„Aktive Arbeitsmarktpolitik ohne betriebliche Lohnfindung ist wie Hamlet ohne den Prinzen von Dänemark.“ (Norbert Berthold)
Die Eurokrise lenkt noch von der miserablen Lage auf den Arbeitsmärkten ab. In der EU waren im September 2012 über 10,6 %, in der Eurozone noch ein Prozentpunkt mehr Arbeitnehmer arbeitslos. Der negative Trend ist ungebrochen. Bevor es besser werden kann, wird es noch schlechter. Die alten schlechten Zeiten der frühen 90er Jahre kehren zurück. Damals machten skandinavische Länder europaweit Furore. Es gelang ihnen, die Misere persistent hoher Arbeitslosigkeit zu beenden. Der Star unter ihnen war Dänemark. Es setzte in Europa neue Maßstäbe im Kampf gegen massenhafte Arbeitslosigkeit. Der Mythos der dänischen „Flexicurity“ entstand. Das war gestern. Mit der Finanzkrise erhöhte sich auch in Dänemark die Arbeitslosigkeit sprunghaft. Das ist eher normal. Trotz wirtschaftlicher Erholung steigt sie aber immer noch. Dänemark ist nicht mehr das „Non plus Ultra“ erfolgreicher Arbeitsmärkte in Europa. Was ist faul im Staate Dänemark?
Empirisches Bild
Die dänischen Arbeitsmärkte waren noch Anfang der 90er Jahre in einem desolaten Zustand. Mit fast 10 % erreichte die Arbeitslosenquote im Jahre 1993 einen traurigen Höhepunkt. Das war der Anlass, die staatlichen Haushalte zu sanieren, das Steuersystem zu reformieren und die Arbeitsmärkte zu flexibilisieren. Danach ging es auch mit der Beschäftigung aufwärts. Die Arbeitslosenquote sank bis zur Dotcom-Krise mehr oder weniger stetig auf etwas über 4 %. Nach einem leichten Anstieg zu Beginn des neuen Jahrtausends ging die Arbeitslosenquote bis zur Finanzkrise auf den bisher tiefsten Stand von 3,2 % zurück. Für viele war das dänische Modell der „Flexicurity“ das Geheimnis des Erfolgs. Seit der Finanzkrise scheint es aber seinen Zauber verloren zu haben. Die Arbeitslosenquote stieg seither steil an. Heute werden wieder Werte von über 8,3 % erreicht. Die abgehängten finnischen und schwedischen Nachbarn sind an den Dänen vorbeigezogen.
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Damit aber nicht genug. Auch bei der Langzeitarbeitslosenquote hat Dänemark inzwischen seinen Vorsprung auf die skandinavischen Nachbarn eingebüßt. Sie liegt heute bei über 1,8 % und damit leicht höher als in Finnland (1,7 %) und spürbar höher als in Schweden (1,4 %). Kein Wunder, dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen an den Arbeitslosen heute in Dänemark mit fast 25 % höher ausfällt als in Schweden (18 %) und Finnland (23%). Das ist für ein Land, das lange als Musterknabe der aktiven Arbeitsmarktpolitik galt, kein gutes Zeichen. Offensichtlich haben die vielfältigen staatlichen Arbeitsmarktprogramme mit dem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit an Effizienz eingebüßt. Und noch etwas gibt zu denken. Die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen ist heute mit 14,2% mehr als doppelt so hoch wie 2006 mit 6, 3 %. Allerdings liegt der höhere Wert noch immer unter den Zahlen der beiden skandinavischen Nachbarn und auch der EU.
Dänische „Flexicurity“
Die dänische Variante der „Flexicurity“ wurde Anfang der 90er Jahre populär, weil sie vorgab, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sie flexibilisierte die Arbeitsmärkte ohne die soziale Sicherheit der Individuen zu verletzen. Das ist zumindest herrschende Meinung. Ein relativ laxer Kündigungsschutz gab den Arbeitsmärkten die notwendige Flexibilität und baute die massenhafte Arbeitslosigkeit zügig ab. Großzügige finanzielle Leistungen der Arbeitslosenversicherung sorgten dafür, dass die Arbeitnehmer bei einem Verlust des Arbeitsplatzes finanziell gut versorgt waren. Die monetären Leistungen der Arbeitslosenversicherung waren an strenge Anforderungen gekoppelt. Damit wollte man für eine effiziente aktive Arbeitsmarktpolitik sorgen. Das dänische Modell der „Flexicurity“ war aber nur erfolgreich, weil die Lohn- und Tarifpolitik stärker verbetrieblicht wurde.
Es ist richtig, dass Dänemark relativ flexible, weniger regulierte Arbeitsmärkte hatte als die Arbeitslosigkeit endlich sank. Allerdings spielte der Kündigungsschutz in Dänemark schon in den 80er Jahren mit sehr hoher Arbeitslosigkeit kaum noch eine Rolle. Der starke Rückgang der Arbeitslosigkeit seit Mitte der 90er Jahre hatte andere Gründe. Schon Anfang der 90er Jahre erkannten die Dänen die globalen Zeichen der „heterogeneren“ Zeit. Sie forcierten die Dezentralisierung der Lohn- und Tarifpolitik. Betriebliche Bündnisse für Arbeit schossen wie Pilze aus dem Boden. Daneben wurde die Großzügigkeit der Arbeitslosenversicherung eingeschränkt. Die Kriterien, die zum Bezug von Leistungen berechtigten, wurden sukzessive verschärft, die Dauer des Bezugs wurde verkürzt und die Zeitdauer eingeschränkt, in der Arbeitslose die aktive Arbeitsmarktpolitik nutzen konnten.
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Noch immer ist aber die Arbeitslosenversicherung in Dänemark sehr großzügig. Das gilt zumindest für die Lohnersatzrate. Sie liegt bei 90 % des letzten Einkommens. Allerdings gilt diese Rate nur für Monatseinkommen bis 2.000 Euro. Für höhere Einkommen sinkt die Lohnersatzrate. Die Arbeitslosenversicherung zieht somit eine relativ hohe Lohnuntergrenze für einfachere Arbeit ein. Das ist nicht unproblematisch für die Beschäftigungschancen weniger qualifizierter Arbeitnehmer. Allerdings ist die Dauer des Bezugs des Arbeitslosengeldes begrenzt. Bis 2010 waren es maximal 4 Jahre, seit 2011 sind es nur noch 2 Jahre. Danach haben Arbeitslose einen Anspruch auf Sozialhilfe. Deren Höhe hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Gegenüber dem Arbeitslosengeld müssen die Empfänger von Sozialhilfe im Schnitt allerdings auf 20 – 40 % an Transfer verzichten.
Die relativ üppigen Leistungen der Arbeitslosenversicherung begünstigen „moral hazard“. Mit einer rigorosen Politik des „Förderns und Forderns“ wird versucht, individuelle Fehlanreize im Zaum zu halten. Beraten, vermitteln, qualifizieren und staatlich subventioniert beschäftigen zählen auch in Dänemark zum Repertoire der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Vor allem arbeitslose junge Arbeitnehmer erhalten relativ schnell arbeitsmarktpolitische Hilfen, die sie nicht ablehnen können. Zu den Besonderheiten zählt auch, dass die Arbeitsmarktpolitik mit der Dauer der Arbeitslosigkeit fördernder und fordernder wird. Mit dieser intensivierenden Strategie soll Langzeitarbeitslosigkeit verhindert werden. Wie überall kann auch in Dänemark die aktive Arbeitsmarktpolitik keine Wunder bewirken. Es wurde aber offensichtlich lange Zeit besser als anderswo beraten, vermittelt und weitergebildet.
Flexicurity im Härtetest
Es ist zweifellos richtig, die vier Elemente der dänischen „Flexicurity“ haben den Arbeitsmarkt in Schwung gebracht. Das gilt für den Arbeitsmarkt zumindest bis zur Finanzkrise im Jahre 2008. Danach allerdings ändert sich das Bild. Die Arbeitslosigkeit ist zwar im internationalen Vergleich noch immer niedrig, der Anstieg ist allerdings explosiv. Auf den starken Einbruch des Pro-Kopf-Einkommens haben dänische Unternehmen vor allem mit Entlassungen reagiert. Das war in Deutschland anders. Dort wurden primär die Arbeitsstunden angepasst. Das dänische Verhalten ist typisch für Länder, in denen der Kündigungsschutz eher lax ist und die Arbeitsmärkte in guten Zeiten die gekündigten Arbeitnehmer schnell wieder in Lohn und Brot bringen. Kein Wunder, dass die Arbeitsproduktivität in Dänemark nach der Finanzkrise weniger stark als anderswo einbrach.
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Der steile Anstieg der Arbeitslosigkeit in Dänemark nach der jüngsten Finanzkrise hat aber möglicherweise auch damit zu tun, dass die 3. Säule der „Flexicurity“, die aktive Arbeitsmarktpolitik des „Forderns und Förderns“, ins Wanken geraten ist. Das vermutet zumindest Torben Andersen, der führende dänische Arbeitsmarktexperte. Die starken Entlassungswellen nach dem Schock der Finanzkrise haben für dänische Verhältnisse massenhaft Arbeitslose in die Arbeitsagenturen geschwemmt. Darunter hat offensichtlich auch die Effizienz der aktiven Arbeitsmarktpolitik gelitten. Der proklamierte komparative Vorteil der dänischen aktiven Arbeitsmarktpolitik beim Beraten, Vermitteln und Weiterqualifizieren von Arbeitslosen ging wohl zumindest teilweise verloren. Die immer knapperen finanziellen Mittel des Staates haben auch das Instrument der Lohnsubventionen stumpf werden lassen.
Fazit
Der Mythos der dänischen Variante der „Flexicurity“ hat gelitten. Die flexibleren Arbeitsmärkte haben nach der Finanzkrise zu massenhaften Entlassungen geführt. In wirtschaftlich besseren Zeiten fanden Arbeitslose schneller als anderswo wieder eine Beschäftigung. Das ist gegenwärtig noch nicht wieder der Fall. Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist überfordert. Sie kann es nicht allein richten. Ein höheres wirtschaftliches Wachstum könnte Abhilfe schaffen. Aber das fehlt in Dänemark. Die chronische Wachstumsschwäche ist seit langem die Achillesferse des dänischen Modells. Das liegt auch an den hohen steuerlichen Belastungen. Die finanzielle Großzügigkeit der Arbeitsmarktpolitik hat ihren Preis. Arbeit und Kapital werden in Dänemark steuerlich hoch belastet. Das tut dem wirtschaftlichen Wachstum nicht gut. Auch in Dänemark kann man nicht „s’Weckle und s’Zehnerle“ haben.
Literatur
ANDERSEN, T. (2011): A Flexicurity Labor Market in the Great Recession: The Case of Denmark, IZA Discussion Paper No. 5710, verfügbar hier.
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