„Nichts ist so beständig wie der Wandel.“ (Heraklit von Ephesus)
Den Menschen in Deutschland geht es so gut wie lange nicht. Auf den Arbeitsmärkten herrscht quasi Vollbeschäftigung. Immer öfter kommen auch Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit und Brot. Das wirtschaftliche Wachstum hat sich wieder berappelt. Weltweit fällt es niedriger als als in Zeiten des Wachstumsbooms. Es ist allerdings höher als fast überall in der EU. Die Europäische Zentralbank sucht verzweifelt nach Inflation. Trotz unkonventioneller Geldpolitik wird sie nicht fündig. Die Steuerquellen sprudeln wie nie zuvor. Der Finanzminister weiß nicht wohin mit dem vielen Geld. Er kommt immer öfter auf dumme Gedanken. Gemäkelt wird allenfalls vom DIW und anderen Linken an der wirtschaftlichen Ungleichheit. Allerdings sind die Netto-Einkommen hierzulande weniger ungleich verteilt als anderswo. Der Staat verteilt massiv Einkommen um, von oben nach unten. Es läuft also ökonomisch in Deutschland gegenwärtig vieles rund. Allerdings wird immer öfter die Frage laut: Hält diese positive wirtschaftliche Entwicklung an oder ist Deutschland in einer Blase, die bald platzen wird? Wie es weiter geht, hängt davon ab, wie Deutschland mit den vielen ungelösten Herausforderungen fertig wird, die auf uns warten.
Ökonomische Herausforderungen
Noch lebt Deutschland ökonomisch fast wie im Schlaraffenland. Das muss allerdings nicht so bleiben. Es kommt darauf an, wie wir mit den Herausforderungen umgehen. Und die sind nicht ohne. Die Erfahrung zeigt, die größten wirtschaftspolitischen Fehler werden in wirtschaftlich guten Zeiten gemacht. Die Herausforderungen sind schnell aufgezählt: Demographie, Strukturwandel, Ungleichheit, Europa und Migration. Eine der wichtigsten Veränderung ist demographisch. Seit langem werden weniger Kinder geboren, die Ausbildungszeiten verlängern sich, die vorzeitige Verrentung geht weiter, die Lebenserwartung nimmt ständig zu. Deutschland war lange ein Nachzügler bei der Erwerbstätigkeit der Frauen. Das hat sich geändert. Deutschland ist bei Zuwanderern weiter beliebt, wirtschaftlich und humanitär. Der demographische Wandel löst beinharte Verteilungskämpfe aus. Sie werden inter-personell vor allem über die (Lohn)Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten und inter-generativ in den umlagefinanzierten Systemen der Sozialen Sicherung ausgetragen.
Der strukturelle Wandel ist eine weitere Herausforderung. Deutschland profitiert übermäßig stark von seinen „alten“ Industrien. Das wird sich ändern. Der Wissenssektor wird weiter gewinnen, der Industriesektor weiter verlieren. Inter-sektoral wird ein (südwest-)deutscher „Rostgürtel“ entstehen. Industrielle Arbeitsplätze werden in großer Zahl verschwinden. Im Dienstleistungssektor werden viele neue geschaffen. Das Hauptproblem ist weniger die Zahl der Arbeitsplätze, sondern der inter-sektorale Mismatch. Schmerzhafte Anpassungen von Arbeitnehmern und Unternehmen sind unvermeidlich. Aber auch intra-sektoral wird sich einiges ändern. Unternehmen entwickeln sich heterogener. Es spricht vieles dafür, dass große „Super-Unternehmen“ gewinnen. Der Mittelstand wird leiden und mit ihm die Facharbeiter. Die Struktur der Arbeitsnachfrage wird sich ändern. Routine-Arbeiten werden verlieren, kognitive Arbeiten gewinnen. Verlierer sind vor allem Geringqualifizierte, Gewinner primär Hochqualifizierte. Der unaufhaltsame Prozess der Digitalisierung wird diese Entwicklung verstärken, inter- und intra-sektoral.
Ein weiterer Stolperstein sind Ungleichheiten von Einkommen und Vermögen. Allerdings ist der Höhepunkt bei den Einkommen wohl überschritten. Seit Mitte der 90er Jahre haben sich die funktionellen, personellen und regionalen Ungleichheiten spürbar erhöht. Dieser Prozess scheint zum Stillstand gekommen zu sein. Die Lohnquote stabilisiert sich auf niedrigerem Niveau. Der Gini-Koeffizient der Netto-Einkommen steigt nicht weiter. Auch die regionale Divergenz scheint nicht weiter voranzuschreiten. Das muss allerdings nicht so bleiben. Es spricht vieles dafür, dass die Digitalisierung die Lohnquote weiter nach unten treibt. Der verstärkte Einsatz von Robotern verstärkt die Position der Kapitaleigner. Auch der Gini-Koeffizient könnte wieder steigen. Vor allem Hochqualifizierte profitieren von der Digitalisierung. Sehr ungleich verteilt sind in Deutschland allerdings die Vermögen. Das wird sich kaum ändern. Es sei denn, die Kapitalbildung der Arbeitnehmer erhöht sich grundlegend. Mehr Mitarbeiterbeteiligungen, verstärkte Bildung von Wohnungseigentum und mehr private Alterssicherung könnten für Abhilfe sorgen.
Europa ist für Deutschland eine weitere große Herausforderung. Durch die EU gehen tiefe Risse. In der Währungsfrage spalten sie Nord und Süd, in der Flüchtlingsfrage sind sich Ost und West nicht grün, in Fragen der nationalen Souveränität will Großbritannien künftig wieder selbst entscheiden. Die tiefen Risse in der EU zeigen, die bisherige Strategie „immer mehr (zentraleres) Europa“ ist gescheitert. In der Vergangenheit wurden Meinungsverschiedenheiten meist durch (deutsches) Geld zugekleistert. Das geht nicht mehr. Die Geberländer wehren sich, immer wieder zur Kasse gebeten zu werden. Und die Nehmerländer wollen sich ihr Tun nicht von anderen vorschreiben lassen. Auf diesem Humus gedeihen links- und rechts-populistischen Parteien. Der steigende Wohlstand bringt es mit sich, dass die Präferenzen der Bürger heterogener werden. Wird dieser differenzierten Entwicklung nicht durch dezentralere Lösungen besser Rechnung getragen, wenden sich die Menschen von der EU ab. Ein Wechsel der Integrationsstrategie ist notwendig.
Die jüngste Herausforderung ist die Migration. Seit dem Jahr 2014 rollt eine Welle der Zuwanderung auf Europa zu. Die Migranten kommen aus unterschiedlichen Gründen. Die einen wollen der Armut in ihren Ländern entfliehen. Sie hoffen in Europa auf bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Die anderen fürchten in ihren Ländern um Leib und Leben. Sie suchen in Europa erstmal Zuflucht vor Bürgerkrieg und Verfolgung. Deutschland ist in Europa das Land, das (absolut) die meisten Migranten anzieht (hier). Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Die Wohlstandsunterschiede zwischen den armen Herkunftsländern und dem reichen Kerneuropa werden hoch bleiben. Weltweite Klimaveränderungen werden die Kluft noch vergrößern. Die Arbeitsmigration wird hoch bleiben. Wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln, ist dagegen unklar. Weltweite Vertreibung ist nicht prognostizierbar. So oder so hat Deutschland mit zwei Problemen zu kämpfen. Gelingt es, die Zuwanderer in den Arbeitsmarkt zu integrieren? Wie hoch fallen die Lasten für den Sozialstaat aus, wenn dies nicht gelingt? Beides birgt politischen Sprengstoff.
Sinnvolle Antworten
Der demographische Wandel wirkt sich auf viele Bereiche aus. Am stärksten trifft er die umlagefinanzierten Systeme der Sozialen Sicherung, vor allem die Alterssicherung. Ein finanzielles Gleichgewicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung erfordert viererlei: Lasten müssen ausgelagert, verringert, getragen und tragbar gemacht werden (hier). Umverteilungspolitische Lasten haben in einem äquivalenzorientierten System nichts zu suchen. Sie müssen in das Steuer-Transfer-System ausgelagert werden. Demographische Lasten müssen, so gut es geht, verringert werden. Dabei sollte die Regelaltersgrenze von 67 Jahren automatisch an die Entwicklung der weiter steigenden Lebenserwartung angepasst werden. Der größte Teil der nicht wegreformierbaren demographischen Lasten muss von Erwerbstätigen und Rentnern getragen werden. Die Beiträge müssen steigen, das Rentenniveau muss sinken. Wie die Lasten inter-generativ aufgeteilt werden, darüber muss die Gesellschaft mehrheitlich entscheiden. Schließlich müssen demographische Lasten tragbarer gemacht werden. Die Erwerbstätigen müssen verstärkt private Vorsorge treffen.
Eine sinnvolle Antwort auf die Herausforderungen des Strukturwandels lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Keine traditionelle Strukturpolitik, aber eine Politik für den Strukturwandel (hier). Es gibt keinen Grund, den strukturellen Wandel aufzuhalten. Er ist der Motor unseres Wohlstandes. Staatlicher Schutz, wie Subventionen oder Protektionismus, ist verfehlt. Industriepolitische Aktivitäten zugunsten bestimmter Sektoren und Technologien sind eine Anmaßung von Wissen. Die Anpassung an den inter- und intra-sektoralen Wandel wird leichter, wenn die Märkte offen sind. Güter- und Dienstleistungsmärkte müssen weiter geöffnet, Kapitalmärkte stärker internationalisiert und Arbeitsmärkte flexibilisiert werden. Für Arbeitnehmer und Unternehmen wird es leichter, in neue Verwendungsarten zu kommen. Den Verlierern des Strukturwandels muss geholfen werden. Die traditionellen Waffen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind stumpf. Wirksame Hilfe können nur Investitionen in Humankapital bieten, im Kindergarten, der Schule, der beruflichen Ausbildung, der Hochschule und der Weiterbildung „on the job“.
Das traditionelle Mittel gegen Ungleichheit von Einkommen und Vermögen ist die staatliche Umverteilung. Es ist aber wegen seiner allokativen Risiken und Nebenwirkungen umstritten. Unstrittig ist, dass Umverteilung im Kampf gegen Armut unerlässlich ist. Allerdings sollte die Hilfe anreizverträglich sein. Die „aktivierende Sozialhilfe“ ist eine Antwort (hier). Weitere umverteilungspolitische Eingriffe sind nicht nur normativ strittig. Allokative Risiken setzen staatlicher Umverteilung auch enge Grenzen. Ein effizienteres Instrument ist mehr soziale Mobilität. Bildung und Arbeit sind das Maß aller Dinge. Es nimmt Menschen den Missmut gegen ungleich verteilte Einkommen. Unerwünschte allokative Nebenwirkungen treten nicht auf. Ein Ärgernis sind für viele die sehr ungleich verteilten Vermögen. Erhebliche allokative Risiken machen staatliche Umverteilung unattraktiv. Eine Vermögenssteuer ist ein relativ ineffizientes Mittel. Wirksamer ist mehr „Vermögen für alle“. Eine verstärkte private Vorsorge fürs Alter und mehr Mitarbeiterbeteiligung breiter Schichten (hier) sind erste Schritte zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Vermögen.
Die EU war ein Motor für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Davon hat auch Deutschland profitiert. Aber Europa wird heterogener (hier). Darauf muss die EU eine Antwort finden. Die Risse müssen sich wieder schließen. Wichtige Entscheidungen stehen an. Die Mitglieder müssen erstens entscheiden, ob sie eine Politische Union oder ein Europa der Vaterländer anstreben. Gegenwärtig spricht der Widerstand gegen einen weiteren Verlust an nationaler Souveränität für den zweiten Weg. Die EU muss zweitens klar entscheiden, wie die Kompetenzen vertikal in Europa verteilt werden. Es muss das Prinzip der institutionellen Kongruenz gelten. Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen müssen in eine Hand. Das gilt auch für die Flüchtlingspolitik. Sie muss auf europäischer Ebene organisiert werden. Schließlich muss drittens die EWU, neben dem Binnenmarkt ein Herzstück der EU, stabilisiert werden. Handlung und Haftung dürfen nicht weiter auseinanderfallen. Der Haftungsausschluss muss ohne „Wenn und Aber“ gelten. Gelingt dies nicht, wird die EWU und mit ihr die EU zerfallen. Deutschland wäre einer der größten Verlierer.
Mehr Effizienz ist auch in der Zuwanderungspolitik möglich. Die Arbeitsmigration ist von der humanitären Zuwanderung zu trennen. Es liegt an den Aufnahmeländern, welche Arbeitsmigranten sie ins Land und auf ihre Arbeitsmärkte lassen. Die Kriterien kann jedes Land in eigener Regie festlegen. Deutschland sollte Migranten aufnehmen, die Qualifikationen haben, die hierzulande knapp sind. Gefragt dürften (auch) Zuwanderer mit Fähigkeiten sein, die den Mangel an heimischen Fachkräften verringern. Die Arbeitsmigration bringt den Zuwanderungsländern erhebliche unausgeschöpfte Wohlfahrtsgewinne. Das ist bei der zweiten Gruppe, den Asylbewerbern, eher zweifelhaft. Sie stellen für die Aufnahmeländer oft eine Last dar, die aus humanitären Gründen getragen werden muss. Die Asylpolitik ist eine zentrale Aufgabe der EU. Sie muss einheitliche Kriterien festlegen, nach denen Asyl gewährt wird. Am sinnvollsten sind zentrale Aufnahmezentren möglichst nahe an den Heimatländern der Asylsuchenden. Die Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Ursprungsländer zählt zu den zentralen Aufgaben. Noch heikler ist es allerdings für die EU-Instanzen, die anerkannten Asylbewerber auf die EU-Länder zu verteilen. Die gesamte Asylpolitik muss entweder durch Beiträge der Mitglieder der EU oder über eigene zweckgebundene finanzielle Mittel der EU finanziert werden.
Politische Reaktionen
Auf die demographischen Herausforderungen reagiert die Politik typisch polit-ökonomisch, zugunsten der Alten. Die letzten sinnvollen Reformen hat „Rot-Grün“ unter Gerhard Schröder ins Werk gesetzt (hier). Seither wird rentenpolitisch gemurkst. Der GRV werden immer neue umverteilungspolitische Lasten aufgehalst. Die „Mütterrente“ wird stetig ausgeweitet, die abschlagsfreie Rente mit 63 wurde installiert, an einer „Lebensleistungsrente“ fern aller äquivalenztheoretischen Prinzipien bastelt die GroKo. Den einfachsten und gerechtesten Weg, die demographischen Lasten spürbar zu verringern, verbaut die GroKo. Die SPD weigert sich, die Regelaltersgrenze von 67 der steigenden Lebenserwartung anzupassen. Rot-Grün hatte den „Da Vinci-Code“ der Alterssicherung – 22-43-67-4 – gefunden. Er sollte die Lasten gerecht verteilen. Auch davon will die SPD nichts mehr wissen. Sie will mit zwei Haltelinien – 20 und 48 – Beitragszahler und Rentner von Lasten verschonen. Da sie die Regelaltersgrenze partout nicht über 67 erhöhen will, werden die Steuerzahler zur Kasse gebeten. Sie sollen die finanziellen Löcher in der GRV stopfen. Allokative Fehlentwicklungen sind bei steigender Steuer- und Abgabenbelastung unvermeidlich.
Im Prozess des Strukturwandels betreibt die Politik weiter traditionelle Strukturpolitik, aber nur wenig Politik für den Strukturwandel. Noch immer steht für sie der industrielle Sektor im Zentrum ihres wirtschaftspolitischen Handelns. Alte Strukturen werden mit Subventionen gepäppelt und staatlicher Protektion begünstigt. Damit wird viel Geld verbrannt, Märkte werden abgeschlossen. Industrielle Arbeitsplätze verschwinden trotzdem, die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer leidet weiter. Mit einer konzentrierten Industriepolitik, die vor allem Cluster-Politik ist (hier), setzt die Politik auf „zukunftsträchtige“ Technologien, Unternehmen und Regionen. Der Staat maßt sich ein Wissen an, das er nicht hat. Erfolgreich ist sie in den seltensten Fällen. Cluster-Politik leidet unter dem „MITI-Syndrom“: Entweder ist sie irrelevant oder kontraproduktiv. Fehlanreize sind programmiert, der Wettbewerb wird verzerrt, Strukturen werden konserviert. Und der Kampf um die Fleischtöpfe der Clusterförderung verstärkt „rent seeking“. Die Gefahr ist groß, dass die Politik zu Ausgaben neigt, die keinen volkswirtschaftlichen Nutzen stiften.
Auch im Kampf gegen die Ungleichheit agiert die Politik unglücklich. Sie setzt zu stark auf staatliche Umverteilung und zu wenig auf soziale Mobilität. Die Umverteilung ist vor allem polit-ökonomisch motiviert. Hauptbegünstigte ist nicht die kleine Gruppe der Armen, sondern die größere Mittelschicht. Umverteilt wird primär in der Mittelklasse von den nicht ganz Reichen zu den nicht ganz Armen. Das ist weder effizient noch „gerecht“. Auch der Kampf gegen Armut wird ineffizient geführt. Das gilt vor allem für die Grundsicherung in der Erwerbsphase. Hartz IV ist nicht anreizkompatibel. Die Transferentzugsrate ist zu hoch. Sie verringert das individuelle Arbeitsangebot. Dazu kommt, dass die vielen sozialen Leistungen oft nicht aufeinander abgestimmt sind. Ein Euro mehr an Brutto-Einkommen kann das Netto-Einkommen schmälern. Das tut den Arbeitsanreizen nicht gut. Die Politik konzentriert sich zu stark auf Umverteilung. Die soziale Mobilität wird stiefmütterlich behandelt. Nach wie vor investiert die Politik viel zu wenig in Bildung. Kindergärten, Schulen und Universitäten sind unterfinanziert. Hier gilt es anzusetzen, um Ungleichheit wirksam zu bekämpfen.
Das europäische Projekt läuft aus dem Ruder. Deutschland trägt dazu entscheidend bei. Das Herzstück, der europäische Binnenmarkt, wird vernachlässigt. Die Arbeitsmärkte funktionieren weiter nur unzulänglich, die Kapitalmärkte werden national wieder desintegriert, die Dienstleistungsmärkte sind weiter schwer zugänglich. Das politische Prestigeobjekt, die EWU, entwickelt sich zu einem Sprengsatz für Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa. Das Grundprinzip, der Haftungsausschluss, wird fortwährend verletzt. Fiskalische und monetäre Rettungsschirme weichen die Budgetrestriktion auf. Moral hazard ist unausweichlich. Das ist ein Sprengsatz für den Euro. Und noch etwas läuft völlig schief. Die EU entwickelt sich zunehmend zentralistisch. Von Föderalismus ist wenig zu sehen. Wo er allerdings auftritt, steht er oft auf dem Kopf. Aufgaben, wie etwa die Agrarpolitik, die dezentral zu regeln wären, sind zentralisiert. Bei andere Aufgaben, wie der Sicherheits- oder Flüchtlingspolitik, die zentral organisiert werden sollten, haben nach wie vor die Mitgliedsstaaten das Sagen. Europa ist integrationspolitisch neben der Spur.
Auch in der Zuwanderungspolitik unterliefen der Politik schwere Fehler. Die EU hat in der Flüchtlingspolitik einen konsistenten Plan, die Dublin-Verträge. Das Land in der EU, das die Asylbewerber zuerst betreten, ist zuständig für das Verfahren. Wird Asyl gewährt, gilt die Personenfreizügigkeit. Ansonsten droht die Abschiebung. Das ist allerdings ein Schönwetter-Modell für Zeiten mit wenig Migration. Bei schlechtem Wetter mit massenhafter Zuwanderung versagt es. Drei Länder, Griechenland, Italien und Spanien, tragen die Hauptlast. Der Versuch, die Asylbewerber „gerechter“ auf die EU zu verteilen, scheiterte kläglich. Im Jahre 2015 entschied sich die Bundesregierung, die Dublin-Verträge zu verletzen. Das blieb nicht ohne Folgen, ökonomisch und politisch. Die direkten finanziellen Lasten sind erheblich, der Druck auf die Arbeitsmärkte nimmt nach der Anerkennung zu, die Lasten für den Sozialstaat steigen signifikant. Deutschland hat bis heute kein Einwanderungsgesetz. Arbeitsmigration und Asyl werden vermischt. Asylbewerber werden wie Arbeitsmigranten behandelt. Das ist wenig effizient. So gelingt es nicht, die Zuwanderer auszuwählen, die für Deutschland ökonomisch ertragreich wären.
Italienische Verhältnisse?
Die Herausforderungen werden Deutschland nicht nur ökonomisch zusetzen, sie werden uns auch politisch nicht gut bekommen. Weitere tektonische Verschiebungen in der politischen Landschaft sind zu erwarten. Ein Teufelskreis kommt in Gang. Die Politik hat die „richtigen“ Antworten auf die demographischen, strukturellen, distributiven und europäischen Herausforderungen lange verschleppt. Der demographische Wandel lässt sich nicht mehr aufhalten. Es geht vor allem darum, die Lasten „gerecht“ zu verteilen. Die „alten“ Industrien haben ihre Zukunft hinter sich, sie werden weiter schrumpfen. Der hochgelobte deutsche Mittelstand wird leiden und mit ihm die (männlichen) Facharbeiter. Mit der Welle der Digitalisierung wird die Ungleichheit eher größer als kleiner. Damit wird auch Armut im Alter für gering qualifizierte Arbeitnehmer wahrscheinlicher. Spätestens mit dem Brexit ist die Europäische Union ein Projekt auf Widerruf. Die Angst der Bürger vor weiteren Verlusten an nationaler Souveränität und der Widerstand der Bürger in den Zahlerländern gegen steigende finanzielle Transfers an die Empfängerländer werden der EU schwer zusetzen.
Mit der „märchenhaften“ wirtschaftlichen Entwicklung des letzten Jahrzehnts wurde die Politik zu allem Überfluss auch noch übermütig. Sie hat sich zu falschen Reaktionen auf die demographischen, strukturellen, distributiven und europäischen Herausforderungen verleiden lassen. Das wird zu Lasten unseres Wohlstandes gehen. Die demographischen Lasten in der Alterssicherung stärker über Steuern künftigen Generationen aufzubürden, beeinträchtigt das individuelle Arbeitsangebot. Weiter mit industriepolitischen Aktivitäten überkommene sektorale Strukturen zu zementieren, behindert den Prozess der schöpferischen Zerstörung. Auf mehr staatliche Umverteilung zu setzen und die soziale Mobilität stiefmütterlich zu behandeln, verstärkt destruktive Verteilungskämpfe. In Europa auf eine (französische) Wirtschaftsregierung zu bauen und eine Haftungsgemeinschaft zu akzeptieren, behindert den institutionellen Wettbewerb in Europa. Das alles tut dem wirtschaftlichen Wachstum nicht gut. Die Gefahr ist groß, dass Deutschland wirtschaftlich in Schwierigkeiten kommen wird. Es steht zudem zu befürchten, dass diese Risiken zeitlich konzentriert auftreten. Ein Ketchup-Effekt ist wahrscheinlich.
Die Zeiten werden ökonomisch unruhiger. Das wird auch das Parteiengefüge in Deutschland durchrütteln. Erste tektonische Verwerfungen sind sichtbar. Eine Mitschuld trägt die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Der massenhafte Zustrom von Asylbewerbern hat das Fass politisch zum Überlaufen gebracht. Mit den Migranten verschärfte sich der Konflikt um unterschiedliche Werte, um knappe Arbeitsplätze und um soziale Leistungen. Populistische Parteien befürchten, eine heterogenere Bevölkerung erodiere das Sozialkapital einer Gesellschaft (hier). Darunter würden die Einheimischen leiden. Mit der Zuwanderung steige das Angebot auf den Arbeitsmärkten. Der Druck auf die Löhne wachse, die Arbeitslosigkeit nähme wieder zu. Die Dummen seien heimische (geringqualifizierte) Arbeitnehmer. Die Kritiker befürchten, dass Asylbewerber verstärkt in den „unterfinanzierten“ Sozialstaat einwandern. Das koste viel Geld und gehe zu Lasten der heimischen Beitrags- und Steuerzahler. Aus diesem Gemisch von wirtschaftlichen Veränderungen, Vorurteilen und Angst saugen vor allem populistische Parteien immer wieder Honig. In (Ost)Deutschland hat bisher vor allem die AfD davon profitiert.
Wirtschaftlich unruhige Zeiten sind Wasser auf die Mühlen populistischer Parteien. Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment ist ihr Markenzeichen. Dabei ist es (fast) egal, ob sie am linken oder rechten politischen Rand fischen. Beide sind anti-kapitalistisch, fremdenfeindlich und national-sozial (hier). Die marktwirtschaftliche Ordnung ist ihnen ein Gräuel, planwirtschaftliche Lösungen sind ihnen lieber. Alles Fremde ist ihnen suspekt, Zuwanderung lehnen sie ab. Ein ausgebauter Sozialstaat ist ihnen wichtig, Einheimische sollen allerdings gegenüber Fremden bevorzugt werden. Es ist deshalb keine Überraschung, wenn sich links- und rechtspopulistische Parteien immer öfter zusammentun, um gemeinsam zu regieren. Das ist in Griechenland mit Syriza und Anel schon seit längerem der Fall. Neuerdings regiert eine solche Konstellation mit der Lega und Cinque Stelle auch Italien. Eine Kooperation von rechts- und linkspopulistischer Parteien ist überall möglich, auch in Deutschland. Die AfD und die Linke sind so unterschiedlich nicht. Das Interview mit Sarah Wagenknecht in der FAS vom 12. August 2018 (hier) verdeutlicht es. Die bisherigen Unterschiede in der Migrationspolitik verwischen zusehends.
Es scheint heute wenig wahrscheinlich, dass Deutschland in absehbarer Zeit italienische Verhältnisse bekommt. Die AfD und die Linke haben im Bund gegenwärtig nicht den Hauch der Chance einer politischen Mehrheit. Allerdings sollte das plötzliche Verschwinden der Volksparteien in Italien und Frankreich zu denken geben. In einigen ostdeutschen Bundesländern ist die Lage aber schon heute anders. Dort ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass sich populistische (linke und rechte) Mehrheiten schon in allernächster Zeit einstellen könnten. Bei der Sonntagsfrage würden AfD und die Linke in Ostdeutschland bei Wahlen zum Bundestag schon heute über 45 % der Stimmen erhalten (Stand 6. 9. 2018). Kommt es im Zuge der absehbaren wirtschaftlichen Herausforderungen in Deutschland zu solchen politischen Konstellationen, wird ein Teufelskreis von ökonomischem und politischem Abstieg in Gang gesetzt. Anti-marktwirtschaftliche, fremdenfeindliche und sozialstaats-chauvinistische Aktivitäten würden die negative wirtschaftliche Entwicklung beschleunigen. Das würde den Zulauf zu populistischen Parteien noch verstärken. Die Planwirtschaft würde die Marktwirtschaft verdrängen. Der wirtschaftliche und politische Schaden für Deutschland und Europa wäre beträchtlich.
Fazit
Weltweit erscheint Deutschland gegenwärtig als ein Land, in dem ökonomisch Milch und Honig fließen. Es geht den Menschen hierzulande wirtschaftlich so gut wie lange nicht mehr. Das muss allerdings nicht so bleiben. Deutschland wird wirtschaftspolitisch herausgefordert. Die Demographie, der Strukturwandel, die Ungleichheit, Europa und die Flüchtlinge sind nur einige der vielen Herausforderungen. Auf alle ist Deutschland nicht gut vorbereitet. Die sehr gute wirtschaftliche Entwicklung verdeckt viele Schwächen. „Richtige“ Antworten auf die Herausforderungen werden verschleppt, falsche Antworten werden gegeben. (Um)Verteilung kommt vor Allokation, Alte vor Junge, Konsum vor Investitionen, Industrie vor Dienstleistungen, Zentralismus vor Föderalismus, Asyl vor Arbeitsmigration, Staat vor Markt. Auf Deutschland kommen wirtschaftlich unruhige Zeiten zu. Das ist Wasser auf die Mühlen von linken und rechten Populisten. Deutschland drohen italienische Verhältnisse. Auftreten werden sie zuerst in Ostdeutschland. Ein Teufelskreis von ökonomischer Krise und politischer Zerrüttung wird in Gang gesetzt. Es ist ökonomisch und politisch nicht so, wie es wirtschaftlich gegenwärtig aussieht. Deutschland droht wirtschaftlicher Abstieg und politische Instabilität. Noch ist Zeit beides zu verhindern.
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