale Gleichheit. Die amerikanische Ökonomin Nora Lustig hat es so ausgedrückt: „More equality in three dimensions may be feeding a greater sense of unfairness, indignation, and impotence than the increase in income and wealth inequality: the rise of an African-American elite, the empowerment of women, and the legitimation of the gay community’s right to be treated as equals by the law.“ Die Zahl der Menschen wächst, die liberale Werte, wie Offenheit für Zuwanderung, Toleranz gegenüber anderen Religionen und Minderheiten oder Gleichberechtigung von Frauen, ablehnen. Das können wirtschaftlich „Abgehängte“ sein oder auch Menschen deren Sitten, Gebräuche und Regeln in den letzten Jahrzehnten gesellschaftlich an den Rand gedrängt wurden.
Zentralistische Tendenzen
Die Unterstützer populistischer Parteien eint noch etwas: Sie lehnen allesamt das politische Establishment ab. Das gilt für rechte wie linke Populisten, zumindest in den reichen Ländern des Westens. In den USA zeigte es sich in der für viele überraschenden Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten. Viele Wähler aus allen Schichten einte die Abneigung gegen das „korrupte“ Washington. Dieses Phänomen ist aber auch in Großbritannien seit langem zu beobachten. Mit dem Brexit wollten sich viele Briten von den Fesseln eines zentralistischen, ihrer Meinung nach nicht demokratischen Brüssels befreien (hier). Offensichtlich fühlen sich immer mehr Wähler mit ihren Sorgen und Nöten nicht mehr von den zentral agierenden, traditionellen Parteien repräsentiert. Die Politik ist oft viel zu weit weg von den Bürgern.
An dieser Entwicklung ist die Globalisierung nicht ganz unschuldig. Sie hat mit dazu beigetragen, dass zwar die Wohlstandsunterschiede zwischen den Ländern weltweit gesunken sind. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass die materiellen Unterschiede in den Ländern eher größer geworden sind. Das gilt auch für die EU. Mit der Osterweiterung wurde sie noch heterogener. Die wachsende Heterogenität in den Ländern zeigt sich aber auch an den Präferenzen der Bürger. Mit steigendem Wohlstand werden die individuellen Vorstellungen bunter. In einer offeneren, wohlhabenderen Welt lassen sich nicht nur die unterschiedlichen Vorlieben der Menschen besser ausleben. Es wird auch offenkundig, dass die Individuen unterschiedliche institutionelle Arrangements präferieren. Die massenhafte Zuwanderung verstärkt die Heterogenität.
Die Politik reagiert auf die heterogene Entwicklung falsch. Sie agiert immer öfter zentralistisch. Es ist unbestritten, dass es schwieriger wird, die heterogenen Präferenzen der Bürger unter einen Hut zu bringen. Wer allerdings auf größere Heterogenität mit Harmonisierung und Zentralisierung reagiert, handelt grundverkehrt. Er nimmt die Präferenzen der Bürger nicht ernst. Kein Wunder, dass sich die Wähler gegen das politische Establishment wenden. Eine adäquate Antwort ist mehr ökonomische und politische Autonomie der Regionen. Wettbewerblicher Föderalismus ist ein erster Schritt (hier). Die Regionen müssen mehr Freiräume bei Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen erhalten. Kompetenzen müssen klar zwischen Regionen und Zentralstaat verteilt werden. Viele Aufgaben sind zu dezentralisieren. Die jüngste Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen geht in die völlig falsche Richtung (hier). Deutschland ist auf dem Holzweg der Zentralisierung.
Fazit
Der Populismus verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Es spricht einiges dafür, dass die Globalisierung populistische Entwicklungen begünstigt. Wichtiger scheint allerdings der technische Fortschritt. Er meint es nicht gut mit einfacher Arbeit. Das Fass zum Überlaufen bringen aber die Migrationsströme in reiche Länder. Die Ökonomie erklärt aber nicht alles. Kulturelle Elemente spielen eine wichtige Rolle. Die Politik hat lange Vorstellungen einer größeren horizontalen Gleichheit installiert. Nun schlägt das Pendel zurück. Die populistische Bewegung ist der Auftakt eines „Kulturkampfes“ gegen den Wertewandel. An der Front sind nicht nur „Abgehängte“. Breite Schichten der Bevölkerung machen mit. Dabei kämpfen die Wutbürger auch gegen ein korruptes politisches Establishment, das zentralistisch agiert und heterogene Präferenzen der Bürger beiseiteschiebt. Kein Wunder, dass sich immer mehr Wähler von den traditionellen Parteien abwenden.
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Was ich vermisse ist die Rolle der Zentralbanken bei Globalisierung und Deindustrialisierung. Die EZB verhindert „what ever ist takes“ jede Abkehr von steter Inflation. Eine Abwärtskorrektur der Preise, von Arbeit bis Immobilien, ist unmögich die Zerstörung von Wettbewerbsfähigkeit unumkehrbar. So sind „wir“ gezwungen uns auf Premiumprodukte und „high tech“ Arbeitsplätze zu beschränken, als ob die Montagekosten von Mercedes in China nicht so günstig wären, wie die Ingenieurstunde. Die chinesische Zentralbank dagegen finanziert Wachstum aus dem „nichts“, inflationiert ihrerseits die Währung und verstärkt so gut es geht die Industrialisierung auf Kosten der Chinesen, d.h. deren internationaler Kaufkraft. Unsere Leistung wird künstlich verteuert, und China versucht künstlich billig zu sein. Gesunde Grenzen von Entwicklung interessieren nicht. (Ich weis…das ist alles verkürzt) Im Kern müssen sich alle Preise frei nach oben/unten anpassen dürfen…. In Brasilien war es ebenso, Produkte aus Korea waren billiger als heimische Fertigung. Als der reais dann endlich dorthin fiel wohin er gehört, ist das Land trotz verbilligerter Preise nicht fähig zu produzieren, so wie deindustrialiserte Gesellschaften die Fachleute verrenten und die Jungend in der Dienstleistung prekär verdienen lassen. Notenbanken manipulieren nicht nur Zinsen, Preise und Wohlstand sondern eben auch Industrialiserung.