Vom Ende der Welthandelsordnung, wie wir sie kennen

Man muss Donald Trump nicht mögen (wahrlich nicht), um neidlos anzuerkennen, dass sein handelspolitischer Taschenspielertrick, mit höheren Zöllen auf Importe aus Europa zu drohen, ein voller Erfolg war. Die Europäische Union und – allen voran – Deutschland sind beim erstbesten Gegendruck umgeknickt wie das berühmte Fähnlein im Winde. Sicher, Europa in seiner ganzen wirtschaftlichen und institutionellen Schwäche konnte nicht anders. Zu groß war die Sorge, dass der zarte, exportgetriebene Aufschwung zusammenbrechen könnte und damit die Eurokrise zurückkehrt. Der Preis, den Europa für die Aufgabe der Welthandelsordnung, wie wir sie kennen und wie sie sich im Großen und Ganzen bewährt hat, wird zahlen müssen, ist hoch. Da ist es wenig tröstlich, dass auch den USA nur ein kurzfristiger Glückstreffer gelungen ist, der sie längerfristig teuer zu stehen kommen wird.

Der vermeintliche Showdown beim Finanzministertreffen der G20 in Buenos Aires sowie in den Washingtoner Ministerien hatte etwas ähnlich Demütigendes wie das Treffen deutscher Konzernvorstände mit US-Präsident Donald Trump beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort krochen gestandene Topmanager devot vor Trump im Staube und bejubelten seine Steuerreform, während nun EU-Handelskommissarin Malmström, Wirtschaftsminister Altmaier und viele andere alles dafür taten, eine Ausnahme für die EU von den drohenden Strafzöllen auf Stahl und Aluminium zu erreichen. Man sei bereit, mit den Amerikanern zu reden, so Malmström, aber man verhandele nicht unter Druck oder Drohungen. Gut gebrüllt, Löwe, möchte man sagen, aber mehr als ein Säuseln war diese Ansage nicht. Umso lauter hörte man die Steine von europäischen Herzen fallen, als die amerikanische Seite nur China, aber vorerst nicht die EU mit Zöllen belegte.

Dass es sich bei diesem Ergebnis um einen Erfolg der Europäer handele, kann man nur mit einer gehörigen Portion Naivität glauben. Zum einen stehen die eigentlichen Verhandlungen zwischen der EU und den USA noch an und nichts spricht dafür, dass diese besonders kooperativ verlaufen werden. Vielmehr ist das genaue Gegenteil zu erwarten, denn Donald Trump hat es genau darauf angelegt: auf bilaterale statt multilaterale Verhandlungen. Während in multilateralen Verhandlungen machtvolle Koalitionen gegen die USA geschlossen werden können, ist die Verhandlungsposition eines einzelnen Partners gegenüber den – politisch, militärisch und ökonomisch mächtigen – USA deutlich schwächer. Das gilt – auch und gerade – für die Europäer, die sich intern nur selten einig und auf Gedeih und Verderb auf ihre Exportwirtschaft angewiesen sind. Das Erpressungspotenzial der Trump-Administration ist also erheblich. Dies gilt übrigens selbst dann, wenn – wie vielfach gefordert – die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) reaktiviert wird.

Zum anderen haben die Europäer es zugelassen, dass die fundamentalen Prinzipien der Welthandelsorganisation WTO in Frage gestellt werden. Zwar handelt es sich bei den amerikanischen Strafzöllen im engeren Sinne lediglich um eine Abkehr von zugesagten Konzessionen früherer Welthandelsrunden. Dies kann im Rahmen der WTO beanstandet und dann mit vergeltenden Maßnahmen legal beantwortet werden. Man kann die Entwicklungen jedoch auch anders interpretieren: die Reziprozitäts- und Meistbegünstigungsregel, die für das Funktionieren der Welthandelsordnung jeweils von zentraler Bedeutung sind, werden systematisch unterlaufen. Dies gilt ganz besonders dann, wenn die Europäer und Amerikaner einen Sonderdeal beschließen, der zu einer Umlenkung von Handelsströmen führen würde und dadurch sehr wahrscheinlich zulasten Asiens und vor allem Chinas ginge. Das Zusammenspiel der Reziprozitäts- und Meistbegünstigungsregel sorgt eigentlich dafür, dass innerhalb der WTO kein so genannter „bilateraler Opportunismus“ vorkommen kann, also eine im gegenseitigen Einvernehmen beschlossene Abkehr einiger weniger Länder von zuvor multilateral ausgehandelten Abkommen, die zulasten Dritter geht. Aber die USA (und in ihrem Gefolge die Europäer) unterminieren derzeit sowohl die Reziprozität (also die Schaffung gegenseitig vorteilhafter Zollregelungen) als auch die Meistbegünstigung (d.h. die Ausweitung der Zollvorteile auf alle WTO-Mitglieder), weshalb China die Position der Europäer genauso wenig gefallen dürfte wie die der USA.

Höchst problematisch ist auch die amerikanische Begründung der Strafzölle, argumentieren die Amerikaner doch mit der „nationalen Sicherheit“, die durch eine importgeschwächte Stahlindustrie gefährdet sei. Wird diese Sichtweise breit akzeptiert, und die Europäer haben an dieser Stelle nicht allzu laut protestiert, dann dürften die Regeln der WTO auf mittlere Sicht endgültig zur Makulatur werden. Denn während die Reziprozität und die Meistbegünstigung als die zentralen Säulen der Welthandelshandelsordnung gelten, sind die Durchsetzungsregeln ihr Herz. Ungerechtfertigte Strafzölle können mit ihrer Hilfe von den betroffenen Ländern legal vergolten werden (die EU-Liste mit möglichen Strafzöllen für amerikanischen Whiskey und Nobelmotorräder ist vor diesen Hintergrund zu verstehen). Wenn aber alle Zollerhöhungen lediglich der nationalen Sicherheit dienen, dann greifen die Durchsetzungsregeln nicht mehr uneingeschränkt. Die WTO wird damit zum zahnlosen Tiger, gefangen innerhalb ihrer eigenen, nun unzureichenden Regeln.

Die Folge dieser verheerenden Entwicklungen ist eine fundamentale Schwächung der WTO und damit der bestehenden Welthandelsordnung. Die Europäer haben, anstatt einen internationalen Schulterschluss mit dem Rest der industrialisierten Welt als handelsfreundliche „G19“ zu suchen, ihre institutionelle Schwäche für alle dokumentiert und wollen sich nun in bilateralen Handelsgesprächen mit den USA endgültig über den Tisch ziehen lassen. Die Amerikaner mögen ihren kurzfristigen Erfolg noch eine Weile feiern, ehe sie realisieren, dass der hohe Integrationsgrad ihrer eigenen und der Weltwirtschaft vor allem die heimischen Preise steigen lässt, während ein Beschäftigungsaufbau nicht stattfinden wird. Im schlimmeren Falle hat man sogar einen handfesten Handelskrieg begonnen, der die amerikanische Exportwirtschaft im Bereich der Dienstleistungen und der Güter mit höchstem technischen Knowhow massiv behindern wird (und der letztlich natürlich auch Europa treffen würde). Derweil wird China – sich seiner eigenen wirtschaftlichen Stärke sicher – von außen zuschauen, sich noch ungenierter fremde geistige Eigentumsrechte aneignen und vor allem den eigenen Binnenmarkt stärken, um sich von handelspolitischen Verwerfungen unabhängiger machen.

All dies wäre nicht nötig gewesen, wenn die Europäer mit Selbstbewusstsein eine besonnene handelspolitische Reaktion hätten geben können, was aber nicht möglich war (die institutionelle Schwäche der EU ist in anderen Beiträgen der „Wirtschaftlichen Freiheit“ zur Genüge thematisiert worden). Man hätte den USA eine klare Antwort durch eine Anrufung der WTO geben können, dort Recht bekommen und dann in bescheidenem, aber symbolhaftem Umfange vergolten. Gleichzeitig hätte man sich massiv für eine Wiederbelebung der multilateralen Handelsgespräche im Rahmen der – immer noch nicht abgeschlossenen – Doha-Runde einsetzen können. Dies wäre ein klares, ordnungspolitisch angemessenes Signal an die USA gewesen: mit Europa kann man welthandelspolitisch voran-, aber nicht zurückschreiten.

Eine Antwort auf „Vom Ende der Welthandelsordnung, wie wir sie kennen“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert