„Immigration produziert stets Gewinner und Verlierer.“ (George Borjas)
Gegenwärtig verbreitet die Globalisierung medial wieder Angst und Schrecken. Es sind nicht mehr nur linke und rechte Spinner, die von einem marktfeindlichen Virus befallen sind. Immer öfter entwickeln sich auch weite Teile der Mittelschicht zu Wutbürgern gegen die Märkte. Weltweit offene Märkte werden zum Feindbild. Eine weitere Öffnung der Märkte stößt auf erbitterten Widerstand. Anti-CETA und Anti-TTIP sind die Zeichen an der Wand. Arbeitsplätze seien in Gefahr, Einkommen stünden auf der Kippe, Sozial- und Umweltstandards würden abgebaut. Kurzum: Die europäische Lesart der westlichen Zivilisation stehe auf dem Spiel. Zu allem Übel strömen nun auch noch massenhaft Flüchtlinge aus aller Welt nach Europa. Die Angst vor dem Fremden hat europaweit wieder Konjunktur. Sie macht sich an Vermutungen fest, dass die Löhne sinken würden, die Arbeitslosigkeit steigen und das europäische Sozialstaatsmodell zerstört würde. Diese Entwicklung ist brandgefährlich, ist sie doch der Humus für populistische Parteien von links und rechts. Die nüchterne Frage ist deshalb: Wie wirkt sich Zuwanderung tatsächlich auf den inländischen Wohlstand aus?
Migration ist nicht gleich Migration
In der kontroversen Diskussion um Zuwanderung geraten zwei Arten von Immigration oft durcheinander. Seit über einem Jahr steht die Immigration aus humanitären Gründen im Mittelpunkt. Eine wachsende Zahl von Menschen fürchten um ihr Leib und Leben. Grausame Bürgerkriege und Verletzungen der Menschenrechte sind die treibenden Kräfte hinter dieser Entwicklung. Das gilt nicht nur für Länder des Nahen und Mittleren Ostens, es trifft auch für viele Länder in Afrika zu. Die internationale Menschenrechtskonvention und nationale Asylgesetze regeln, wie mit diesen Flüchtlingen umzugehen ist. Eine Obergrenze kann es für sie nicht geben, auch nicht in der EU. Es sollte allerdings eine Reihenfolge der europäischen Hilfe eingehalten werden: Ursachenbekämpfung, Unterstützung der Binnenwanderung, Hilfe für die Aufnahme in sicheren (Nachbar-)Drittländern. Das reicht aber nicht. Die EU muss Asylberechtigte aufnehmen. Dabei kann es allerdings nicht so laufen wie bisher. Einige wenige schultern die Lasten, die meisten drücken sich (hier). Die EU muss einen Weg finden, die Lasten fairer aufteilen. Das Prinzip ist klar: „Geld oder Quote“.
Es gibt aber auch einen Strom von Migranten, die aus wirtschaftlichen Gründen ihre Länder verlassen. Die einen treibt die schiere wirtschaftliche Not. Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und grassierende Armut geben ihnen wenig Hoffnung. Andere emigrieren, weil sie auf ein besseres Leben hoffen. Sie wollen ihren Lebensstandard und den ihrer Familien verbessern. Weltweit offenere Märkte haben zwar den Prozess der wirtschaftlichen Konvergenz beschleunigt. Die ökonomischen Unterschiede sind trotz Globalisierung aber weiter beträchtlich. Empirische Untersuchungen zeigen, weltweit offene Arbeitsmärkte sind die wichtigsten Treiber des Wohlstandes (hier). Weit abgeschlagen folgen offene Güter- und als Schlusslicht offene Kapitalmärkte. Trotz des hohen Gewinnes an Wohlstand ist die Immigration weltweit umstritten. Die einen plädieren für weltweit offene Grenzen. Nur so könne es gelingen, den Wohlstand weltweit signifikant zu steigern. Die anderen setzen auf kontrollierte Zuwanderung. Sie sehen die Länder als Clubs. Nur die Immigranten sollen aufgenommen werden, die sich mit den Regeln der Clubs identifizieren. Die Entscheidung über den Weg liegt bei den Ländern.
Das Ideal: Niemand verliert
Die ökonomische Theorie ist eindeutig: Zuwanderung von Arbeit erhöht den Wohlstand im Gastland. Der Grund liegt auf der Hand. Mit der Immigration erhöht sich das Arbeitsangebot im Inland. Bei unverändertem Bestand anderer Faktoren (Kapital, Immobilien, Infrastruktur etc.) können mehr Güter und Dienste produziert werden. Der Wohlstand erhöht sich (Fläche ABA1Ao). Allerdings gibt es Gewinner und Verlierer. Mit dem höheren Angebot an Arbeit kommt es zu einem Druck auf die Löhne nach unten. Inländische Arbeit verliert durch die Zuwanderung. Auf der Seite der Gewinner stehen alle inländischen, kurzfristig fixen Faktoren, vor allem Realkapital und Immobilien (Fläche (l/p)oAB(l/p)1). Es wird von inländischer Arbeit zu diesen Faktoren umverteilt. Die Rendite des Kapitals steigt, die Preise für Immobilien erhöhen sich. Allerdings kann es zu „Überfüllungs-Effekten“ (Infrastruktur, Umwelt) kommen. Die Hauptgewinner sind allerdings die zugewanderten ausländischen Arbeitnehmer (Fläche CBA1Ao). Summa summarum erhöht sich der Wohlstand für Inländer um die „Zuwanderungs-Rente“ (Fläche ABC).
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Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte. Die wirtschaftlichen Akteure im Einwanderungsland reagieren auf die Zuwanderung von Arbeit. Mit der Immigration wird Arbeit relativ zu den anderen Faktoren (Kapital, Immobilien etc.) reichlicher. Es kommt zu einer Umverteilung zugunsten dieser Faktoren und zu Lasten der Arbeit. Die Anreize steigen, in Realkapital und Immobilien zu investieren. Jeder Arbeitsplatz wird mit mehr von ihnen ausgestattet. Arbeit wird produktiver. Die Arbeitsnachfragekurve verschiebt sich nach rechts. Bei einer Produktionsfunktion mit konstanten Skalenerträgen kommt dieser Prozess längerfristig erst zum Stillstand, wenn wieder die alten Preisrelationen erreicht sind. Das ist in Punkt D der Fall. Dort wird der „alte“ Reallohn erreicht. Inländische Arbeit hat ihre alte Einkommensposition erreicht. Die Zuwanderung produziert keine Verlierer, zumindest nicht langfristig. Hauptgewinner sind die Zuwanderer (Fläche AoA1DA). Gewinner sind auch alle anderen inländischen Faktoren. Ihr Gewinn entspricht der Fläche oberhalb des Reallohnes (l/p)o zwischen alter und neuer Arbeitsnachfragekurve.
Die Realität: Einfache Arbeit verliert
Die reale Welt ist komplexer. Einwandernde Arbeit ist heterogen. Die Qualifikation der Zuwanderer reicht von sehr einfach bis hoch qualifiziert. Eines gilt aber immer: Egal wer in Arbeit zuwandert, das inländische Sozialprodukt steigt. Der Widerstand ist groß, wenn gering qualifizierte Arbeit einwandert. Mit dem größeren Angebot an Arbeit geraten die Löhne für einfache Arbeit unter Druck. Das Einkommen inländischer Geringqualifizierter sinkt, zumindest in der kurzen Frist. Dieses Ergebnis wird auch langfristig nicht voll kompensiert. Mit der Zuwanderung wird zwar von einfacher Arbeit zu Kapital und besser qualifizierter Arbeit umverteilt. Das erhöht auch die Anreize, mit inländischem oder ausländischem Kapital verstärkt in Realkapital und Humankapital zu investieren. Das hilft der Produktivität einfacher Arbeit allerdings nur bedingt. Qualifiziertere Arbeit und Realkapital substituieren oft einfache Arbeit. Das schwächt den positiven Effekt und nagt an der Nachfrage nach gering qualifizierter Arbeit. Die Kurve der Nachfrage nach einfacher Arbeit verschiebt sich zwar nach rechts. Allerdings ist der Effekt eher bescheiden.
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Ganz so schlecht, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist die Lage für einfache Arbeit allerdings nicht. Sie reagiert auf die Zuwanderung (hier). Damit hat sie Erfolg, wenn die Immigranten möglichst wenig in Konkurrenz zu den Einheimischen treten. Eine erste Strategie besteht darin, auf besser bezahlte Jobs auszuweichen. Oft erledigen Zuwanderer die Arbeiten, die Einheimische nicht machen wollen. Dabei nutzen sie den komparativen Vorteil der eigenen Sprache. In einer zweiten Reaktion investieren einheimische Geringqualifizierte erst unter dem Druck der Zuwanderer verstärkt in Humankapital. Das mildert den Druck auf ihre Löhne. Beide Strategien haben allerdings nicht immer Erfolg. Zuwanderer werden nicht immer Komplemente für Einheimische. Aber auch dann kommt „eingeborene“ einfache Arbeit oft mit einem blauen Auge davon. Die „neue“ Generation von Zuwanderern verdrängt die „alte“ Generation von Immigranten. Alles in allem verschiebt sich die Arbeitsnachfragekurve langfristig nach rechts. Allerdings wird meist nicht mehr der alte Reallohn vor der Zuwanderung erreicht. Einfache Arbeit verliert.
Der Weg: Die Mischung macht’s
Der Widerstand gegen die Zuwanderung qualifizierter Arbeit ist überall wesentlich weniger ausgeprägt. Mit (hoch) qualifizierter Arbeit kommt ein wichtiger Treiber für wirtschaftliches Wachstum ins Land. Die „Facharbeiter-Lücke“ kann verringert, das Innovationspotential vergrößert werden. Der Wohlstand steigt. Kurzfristig übt der Zustrom von Humankapital einen Druck auf die Löhne qualifizierter Arbeit im Inland aus. Es wird von einheimischer qualifizierter Arbeit zu Realkapital umverteilt. Damit steigen längerfristig die Anreize, verstärkt in Kapital zu investieren. In der Realität besteht ein ausgeprägter komplementärer Zusammenhang zwischen Kapital und Fähigkeiten. Die Arbeitsnachfragekurve für qualifizierte Arbeit verschiebt sich nach rechts. Der kurzfristige Rückgang der Löhne einheimischer Hochqualifizierter wird wieder wettgemacht. Ob er vollständig kompensiert (Pkt. D) oder sogar überkompensiert (Pkt. E) wird, hängt davon ab, wie ausgeprägt die Kapital-Fähigkeiten-Komplementarität ausfällt. Es spricht empirisch vieles dafür, dass die einheimische qualifizierte Arbeit durch Zuwanderung zumindest nicht verliert.
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Eine Vielzahl empirischer Untersuchungen zeigt zweierlei: Der Einfluss der Zuwanderung auf Löhne und Beschäftigung aller Einheimischen ist meist eher gering. Ein kurzfristig eher negativer Effekt auf die Löhne wird längerfristig (10 Jahre) durch Anpassungen im Einwanderungsland wieder ausgeglichen. Einzelne Gruppen von Arbeitnehmern werden allerdings unterschiedlich getroffen. Einfache Arbeit zählt eher zu den Verlierern, wenn weniger Qualifizierte, qualifizierte Arbeit gewinnt meist, wenn Qualifizierte zuwandern. Das gilt für Löhne und Beschäftigung (hier). Die neuralgischen Aspekte liegen auf drei Ebenen: Politische Maßnahmen zum Schutz einfacher Arbeit vor Zuwanderung verschärfen deren Probleme. Vielfältige Regulierungen auf Güter- und Kapitalmärkten hemmen die Anpassung über Investitionen in Real- und Humankapital an die Zuwanderung. Schließlich verstärken geringere Barrieren bei der Einwanderung hochqualifizierter Arbeit die positiven Komplementaritäten zwischen qualifizierter und einfacher Arbeit. Wichtig ist bei der Zuwanderung somit auch der Mix von qualifizierter und einfacher Arbeit.
Gut gemeint ist nicht gut
Die massenhaften Flüchtlingsströme produzieren Widerstände in reichen Ländern. Vor allem einfache Arbeit bangt um ihre Einkommen, weil die Löhne sinken oder sie ihre Arbeitsplätze verliert. Die Politik versucht diesen Gruppen, mit denen es die Globalisierung grundsätzlich nicht gerade gut meint, Schutz zu bieten. Damit will sie auch verhindern, dass populistische Parteien versuchen, Honig zu saugen. Ein in breiten Schichten der Bevölkerung populäres Mittel sind gesetzliche Mindestlöhne, ein anderes verschärfte Regeln des Kündigungsschutzes. Beide wirken kontraproduktiv. Mit der Einführung von Mindestlöhnen verzichtet ein Land auf steigenden Wohlstand durch Zuwanderung. Wandert einfache Arbeit zu, bleibt für die Einheimischen zunächst alles beim Alten (Pkt. A). Die Löhne ändern sich nicht, die Beschäftigung bleibt unverändert, eine Umverteilung zu ihren Lasten und zugunsten kurzfristig fixer Faktoren (Kapital, Immobilien etc.) findet nicht statt. Ein Land lebt unter seinen Möglichkeiten, wenn es bei Immigration auf den regulatorischen Weg setzt. Die Wohlfahrtsgewinne bleiben trotz Zuwanderung aus.
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Ein Zuwanderungsland, das sich auf diesen interventionistischen Irrweg begibt, zahlt einen hohen Preis. Mit gesetzlichen Mindestlöhnen verwehrt es vor allem gering qualifizierten Einwanderern eine reguläre Beschäftigung und die Aussicht auf Qualifizierung. Eine hohe Arbeitslosigkeit (AoA1) unter Immigranten ist die zwangsläufige Folge. Sie schaffen keinen Wohlstand, sondern wandern schnurstracks in den Sozialstaat. Damit stellen sich zwar die Zuwanderer materiell besser als in ihren Heimatländern. Die Lasten müssen allerdings von Einheimischen getragen werden. Für sie entsteht ein Wohlstandsverlust durch Zuwanderung. Es wird von Einheimischen an Zuwanderer umverteilt. Sind die Zuwanderer erst einmal Leistungsempfänger des Sozialstaates, ist ihr arbeitsmarktpolitisches Schicksal meist besiegelt. Sie geraten in die Falle des sozialen Mindestlohnes (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II). Aus ihr gibt es meist kein Entkommen (hier). Sie sind für den Arbeitsmarkt verloren. Ohne wirksame Integration in den Arbeitsmärkt wächst aber die Gefahr von Sozialstaatsdynastien und Parallelgesellschaften. Mit den Lasten der Zuwanderung kann sich die Arbeitsnachfragekurve nach links verschieben. Das hängt davon ab, wie die Lasten finanziert werden. Dann können auch Einheimische arbeitslos werden.
Fazit
Weltweite Migration ist eine starke Wohlstandsmaschine. Sie funktioniert aber nur, wenn die Wanderung den nationalen Unterschieden im Wohlstand folgt. Dann profitieren Zu- und Abwanderungsländer. Der Motor ist ein selektiver Prozess der „schöpferischen Zerstörung“. Alte Strukturen werden geschliffen, neue entstehen, oft allerdings zeitlich verzögert. Mit der Zuwanderung steigt der inländische Wohlstand. Allerdings gibt es Gewinner und Verlierer, zumindest kurzfristig. Vor allem einfache Arbeit steht erst einmal auf der Verliererseite. Allerdings passen sich die Länder an die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten an, die durch Migration entstehen. Vor allem Investitionen in Real- und Humankapital treiben diesen Prozess. Aber auch nach einer Dekade sind die kurzfristigen Verluste meist noch nicht vollständig ausgeglichen. Das liegt auch daran, dass Güter- und Faktormärkte oft nicht gut funktionieren. Staatliche Eingriffe behindern. Ernsthafte Probleme entstehen, wenn die Zuwanderung in die sozialstaatliche Hilfe erfolgt. Wettbewerbliche Arbeitsmärkte und anreizkompatible Sozialstaaten sind unverzichtbar, damit dies nicht passiert und die Zuwanderung in mehr „Wohlstand für Alle“ transformiert wird.
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Zuwanderung und Sozialstaat schließen sich aus. Der Sozialstaat hat das konservative Ziel „schöpferische Zerstörung“ zu verhindern und festigt bestehende Strukturen – oder waren die Versuche dt. Prekariat aus dem sozialen Netz heraus zu fördern jemals erfolgreich? Dazu der Soziologe Prof. Erich Weede in der BdK: https://www.youtube.com/watch?v=2XOWKWrtt2U&feature=youtu.be&t=28m20s
Oder der Soziologe Gunnar Heinsohn:
https://www.welt.de/debatte/article6305249/Der-Sozialstaat-pumpt-Geld-und-vermehrt-die-Armut.html
Wer so gute Artikel schreibt, den sollte die Uni Würzburg für immer behalten!